Eine Fiskalunion ist auch keine Lösung
Die Politik destabilisiert den Euro und zerrüttet Europa

„Als Sozialdemokrat halte ich Solidarität für äußerst wichtig. Aber wer sie einfordert, hat auch Pflichten. Ich kann nicht mein ganzes Geld für Schnaps und Frauen ausgeben und anschließend Sie um Ihre Unterstützung bitten.“ (Jeroen Dijsselbloem)

Trotz der Ruhe in den letzten Jahren, die Krise des Euro war nie vorbei. Sie schwelte auch nach den großen Verwerfungen in den Jahren 2010, 2011 und 2012 weiter. Die EZB hat sie unter dem monetären Deckel gehalten. Den wollen die „Flegel“ aus Rom nun lüften. Von Fiskalregeln halten sie nicht viel. Damit fachen sie den Schwelbrand fiskalisch wieder an. Soll die EWU nicht bald platzen, lassen sich Reformen nicht weiter aufschieben. An Vorschlägen mangelt es nicht. Der deutsch-französische Fahrplan von Meseberg will mehr zentrale Fiskalpolitik in der Eurozone. Dem stimmen deutsche Alt-Politiker in einem „Aufruf der 6“ zu (hier). Die EWU lasse sich nur retten, wenn fiskalpolitisch endlich europäisch gedacht werde. Deutschland stünde es gut an, Kompromisse zu schließen auch wenn es uns was (mehr) koste. Dies sehen in Europa nicht alle so. Die „Nordische Allianz“ unter niederländischer Führung hält dagegen. Sie will keine weitere fiskalische Vergemeinschaftung. Handlung und Haftung sollen wieder korrespondieren, mehr als bisher.

Der Kompromiss von Meseberg

Die EWU ist reformbedürftig. Das ist allgemeiner Konsens. Klar ist auch, ohne die politische Achse Berlin-Paris läuft nichts. Emanuel Macron hat von Anfang an auf die fiskalische Karte gesetzt, Angela Merkel reagierte lange defensiv. In Meseberg hat man sich auf einen windelweichen Kompromiss geeinigt. Es gibt eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten. Eines scheint allerdings klar: Die anstehende Reform der EWU soll sich auf die Fiskalpolitik konzentrieren. Dem Ansatz liegt die Vorstellung zugrunde, dass die EWU von asymmetrischen (Nachfrage-)Schocks getroffen werde. Die Geldpolitik könne wenig bis nichts dagegen tun: Einmal wirke sie symmetrisch und an der Null-Zins-Grenze sei sie weitgehend wirkungslos. Damit bliebe nur die Fiskalpolitik. Harte Fiskalregeln für Defizit und Schuldenstand würden sie aber fesseln. Das sei in Zeiten schwerer Einbrüche fatal. Und noch etwas störe: Eigenständige nationale Fiskalpolitik nutze die positiven externen Effekte nicht. Das wäre nur bei europaweit koordiniertem Vorgehen der Fall.

Der Wunsch ist vor allem im Süden weit verbreitet, die Fiskalpolitiken in der EWU stärker zu zentralisieren. Das gilt für die diskretionären und regelgebundenen Elemente. Es spreche vieles dafür, so die Befürworter, die nationalen Fiskalpolitiken in der EWU stärker zu koordinieren. Das wäre fiskalpolitisch das Mindeste. Noch besser wäre allerdings ein zentraler, europäischer Haushalt. Der von Emanuel Macron vorgeschlagene Euro-Zonen-Haushalt sei ein erster Schritt in die richtige Richtung. Damit aber nicht genug. In der Fiskalpolitik müssten, wie auf nationaler Ebene auch, europäische automatische Stabilisatoren installiert werden. Die  sechs Autoren des Aufrufs für ein solidarisches Europa fordern eine europäische Arbeitslosenversicherung, eine gemeinsame Arbeitsmarktpolitik und eine europäische Lohn- und Tarifpolitik. Die nationalen und regionalen Wohlstandsunterschiede in Europa seien durch geeignete Maßnahmen eines europäischen Finanzausgleichs einzuebnen. Das sind schon wesentliche Elemente einer europäischen Fiskalunion.

Der Plan von Maastricht

Der Meseberg-Weg einer europäischen Fiskalpolitik und der „Aufruf der 6“ führen ökonomisch und politisch in die Irre. Eine europäische Fiskalpolitik stabilisiert die EWU längerfristig nicht, ganz im Gegenteil. Die Reform der EWU sollte sich vielmehr auf die Lohn- und Tarifpolitik konzentrieren. Es ist zweifellos richtig, die EWU wird von exogenen Schocks getroffen. Zweifelhaft ist allerdings, ob sie symmetrisch oder asymmetrisch sind. Es spricht vieles dafür, dass symmetrische Schocks, wie etwa die „Große Depression“ oder die Finanzkrise, eher seltene Ausnahmen sind[1]. Viel öfter reagieren die Länder asymmetrisch auf symmetrische Schocks (hier). Die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit zeigen aber auch, dass asymmetrische Schocks weniger nachfrage-, sondern viel öfter angebotsbedingt waren. Strukturelle Probleme dominierten konjunkturelle. In einer solchen Welt sind nachfrageseitige, geld- und fiskalpolitische Aktivitäten nicht zielführend. Das gilt selbst dann, wenn die Fiskalpolitik asymmetrisch reagiert.

Besser, billiger und schneller sind die adäquaten Antworten auf asymmetrische Angebotsschocks. Arbeit muss produktiver, (lohn-)kostengünstiger und mobiler werden. Die Asymmetrie ist allerdings nicht auf Länder begrenzt. Es sind die Branchen, Unternehmen und Individuen, die unterschiedlich von Schocks getroffen werden. Es macht wenig Sinn, zentral auf den heterogenisierenden inter- und intra-sektoralen Strukturwandel zu reagieren. Angesagt sind dezentrale Lösungen vor Ort in den Betrieben, immer öfter auch auf individueller Ebene. Das gilt für die (realen) Löhne, die individuelle Arbeitsproduktivität und die Mobilität, räumlich und beruflich. Es ist kein Zufall, dass die Väter des Euro in der dezentralen, nationalen Lohn- und Tarifpolitik den wichtigsten Anpassungskanal in der EWU sahen, über den sich die Akteure in den Ländern an asymmetrische Schocks anpassen konnten. Zentrale Lösungen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik waren ihnen ein Gräuel. Auch deshalb sind arbeitsmarkt- und sozialpolitische Aktivitäten in der EU nach wie vor Ländersache. Die Architekten des Euro wollten eine stabile EWU.

Die Verflechtung von Banken und Staaten

Der Vertrag von Maastricht ist eindeutig, was das wirtschaftspolitische Assignment in der EWU angeht. Die EZB sorgt für einen wertstabilen Euro, die Tarifpartner garantieren flexible Löhne und die Staaten bekämpfen konjunkturelle Schwankungen. Ein Großteil der asymmetrischen Schocks kommt allerdings von der Angebotsseite. Damit müssen die Tarifpartner die Hauptlast der Anpassung über flexible Löhne und mobile Arbeit tragen. Alles was diese Anpassungskanäle verstopft, destabilisiert die EWU. Es ist deshalb unverständlich, dass die Autoren des „Aufrufs der 6“ für ein solidarisches Europa fordern „bei der Lohn- und Preisfindung nicht mehr national, sondern europäisch zu denken.“ Offensichtlich sind sie der Meinung, der Großteil der asymmetrischen Schocks sei nicht strukturell, sondern konjunkturell. Das ist falsch. Und sie glauben wohl noch immer an die Kaufkrafttheorie des Lohnes. Diesem Irrtum ist nicht mal Keynes aufgesessen. Dem „Aufruf der 6“ für ein solidarisches Europa hätten ein paar gestandene Ökonomen zweifellos gut getan.

Der Bauplan der EWU hat noch eine andere Achillesferse. Die Fiskalregeln konnten nicht verhindern, dass die staatliche Verschuldung stark angestiegen ist. Diese Entwicklung wird für die EWU zu einem Problem, allerdings anders als vermutet. Die hohe Staatsverschuldung hat die Inflation nicht getrieben, zumindest bisher nicht[2]. Trotzdem destabilisiert sie die EWU. Nationale Banken sind die Hauptfinanziers der nationalen Staaten. Dieses Problem wäre beherrschbar, wenn Staatspapiere risikolos wären. Das sind sie aber nicht. Geraten Staaten in Schwierigkeiten, tun dies auch die Banken. Sind Banken international verflochten, führen nationale Verschuldungskrisen zu europäischen Systemkrisen. Die EWU ist nur stabil, wenn diese unselige Verflechtung von Banken und Staaten unterbrochen wird. Es reicht nicht, die Staaten an die Kandare zu nehmen, was bisher nicht gelang. Auch die Banken müssen an die kurze Leine. Eine zentrale Aufsicht und eine einheitliche Abwicklung macht Sinn. Die geplante Risikoteilung über eine gemeinsame Einlagensicherung ist allerdings grundverkehrt. Sie weicht die Budgetrestriktion auf.

Der richtige Weg

Ob die EWU stabiler wird, hängt davon ab, ob es gelingt, die Budgetrestriktionen der wirtschaftlichen und politischen Akteure zu härten. Gehärtet werden sie nur, wenn die Arbeitsmärkte flexibler werden und der Banken-Staaten-Nexus durchbrochen wird. Die Politik muss dafür Sorge tragen, dass sich die Tarifpartner an den wirtschaftlichen Realitäten orientieren. Es darf ihnen nicht möglich sein, arbeitsmarktpolitische Lasten auf Dritte abzuwälzen. Die Kanäle der Abwälzung müssen verstopft werden. Das gelingt nur, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Die EZB sorgt für nachhaltige Preisniveaustabilität, der Sozialstaat wird nicht als Lastesel missbraucht und arbeitsmarktpolitische Lasten werden nicht auf künftige Generationen abgewälzt. Es geht darum, jetzt anfallende Lasten jetzt zu tragen, nicht sie jetzt zu finanzieren und damit künftigen Generationen aufzubürden. Dazu braucht es überall in den Ländern der EWU umfassende Strukturreformen im Bereich von Arbeit und Sozialem und eben auch solide staatliche Haushalte.

Es hapert in den EWU-Ländern nicht nur an flexiblen Arbeitsmärkten. Auch um die Solidität staatlicher Haushalte ist es nicht zum Besten bestellt. Die nationale Finanzierung durch „ortsansässige“ Banken wird zum Problem. Die EWU ist nur stabil, wenn die Verflechtung von Banken und Staaten unterbrochen wird. Es reicht nicht, wie die Väter des Euro dachten, die Staaten an die Kandare zu nehmen. Auch die Banken müssen an die kurze Leine. Ein Weg, Banken und Staaten zu entflechten, ist die Abschaffung der regulativen Privilegierung von Staatspapieren in den Bankbilanzen. Die italienische Ökonomin Lucrezia Reichlin hat jüngst noch einen anderen Vorschlag gemacht. Sie will, dass nur einheimische Nicht-Banken nationale Staatspapiere zeichnen dürfen. Martin Hellwig und Roland Vaubel sind schließlich der Meinung, die Eigenkapitalquote der Banken zu erhöhen. Kontraproduktiv sind dagegen alle Maßnahmen, wie eine europäische Einlagensicherung, die zu mehr Risikoteilung und damit erheblichen Fehlanreizen führen.

Das Fazit

Die EWU ist instabil. Es fällt ihr schwer, sich effizient an Schocks anzupassen. Inflexible Arbeitsmärkte verhindern es. Es braucht harte Budgetrestriktionen. Die fehlen bisher. Weite Teile der Euro-Zone leiden noch immer an struktureller Arthrose, die staatlichen Finanzen sind oft unsolide, die kontraproduktive Risikoteilung ist schon weit fortgeschritten. Die Politik verschiebt weiter Lasten in die Zukunft. Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden. Das gilt für die explizite (Netto-)Verschuldung des Staates zu Lasten von Dritten. Es trifft aber auch für die implizite Verschuldung umlagefinanzierter Systeme der Sozialen Sicherung zu. Eine Quelle systemischer Instabilität ist schließlich die gefährliche Verflechtung von Banken und Staaten. Der Abbau regulatorischer Privilegien von Staatspapieren, „bail ins“ statt „bail outs“ und höhere Eigenkapitalquoten der Banken könnten helfen, beide zu entflechten. Gift für die Stabilität der EWU ist auch eine noch größere europäische Risikoteilung. Sie weicht die Budgetrestriktion weiter auf. Wer eine Fiskalunion installiert, gerät auf die schiefe Ebene einer Schuldenunion und landet schließlich in einer Haftungsgemeinschaft. Er stabilisiert die EWU nicht, er zerstört sie.

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[1] In der Regel reicht die fiskalische Munition der 3 %-Defizit-Regel aus, mit den konjunkturellen Nachfrageschocks fertig zu werden. Das gilt umso mehr, wenn die Politik die Regeln der antizyklischen Fiskalpolitik beherzigen und im Boom für Rücklagen sorgen würden.

[2] Die Gefahr ist allerdings groß, dass die Geldpolitik der EZB mit wachsender staatlicher Verschuldung von der Fiskalpolitik dominiert wird. Sind Staaten hoch verschuldet, muss die Geldpolitik mögliche negative Rückwirkungen einer restriktiven Geldpolitik auf die Solvenz berücksichtigen. Eine höhere Inflation wird damit wahrscheinlicher.

3 Antworten auf „Eine Fiskalunion ist auch keine Lösung
Die Politik destabilisiert den Euro und zerrüttet Europa

  1. Der richtige Weg – Die EZB sorgt für nachhaltige Preisniveaustabilität.

    Ich befürchte, man hat nichts verstanden. Die Punkte die hier angesprochen wurden, kratzen nur an der Oberfläche. Der einzige Weg für ein gemeinsames und vernünftig finktionierendes Europa war das EWS. Die Kontrolle der Geldwirtschaft unter der Obhut der Nationalbanken.
    Wettbewerb muss auch unter den Währungen bestehen. Schlechte Politik muss sich von guter Politik unterscheiden.
    Heutzutage wir schlechte Politik in den Medien als gute Politik dargestellt (siehe Spanien), nur weil man es besser versteht die anstehenden Probleme zu kaschieren.

    Es wird keine Reform geben. Das was man als Reform verkauf, ist der Versuch die Risse zu kitten. Doch die schwachen Länder werden immer schwächer und irgendwann geht der Kitt aus.

    Dabei ist es ganz einfach. Während der Euro für Deutschland ca. 30%-40% zu niedrig ist, ist der Euro für Griechenland etwa 35% zu hoch. Bei einem fairen Wettbewerb würden die billigen deutschen Stückkosten plötzlich gar nicht mehr so billig sein. Man wäre nicht mehr in der Lage, z.B. in Griechenland die griechischen Produkte (oder analog bei anderen Euroländer) aus deren Regalen zu vertreiben. Für die Griechen würde es sich wieder lohnen eigenen Produkte herzustellen und anzubieten, was gut für deren Kaufkraft und damit Wirtschaftswachstum wäre.

    Aber auch das so hochgelobte Deutschland ist schon längst am Ende. Man lebt nur noch durch die Eurovision. Die Exporte werden mit ca. 30%, des für die Wirtschaft viel zu schwachen Euros, gefördert. Das aber funktioniert auch nur, solange die EZB die schwachen Länder am Leben erhält. In dem Augenblick, wo man sich den fairen Wettbewerb wieder stellen muss und die Zeit wird kommen, wird man in der bitterbösen Realität aufwachen.

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