“Cambiando i governi niente cambia lassù
c’è un buco nello Stato dove i soldi van giù,
svalutation, svalutation.“
Adriano Celentano (1976)
Auf ihrem Treffen am 3. Dezember 2018 in Brüssel haben die Finanzminister der Eurogruppe ein Reformpaket beschlossen, das der „Vertiefung der Währungsunion“ dienen soll. Insbesondere sieht das Paket vor, den bestehenden Stabilitätsmechanismus ESM zu reformieren, die Bankenunion weiterzuentwickeln und neue Fiskalinstrumente einzuführen. Darüber hinaus wurde eine Reform der Europäischen Umschuldungsregel beschlossen. Während einige Teilnehmer von einer „Sternstunde“ sprachen, schätzen politische Beobachter die Ergebnisse als eher „mager“ ein. Tatsächlich sind die Reformvorschläge vom Inhalt her sehr technisch und eher vage formuliert. Trotzdem gibt es in dem Paket einige Reformschritte, die ordnungspolitisch interessant und geeignet sind, die Erpressbarkeit der Währungsunion durch einzelne Staaten zu verringern. Und das hat etwas mit Italien zu tun.
Haushaltsstreit mit Italien
Bekanntermaßen hatte die italienische Regierung im November der EU-Kommission einen Haushaltsplan vorgelegt, der für das kommende Jahr von einem unrealistisch hohen Wirtschaftswachstum ausgeht und eine Neuverschuldung von 2,4% des BIPs vorsieht, die damit dreimal so hoch ausfällt, wie mit der Vorgängerregierung vereinbart war. Die EU-Kommission hat in Reaktion auf diese Verletzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) angekündigt, ein Defizitverfahren gegen Italien einzuleiten, das mit erheblichen finanziellen Sanktionen verbunden ist. Voraussichtlich im Januar 2019 entscheiden nach Konsultationen mit der Europäischen Kommission die Europäischen Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN-Rat) über die Einleitung des Defizitverfahrens mit qualifizierter Mehrheit, wobei Italien nicht stimmberechtigt sein wird.
Kommission und ECOFIN-Rat stehen dann vor der Entscheidung, mit der italienischen Regierung einen Kompromiss auszuhandeln und ein überhöhtes Haushaltsdefizit zuzulassen, das geringer als von Rom gefordert ausfällt. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt erlaubt das, denn er sieht zahlreiche Ausnahmefälle vor. Allerdings wäre das ein Signal auch an andere Länder der Eurozone, dass sich Erpressungsversuche auszahlen. Alternativ kann Brüssel auf die Einhaltung des Regelwerks bestehen und ein Defizitverfahren durchführen, sofern Italien seine Neuverschuldung nicht deutlich unter 1 % des BIPs senkt; dies könnte in Italien als Diktat Brüssels verstanden und als Anlass gewertet werden, bei der jetzt geplanten hohen Neuverschuldung zu bleiben.
Es ist denkbar, dass die Europäischen Wirtschafts- und Finanzminister eher zu einem Kompromiss mit Italien bereit sind, wenn sie mit einem Überschwappen einer Finanzkrise von Italien auf andere Volkswirtschaften in der Eurozone rechnen. Umgekehrt werden sie auf die Einhaltung der SWP-Regeln bestehen, wenn sie überzeugt sind, dass eine Finanzkrise in Italien nicht die eigenen Staatsfinanzen betrifft. Damit wird der SWP umso glaubwürdiger, je besser ein finanzieller Flächenbrand vermieden wird. Genau dies bezwecken einige der am 3. Dezember gemachten Beschlüsse.
Reform der Kreditlinien durch den ESM
Um finanzielle Ansteckungseffekte einer Staatsschuldenkrise zu vermeiden, sieht der ESM-Vertrag derzeit zwei Kreditlinien für öffentliche Schuldner vor, die als „Precautionary Conditioned Credit Line (PCCL)“ und als „Enhanced Conditions Credit Line (ECCL)“ bezeichnet werden. Beide Kreditlinien sind von regulären ESM Krediten zu unterscheiden, wie sie im Falle Griechenlands, Spaniens und Portugals vergeben wurden, und die mit einem makroökonomischen Anpassungsprogramm verbunden sind. Anders als reguläre ESM-Kredite sollen beide Kreditlinien das Entstehen einer Finanzkrise verhindern und als Liquiditätshilfe jedem Mitgliedsland der Währungsunion zur Verfügung stehen, sofern seine wirtschaftliche und finanzielle Lage als gesund eingeschätzt und es weiterhin Zugang zu den Kreditmärkten hat.
PCCL kann nur von Ländern der Eurozone in Anspruch genommen werden, die sich zum Stabilitäts- und Wachstumspakt und zum Verfahren bei einem übermäßigen Defizit verpflichten. Sie müssen „über eine Erfolgsbilanz beim Zugang zu den Kapitalmärkten zu angemessenen Bedingungen, eine nachhaltige externe Position und das Fehlen von Solvenzproblemen der Banken verfügen, die systemische Bedrohungen für die Stabilität des Bankensystems des Euroraums darstellen würden.“ Sind diese Bedingungen ganz oder teilweise nicht erfüllt, besteht der Zugang zur Kreditlinie ECCL, die das Land dazu verpflichtet, Korrekturmaßnahmen zu ergreifen, um diese Schwachstellen zu beheben und künftige Schwierigkeiten beim Zugang zu Marktfinanzierungen zu vermeiden. Zum Ausgleich für solche Korrekturmaßnahmen ermöglicht die Inanspruchnahme von ECCL es dem Eurosystem, OMT-Operationen durchzuführen, d.h. am Sekundärmarkt Staatsanleihen des betreffenden Landes anzukaufen.
Bislang wurde beide Kreditlinien, genauso wie das OMT Programm, noch nicht in Anspruch genommen. Dies kann durch einem Stigma-Effekt begründet sein, der darin besteht, dass ein Land bei Inanspruchnahme wirtschaftspolitische Auflagen befürchtet, die innenpolitische Widerstände verursachen (Guttenberg, 2018). Bislang war unklar, wie die bei Beantragung der ECCL zu ergreifenden Korrekturmaßnahmen aussehen können; insbesondere war offen, ob diese Maßnahmen (wie bei den regulären ESM-Krediten) Gegenstand eines langwierigen Verhandlungsprozesses zwischen EMS und Antragstellerland sind, der hohe politische Kosten für die jeweilige Regierung hat. Inzwischen ist klargestellt, dass ESM und Eurogruppe die Kriterien für die Inanspruchnahme von ECCL entschärfen und transparenter gestalten werden und ex ante festlegen, welche Korrekturmaßnahmen vom Antragsteller zu ergreifen sind. Dies soll die Bereitschaft solventer, aber illiquider Länder erhöhen, einen Überbrückungskredit vom ESM anzunehmen.
Reform der Europäischen Umschuldungsregeln
Der zweite wichtige Reformvorschlag vom 3. Dezember betrifft die Umschuldungsregeln für Anleihen öffentlicher Schuldner, die von der Eurogruppe verschärft wurden. Konkret wurde vereinbart, bei den seit 2012 in der Eurozone vorgeschriebenen „Collective Action Clauses“ (CAC) von einem „double limb“ Verfahren zu einem „single limb“ Verfahren überzugehen. Für alle in der Eurozone emittierten Staatsanleihen enthalten die Anleihebedingungen solch eine CAC, die es dem öffentlichen Schuldner ermöglicht, einzelne Anleihebedingungen abzuändern, sofern die Mehrheit der Schuldner sich damit einverstanden erklärt. Insbesondere erlauben CACs es dem Emittenten, einen Schuldenschnitt („haircut“) gegen das Votum einer Minderheit durchzusetzen. Damit soll die CAC verhindern, dass einzelne Anleger ein „hold-out“ versuchen und aus strategischen Gründen einer eigentlich sinnvollen und von der Mehrheit gebilligten Umschuldung widersprechen (International Monetary Fund, 2014).
Ursprünglich sahen die aus dem angelsächsischen Recht stammenden CAC für jede einzelne Ausgabeserie eine Sperrminorität gegen eine Umschuldung vor, sodass ein einzelner Kreditgeber oder eine Gruppe von Kreditgebern einer Umschuldung in dieser Serie verhindern konnten; hatte eine Gläubigergruppe gegen eine Umschuldung gestimmt, wurde es schwierig, eine Umschuldung auch bei anderen Serien durchzusetzen. Deshalb war die Europäische Union bereits bei der Umschuldung Griechenlands im Jahre 2012 von einem serienspezifischen Verfahren zu einem aggregierten Verfahren übergegangen, bei dem ein Quorum der Gläubiger aller ausstehenden Serien zusammen einer Umschuldung zustimmen musste. Solch ein aggregiertes Verfahren macht es einzelnen Anlegern schwieriger, ein hold-out durchzusetzen.
Dieses Aggregationsverfahren findet seit 1. Januar 2013 auch Eingang in den ESM-Vertrag, der allerdings für alle Emissionen öffentlicher Schuldtitel mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr bislang ein zweigliedriges Abstimmungsverfahren vorsieht. Vorgeschrieben ist ein Quorum von 66,6% und damit weniger als das sonst übliche Quorum von 75%, jedoch ist dieser Schwellenwert doppelt erforderlich, sowohl für jede einzelne Wertpapierserie als auch im Aggregat für alle Serien zusammen.
Weil dies eine hohe Hürde für eine Umschuldung darstellt, sieht der aktuelle Vorschlag vom 3. Dezember vor, bei dem Quorum von 66,6 % zu verbleiben, aber ab 2022 das zweigliedrige Verfahren durch ein eingliedriges Verfahren zu ersetzen, das allein auf ein aggregiertes Quorum abstellt. Dies erleichtert es für einen öffentlichen Schuldner, bei einer Umschuldung einen „haircut“ durchzusetzen und die privaten Gläubiger zu beteiligen. Damit dürften die Risikoaufschläge für einen öffentlichen Schuldner steigen, der nicht auf eine tragfähige Schuldenlast achtet. Zugleich sinkt die Haftungsmasse für den ESM und reduzieren sich die finanziellen Risiken der anderen Staaten bei einer Staatsinsolvenz.
Konsequenzen für Italien
Das Schuldenmachen war schon immer (auch) ein italienisches Problem – davon wusste bereits 1976 Adriano Celentano ein Lied zu singen, wie das Eingangsmotto belegt (auf Deutsch: „Regierungen wechseln, da oben ändert sich nichts, Im Staat ist ein Loch, wo das Geld durchfällt. Abwertung, Abwertung“). Inzwischen belaufen sich Italiens Staatsschulden auf ca. 2.400 Mrd. Euro (oder 132 % des BIPs) und umfassen damit das 3,5fache des gezeichneten Kapitals des ESM. Aus diesen Zahlen wird klar, dass ein Staatsbankrott Italiens niemals von den europäischen Partnern abgewendet werden kann. Dies dürfte auch der italienischen Regierung klar sein, die mit dem Sparen erst später beginnen möchte und hofft, dafür das Plazet aus Brüssel zu erhalten.
Die jetzt beschlossenen Reformmaßnahmen machen es wahrscheinlicher, dass die Marktteilnehmer der Regierung dieses Plazet verweigern, weil sich für einen Halter italienischer Staatsanleihen das Risiko erhöht, bei einer Umschuldung einen Schuldenschnitt zu erleiden. Sie verdeutlichen zudem den Entscheidungsträgern in Rom, dass die europäische Solidarität bei einer absichtlichen Verletzung des SWPs endet, denn Finanzhilfen ohne makroökonomische Anpassungsprogramme erhalten nur Länder, die wegen Ansteckungseffekten unverschuldet in Liquiditätskrisen geraten. Es bleibt abzuwarten, ob die italienische Regierung dies genauso sieht.
Literatur
Guttenberg, L. (2018), ESM Reform. No Need to Reinvest the Wheel, Jacques Delors Institut Berlin, No Need to Reinvest the Wheel, https://www.delorsinstitut.de/2015/wp-content/uploads/2018/08/ 24082018_ESM-No-need-to-reinvent-the-wheel_Guttenberg.pdf
International Monetary Fund (2014), Strengthening the Contractual Framework to Address Collective Action Problems in Sovereign Debt Restructuring, Staff Report, Washington. https://www.imf.org/external/np/pp/eng/2014/090214.pdf
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