Der Bedarf an Reformen im Bereich des Sozialen ist evident. Es spricht vieles dafür, den Sozialstaat stärker zu entflechten. Die entscheidende Frage ist: Was ist des Marktes, was ist des Staates? Das Kriterium für die Entscheidung sind die komparativen Vorteile. Danach müssten die Absicherung gegen die Risiken von Krankheit und Pflegebedürftigkeit aber auch die Absicherung im Alter auf privaten Kapital- und Versicherungsmärkten erfolgen. Dem Sozialstaat bliebe die Aufgabe, die Nachfrage der Menschen nach Absicherung gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit und den Kampf gegen die Armut zu organisieren. So einfach ist es allerdings nicht. Auch Institutionen sind pfadabhängig. Der Wechsel von einem (staatlichen) Pfad zu einem anderen (marktlichen) Pfad ist nicht so ohne weiteres möglich. Die hohen Kosten der Transformation machen ihn, wie etwa in der Alterssicherung, auch wenig sinnvoll und blockieren ihn politisch. Besser ist es, das bestehende institutionelle Arrangement des Sozialstaates auf mehr Effizienz zu trimmen. Das bedeutet in vielen Fällen, auf mehr Wettbewerb im Bereich des Sozialen zu setzen.
Das Gesundheitswesen
Die Ursache der Probleme im Gesundheitswesen ist ein ineffizient organisiertes System der Absicherung gegen das Risiko der Krankheit. Dabei ist es eigentlich relativ einfach. Gesundheit ist ein fast normales privates Gut, sieht man von Epidemien oder Pandemien ab. Die Individuen wollen sich gegen die materiellen Risiken von Krankheiten absichern. Diese Nachfrage kann grundsätzlich auf privaten Versicherungsmärkten befriedigt werden. Dort bieten Versicherungen einen Versicherungsschutz an, allerdings nicht umsonst. Die Prämie, die Versicherte zu entrichten haben, orientiert sich am individuellen Krankheitsrisiko, den unterschiedlichen Risikopräferenzen und individuellen Vorlieben der Versicherten für Gesundheitsgüter. Die Versicherungen bieten deshalb differenzierte Preis-Leistungspakete an. Dabei werden schlechte Risiken stärker zur Kasse gebeten als gute. Wer risikoscheuer ist und mehr Gesundheitsleistungen will, zahlt mehr als der, der risikofreudiger ist und sich mit weniger zufrieden gibt.
Die notwendigen Eingriffe des Staates in einen solchen Versicherungsmarkt sind einfach und überschaubar. Unabdingbar ist eine Versicherungspflicht für alle. Diese Pflicht beginnt mit der Geburt. Sie ist notwendig, um soziales Trittbrettfahrerverhalten der Personen zu verhindern, die sich nicht versichern. Erforderlich ist auch, die Qualität der Gesundheitsgüter zu regulieren. Das gilt vor allem für die Güter, die den Charakter von Vertrauensgütern haben. Davon gibt es im Gesundheitsbereich allerdings viele. Man kommt deshalb nicht darum herum staatlich festzulegen, was anerkannte Heilmethoden sind. Notwendig ist allerdings auch, dass der Staat mögliche Kartelle und Absprachen der Leistungserbringer über die Preise verbietet. Nur so kann sich ein wirksamer Preis-Leistungswettbewerb im Gesundheitssektor entwickeln. Ein solcher Wettbewerb entsteht, wenn alle Versicherungen ihre Prämien autonom festlegen können und die Versicherten freie Wahl haben, bei welcher Versicherung sie Verträge abschließen wollen.
Trotz dieser staatlichen Spielregeln haben private Lösungen zwei Achillesfersen. Die eine besteht darin, dass Versicherungen immer Anreize haben, den Wettbewerb zu beschränken, indem sie transferierbare Altersrückstellungen verhindern. Das blockiert gegenwärtig die meisten Versicherten mit Bestandsverträgen. Können die Versicherten ihre Altersrückstellungen nicht oder nur teilweise mitnehmen, wenn sie die Versicherung wechseln, ist ein wirksamer Wettbewerb nicht möglich. Der Wettbewerb beschränkt sich dann auf die Neumitglieder. Die Alten werden in ihrer Versicherung gefangen gehalten. Private Versicherungen haben noch eine zweite, soziale Achillesferse. Die Beitragssätze für schlechte Risiken können Höhen erreichen, die vor allem für Geringverdiener unüberwindbar sind. Es ist Aufgabe des Sozialstaates, die Lücke zwischen individuell tragbarer und risikoäquivalenter Prämie durch finanzielle Transfers zu schließen. Diese Umverteilung muss aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden.
Die Alterssicherung
Die Politik hat in den 00er Jahren erstaunlich vieles richtig gemacht. Bis 2030 werden die gesteckten rentenpolitischen Ziele voraussichtlich erfüllt. Die Beiträge steigen nicht über 22 %. Das Rentenniveau bleibt sogar über dem angestrebten Wert von 43 %. Da fällt es nicht so stark ins Gewicht, dass die Riester-Rente die in sie gesetzten Erwartungen bisher nicht erfüllt hat. Einen wichtigen Anteil an der Erfüllung der rentenpolitischen Ziele hat die Erhöhung der in weiten Teilen der Bevölkerung ungeliebten Regelaltersgrenze auf 67 Jahre. Die Politik scheint den „Da Vinci Code“ (22-43-67-4) der deutschen Alterssicherung gefunden zu haben. Diese positiven Nachrichten gelten allerdings nur bis zum Jahr 2030. Danach müssen die rentenpolitischen Weichen neu gestellt werden. Die demographische Last geht nach 2030 nicht zurück. Sie steigt im Gegenteil weiter an. Damit lassen sich die beiden eingezogenen „Haltelinien“ beim Beitragssatz (22 %) und Rentenniveau (43 %) nicht mehr garantieren. Aber auch die beiden anderen Elemente der Reform von 2007 stehen zur Disposition: Die allgemeine Altersgrenze von 67 und der kapitalgedeckte Anteil der Alterssicherung (Riester-Rente, Betriebsrente). Beide müssen weiter erhöht werden.
Die heutige Situation ist der zu Beginn des neuen Jahrtausends nicht unähnlich. Es ist wieder einmal höchste Zeit, sich Gedanken über eine Reform des Systems der Alterssicherung zu machen. Nur Reformen können verhindern, dass es nach 2030 gegen die Wand fährt. Die Herausforderungen sind die alten. Demographische Lasten dominieren weiter, umverteilungspolitische Lasten gewinnen aber an Gewicht. Die Leitlinien einer solchen Reform liegen auf der Hand: auslagern, verringern, tragen und tragbar machen. Der wichtigste Kandidat für Lasten, die aus der GRV ausgelagert werden müssen, sind die vielfältigen umverteilungspolitischen Aktivitäten. Damit werden bestimmte Gruppen in der GRV begünstigt. Umverteilungspolitik ist eine allgemeine Aufgabe des Staates. Sie muss über Steuern und darf nicht aus Beiträgen finanziert werden. Das gilt auch für alle Varianten einer politisch (rechts wie links) immer wieder ins Spiel gebrachten „Lebensleistungsrente“. Versicherungsfremde Leistungen sind grundsätzlich aus der GRV auszulagern, zumindest aber sind sie über Zuschüsse des Bundes zu finanzieren. Die Zuweisungen sollten nicht diskretionär, sondern regelgebunden erfolgen. Das erhöht die Chance, dass die GRV nicht auf den umverteilungspolitischen Lasten sitzen bleibt.
Die finanzielle Situation der GRV bleibt, entgegen vielen Erwartungen, auch nach 2030 weiter prekär. Der Rentnerquotient wird weiter steigen, bis 2040 sogar signifikant. Danach stabilisiert er sich. Ein wichtiger Treiber dieser Entwicklung ist die steigende Lebenserwartung. Die adäquate Antwort ist eine längere, wenn möglich auch flexiblere Lebensarbeitszeit. Damit würden die Lasten verringert. Umstritten ist, nach welcher Regel sie festgelegt wird. In der Vergangenheit wurde die steigende Lebenserwartung im Verhältnis 2:1 auf die Zeit der Erwerbstätigkeit und die Zeit als Rentner aufgeteilt wurde. Einem 40jährigen Erwerbsleben stand eine 20jährige Zeit des Rentenbezugs gegenüber. Das ermöglichte es, den Lebensstandard im Alter zu sichern, ohne die GRV finanziell gegen die Wand zu fahren. Wenn die Lebenserwartung um drei Jahre steigt, sollte die allgemeine Altersgrenze um zwei Jahre erhöht werden. Das geschah dann auch bei der Reform im Jahr 2007. Und trotzdem können die Rentner einen um ein Jahr längeren Ruhestand genießen. Die Regelaltersgrenze sollte automatisch an die Lebenserwartung gekoppelt werden. Andere Länder, wie die Niederlande, Schweden und Norwegen, haben eine solche Regel bereits installiert. Mit diesem zweiten Element des „Da Vinci Codes“ würde der Anstieg des Rentnerquotienten gebremst. Die finanziellen Lasten der GRV würden sinken.
Es existieren allerdings weitere Lasten, demographische und arbeitsmarktpolitische, die nicht verringert werden können. Das gilt vor allem für die niedrige Geburtenrate. Daran lässt sich bis weit über 2030 hinaus nichts mehr ändern. Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen. Diese demographische Last muss von Rentnern und Erwerbstätigen getragen werden. Das geschieht über den Nachhaltigkeitsfaktor beim Rentenwert. Dem liegt eine Verteilungsregel zugrunde. Sie wird von der Gesellschaft festgelegt. Allerdings begrenzen ökonomische Zwänge den Entscheidungsspielraum. Es existiert eine wirtschaftliche Grenze für die Höhe der Beiträge. Höhere Beiträge machen Arbeit teurer. Die unternehmerische Nachfrage nach Arbeit geht zurück, die Lohnsumme sinkt. Damit erodiert die ökonomische Basis der GRV. Es existiert aber auch eine wirtschaftliche Grenze für ein sinkendes Rentenniveau. Wird es zu stark abgesenkt, gerät die Rente für immer mehr Versicherte in die Nähe der staatlich garantierten Grundsicherung im Alter. Die Beiträge nehmen damit immer mehr den Charakter von Steuern an. Das Arbeitsangebot vor allem Geringqualifizierter wird verzerrt. Diese beiden „Leitplanken“ der Aufteilung der Lasten bestimmen über die Akzeptanz der umlagefinanzierten GRV.
Ein Teil der Lasten lässt sich nicht wegreformieren. Sie müssen getragen werden. Ob sie getragen werden können, hängt davon ab, wie kräftig eine Volkswirtschaft ist. Ist sie wirtschaftlich schwach, wird sie von den Lasten erdrückt. Nur wenn sie kräftig genug ist, sind die Lasten auch nach 2030 tragbar. Notwendig sind mehr Investitionen in Human- und Realkapital. Beides setzt die Bereitschaft voraus, vermehrt Ersparnisse zu bilden. Die Last der Beiträge der jüngeren Generation sinkt, weil weniger Rentenleistungen der GRV notwendig sind. Gleichzeitig ist die ältere Generation eher bereit, sinkende Rentenniveaus zu akzeptieren, weil der reale Wert ihrer Renten weiter steigt. Die umlagefinanzierte muss verstärkt um eine kapitalfundierte Alterssicherung ergänzt werden. Mit der staatlich geförderten Riester-Rente und der betrieblichen Altersvorsorge geht man diesen Weg bereits. Sehr erfolgreich war er bisher allerdings nicht. Bei der Riester-Rente sind es Informationsmängel, die Marktmacht produzieren und eine weitere Ausbreitung behindern. Ein einfach strukturiertes Standardprodukt könnte für Abhilfe sorgen. Bei der betrieblichen Altersvorsorge sind es die Zusagen von festen Leistungen, die den Erfolg verhindern. Eine Umstellung auf die Garantie fester Beiträge könnte für weitere Verbreitung sorgen.
Die Arbeitslosenversicherung
Eine Arbeitslosenversicherung muss die individuellen Präferenzen der Versicherten stärker berücksichtigen, „moral hazard“-Verhalten so gut es geht vermeiden, den strukturellen Wandel fördern und Arbeitslose anhalten, in marktverwertbares Humankapital zu investieren. Deshalb ist die Bundesagentur für Arbeit zu entflechten. Das Versicherungsgeschäft wird vom operativen Geschäft der Beratung, Vermittlung und Qualifizierung getrennt. Die Arbeitslosenversicherung ist von der Bundesagentur für Arbeit unabhängig. Sie schließt Versicherungsverträge mit den Arbeitnehmern über Geld- und Sachleistungen ab. Das Arbeitslosengeld administriert die Versicherung selbst. Beratung und Vermittlung werden von privaten oder staatlichen Anbietern erbracht. Die Arbeitslosenversicherung erstattet die Kosten. Diese organisatorische Trennung von Versicherung und operativem Geschäft verringert „moral hazard“, die Effizienz steigt.
Eine reformierte Arbeitslosenversicherung bietet ein für alle Arbeitnehmer verpflichtendes Grundpaket und zusätzliche Wahlpakete an. Kernelemente des Grundpakets sind das Arbeitslosengeld und ein Anspruch auf Beratung und Vermittlung. Die Höhe des Arbeitslosengeldes orientiert sich an der Grundsicherung des Haushaltes. Der Bezug wird auf zwölf Monate begrenzt. Wer länger arbeitslos und bedürftig ist, erhält ein kommunal festgelegtes und organisiertes ALG II. Das Grundpaket enthält auch Leistungen der Beratung und Vermittlung. Die Arbeitslosenversicherung berät und vermittelt allerdings nicht selbst, sie gibt Gutscheine aus, die von den Arbeitslosen bei Arbeitsämtern, Kommunen oder privaten Vermittlern eingereicht werden können.
Die Vermittler können die Gutscheine nach erfolgreicher und nachhaltiger Vermittlung der Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt bei der Arbeitslosenversicherung einlösen. Zwischen Job-Centern, kommunalen und privaten Vermittlern wird ein intensiver Wettbewerb um den besten Weg entfacht. Ineffiziente Anbieter werden ihn nicht überleben. Orientieren sich die Erfolgshonorare an der Schwere der Fälle, werden auch Arbeitsuchende mit schlechten Vermittlungschancen nicht einfach wie bisher nach Hartz-IV durchgereicht. Qualifikation, Alter, Erwerbsbiografie, Dauer der Arbeitslosigkeit u.a. müssen sich in der Höhe der bezahlten Vermittlungsprämie wiederfinden. Nur dann ist der Wettbewerb effizient und der Vermittlungsprozess erfolgreich.
Das Grundpaket wird auch weiter über Beiträge finanziert. Um auf den Arbeitsmärkten individuelles, unternehmerisches und gewerkschaftliches Fehlverhalten („moral hazard“) möglichst gering zu halten, das durch die Arbeitslosenversicherung ausgelöst wird, muss sich der Kreis der Beitragszahler ändern. Neben Arbeitnehmern und Unternehmen werden auch Gewerkschaften zur Kasse gebeten. Mit ihrer Lohn- und Tarifpolitik entscheiden sie über Wohl und Wehe auf den ersten Arbeitsmärkten. Eine finanzielle gewerkschaftliche Zuschusspflicht trägt mit dazu bei, dass sich die Gewerkschaften mit ihrer Politik stärker an der tatsächlichen Lage auf den Arbeitsmärkten orientieren. Das alles spricht dafür, die Finanzierung des Grundpakets drittelparitätisch zu organisieren.
Mögliches Fehlverhalten wird durch risikoäquivalentere Beiträge für alle drei Gruppen weiter begrenzt. Individuelle, sektorale und regionale Besonderheiten werden berücksichtigt. Die Beiträge der Arbeitnehmer werden stärker nach individuellen Risikomerkmalen wie Beruf, Branche, Region, Qualifikation etc. differenziert. Das verringert die Anreize, länger als notwendig arbeitslos zu bleiben. Die räumliche, sektorale und berufliche Mobilität steigt. Ein Unternehmen, das öfter als der Durchschnitt der Unternehmen seiner Branche entlässt, zahlt höhere Beiträge. Unternehmerisch „leichtfertigere“ Entlassungen verlieren an Bedeutung, schädliche Quersubventionierung und allokative Verzerrungen gehen zurück. Die Zuschüsse der Gewerkschaften orientieren sich daran, ob und wie die Arbeitslosigkeit in ihrer Branche vom sektoralen Durchschnitt abweicht. Das begünstigt sektoral stärker differenzierte Lohn- und Tarifabschlüsse.
Die Versicherten können auch vom obligatorischen Grundpaket abweichende freiwillige Leistungen nachfragen, Leistungen des Grundpakets verändern und/oder sich über das Grundpaket hinaus absichern. Es ist denkbar, individuell die Höhe und zeitlichen Profile (degressiv/progressiv) des Arbeitslosengeldes, den Beginn (etwaige Karenztage) und die Dauer des Bezugs oder die Zumutbarkeitskriterien zu verändern. Wer laxere Kriterien will, zahlt mehr, wer sich strengeren unterwirft, kommt finanziell günstiger weg. Bei allen Leistungen des Wahlpakets muss allerdings das Äquivalenzprinzip strikt eingehalten werden. Wer mehr Leistungen will, muss dafür bezahlen, wer sich mit weniger zufrieden gibt, erhält einen Rabatt.
Das Grundpaket enthält außer Beratung und Vermittlung keine weiteren Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Arbeitnehmern sollte es aber möglich sein, sich gegen den Verlust an Qualifikation zu versichern. Mögliche Wahlleistungen können deshalb auch Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung umfassen. Im Schadensfall kann der Versicherte die individuell versicherte Leistung mittels eines Gutscheins beim Anbieter seiner Wahl nachfragen. Das können Job-Center, Kommunen oder private Anbieter sein. Damit kämen die oft zweifelhaften Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik ebenso auf den Prüfstand, wie die kommunale Beschäftigungspolitik und die Bildungseinrichtungen der Tarifpartner. Der staatlich subventionierten Arbeitslosigkeitsindustrie und dem heimlichen Finanzausgleich der Arbeitsmarktpolitik würden Zügel angelegt.
Eine so grundlegend reformierte Arbeitslosenversicherung mit staatlichem Rahmen macht institutionellen Wettbewerb in der Arbeitsmarktpolitik erst möglich. Das Äquivalenzprinzip wird stärker beachtet, „faulenzen“ lohnt weniger, effizienzverschlingende Kontrollen können verringert werden. Der intensivere Wettbewerb zwischen den verschiedenen Anbietern von Beratung, Vermittlung und Qualifizierung hilft, Arbeitnehmer besser zu beraten, zu vermitteln und adäquat zu qualifizieren. Das kann mit oder ohne die Bundesagentur für Arbeit geschehen. Die hat es selbst in der Hand, ob sie weiter auf dem Markt für Beratung, Vermittlung und Qualifizierung bleibt oder bei schlechten Leistungen verschwindet. Der gegenwärtige, begrenzte Wettbewerb zwischen Job-Centern, Kommunen und privaten Anbietern wird endlich funktionsfähig.
Die Grundsicherung
Eine wirksame Hilfe zur Selbsthilfe muss das Ziel einer Reform sein. Arbeitsfähige Transferempfänger dürfen nicht noch länger in der Arbeitslosigkeits- und Armutsfalle gehalten werden. Ein reformiertes System muss die Empfänger zu mehr Unabhängigkeit vom Sozialstaat, mehr wirtschaftlicher Mündigkeit und mehr persönlicher Freiheit führen. Das macht es zunächst einmal notwendig, die organisatorische Effizienz zu stärken. Mehr Verantwortung für die Kommunen wäre ein erster Schritt. Aus Sozialämtern sollten flexible, erfolgsorientierte Qualifizierungs- und Vermittlungsagenturen werden. Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gehören in eine Hand. Sozialämter können die Problemgruppen auf den Arbeitsmärkten besser als Arbeitsämter vermitteln. Sie sind näher am relevanten Arbeitsmarkt für personenbezogene, ortsnahe Dienstleistungen. Gerade das sind die Arbeitsplätze für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose. Diese lassen sich nur in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln, wenn ein ganzes Bündel von Maßnahmen eingesetzt wird. Dazu zählen Kinderbetreuung, Schuldner- und Suchtberatung, Gesundheitsdienst und anderes mehr. Die Kommunen besitzen die dafür notwendig soziale Infrastruktur.
Die Effizienz steigt auch, wenn es gelingt, bestehende Fehlanreize und Missbräuche wirksam einzudämmen. Es ist notwendig, die Anreizstruktur der staatlich garantierten Grundsicherung so zu verändern, dass es für arbeitslose Transferempfänger wieder lohnend wird, einen angebotenen Arbeitsplatz anzunehmen. Eine geringere Transferentzugsrate ist ein erster wichtiger Schritt. Den Transferempfängern muss mehr von dem verbleiben, was sie mit ihrer Hände (Köpfe) Arbeit auf regulären Arbeitsmärkten verdienen. Von jedem verdienten Euro sollten es schon mindestens 50 Cents sein. Der Anreiz, eine reguläre Beschäftigung aufzunehmen, nimmt zwar zu, mit ihm aber auch die finanzielle Belastung des Staates. Wenn man diese anreizverträgliche Reform möglichst finanzneutral ausgestalten will, bleibt nur der Weg, die Hilfeleistungen für uneingeschränkt Arbeitsfähige zu senken. Das würde die finanziellen Mehrbelastungen einer geringeren Transferentzugsrate in Grenzen halten. Die positiven Wirkungen auf die Aufnahme einer regulären Arbeit würden steigen. Mit der Absenkung würde das Lohnabstandsgebot wieder eher eingehalten.
Damit ist aber das bei Transfers unvermeidliche Missbrauchsproblem noch nicht beseitigt. Ein Einfallstor für eine missbräuchliche Nutzung auch der neuen Leistungen ist die Schwierigkeit, zwischen prinzipiell Arbeitsfähigen und Arbeitsunfähigen zu trennen. Der Missbrauch ließe sich verringern, wenn die Hilfe mehr über Sach- und weniger über Geldleistungen gewährt würde. Sachtransfers wirken wie ein Selbstselektionsmechanismus. Wer nicht bedürftig ist, wer arbeitsfähig ist, wird wenig Interesse daran haben. Er stellt sich besser, wenn er durch eigene Arbeit ein Einkommen erzielt, das er nach seinen Präferenzen ausgeben kann. Liegen zuverlässige Informationen über die Präferenzen von Bedürftigen und Nicht-Bedürftigen über Qualität und Menge der Güter vor, sind Sachtransfers monetären Leistungen überlegen. Ganz verhindern lässt sich aber auch auf diesem Weg möglicher Missbrauch nicht. Wird allerdings die Prüfung der Arbeitsfähigkeit dezentral auf der Ebene der Kommunen vorgenommen, lässt sich der Missbrauch weiter eindämmen.
Auch eine so reformierte Grundsicherung kann nur wirksam Hilfe zur Selbsthilfe leisten, wenn sie die Lage auf den lokalen Arbeitsmärkten berücksichtigen. Der regionalen Höhe und Ausgestaltung der Leistungen kommt vor allem für gering qualifizierte Arbeitnehmer besondere Bedeutung zu. Die Chance eines arbeitslosen Transferempfängers, einen Arbeitsplatz zu finden, hängt entscheidend davon ab, wie hoch der faktische Mindestlohn auf den lokalen Arbeitsmarkt ist. Der wird vor allem von der Höhe der Grundsicherung, der Transferentzugsrate, den Sanktionen etc. bestimmt. Werden diese Parameter zentral festgelegt, haben Geringqualifizierte auf lokalen Arbeitsmärkten mit hoher Arbeitslosigkeit schlechte Karten, einen Arbeitsplatz zu ergattern. Den Kommunen müssen deshalb mehr Möglichkeiten eingeräumt werden, die Parameter der Grundsicherung, wie etwa die Höhe, Transferentzugsrate, Arbeitspflichten etc., in eigener Regie festzulegen. So können die tatsächlichen Gegebenheiten auf den lokalen Arbeitsmärkten vor Ort berücksichtigt werden. Das erhöht die Chancen einer Beschäftigung.
Eine auf lokaler Ebene organisierte Grundsicherung, die lokale Solidarität mit dezentraler Arbeitsmarktpolitik verbindet, wird die Lage auf den regionalen Arbeitsmärkten spürbar entspannen. Lokal unterschiedliche Löhne und erfolgsorientierte Sozialämter, die als Vermittlungs- und Qualifizierungsagenturen agieren, sorgen für mehr Beschäftigung. Allerdings, ein Teil der Hilfeempfänger ist mehr oder weniger unfähig zur Arbeit. Ihnen muss mit Therapie-, Entzugs- und Einarbeitungsmaßnahmen geholfen werden. Es gibt auch arbeitsfähige Arbeitnehmer, die erst an eine volle Stelle herangeführt werden müssen. Das kann mit zeitlich befristeten Gemeinschaftsarbeiten bei privaten Unternehmen, karitativen Einrichtungen oder öffentlichen Betrieben geschehen. Dazu gehört auch die verpflichtende Teilnahme an weiterführender Qualifikation. Diese Aktivitäten müssen aber strikt begrenzt werden. Kleine und mittlere Unternehmen dürften durch solche arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten nicht in großem Stil aus dem Markt gedrängt werden.
Blog-Beiträge der Serie “Die Zukunft des Sozialstaates”:
Norbert Berthold: Die Zukunft des Sozialstaates (1): Das Ideal
Norbert Berthold: Die Zukunft des Sozialstaates (2): Die Realität
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2 Antworten auf „Die Zukunft des Sozialstaates (3)
Die Reformen“