Deutschland kann auf einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Erfolg zurückblicken: Neun Jahre ging es nach der globalen Finanzkrise bergauf – trotz der zwischenzeitlichen Eurokrise, der Brexit-Entscheidung und einer Reihe anderer Negativmeldungen aus dem In- und Ausland. Eine Volkswirtschaft, die scheinbar ohne Kratzer durch derart bewegte Zeiten kommt, ist durchaus beneidenswert. Und doch zeigt sich immer deutlicher, was der Preis für die „fetten Jahre“ ist: Der Verlust des Bewusstseins dafür, was die Grundlagen für den wirtschaftlichen Erfolg der vergangenen Jahre sind.
Marktwirtschaftliche Grundsätze werden zunehmend infrage gestellt. Eine wirtschaftspolitische Rolle rückwärts macht ausgerechnet die SPD, die mit der Reformagenda 2010 einst marktwirtschaftliche Mechanismen gestärkt und damit die Grundlage für den erstaunlichen Umschwung am Arbeitsmarkt und für den kräftigen Aufschwung in der Wirtschaft gelegt hatte. Mit ihrem Reformpapier „Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“ zieht sie nun einen Schlussstrich unter die eigene Erfolgsgeschichte – Parteitaktik schlägt wirtschaftliche Vernunft.
Doch auch in Teilen der CDU werden Markt und Wettbewerb offenbar misstrauisch beäugt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier stellte vor einiger Zeit seine „Nationale Industriestrategie 2030“ vor und setzt damit einen für CDU-Verhältnisse erstaunlichen wirtschaftspolitischen Akzent. Der Staat würde dem Strategiepapier zufolge eine neue, wichtigere Rolle in der Wirtschaft erhalten. Ist dies eine ideologische Kehrtwende der Unionsparteien oder eine sachgerechte Antwort auf den Wettbewerb mit China, wo der Staat eindeutig auf Industriepolitik setzt und damit die Spielregeln verändert?
Linke und Grüne führen neuerdings eine Debatte über mögliche Enteignungen von Immobilienbesitzern, um dadurch billigen Wohnraum zu sichern. Wie so oft zählt die gute Absicht mehr als ein gutes Ergebnis. Damit treffen die Parteien durchaus den Zeitgeist, der sich immer weiter von marktwirtschaftlichen Grundsätzen entfernt. Leistungsprinzip und Eigenverantwortlichkeit sind in Teilen der Gesellschaft nicht mehr angesagt, dies zeigen unter anderem die anhaltenden Diskussionen über ein bedingungsloses Grundeinkommen. Stattdessen werden Ungerechtigkeiten bei der Einkommensverteilung beklagt und der Ruf nach höheren Steuern – insbesondere am oberen Ende der Einkommensskala – verstummt selbst in Zeiten überquellender Staatskassen nicht.
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Nach der langen Boom-Phase ist die Wachstumspolitik in der Defensive. Wachstum und Wohlstand gelten zuweilen als Selbstverständlichkeit. Und es wird zum beliebten Zeitvertreib, mehr Umverteilung zu fordern und nach der Korrektur tatsächlicher oder vermeintlicher Fehlentwicklungen der Marktwirtschaft zu rufen.
Gerechtigkeit, Weitsicht, Umweltschutz, Sinnstiftung oder gar Moral – all das wird dem Markt kaum mehr zugetraut. Und der Markt gehört natürlich zu den Hauptverdächtigen bei der Frage, wer für die aktuellen gesellschaftlichen Spannungen verantwortlich ist. Dass dem Markt so wenig Vertrauen entgegengebracht wird, liegt nicht selten auch an einem mangelhaften Verständnis marktwirtschaftlicher Prozesse. Selbstverständlich sind Märkte nicht perfekt – das wissen wir nicht erst seit den Fehlentwicklungen, die zur globalen Finanzkrise führten. Weil sie nicht perfekt sind, leben wir nicht in einer vollkommen freien und unregulierten, sondern in einer sozialen Marktwirtschaft. Gemessen an der Staatsquote von rund 44 % des BIP spielt der Staat schon heute eine bedeutende Rolle.
Die Vorteile marktwirtschaftlicher Lösungen ergeben sich – bei allen Fehlern im Detail – immer aus der Qualität der real verfügbaren Alternativen. Es ist deshalb falsch, Marktergebnisse an einem theoretischen Idealzustand zu messen. Mit dieser Publikationsreihe soll für verschiedene Bereiche geprüft werden, ob die Marktwirtschaft tatsächlich ein Problem ist oder ob sie sich doch eher als Lösung für wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme anbietet. In einer Zeit, in der die Digitalisierung wirtschaftliche Abläufe von Grund auf verändert und in der die gesellschaftliche Stimmung aufgewühlt ist, mögen die Antworten heute im Detail anders ausfallen als noch vor fünf oder zehn Jahren.
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„Gerechtigkeit, Weitsicht, Umweltschutz, Sinnstiftung oder gar Moral – all das wird dem Markt kaum mehr zugetraut.“
Wer bitte hat das denn jemals dem Markt zugetraut??? Der Markt ist ein nützliches Instrument, wenn er mit einer vernünftigen Rahmenordnung ausgestattet wird. Dazu muss man aber wissen, welche Art von Gerechtigkeit, wieviel Umweltschutz man haben will. Denn Sinn muss sich jeder schon selbst stiften. Wie sollte das der Markt leisten können???
… mit sperrangelweit aufgerissenen Geldschleusen kommt jeder Hornochse gut durch jede Krise bis zum bitteren Ende.
Es wurde absolut kein Auslöser der Krise von 2008 beseitigt, es wurde Feuer mit Benzin gelöscht – der Tag der Wahrheit wird kommen, dieses oder nächstes Jahr…