Gastbeitrag
Sollte sich der EZB-Präsident über die Fed Sorgen machen?

EZB-Chef Mario Draghi sorgt sich um den Einfluss von Donald Trump auf die Fed. Das wäre glaubwürdiger, wenn er sich um die Korrektur seiner eigenen Geldpolitik kümmerte.

Der US-amerikanische Präsident Donald Trump greift seit seinem Amtsantritt regelmäßig viele Organisationen an, darunter an prominenter Stelle die Federal Reserve Bank (Fed), die amerikanische Notenbank. Ihm sind die Zinsen zu hoch. Die Fed hat zwischen Dezember 2015 und Dezember 2018 den Leitzins (die Fed Funds Rate) insgesamt neunmal erhöht, jeweils um 0,25 Prozentpunkte auf den aktuellen Stand von 2,5 Prozent.

Im März 2019 hat die Fed auf die eigentlich erwartete Erhöhung des Leitzinses verzichtet. Die Begründung war einleuchtend, da eine weitere Zinserhöhung die erwartete konjunkturelle Eintrübung eher noch verschärfen könnte. Dennoch haben viele Beobachter hier ein Einknicken gegenüber der ständigen – in der Regel flapsig formulierten – Kritik des Präsidenten gesehen.

Unter denjenigen, die sich ernsthafte Sorgen um die Fed machen, befindet sich auch der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi. Er sorgt sich explizit um die Unabhängigkeit der Fed. Natürlich ist es seine Pflicht, über den Tellerrand hinauszusehen und auf Gefährdungen auch anderer Notenbanken hinzuweisen. Und in der Tat kann man auf den Gedanken kommen, dass die Fed an Unabhängigkeit einbüßt, wenn sie – scheinbar als Reaktion auf präsidiale Kritik – ihren geldpolitischen Pfad ändert.

Allerdings wirkt die geäußerte Sorge des EZB-Präsidenten deshalb unglaubwürdig, weil die EZB selber viel mehr Anlass zur Sorge gibt, ihre Unabhängigkeit sei gefährdet. Man könnte sogar meinen, die EZB hätte ihre Unabhängigkeit schon lange verloren. Immerhin hat die Fed die Zinswende schon vollzogen und verlangt einen positiven Zins für ihre Liquidität. So weit ist die EZB noch lange nicht – man darf sogar daran zweifeln, dass sie in absehbarer Zeit eine Zinserhöhung durchführen wird.

Denn die Geldpolitik der EZB auch in recht guten Zeiten war immer noch auf Expansion ausgerichtet. Nullzinsen und Staatsanleihenkäufe in ungekannter Höhe (obwohl formal nicht gestattet) schienen von Anfang an insofern übertrieben zu sein, dass sie ökonomisch nicht gerechtfertigt waren. Die EZB wollte erstens Investitionen und Beschäftigung stabilisieren, was eigentlich nicht ihr Mandat ist. Zweitens wollte sie Zeit für die von ihr zurecht als notwendig erkannten Strukturreformen in den Mitgliedsstaaten der Eurozone schaffen.

Beides ist nicht gelungen: Die Banken haben das viele Geld, dass ihnen das Ankaufsprogramm in die Konten spülte, nicht zur Kreditvergabe an Neuinvestoren verwendet, sondern in die Vermögensbestände investiert beziehungsweise solche Bestandskäufe finanziert. Das Ergebnis sind stark gestiegene Vermögenspreise – vom Oldtimer bis zum Wohnhaus – mit allen negativen Konsequenzen vor allem auf den Mietmärkten, die heute von allen Seiten beklagt werden. Zudem fand eine enorme Umverteilung von den Sparern zu den Regierungen statt, weil Nullzinsen eben keinen Ertrag bringen. Dies gefährdet die Alterssicherheit breiter Kreise, gerade in der unteren Mittelschicht. Darüber hinaus wurden die Wohlhabenden in Europa noch wohlhabender! Dies wiederum gibt der vereinigten Linke Raum für Umverteilungs- und Enteignungsphantasien.

Die Kreditvergabe an die Regierungen hat überdies deren Reformeifer erlahmen lassen. Stattdessen fanden die Regierungen der Eurozone eine gute Entschuldigung nichts zu tun, da man mit frischem Geld manche Wohltat – Sozialleistungen, Rentenpakete etc. – kaufen konnte. Strukturell haben die Regierungen ebenfalls nicht alles aus den Staatshaushalten herausgeholt, viel zu viele Sozialausgaben mit Fokus Vergangenheit standen viel zu geringe Investitionsausgaben mit Blick in die Zukunft entgegen.

Insgesamt hat die Geldpolitik damit zur Unterdrückung des Strukturwandels und einer Stärkung der Staatswirtschaft beigetragen; sie ist aber nicht allein verantwortlich. Dennoch ist dies gerade mit Blick auf die offenbar bevorstehende konjunkturelle Eintrübung auch in der Eurozone und die negativen Effekte der von Präsident Trump angezettelten Handelskriege sowie des Brexit besonders ärgerlich, da der geldpolitische Spielraum zur Konjunkturstimulierung nahe bei Null liegt.

Nun darf keiner glauben, dass der EZB-Rat um Herrn Draghi diese Probleme nicht sehen würde, selbst wenn er sie nicht anspricht. Vielmehr legt diese Interpretation nahe, dass die Geldpolitik nicht mehr zur Hauptsache in Frankfurt gemacht wird, sondern in den Finanzministerien der Eurozone. Man stelle sich nur vor, die EZB erhöhte jetzt im selben Tempo die Zinsen, wie die Fed es in den vergangenen drei Jahren gemacht hat. Der Trend abnehmender Zinsausgaben der Staaten würde sich zunächst verlangsamen und in einigen Jahren, wenn sämtliche hochprozentige Anleihen gegen die niedrig verzinsten Bonds der Gegenwart umgetauscht wären, umkehren. Dies kann nicht im Interesse der Regierungen – und zwar nicht nur der populistischen italienischen Regierung – sein. Sie würden massiv – vermutlich hinter den Kulissen – intervenieren. Das führt zur Schlussfolgerung, dass die Zinswende umso unwahrscheinlicher wird, je länger sie hinausgezögert wird.

Vor diesem Hintergrund ist es auch verkehrt, Herrn Draghi als den Verantwortlichen für diese Probleme zu sehen. Er hatte vermutlich keine Chance; auch ein deutscher EZB-Präsident säße wohl in derselben Falle. Möglicherweise hat die EZB sich zu stark in die Rolle des Krisenmanagers gegeben; vielleicht hat es den Ratsmitgliedern auch geschmeichelt, so wichtig zu sein, dass sie den rechtzeitigen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik verpasst haben.

Auf jeden Fall ist es nicht angemessen, sich ausschließlich Sorgen um die Fed zu machen. Ihre Unabhängigkeit vom politischen Prozess scheint heute deutlich größer zu sein als die der EZB. Es wird Zeit zu handeln, allerdings mehr für Herrn Draghi als für Herrn Powell.

Hinweis: Der Beitrag erschien am 18. April 2019 in der WirtschaftsWoche Online.

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