Staffelzinsen auf Zentralbankreserven
Rettung für die Bankenprofitabilität?

Auf seiner Sitzung vom 17. September 2019 hat der EZB-Rat zahlreiche geldpolitische Beschlüsse gefasst und weitere Anpassungen an seinem geldpolitischen Handlungsrahmen angekündigt. Besondere Beachtung fand die Wiederaufnahme des Wertpapierankaufprogramms in Umfang von 20 Mrd. Euro pro Monat. Darüber hinaus hat der EZB-Rat aber auch beschlossen, den Strafzinssatz für Guthaben in der Einlagefazilität von minus 0,40 auf minus 0,50% abzusenken und ab dem 30. Oktober 2019 eine zweistufige Zinsstaffelung auf Überschussreserven der Geschäftsbanken einzuführen. Absicht ist, die Banken im Euroraum kostenmäßig zu entlasten, ohne die geldpolitische Transmission negativer Zinssätze zu gefährden.

Inhalt des Staffelmodells

Geschäftsbanken halten Zentralbankguthaben vor allem als Einlagen auf Reservekonten und als Guthaben in der Einlagefazilität (Abb. 1). Die Einlagen auf Reservekonten umfassen das Mindestreservesoll und die Überschussreserven. Alle Einlagen werden grundsätzlich verzinst, wobei auf das Mindestreservesoll der Hauptrefinanzierungssatz (von dertzeit 0,0%) angewendet wird. Bislang wurden die Überschussreserve und die Guthaben in der Einlagefazilität zum selben Satz von (formals minus 0,4%) verzinst. Ab Oktober 2019 gelten nun zwei Zinssätze für die Überschussreserve: Es gibt einen Freibetrag in Höhe des Sechsfachen des Mindestreservesolls, für den der Hauptrefinanzierungssatz (von null Prozent) gilt; der Rest der Überschussreserve wird weiterhin zum Einlagesatz verzinst, der auf minus 0,5% abgesenkt wurde. Der EZB-Rat hat jederzeit die Möglichkeit, den für den Freibetrag geltenden Zinssatz und/oder den Multiplikator (von derzeit 6) zu verändern (Deutsche Bundesbank, 2019a).

claschabb1

– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

Existierende Zinsstaffelmodelle – ein Vergleich

Ds Eurosystem ist nicht die erste Notenbank, die solch ein Zinsstaffelung auf Üerschussreserven eingeführt hat (Deutscher Sparkassen- und Giroverband, 2019). Bereits Mitte 2012 hatte die Dänische Zentralbank (DNB) einen vergleichbaren Schritt vollzogen und begonnen, die Einlagen der Geschäftsbanken auf zwei Konten zu verteilen, und zwar auf ein (besser verzinstes) Liquiditätskonto und auf (schlechter verzinste) kurzfristige Schuldverschreibungen (CDs), die von der DNB mit einer Laufzeit von sieben Tagen ausgegeben werden. Auf das Liquiditätskonto kann jede Geschäftsbank bis in Höhe einer bankspezifischen Obergrenze einzahlen, die 1,7% ihrer Einlagensumme beträgt Die Zinsen betragen derzeit 0,0 % auf dem Liquiditätskonto und minus 0,75% für CDs.

Einen anderen Weg geht die Bank of Japan (BoJ), die 2016 eine dreifache Zinsstaffelung eingeführt hatte, bei der die Kreditinstitute auf alle im Jahr 2015 gehaltenen Reserven (Basisbilanz) weiterhin einen positiven Zins von +0,10% erhalten. Für die darüber hinaus gehaltenen ( also seit 2016 aufgebauten) Beträge beträgt der Strafzinssatz minus 0,10%, wobei allerdings eine großzügige Freibetragsregelung greift, und Einlagen betrifft, für die der Zinssatz null Prozent beträgt.

Auch die Schweizer Notenbank (SNB) verwendet seit Ende 2014 eine Staffelverzinsung, bei der ebenfalls ein großzügiger Freibetrag vorgesehen ist, der bis vor kurzem das Zwanzigfache des Mindestreservesolls umfasste. Nur diesen Wert überschreitende Zentralbankguthaben der Geschäftsbanken wurden mit einem Strafzinssatz belegt. Unmittelbar nach der September-Entscheidung des EZB-Rats hat die SNB den Freibetrag auf das 25-fache des Mindestreservesolls erhöht. Zudem wurde dier Berechnung des Mindestreservesolls verändert: Während bislang der Stichtag Ende 2014 relevant war, gilt seither der Durchschnitt der Einlagen der letzten drei Jahre.

Mit ihrem Staffelzins folgt die EZB weitgehend dem schweizer Modell, das allerdings eine weitaus großzügigere Freibetragsregelung vorsieht, mit einer Freigrenze, der nicht lediglich das sechsfache, sondern des 25-fache des Mindestreservesolls umfasst. Nach Angaben des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (2019) umfassen die Reserven der schweizer Geschäftsbanken etwa das 30-fache des Mindestreservesolls, sodass inzwischen 5/6-tel der Reserven vom Strafzins ausgenommen sind. Im Vergleich dazu betragen die Reserven der Geschäftsbanken in der Eurozone etwa das 15-fache  des Mindestreservesolls, sodass der EZB-Rat den Freibetrag auf das 12,5-fache des Mindestreservesolls hätte anheben müssen, wollte er das “schweizer” Modell kongruent auf die Eurozone übertragen.

Effekte einer Zinsstaffelung

Bislang tat sich die EZB mit der Einführung einer Zinsstaffelung vor allem mit dem Argument schwer, dass damit ungewünschte Signale an die Marktteilnehmer ausgesendet würden. Befürchtet wurde, dass die Staffelung die Normalisierungserwartungen verschiebt und signalisiert, dass das Regime negativer Zinssätze von längerer Lebensdauer sein wird. Die Bedenken bestehen fort, haben abert inzwischen an Gewicht verloren, denn es mehren sich die Anzeichen, dass die Marktteilnehmer ohnehin für längere Zeit mit Negativzinsen rechnen.

Mithilfe der Zinsstaffelung beabsichtigt das Eurosystem, die Geschäftsbanken im Euroraum kostenmäßig zu entlasten und zugleich sicherzustellen, dass „die negativen Zinssätze auch weiterhin einen positiven Beitrag zum akkommodierenden geldpolitischen Kurs leisten“ (Deutsche Bundesbank, 2019b). Tatsächlich senkt der Freibetrag für viele Geschäftsbanken die durchschnittlichen Reservehaltungskosten und mindert die Gefahren von Finanzmarktinstabilitäten. Diese Kostenersparnis lässt sich mit einer einfachen Rechnung grob überschlagen: Ende 2018 betrug das Mindestreservesoll der Geschäftsbanken in der Eurozone 128 Mrd. Euro, die Überschussreserven betrugen 1205 Mrd. Euro. Unterstellt man, dass diese Zahlen auch im Jahresdurchschnitt 2019 gegolten hätten und wendet man auf das Mindestreservesoll den aktuellen Multiplikator von 6 an, ergäbe sich bei einem Einlagesatz von aktuell minus 0,50% für alle Banken der Eurozone zusammen eine Kostenersparnis von 128 Mrd. mal 6 mal 0,005 = 3,8 Milliarden Euro.

Diese Ersparnis ist für die Banken spürbar, aber auch überschaubar, beispielsweise wenn man sie mit dem  Zinssüberschuss nur der deutschen Geschäftsbanken vergleicht, der 2018 ca. 87 Mrd. Euro betrug (Deutsche Bundesbank, 2019c). Hinzu kommt, dass die Entlastung in Zukunft wieder sinken wird, weil die EZB ihr Wertpapierankaufprogramm wieder aufgenommen hat, sodass die Überschussrerveguthaben der Geschäftsbanken wieder anwachsen werden, die mit dem höheren Strafzins belegt sind.

Offen ist bislang, welche Auswirkungen das Staffelsystem auf die geldpolitische Transmission durch Zinssätze hat. Seit Beginn der Finanzmarktkrise versucht das Eurosystem, den Interbankenzins durch Schaffen von Überschussliquidität auf das Niveau des negativen Einlagesatzes zu drücken. Diese Überschussliquidität nimmt durch die Freibetragsregelung zwar beträchtlich ab, jedoch lehrt die Erfahrung, dass der EONIA erst über den Einlagezins anzusteigen beginnt, wenn die Überschussliquidität unter einen Schwellenwert von 200 bis 300 Mrd. Euro sinkt (Von Gerich, Storup Nielsen, 2019).

Dies ist noch lange nicht der Fall. Ende 2018 betrugen die Überschussreserven der Geschäftsbanken 1.205 Mrd. Euro, wozu noch die Guthaben in der Einlagefazilität in Höhe von 620 Mrd. Euro kommen. Bei einem Muliplikator von 6 beläuft sich der Freibetrag des Bankensektors auf ca. 770 Mrd. Euro, was bedeutet, dass die EZB mehr als 1000 Mrd. EUR an Reserven befreien könnte, ohne dass wesentliche Änderungen der Tagesgeldsätze vorgenommen werden.

Fazit

Damit sollte von der Einführung der Zinsstaffel nicht zu viel erwartet und die Hoffnung verbunden werden, dass sie alleine die unerwünschten Nebeneffekte der Negativzinsen beseitigt und zu einem Wiederanstieg der Zinssätz in der Eurozone führt. Auch nach Einschätzung der Deutschen Bundesbank (2019c) wird die  Einführung des Staffelsystems an den durch das Negativzinsumfeld gestellten Herausforderungen für die Banken „nichts grundsätzlich ändern“. Der von der EZB bislang vorgesehene Freibetrag ist viel zu gering, um eine spürbare Auswirkung auf den Interbankenzins zu haben und um die Ertragslage der europäischen Geschäftsbanken zu verbessern. Möglicherweise fungiert die jetzt vorliegende Einräumung des Freibetrags eher als Druckmittel, um den Banken die Weitergabe negativer Zinsen an ihre Einleger politisch zu erschweren.

Literatur

Deutsche Bundesbank (2019a), Zweistufiges System für die Verzinsung von Überschussreserven, https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/geldpolitik/ ueberschuss-reserven

Deutsche Bundesbank (2019b), Fragen und Antworten zum zweistufigen System für die Verzinsungvon Überschussreserven, https://www.bundesbank.de/resource/blob/813130/ 0d8f915bcd5d6d0395d59993ad24ccb8/mL/ueberschussreserven-faq-zweistufiges-system-data.pdf

Deutsche Bundesbank (2019c), Die Ertragslage der deutschen Kreditinstitute im Jahr 2018, in: Monatsbericht, September, S. 79-117.

Deutscher Sparkassen- und Giroverband (2019), Staffelzinsen vorbereiten!, Standpunkt der Chefvolkswirte vom 14. Juni 2019, https://www.dsgv.de

Von Gerich, J., Storup Nielsen, J, (2019), ECB Watch: Could Tiering Save Bank Profitability?, https://e-markets.nordea.com/#!/article/48155/ecb-watch-could-tiering-save-bank-profitability.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert