M3 spielt im Denken der EZB anders als früher bei der Bundesbank keine Rolle mehr. Ich zeige, warum man wieder auf sie schauen sollte.
Das Comeback der Geldmenge als Inflationsindikator begann kurz nach Ausbruch von Corona Anfang 2020. Damals beschleunigte sich das Wachstum der Geldmenge M3, die Bargeld, Sicht-, Termin-, Spareinlagen und andere geldnahe Anlagen umfasst. Ab dem Frühjahr 2021 zog die Inflation an und lag Ende des Jahres mit fünf Prozent schon weit über dem Zwei-Prozent-Ziel der EZB, bevor Russland die Ukraine überfiel und die Rohstoffpreise nach oben schossen. Hätte man auf die Geldmenge geschaut, wären die Inflationsprognose für 2021 und 2022 viel besser ausgefallen, zeigt eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ).
Monetär alimentierter Nachfrageschub
Dass die Geldmenge vorab vor der hohen Inflation warnte, hat gute Gründe. Denn nach Ausbruch von Corona hatte die EZB den Banken in großem Stil Staatsanleihen abgekauft und ihnen die Gegenwerte auf ihren EZB-Konten gutgeschrieben. Mit diesem Geld kauften die Banken von den Finanzministern neue Staatsanleihen. Die Finanzminister überwiesen die Einnahmen in Form von Corona-Hilfen auf die Konten der Unternehmen und Bürger, was die Geldmenge M3 stark steigen ließ. Als die Empfänger die milliardenschweren Staatshilfen ausgaben, traf die staatlich angefachte Nachfrage auf ein wegen der Lockdowns stark gesunkenes Güterangebot. Das von der EZB monetär alimentierte Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot ließ die Inflation wie im Lehrbuch anspringen.
Das gute Abschneiden der Geldmenge in der Pandemie war kein Zufallstreffer. In Zeiten hoher Inflation gibt es regelmäßig einen engen Zusammenhang zwischen dem Geldmengenwachstum und der Inflation. Das lässt sich für die USA, Italien und viele andere Länder bis weit in die 80er Jahre hinein zeigen.
Die Daten bestätigen die Quantitätstheorie des Geldes, nach der die Inflation umso höher ausfällt, je stärker das Wachstum der Geldmenge das Wachstum des Güterangebots übersteigt. Wenn die Geldmenge schneller steigt als das Angebot an Gütern, jagt zu viel Geld den Gütern hinterher und die Preise ziehen an.
Warum die Geldmenge in den Jahren vor Corona nicht gut funktionierte
Dass der Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum und Inflation ab Mitte der 80er Jahre in vielen Ländern lockerer wurde und nur noch sehr langfristig bestand, widerlegt nicht die Quantitätstheorie des Geldes.
Opfer des eigenen Erfolgs: Nachdem ab Ende der 70er Jahre immer mehr Notenbanken zu einer stabilitätsorientierten Geldpolitik übergingen, brachten sie die Inflation schrittweise unter Kontrolle. Immer mehr Bürger glaubten dem Versprechen der Zentralbanken, dass sie auch langfristig für Preisstabilität sorgen. Die Inflationserwartungen waren fest verankert. Die Inflation spielte im Denken der Menschen keine Rolle mehr. Gewerkschaften streikten seltener für höhere Löhne, weil sich ihre Mitglieder nicht um Inflation sorgten, wenn die Preise vorübergehend ein wenig stärker stiegen. Weil die Löhne nur moderat zulegten, beließen es die Unternehmen bei geringen Preissteigerungen. Kurzum: Die Inflation war stabil niedrig. Wenn die Teuerungsrate aber kaum noch schwankt und allenfalls durch Zufallseinflüsse bewegt wird, lässt sich statistisch kein Zusammenhang zwischen Inflation und Geldmengenwachstum feststellen.
Steigende Rolle des Anlagemotivs: Wenn die Inflation niedrig ist, sind es auch die Zinsen für Anleihen. Das Halten weitgehend zinsloser Bankeinlagen, die zur Geldmenge M3 zählen, kostete in dem Sinne immer weniger, als die entgangenen Zinseinnahmen aus dem Halten von Anleihen niedrig waren. Die Opportunitätskosten der Geldhaltung sanken. Die Anleger verwendeten einen steigenden Teil der Geldmenge für Investitionszwecke und nicht für potentiell inflationstreibende Güterkäufe. Das schwächte den Zusammenhang zwischen dem Geldmengenwachstum und der Inflation in den drei Jahrzehnten vor Corona.
Die Geldmenge bleibt ein wichtiger Inflationsindikator
Aber all das bedeutet nicht, dass es den Zusammenhang grundsätzlich nicht mehr gab. Er existierte immer, hat nur eine längere Zeit geschlummert. Aber wenn die Geldpolitik sehr locker ist und ein negativer Angebotsschock wie die Pandemie hinzukommt, lebt der Zusammenhang wieder auf. Die Geldmenge bleibe ein wichtiger Inflationsindikator, sagte jüngst zu Recht EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel in einer Rede. Schade, dass das die meisten ihrer Kollegen anders sehen.
Blog-Beiträge zum Thema:
Roland Vaubel (Uni Mannheim, 2023): Die EZB ist orientierungslos, weil sie die Geldmenge ignoriert
Uwe Vollmer (Uni Leipzig, 2023): Zum Niedergang der „monetären Analyse“ in der geldpolitischen Strategie des Eurosystems
Roland Vaubel (Uni Mannheim, 2020): Die Inflation heute ist die Folge des zu hohen Geldmengenwachstums 2020
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