Die EZB will besser kommunizieren. Aber nur mit verständlicher Sprache und Treffen mit Bürgern wird ihr das nicht gelingen.
Scheinbar sind die Dinge klar. Sprachwissenschaftlern zufolge müssen Menschen 14 Jahre in Bildungseinrichtungen verbracht haben, um die Pressekonferenzen der EZB halbwegs zu verstehen. [1] Nach einer Untersuchung der britischen Notenbank sind nur zehn Prozent der Bevölkerung in der Lage, die Botschaften der Zentralbanker zu erfassen. Wer möchte bei solch ernüchternden Befunden der Forderung von EZB-Präsidentin Christine Lagarde widersprechen, die Zentralbank müsse endlich lernen, von der breiten Öffentlichkeit verstanden zu werden?
Warum die EZB von den Bürgern verstanden werden muss
Das alles hört sich gut an – und ist auch notwendig. Eine Notenbank kann die Inflation nur dann niedrig halten, wenn die Bürger ihr zuhören und an eine niedrige Inflation glauben. Tun sie das nicht, muss die Notenbank zu hohe Inflationserwartungen durch massive Zinserhöhungen brechen, was hohe wirtschaftliche Kosten in Form einer Rezession verursacht. Außerdem muss eine unabhängige Notenbank mit ihren ungewählten Repräsentanten gegenüber der Bevölkerung, die ja ihr Auftraggeber ist, Rechenschaft ablegen, was aber nur funktioniert, wenn die Bürger die Zentralbank verstehen.
Aber in der Praxis wird es für Christine Lagarde schwierig, die breite Öffentlichkeit zu erreichen. Mit einer verständlichen Sprache und Treffen mit Bürgern alleine ist es nicht getan. Erfolgreiche Notenbank-Kommunikation erfordert mehr. [2]
Nur mit wichtigen Themen an die breite Öffentlichkeit
Erstens sollte die EZB sich nur dann an die breite Öffentlichkeit wenden, wenn es wirklich um wichtige Themen geht. Die Bürger interessieren sich nicht für geldpolitische Details, die aber das Tagesgeschäft und die Pressekonferenzen der EZB dominieren. Sie sind unter Kosten-Nutzen-Aspekten zu Recht nicht bereit, sich in die Details der Geldpolitik einzuarbeiten, was aber notwendig wäre, um etwa zu verstehen, warum ein EZB-Leitzins um 0,1 Prozentpunkt gesenkt oder ein Liquiditätsprogramm für Banken aufgestockt wird. Wenn die Erarbeitung von Informationen zu teuer ist, ist es für die Bürger rational, uninformiert zu bleiben.
Die EZB sollte das akzeptieren und sich auf wichtige Themen konzentrieren. Anlass dazu können strategische Weichenstellungen sein wie das 2012 gegebene Versprechen, die Währungsunion im Fall der Fälle mit unbegrenzten Anleihekäufe zusammenzuhalten. Darüber hinaus sollte sich die Führung der EZB von Zeit zu Zeit an die breite Öffentlichkeit wenden, um ihr in allgemein verständlichen Worten zu versichern, dass sie in ihrem Interesse für stabiles Geld sorgt. Mit diesem Narrativ und natürlich mit einem entsprechend konsequenten Handeln ist es zum Beispiel der Bundesbank schon kurz nach ihrer Gründung gelungen, das Vertrauen der Deutschen zu gewinnen und eine erfolgreiche Zentralbank zu werden.
Systematisch zuhören statt anekdotische Evidenz einsammeln
Zweitens sollte die EZB den Bürgern nicht wahllos, sondern systematisch zuhören. Die Zentralbanken haben zu Recht erkannt, dass Kommunikation nicht nur das Senden von Botschaften ist, sondern auch das Zuhören. Deshalb trifft Christine Lagarde im Herbst Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen, um zu erfahren, was sie über die anstehende Reform des geldpolitischen Strategierahmens denken.
Natürlich ist es wichtig, dass die Notenbank von Zeit zu Zeit ihren Elfenbeinturm verlässt. Aber nach den Erfahrungen der US-Notenbank mit solchen Zuhör-Veranstaltungen ist es fraglich, ob die EZB dadurch wirklich einen repräsentativen Eindruck erhält.
Statt in Bürgerversammlungen aufwendig anekdotische Eindrücke zu sammeln, sollte die EZB den Bürgern lieber systematisch zuhören. So muss sie wissen, mit welcher Inflation die Bürger rechnen, weil das maßgeblich die künftige Inflation bestimmt, die die EZB ja bei knapp zwei Prozent stabilisieren möchte. Es war insofern richtig, dass die EZB im Januar ein Pilotprojekt startete, um die Erwartungen der Bürger zu Inflation und anderen wirtschaftlichen Größen zu erfragen. Daraus muss eine regelmäßige Umfrage werden, damit die EZB nicht länger auf die nicht-repräsentativen Inflationserwartungen der Marktteilnehmer starren muss.
Auch unangenehme Themen ansprechen
Drittens sollte die EZB Vertrauen in die Geldpolitik schaffen, indem sie auch unangenehme Themen anspricht. So fragen sich viele Bürger, warum die EZB weiter so viele Anleihen kauft, obwohl die bisherigen Käufe im unvorstellbaren Wert von 3360 Milliarden Euro keinen nennenswerten Effekt auf die Inflation hatten – zumal viele Menschen ohnehin kein Problem damit haben, dass die Inflation seit Jahren etwas unter zwei Prozent liegt. Die EZB sollte sich fragen, warum ihre Geldpolitik bisher nicht richtig wirkt. Sie sollte in diesem Zusammenhang zugeben, dass die Inflation von Faktoren wie der Globalisierung oder der Digitalisierung beeinflusst wird, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Mehr Ehrlichkeit ist unerlässlich, wenn die EZB möchte, dass die Menschen ihr zuhören und vertrauen.
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[1] Ich beziehe mich hier auf den Flesh-Kincaid-Index. Es misst die Länge von Sätzen und Wörtern, um die Lesbarkeit von Texten zu quantifizieren. Dabei ist die inhaltliche Verständlichkeit noch nicht berücksichtigt, die aber in Notenbanktexten, die häufig von Ökonomen geschrieben sind, eine weitere Hürde sein dürfte.
[2] Eine gute Einführung in das Thema geben Otmar Issing, „The Long Journey of Central Bank Communication“, MIT press, 2019, sowie mein Kollege Michael Schubert, „EZB-Kommunikation – Zuhören, nicht nur reden!“, Economic Insight, 18. Februar 2020.
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