Klimawandel und Geldpolitik

Obwohl der Klimaschutz derzeit etwas in den Hintergrund des öffentlichen Interesses geraten ist, steht die Forderung weiterhin im Raum, die Geldpolitik solle „grüner“ werden und verstärkt umweltpolitische Aspekte berücksichtigen. Dies betrifft auch das Eurosystem, dessen vorrangiges Ziel die Garantie von Preisstabilität ist. Allerdings unterstützt das Eurosystem die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union, um zur Verwirklichung anderer Ziele beizutragen, zu denen ein hohes Maß an Umweltschutz und die Verbesserung der Umweltqualität gehören. Klimapolitische Ziele wären also durchaus durch das Mandat der EZB gedeckt, solange die Preisstabilität nicht gefährdet ist.

Mit Amtsantritt hat EZB Präsidentin Christine Lagarde angekündigt, bei dem für 2021 in Aussicht gestellten „strategy review“ den Klimawandel stärker zu berücksichtigen. Obwohl das Ergebnis noch offen ist, zeichnen sich zwei separate Fragestellungen ab. Der erste Aspekt thematisiert, ob und inwiefern der Klimawandel die Effizienz der Geldpolitik beeinflusst und es der Zentralbank schwieriger macht, ihr Mandat zu erfüllen. Der zweite Aspekt betrifft die Frage, ob die Geldpolitik in der Eurozone grüner werden und klimapolitische Ziele aktiv verfolgen sollte.

Klimawandel und geldpolitische Mandat

Die geldpolitische Strategie des Eurosystems zielt darauf ab, den zukünftigen Inflationstrend zu steuern und dafür zu sorgen, dass die Inflationsrate in der Eurozone mittelfristig unter, aber nahe bei 2 Prozent p.a. liegt. Um dies zu erreichen, muss die Zentralbank das Ausmaß und die Persistenz von Störungen einschätzen, die auf die Inflationsentwicklung einwirken, und vorübergehende von anhaltenden Schocks unterscheiden. Wegen der mittelfristigen Orientierung „schaut“ die Geldpolitik normalerweise durch temporäre Schocks „hindurch“ und reagiert nur auf anhaltende Störungen, weil sie den  Inflationstrend beeinflussen.

Obwohl die makroökonomischen Konsequenzen des Klimawandels derzeit kaum absehbar sind, dürften er die geldpolitische Strategie des Eurosystems aus mehreren Gründen beeinflussen (Cœuré, 2018).

  • Erstens erhöht er die Wahrscheinlichkeit für extreme Wetterphänomene, die als gesamtwirtschaftliche Angebotsschocks erhebliche Persistenzen aufweisen können. Normalerweise reagiert die Geldpolitik nicht auf singuläre Naturereignisse (wie „Jahrhundertfluten“ oder Orkane), um nicht prozyklisch zu wirken. Je häufiger solche klimabedingten Schocks auftreten, je stärker sie ausfallen und je länger sie andauern, desto schwieriger wird es für die Notenbank, sie zu ignorieren, und den mittelfristigen Inflationsdruck zu diagnostizieren, der für die Geldpolitik relevant ist.
  • Zweitens senkt der Klimawandel das Produktivitätswachstum, wodurch der natürliche Realzinssatz sinkt, der bei Preisniveaustabilität Angebot und Nachfrage zum Ausgleich bringt. Ein sinkender realer Gleichgewichtszins beschränkt aber die Möglichkeiten der Notenbank, mittels ihres konventionellen Instrumentariums Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität zu nehmen, weil sie bei Leitzinsänderungen schneller auf die „zero lower bound“ trifft.

Für den angestrebten Strategiewechsel bedeutet dies, dass die EZB möglicherweise ihr numerisches Inflationsziel anhebt oder – wie jüngst die US Fed – von einem Punkt- zu einem Durchschnittsziel übergeht und  temporär höhere Inflationsraten als 2 % p.a. zulässt. Beides führt zu steigenden Inflationserwartungen und eröffnet einen größeren Zinssenkungsspielraum bei Auftreten von klimabedingten Schocks. Zudem könnten die konventionellen geldpolitischen Instrumente im Handlungsrahmen des Eurosystems längerfristig an Bedeutung verlieren und dauerhaft von „unkonventionellen“ Maßnahmen verdrängt werden.

Green QE?

Manchen Beobachtern gehen solche Anpassungen aber nicht weit genug. Sie wünschen eine ökologische Geldpolitik, bei der die Notenbank den Klimawandel aktiv bekämpft, ohne den Primat der Preisstabilität preiszugeben. Gefordert wird eine gezielte Privilegierung „grüner Anleihen“ zur Finanzierung „grüner Projekte“, die Klimaziele fördern oder dem Umweltschutz dienen. Die Privilegierung könnte in einer bevorzugten Behandlung solcher Schuldverschreibungen innerhalb des Sicherheitenrahmens der EZB bestehen. Sie kann vor allem durch ein „grünes Anleihekaufprogramm“ erfolgen, bei dem sich das Eurosystem auf den Erwerb von „green bonds“ konzentriert. Dadurch sinken die Finanzierungskosten für grüne Projekte, was den Übergang zu einer klimaneutralen Wertschöpfung erleichtern könnte. Zudem „weisen“ Zentralbanken damit anderen Investoren „den Weg“ zu ökologisch nachhaltigen Investitionen und signalisieren dem Markt, dass diese Kategorie von Vermögenswerten liquider und weniger riskant ist (Schoenmaker, 2019).

Das Eurosystem verweist darauf, dass sein Wertpapierportfolio bereits zu Teilen aus „green bonds“ besteht. Es teilt seine Wertpapierbestände in zwei Kategorien ein, nämlich „sonstige Wertpapiere“ und „zu geldpolitischen Zwecken gehaltene Wertpapiere“. Die „sonstigen Wertpapiere“ umfassen den eigenen Wertpapierbestand der EZB, der dem eingezahlten Grundkapital durch die nationalen Zentralbanken entspricht, sowie ein Pensionsportfolio, woraus die Ruhegehälter geleistet werden. Beide Portfolios sind bereits nach ökologischen Kriterien zusammengesetzt, machen aber nur knapp zehn Prozent des gesamten Wertpapierbestands des Eurosystems aus.

Quantitativ sehr viel bedeutsamer sind die „zu geldpolitischen Zwecken gehaltenen Wertpapiere“, die im Rahmen der Wertpapierankaufprogramme PSPP und CSPP für öffentliche und private Schuldtitel erworben werden und mittlerweile ein Volumen von 2.800 Mrd. Euro umfassen. Hier fasst das Eurosystem die Kriterien für die Ankauffähigkeit von Wertpapieren bewusst weit, sodass Umweltaspekte weder eine positive noch eine negative Rolle spielen. Das Eurosystem „buys the market“ – um Preisverzerrungen in einzelnen Kapitalmarktsegmenten zu vermeiden und nicht in Widerspruch zum Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb zu geraten (De Santis et al, 2018).

Im Rahmen dieser Ankaufprogramme hat das Eurosystem in geringem Umfang (von 16 Mrd. Euro Mitte 2018) auch „grüne Anleihen“ erworben. Kritiker führen an, dass sich das Eurosystem damit zwar markt-, aber nicht klimaneutral verhält, weil die Programme in der aktuellen Form CO2-intensive Investitionen begünstigen (Matikainen, et al., 2017). Sie mahnen, dass das Eurosystem seine Ankäufe von „green bonds“ erheblich ausweitet und den Grundsatz der Marktneutralität zugunsten einer klimaneutralen Ausrichtung der Ankaufprogramme preisgibt.

Grenzen grüner Geldpolitik

Noch ist unklar, ob und inwieweit das Eurosystem bei seinem strategy review solchen Vorschlägen folgen wird, wenngleich aus Reihen des EZB-Rats kritische Stimmen laut werden. Bundesbankpräsident Weidmann (2019) warnt vor eine Überfrachtung der Geldpolitik und befürchtet Zielkonflikte, etwa wenn der Ankauf von Wertpapieren aus geldpolitischen Gründen reduziert werden muss, der Klimaschutz aber einen weiteren Erwerb von grünen Wertpapieren erfordert.

Sollte sich das Eurosystem dennoch für eine grüne Geldpolitik entscheiden, stünde es vor gravierenden Umsetzungsproblemen:

  • Das verfügbare Volumen an grünen Bonds ist derzeit viel zu gering, um eine nennenswerte Rolle in den Ankaufprogrammen des Eurosystems zu spielen. Ende August 2018 betrug das Volumen der umlaufenden PSPP-fähigen Anleihen ca. 8.000 Mrd. Euro, wovon lediglich etwa 50 Mrd. Euro (ca. 0,5 %) grüne Anleihen waren. Zeitgleich betrug der der Umlauf der CSPP-fähigen Anleihen ca. 1.000 Mrd. Euro, wovon 31 Mrd. Euro (3 %) grüne Anleihen waren. Von diesen Volumina an umlaufenden green bonds hielt das Eurosystem jeweils ca. 20% (ECB 2018), sodass grüne Anleihen im Umfang von maximal 65 Mrd. Euro angekauft werden können. Bei einem Ankaufvolumen von netto 20 Mrd. Euro pro Monat wäre das grüne Segment im Markt nach ca. drei Monaten leergekauft.
  • Bislang fehlen Kriterien, die Auskunft geben, ob Anleihen als „grün“ oder als „umwelbelastend“ einzuordnen sind, sodass unbestimmt ist, welche Anleihen bevorzugt angekauft werden sollten. Um dies entscheiden zu können, müsste das Eurosystem erhebliche Expertise aufbauen. Zudem gibt es auch kein verlässliches Auditing, das überwacht, ob über grüne Anleihen eingesammelte Finanzmittel tatsächlich zum Klimaschutz eingesetzt werden.

Ähnliche Bedenken gegen eine grüne Geldpolitik kommen auch aus der Bank of England und der US Fed, wobei die US Fed ein grünes QE ohnehin allenfalls eingeschränkt umsetzen könnte, weil ihre Statuten den Ankauf privater Schultitel verbieten (Rudebusch, 2019). Solche Widerstände machten einen koordinierten geldpolitischen Instrumenteneinsatz unwahrscheinlich, der aber notwendig wäre, weil Klimawandel ein globales Phänomen ist, dessen Bekämpfung auch einen globalen Instrumenteneinsatz erfordert.

Fazit

Das Eurosystem ist deshalb gut beraten, wenn es zwar den eigenen „ökologischen Fußabdruck“ reduziert, die Geldpolitik jedoch nicht mit klimapolitischen Zielen belastet. Der Klimawandel ist Folge eines Marktversagens, weil der Verbrauchspreis fossiler Energien nicht die Folgekosten des Klimawandels enthält und der Emittent von Treibhausgasen nicht für die negativen Umwelteffekte haftet. Um solche externen Effekte zu internalisieren, ist die Geldpolitik nicht das erstbeste wirtschaftspolitische Instrument, weil sie kaum imstande ist, externe Effekte zu internalisieren und private und soziale Kosten in Übereinstimmung zu bringen. Dazu sind die Fiskalpolitik und der Einsatz von Steuern und Subventionen eher geeignet.

Der Übergang zu einer grünen Geldpolitik erfordert, den Grundsatz der Marktneutralität aufzugeben, und macht das Eurosystem zu einem industriepolitischen Akteur, der durch seine Geldpolitik die sektorale Produktionsstruktur in der Eurozone beeinflusst. Dies ist schon deshalb nicht harmlos, weil es den Druck auf die EZB erhöht, geldpolitisch auch anderen Zielsetzungen dienlich zu sein. Vorstellbar sind Forderungen, das Eurosystem solle beispielsweise verstärkt Anleihen von arbeitsintensiven Industrien ankaufen, um die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung zu erhöhen. Auf diese Weise gerät das Eurosystem in den Strudel von Interessengruppen und gefährdet seine Unabhängigkeit massiv.

Literatur

Cœuré, B. (2018), Monetary Policy and Climate Change, Speech at a Conference on “Scaling up Green Finance: The Role of Central Banks”, Organised by the Network for Greening the Financial System, the Deutsche Bundesbank and the Council on Economic Policies, Berlin, 8 November 2018.

De Santis, R. A., Hettler, K., Roos. M., Tamburrini, F. (2018), Erwerb von Green Bonds im Rahmen des Programms des Eurosystems zum Ankauf von Vermögenswerten, in: Wirtschaftsbericht, Ausgabe 7, Frankfurt/M., S.  27-33.

Matikainen, S, Campiglio, E., Zenghelis, D. (2017), The Climate Impact of Quantitative Easing“, Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment Policy Paper. https://www.lse.ac.uk/granthaminstitute/wp-content/uploads/2017/05/ClimateImpact QuantEasing_Matikainen-et-al.pdf

Rudebusch, G. D. (2019), Climate Change and the Federal Reserve, FRBSF Economic Letter, March 25, 2019.

Schoenmaker, D. (2019), Greening Monetary Policy, VoxEU, 17. April 2019.

Weidmann, J. (2019), Klimawandel und Notenbanken – Begrüßung bei der 2. Finanzmarktkonferenz der Deutschen Bundesbank, Frankfurt/Main.

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