Am 21. Juli 2020 haben die Staats- und Regierungschefs der 27 EU Mitgliedsländer – auch als Reaktion auf die Corona-Pandemie – den langfristigen EU-Haushalt[1] 2021-2027 beschlossen. „Ein Haushalt als Motor für die Erholung nach der COVID?19?Krise“ soll(te) es sein, der sich – wie Abbildung 1 veranschaulicht – aus dem mehrjährigen Finanzrahmen („normaler“ Haushalt) in Höhe von 1,074 Billion Euro und dem Corona-Aufbauplan in Höhe von 750 Mrd. Euro zusammensetzt. Der Aufbauplan beinhaltet wiederum 390 Mrd. Euro als nicht rückzahlbare Zuschüsse und 360 Mrd. Euro als Kredite. Mit seiner Hilfe soll der langfristige Haushalt der EU aufgestockt werden, um die unmittelbaren wirtschaftlichen und sozialen Schäden, die durch die Corona-Pandemie entstanden sind, zu beheben‚ „den Aufbau anzukurbeln und eine bessere Zukunft für die nächste Generation vorzubereiten“. Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, hat dazu gesagt: „Wir haben einen Deal zum Aufbaupaket und zum EU-Haushalt erreicht. Natürlich waren es schwierige Verhandlungen in einer für alle Europäerinnen und Europäer sehr schwierigen Zeit. Es war ein Marathon, der in einen Erfolg für alle 27 Mitgliedstaaten, besonders aber für die Menschen mündete. Es ist ein guter Deal. Es ist ein starker Deal. Vor allem aber ist es gerade jetzt der richtige Deal für Europa. Diese Einigung ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die EU eine treibende Kraft ist.“
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Zur Mobilisierung der notwendigen Investitionen in ein „grünes, digitales und widerstandsfähiges Europa“ sollen insbesondere in den Jahren von 2021 bis 2024 über den Aufbauplan zusätzliche Mittel bereitgestellt werden, die für folgende Zwecke genutzt werden sollen:
- Unterstützung der Mitgliedsländer bei der Erholung: Investitionen und Reformen sowie der Übergang zu einem klimaneutralen Europa sollen unterstützt werden.
- Ankurbelung der Wirtschaft und Unterstützung privater Investitionen: Schlüsselbranchen und -technologien sollen unterstützt und Solvenzhilfen für rentable Unternehmen bereitgestellt werden.
- Lehren aus der Krise ziehen: Die wichtigsten Programme mit Blick auf künftige Krisen und globale Partner sollen unterstützt werden.
Die zuvor genannten Ziele offenbaren dabei, dass der Wiederaufbau mit den allgemeinen umwelt- und wachstumspolitischen Zielsetzungen der EU verknüpft und in deren Dienst gestellt werden soll.
Zu dessen Finanzierung will die Kommission im Namen der EU Anleihen auf den internationalen Finanzmärkten ausgeben, deren Laufzeit zwischen drei und 30 Jahren betragen soll. Die aufgenommenen Mittel – der Großteil davon im Zeitraum von 2020 bis 2024 – sollen nach 2027 bis maximal zum Jahr 2058 aus künftigen EU-Haushaltsmitteln zurückgezahlt werden. Im Gegensatz zu Euro- oder Corona-Bonds umfasst die nun vorgesehene Finanzierung allerdings keine gesamtschuldnerische Haftung der einzelnen Mitgliedsländer. Um den Schuldendienst zu erleichtern und den Druck auf die nationalen Haushalte zu verringern, soll die Kommission ferner neue Eigenmittel-Quellen erschließen, zu denen etwa eine Plastiksteuer oder eine Finanztransaktionssteuer gehören könnten. Die Vorstellungen der EU hierzu veranschaulicht Abbildung 2.
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Der vorliegende Haushaltsentwurf bildet einen hart umkämpften Kompromiss, der unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen hat: So wurde zum Teil mit Erleichterung aufgenommen, dass der Umfang der nicht rückzahlbaren Zuschüsse gegenüber früheren Vorschlägen von Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Macron sowie der EU-Kommission von 500 auf 390 Mrd. Euro reduziert wurden. Was Kritikern des Aufbauplans hingegen fehlte, war eine an die Zuweisungen geknüpfte strenge Konditionalität. Hierbei ging es insbesondere um die tatsächliche Umsetzung von Reformen und die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit als Voraussetzung für den Erhalt von Unterstützungszahlungen. Den Nettozahlern wurden im Gegenzug großzügigere Rabatte bei der Finanzierung des Haushalts versprochen.
Vor diesem Hintergrund kam es am 10. November unter dem deutschen Ratsvorsitz zu einer (vorläufigen) Einigung mit den Verhandlungsführern des Europäischen Parlaments über dessen notwendige Zustimmung zum Haushaltsentwurf der EU. Auf Drängen des Parlaments kam es dabei zu folgenden Ergänzungen bzw. Änderungen des ursprünglichen Entwurfs:
- Es ist eine gezielte Aufstockung von einzelnen EU-Programmen durch Mittelumschichtungen vorgesehen.
- Es soll mehr Flexibilität geschaffen werden für Reaktionen der EU auf unvorhergesehenen Bedarf.
- Die Haushaltsbehörde soll stärker in die Aufsicht über die Einnahmen im Rahmen von NextGenerationEU einbezogen werden.
- Die Zielsetzungen für Biodiversität und eine verstärkte Überwachung der Ausgaben im Zusammenhang mit Biodiversität, Klimaschutz und Geschlechtergleichstellung sollen ehrgeiziger formuliert werden.
- Es soll ein indikativer Fahrplan für die Einführung neuer Eigenmittel (siehe Abbildung 2) bereitgestellt werden.
Zu diesem Änderungspaket gehört aber auch die allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Unionshaushalts, über die der Ratsvorsitz und die Verhandlungsführer des Parlaments bereits am 5. November eine vorläufige Einigung erzielten. Mit ihrer Hilfe kann der EU?Haushalt „geschützt“ werden, also Zahlungen vorenthalten werden, wenn festgestellt wird, dass Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip in einem Mitgliedstaat die wirtschaftliche Führung des Haushalts der EU oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen. Danach müssen rechtsstaatliche Mindeststandards etwa bei Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Justiz oder der Forschung eingehalten werden, um EU-Mittel – und zwar sowohl des laufenden Haushalts als des Aufbauprogramms „NextGenerationEU“ – zu erhalten. Mit dieser Konditionalitätsregelung wurde folglich ein schwerwiegender Kritikpunkt am ursprünglichen Haushaltsentwurf aufgegriffen.
Mit den Worten von Michael Clauß, dem ständigen Vertreter Deutschlands bei der EU, hatte man hiermit eine sehr ausgewogene Einigung erzielt, „mit der auf die Anliegen des Parlaments eingegangen und gleichzeitig die vom Europäischen Rat im Juli erteilten Vorgaben eingehalten werden. Wir können jetzt die nächsten entscheidenden Schritte des Verfahrens einleiten, d. h. die verschiedenen Teile des Pakets den Mitgliedstaaten und dem Parlament zur Billigung vorlegen. Europa wurde von der zweiten Welle der COVID?19-Pandemie schwer getroffen. Der Aufbaufonds muss jetzt dringend in die Tat umgesetzt werden, damit die schwerwiegenden Folgen der Pandemie abgefedert werden können. Ich hoffe, dass alle die Dringlichkeit der Lage erkennen und nun dazu beitragen werden, den Weg für die rasche Umsetzung des EU-Haushaltsplans und des Aufbaupakets zu ebnen – was wir jetzt definitiv nicht brauchen, sind neue Hürden und weitere Verzögerungen.“
Diese Einschätzung wird allerdings von Polen und Ungarn nicht geteilt. Beide Länder haben – im Rahmen der nun anstehenden Billigung durch die Mitgliedstaaten – im Kreis der 27 EU-Botschafter in Brüssel bei einer entscheidenden Abstimmung den künftigen EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 und den damit verknüpften Corona-Aufbaupakt durch ihr Veto blockiert. Stein des Anstoßes ist dabei das Rechtsstaatsprinzip, auf das sich beide Länder nicht verpflichten lassen wollen, weil sie es als Einmischung in innere Angelegenheiten ansehen. Gegen Polen und Ungarn laufen bereits seit Jahren Vertragsverletzungsverfahren wegen mutmaßlicher Verstöße im Bereich der Rechtsstaatlichkeit. Diese könnten bis zum Entzug von Stimmrechten in der EU führen – oder in Zukunft eben zum Verlust von Mitteln aus den diversen EU-(Förder-)Fonds. Auch in dem am 30. September dieses Jahres zum ersten Mal von der EU vorgelegten Bericht zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in den EU-Mitgliedsstaaten[2] spielen Polen und Ungarn eine prominente Rolle. Ebenso wie im neuen Demokratieindex[3] der britischen Wirtschaftszeitschrift „The Economist“, der Polen und Ungarn als „mangelhafte“ oder „defizitäre“ Demokratien ausweist. Vor diesem Hintergrund war bereits im Vorfeld über ein mögliches Veto dieser beiden Länder spekuliert worden.
Zugleich bedeutet das Veto von Ungarn und Polen aber auch, dass die vorgesehenen Mittel in Höhe von insgesamt rund 1,8 Billionen Euro bis auf weiteres nicht freigegeben werden können. Insbesondere die 750 Milliarden Euro für die Unterstützung der wirtschaftlich von der Corona-Pandemie besonders hart getroffenen Staaten werden von Ländern wie Italien, Spanien und Frankreich dringend erwartet, um deren ökonomische Folgen abfedern zu können. Wie schwer die zuvor genannten Länder betroffen sind, veranschaulichen die Abbildungen 3 und 4. Sie zeigen den wohl zweistelligen Rückgang des BIP dieser Länder im laufenden Jahr. Da die entsprechenden Prognosen in der Regel vor dem zweiten Lock-down in vielen europäischen Ländern erfolgten, ist sogar damit zu rechnen, dass die wirtschaftlichen Einbußen im laufenden Jahr noch höher ausfallen und auch die Erholung im Jahre 2021 – je nach dem weiteren Verlauf der Pandemie – deutlich langsamer erfolgen könnte. Die beiden Abbildungen zeigen aber auch, dass Polen und Ungarn – im Verhältnis zu Italien, Spanien und Frankreich – geringere ökonomische Einbußen durch die Corona-Pandemie zu erwarten haben und daher ein geringeres Interesse an der Auszahlung der Mittel aus dem Aufbauprogramm besitzen.
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Die Aussage Charles Michels, dass die Einigung über den EU-Haushaltsplan vom Juli 2020 ein deutliches Zeichen dafür war, dass „die EU eine treibende Kraft ist“, lässt sich damit wohl vor dem Hintergrund der nun deutlich werdenden nationalen Egoismen und Verletzungen der gemeinsamen „Spielregeln“ kaum aufrechterhalten. An dieser verfahrenen Situation hat auch die am Donnerstag stattgefundene Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedsländer nichts geändert. Bisher ist es nicht gelungen, den Regierungen in Polen und Ungarn ihre Zustimmung zum Haushaltsentwurf – einschließlich der umstrittenen Konditionalitätsregelung – durch Zugeständnisse an anderer Stelle „abzukaufen“.
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[1] https://www.consilium.europa.eu/de/policies/the-eu-budget/long-term-eu-budget-2021-2027/
[2] Siehe: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/qanda_20_1757
[3] Vgl. hierzu: https://www.democracywithoutborders.org/de/12764/eiu-report-2019-a-year-of-democratic-setbacks-and-popular-protest/
- Die Neuregelung des Stabilitäts- und Wachstumspakts
Schlimmer geht immer! - 1. Februar 2024 - Der Brexit und das Vereinigte Königreich
Drei Jahre danach - 8. Januar 2024 - Wie geht es weiter mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt? - 20. August 2022
2 Antworten auf „Der Streit um den EU-Haushalt“