Es war die Nacht vom 18. auf den 19. April 2021. Zwölf europäische Top-Klubs, die sich zu Höherem berufen fühlten, verkündeten die Gründung einer eigenständigen und quasi geschlossenen Super League. Der europäische Fußballverband UEFA stand vor vollendeten Tatsachen. Ihre etablierte und kommerziell höchst erfolgreiche UEFA Champions League hatte über Nacht mächtige Konkurrenz bekommen.
UEFA-Präsident Aleksander Ceferin betitelte die zwölf Klubs umgehend als „Das dreckige Dutzend“ und beklagte, den Abtrünnigen sei Dividende wichtiger als Leidenschaft, Einschaltquoten und Aktienkurse seien wichtiger als der Tabellenstand. Der Rest ist bekannt: Eine Welle der Empörung brach los. Fans, Funktionäre, aktive und ehemalige Fußballer, ja sogar Regierungschefs waren erzürnt. Selbst die Fans der zwölf abtrünnigen Klubs, welche die Profiteure der elitären Revolution sein wollten, drohten mit Liebesentzug. Und so sahen sich die Initiatoren gezwungen, das Konzept der Super League nur 48 Stunden nach der Geburt schon wieder zu Grabe zu tragen.
Für Ökonomen mag das plötzliche Aus für die Super League überraschend und zugleich ein wenig enttäuschend sein. Denn die Super League wäre eine Chance gewesen, das Monopol der UEFA aufzubrechen oder gar zu beenden. Endlich hätten die Fans die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Angeboten zu wählen. Sie hätten dann über das bessere Produkt mit den Füßen abstimmen können. Wie in anderen Bereichen der Wirtschaft hätte der Wettbewerb seine segensreichen Wirkungen als Entdeckungsverfahren entfalten und für bessere Produktqualität sorgen können.
Ist der erstaunlich schnelle Rückzieher der Super League-Initiatoren aus ökonomischer Sicht also eine vertane Chance? Ich meine nein. Im Gegenteil: Tatsächlich hat der Wettbewerb seine Funktion als Entdeckungsverfahren erfüllt. Tatsächlich haben die Fans mit den Füßen abgestimmt. Nur eben in atemberaubendem Tempo und noch bevor größerer Schaden entstanden ist. Für einen akademischen Diskurs darüber, welches Ligakonzept das Bessere ist und ob es ggf. ein Zurück zum Status quo ante geben könnte, blieb schlicht keine Zeit – die Fans haben einfach Fakten geschaffen: Sie haben die Super League im Keim erstickt.
Manche Beobachter mögen staunen, weil sich die Fans sehenden Auges gegen qualitativ besseren Fußball entschieden haben. Die Super League hätte bedeutet, dass die besten Fußballer der Welt unter sich bleiben und dass es mehr Spiele auf sportlich höchstem Niveau gibt. Warum aber sträuben sich die Fans gegen Qualitätsverbesserungen? Um die Frage zu beantworten, muss ein genauerer Blick auf die Präferenzen der Fans geworfen werden.
Unterschiedliche Fan-Typen
Fußballfreunde sind keine homogene Masse. Für die weitere Argumentation teile ich die Gesamtheit der Fußballanhänger (Fußballkonsumenten) ganz grob und vereinfachend in zwei Gruppen auf:
- Fußballfans: Ihr Herz schlägt in erster Linie für einen speziellen Klub, der eingebettet ist in das große Gesamtkonstrukt Liga- oder Weltfußball. Sie unterstützen ihren Klub mit Herzblut. Der harte Kern der Fans prägt die Stimmung im Stadion, er reist seinem Klub zumindest gelegentlich zu Auswärtsspielen hinterher und er ist ein kulturell unverzichtbarer Bestandteil des Unterhaltungsprodukts Fußball. Der Sieg der eigenen Mannschaft – ob erkämpft oder ermauert – ist für den Seelenfrieden des Fans wichtiger als fußballerisch anspruchsvolle Kabinettstückchen auf dem Rasen. Ihnen sind Lokalderbys und Traditionsduelle wichtiger als Spiele zwischen Real Madrid und Manchester City.
- Fußballinteressierte: Sie erfreuen sich allgemein am Fußball, ohne notwendigerweise einen Lieblingsklub zu haben. Sie möchten qualitativ bestmöglichen Fußball sehen. Der Gewinner des Spiels ist eher zweitrangig. „Der Bessere soll gewinnen“ könnte ihr indifferentes Fußball-Credo sein.
Die erste Gruppe, also die Fußballfans, verkörpern eine Art von Konsument, der den Ökonomen in seinen Analysen sonst selten begegnet. Er ist quasi eine mikroökonomische Besonderheit. Ein echter Fan ist unter keinen Umständen bereit zu substituieren. Er reagiert weder auf Preise, noch auf Qualitätsunterschiede. So würde ein Fan des FC Schalke 04 nicht ins Stadion der Dortmunder Borussia gehen, weil dort die Eintrittspreise, das Bier und die Bratwürste günstiger sind als in der Arena „Auf Schalke“. Er würde auch nicht Anhänger der Dortmunder Borussia werden, selbst wenn dort nachweislich besserer und erfolgreicherer Fußball gespielt wird. Der Fan bleibt Fan „seines“ Klubs, auch wenn dieser – wie jetzt im Fall von Schalke 04 – aus der Bundesliga absteigt.
Da die Fußballfans gegenüber den eher indifferenten Fußballinteressierten in der Überzahl sind (zumindest sind sie wichtiger, wenn man ihren stilprägenden Beitrag zum Unterhaltungsprodukt Fußball berücksichtigt), war eigentlich schon immer klar, dass eine geschlossene Europaliga oder Super League nicht funktionieren wird. Wenn sich etwa Bayern München und Borussia Dortmund in eine geschlossene Super League verabschieden würden (wozu sie in diesem konkreten Fall ja nicht bereit waren) und die restlichen Klubs in der Bundesliga blieben (die dann faktisch auf ewig eine zweitklassige Liga wäre), wäre das Band zwischen den Super League-Teilnehmern und den Bundesligisten zerschnitten. Der Fußballmarkt würde aufgespalten. Ein Großteil der Fans würde sich von der Super League abwenden und sie wären für die Super League kommerziell nicht mehr erreichbar. Fußballfunktionäre sprechen in diesem Zusammenhang gern davon, dass die Fußballfamilie gesprengt würde.
Die zweite Gruppe – also die Fußballinteressierten – entspricht eher den ganz normalen Konsumenten, wie man sie aus anderen Bereichen der Wirtschaft kennt. Deren Mitglieder haben zwar Präferenzen, aber sie sind nicht so festgefahren. Sie sind offen für Alternativen und letztlich auch eher in der Lage zu substituieren. Ihr relevanter Markt ist nicht der Fußballmarkt, sondern der gesamte Sportmarkt oder gar die Unterhaltungsindustrie. Wenn der Fußball nicht mehr interessant genug ist, kann man ja noch auf Sportarten wie Tennis, Reiten, Handball oder Eishockey ausweichen.
Die Gruppe der Fußballinteressierten könnte sich wohl mit der sportlich höherwertigen Super League mehrheitlich anfreunden. Sie ist zahlenmäßig aber zu klein, um das Projekt kommerziell erfolgreich werden zu lassen. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass die Gründung der Super League kurz nach Mitternacht unserer Zeit bekanntgegeben wurde. Während die europäischen Fans schliefen, schlug die Nachricht in den USA am Nachmittag bzw. Abend und in Fernost am Morgen ein. Offenbar war den Initiatoren der Super League bewusst, dass europäische Fans wegbrechen, die durch neue Kunden in Amerika und Asien ersetzt werden müssen. Zumal diese neuen Fans noch nicht in lästigen Traditionen verwurzelt und deshalb im Sinne des neuen Projekts besser formbar sind. Allerdings hatten die Initiatoren wohl den Sturm der Entrüstung und das Maß der Ablehnung in der „alten Fußballwelt“ unterschätzt, sodass ihnen ihre eigene Revolution nicht mehr geheuer war und sich als ein zu großes Wagnis entpuppte.
Exit, Voice, and Loyalty
Der Rückzieher der Super League-Initiatoren kann also als Erfolg der Fans interpretiert werden. Sie müssen sich nun nicht mit einem Wettbewerbsformat arrangieren, für den es praktisch keine Nachfrage gibt. Schon viele Umfragen hatten gezeigt: Eine geschlossene Superliga wird mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.
Das (zumindest vorläufige) Aus für die Super League bedeutet aber nicht, dass die Fußballwelt rosarot ist. Es wurde lediglich ein weiterer Exzess verhindert. Tatsächlich fremdeln die Fans schon lange mit vielen Entwicklungen im durchkommerzialisierten Fußball. Um es mit den Worten von Albert O. Hirschmann zu sagen: Die traditionellen Fußballfans versuchen es seit Jahrzehnten mit „Voice“ und „Loyalty“. Sie leisten Widerspruch, wenn die Fußballfunktionäre das Rad der Kommerzialisierung überdrehen – manchmal mit Erfolg, manchmal ohne. Bisher ist die überwältigende Mehrheit der Fans aber loyal geblieben und hat die Weiterentwicklung des Fußballs akzeptiert; oft allerdings nur zähneknirschend. Eine geschlossene Superliga wäre wohl der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hätte. Viele Fans hätten die Exit-Option gewählt und dem Fußball dem Rücken gekehrt. Ob sie zurückgekehrt wären, wenn das Projekt Super League erst nach einigen Jahren gescheitert wäre, darf bezweifelt werden.
In den vergangenen Jahrzehnten hatten die europäischen Top-Klubs die Gründung einer Superliga immer nur als Drohkulisse aufgebaut, um die UEFA zu zwingen, die Champions League im Sinne der Top-Klubs weiterzuentwickeln. Die jüngst beschlossene Reform der Champions League ist letztlich das Resultat dieser Drohkulisse. Ab 2024 wird die „Königsklasse“ abermals aufgestockt und in einem neuen Spielmodus ausgetragen. Insgesamt wird es 100 zusätzliche Spiele im Vergleich zur heutigen Champions League geben. Ohne den Wirbel um die Super League wären die Fans sicherlich gegen diese Champions League-Reform 2024 auf die Barrikaden gegangen. Nun nehmen sie die eigentlich verhasste Reform fast schon dankbar hin, weil sie noch größeres Unheil (die Super League) verhindern konnten. So gesehen hat „Das dreckige Dutzend“ doch zumindest einen Teilerfolg errungen.
Blog-Beiträge zu “Europäische Fußballligen im Umbruch”:
Florian Follert und Frank Daumann: Vom Regen in die Traufe? Die Champions League-Reform aus sportökonomischer Sicht
Florian Follert und Frank Daumann: Und täglich grüßt die Super League …
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…unsere Volkswirtschaft wird derzeit von den Ökosozialisten platt gemacht und die Ordoliberalen diskutieren über den optimalen Ordnungsrahmen im Fussball! So passt man sich an. Mutig, mutig!