Stimme aus Amerika (2)
Die US-Notenbank Fed reagiert zu langsam auf die Inflationsdynamik
Chefvolkswirt Dr. Mickey Levy im Interview

Wirtschaftliche Freiheit: In unserem letzten Gespräch Anfang Juli haben Sie gesagt, dass die Fed die Inflationsdynamik noch immer unterschätzt. Sie haben damals prognostiziert, die Fed würde ihre eigenen Inflationserwartungen abermals nach oben korrigieren müssen. Genau dies ist nun geschehen: Auf ihrer Sitzung im September hat die Fed die Inflationsprognose für das vierte Quartal 2021 kräftig nach oben revidiert – von 3,4 % auf 4,2 %. Ist das nun das Ende der Fahnenstange?  

Mickey Levy: Leider ist der Inflationsdruck deutlich stärker gestiegen und hält länger an, als es die früheren Prognosen der Fed erwarten ließen. Die Fed wird sehr wahrscheinlich gezwungen sein, ihre Inflationsprognosen im Dezember ein weiteres Mal nach oben zu korrigieren. Wichtig ist: Die Fed hat zwar ihre Inflationsprognose für 2021 nach oben angepasst, aber sie geht weiterhin davon aus, dass die höhere Inflation nur vorübergehend und praktisch ausschließlich auf Angebotsengpässe zurückzuführen ist. Sie geht weiterhin davon aus, dass die Inflation wieder in die Nähe ihres längerfristigen Ziels von 2 % zurückkehrt. Ich erwarte, dass die Fed ihre Prognosen für 2022-2023 nach oben korrigieren muss, was die Inflationserwartungen erhöhen und die Glaubwürdigkeit der Fed mindern könnte.

Wirtschaftliche Freiheit: Die globalen Inflationsraten werden derzeit von einigen Sonderfaktoren überzeichnet. Dazu gehören der Ölpreis-Basiseffekt und die Corona-Nachholkonjunktur. Während der Pandemie konnten die Menschen nicht wie gewohnt leben und Geld ausgeben. Nachdem Wirtschaft und Gesellschaft immer mehr zur Normalität zurückkehren, holen die Verbraucher nun Vieles nach. Die meisten Beobachter erwarten, dass die Sonderfaktoren im kommenden Jahr ihren Einfluss verlieren. Wie ist Ihre Inflationserwartung für die USA für die kommenden Jahre?

Mickey Levy: Die Inflation wird nicht durch vorübergehende Faktoren „überzeichnet“. Vielmehr wird sie durch vorübergehende Faktoren verstärkt. Aber gleichzeitig steigt auch die Kerninflation, die die Preise für Lebensmittel und Energie ausschließt.

Der negative Angebotsschock, der zu Einschränkungen bei der Produktion und Verfügbarkeit von Waren und Dienstleistungen führt, ist eine der Hauptursachen für die höhere Inflation. Aber auch die starke Erholung der Gesamtnachfrage ist ein Faktor. Die Unternehmen sind mit höheren Produktionskosten konfrontiert, aber erst die starke Produktnachfrage gibt ihnen die Möglichkeit, die Preise zu erhöhen. Wenn wir nach vorne schauen, werden sich die Angebotsengpässe auflösen. Dadurch können die Preise einiger Produkte, die sich besonders verteuert haben, wieder sinken.

Bleibt das Wachstum der Gesamtnachfrage wegen der aggressiven geldpolitischen und fiskalischen Anreize und der aufgestauten Nachfrage jedoch stark, dann wird die überschüssige Gesamtnachfrage die Inflation auf einem Niveau halten, das weit über dem 2 %-Ziel der Fed liegt. Ich gehe davon aus, dass die Inflation in den USA zurückgeht, sich aber eher bei 3 % als bei 2 % einpendeln wird. Dies wird die Fed vor ein Dilemma stellen, denn sie muss die Geldpolitik normalisieren und die Inflationserwartungen eindämmen.

Wirtschaftliche Freiheit:Die US-Notenbank hat ein duales Mandat. Sie soll für stabile Preise und für hohe Beschäftigung sorgen. Mit ihrer neuen geldpolitischen Strategie hat sie im August 2020 den Fokus in Richtung Beschäftigungspolitik verschoben. Halten Sie die aktuelle Geldpolitik der Fed mit Blick auf das aktuelle Inflations- und Arbeitsmarktumfeld für angemessen?

Mickey Levy: Die neue Strategie der Fed legte den Schwerpunkt auf eine möglichst hohe „inklusive“ Beschäftigung und strebt eine höhere Inflation an, um die Inflation von unter 2 % in den letzten Jahren vor der Pandemie auszugleichen. Diese neue Strategie beinhaltete Asymmetrien in Bezug auf ihre Beschäftigungs- und Inflationsmandate. Und sie schwächt ihre bisherige Strategie, präventiv zu straffen, wenn sie eine steigende Inflation erwartet, erheblich ab. Ich fürchte, dass die Umsetzung dieser neuen Strategie die Fed dazu veranlasst hat, ihre ultralockere Geldpolitik zu lange beizubehalten, und dass die Inflationsrisiken dadurch eindeutig nach oben gerichtet sind.

Im März 2020 senkte die Fed in einer Art Notfalleinsatz die Zinsen auf null und kaufte massiv Staatsanleihen und MBS (Mortgage Backed Securities). Sie reagierte damit auf die Ausbreitung der Pandemie, auf die von der Regierung angeordneten Shutdowns und auf die extreme Dysfunktion des Marktes für US-Staatsanleihen. Offensichtlich hat sich die Situation seitdem maßgeblich geändert: Die Finanzmärkte haben sich stabilisiert, die Wirtschaft hat sich kräftig erholt, die zuvor zu niedrige Inflation ist mittlerweile ausgeglichen, beim Beschäftigungsziel wurden erhebliche Fortschritte gemacht und die Inflation sowie die Inflationserwartungen sind deutlich über die längerfristigen Ziele der Fed gestiegen. Ein ausgewogeneres Risikokonzept und die Erkenntnis, dass sich ihre Inflationsprognosen als unzuverlässig erwiesen haben, würden die Fed dazu veranlassen, ihre Wertpapierkäufe schneller zurückzufahren und die Zinsen zu normalisieren.

Wirtschaftliche Freiheit: Berücksichtigt die Fed die Wirkungsverzögerung ihrer geldpolitischen Entscheidungen in angemessener Weise?

Sehr gute Frage. Die Antwort lautet „Nein“. In der Vergangenheit wirkte sich die Geldpolitik mit Verzögerungen auf die wirtschaftliche Aktivität und die Inflation aus. Die Erfahrung nach der Finanzkrise 2008/09, als die Wirtschaft nicht auf die Nullzinspolitik und die quantitative Lockerung der Fed reagierte und die Inflation niedrig blieb, war eine Anomalie. Damals blieben die massiven quantitativen Maßnahmen der Fed, die die Bankreserven erhöhten, als Überschussreserven im Bankensystem stecken und stimulierten die Wirtschaft nicht. Diese Zeit hat das aktuelle Denken der Fed stark beeinflusst. Die heutigen Bedingungen sind jedoch ganz anders. Der Anstieg der Geldmenge M2 ist nur ein entscheidender Unterschied. Die wirtschaftliche Aktivität reagiert eindeutig auf die aggressiven geld- und fiskalpolitischen Anreize.

Die Fed betont, dass ihre Politik datenabhängig ist. Dabei werden jedoch die zeitverzögerten Folgen der geldpolitischen Maßnahmen außer Acht gelassen. Dies könnte sich als ein Faktor erweisen, der die Fed dazu verleitet, zu lange zu akkomodierend zu bleiben.

Wirtschaftliche Freiheit: Die Finanzmärkte reagieren unmittelbar und ohne Zeitverzögerung auf Worte und Taten der US-Notenbank. Ein kleiner Fehler kann massive Reaktionen an den Märkten auslösen. Wie wichtig sind die Finanzmärkte für das Vorgehen der Fed? Wie sehr schränken die Finanzmärkte und die fiskalische Dominanz die Handlungsfreiheit der Notenbank ein?

Mickey Levy: Die Beziehung zwischen den Finanzmärkten und der Fed ist sehr ungesund. Klar ist, dass die Fed Angst hat, etwas zu tun oder zu sagen, was die Finanzmärkte erschüttern oder verunsichern könnte. Ohne diese Bedenken hätte die Fed höchstwahrscheinlich schon viel früher begonnen, ihre Wertpapierkäufe zu reduzieren. Die hohe und steigende Staatsverschuldung und das schiere Ausmaß der Fed-Bilanz bergen die Gefahr einer fiskalischen Dominanz. Das ist ein sehr komplexes Thema. Zusätzlich zur fiskalischen Dominanz muss die Fed ihre Geldpolitik in einem hochgradig aufgeladenen politischen Umfeld betreiben, in dem einzelne Kongressabgeordnete versuchen, mehr Einfluss auf die Fed zu nehmen. Dies erschwert der Fed die Durchführung der Geldpolitik zusätzlich.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hinweis: Das Gespräch führte Dr. Jörn Quitzau (Berenberg Bank). Er besorgte auch die Übersetzung.

Zur Person:

Dr. Mickey Levy ist Berenberg Chefvolkswirt für die USA und Asien. Daneben berät er mehrere US-amerikanische Federal Reserve Banken, unterhält enge Beziehungen zur EU-Kommission und der Bank of Japan und ist mitunter Teilnehmer des US-amerikanischen „Congressional Budget Offices Panel of Economic Advisors“. Seit 1983 ist Dr. Levy Mitglied des „Shadow Open Market Committee“, einer renommierten unabhängigen Forschungseinrichtung, die die Geld- und Bankpolitik der Federal Reserve und der Zentralbank kritisch begleitet. Dr. Levy spricht regelmäßig vor Ausschüssen des US-amerikanischen Kongresses zu Themen der Wirtschaft, Politik und Finanzen. Er war 15 Jahre lang Chefvolkswirt der Bank of America.

Blog-Beiträge „Stimme aus Amerika“:

Fiskalische Dominanz gefährdet die Unabhängigkeit des Fed. Chefvolkswirt Dr. Mickey Levy im Interview (6. Juli 2021)

3 Antworten auf „Stimme aus Amerika (2)
Die US-Notenbank Fed reagiert zu langsam auf die Inflationsdynamik
Chefvolkswirt Dr. Mickey Levy im Interview

  1. „reagiert zu langsam“: Wenn es wie erwartet kommt, wird die FED im November beginnen weniger Anleihen zu kaufen. Im Sommer nächsten Jahres werden dann keine zusätzlichen Anleihen mehr gekauft, nur noch die Höhe der vorhandenen Bestände gehalten. Ich halte das für ein sehr hohes Tempo und es wird spannend werden wie die Kapitalmärkte damit umgehen. Ob die Inflation sich dann auf 2% oder 3% einpendeln wird, wird man sehen. Hätte man zB schon in diesem Sommer mit der Reduktion begonnen, hätte das mMn keine oder nur eine geringe Wirkung gehabt. War aber Wahlkampf in der USA.

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