Die Kryptowährung Bitcoin sorgt weiterhin für Schlagzeilen. Für Spekulanten bleibt sie weiter interessant. Manche Beobachter sehen in dem Bitcoin mit seiner strikten Mengenobergrenze zudem ein Vorbild für die etablierten Währungen. Doch dies ist ein Trugschluss. Als Währung wäre der Bitcoin ungeeignet, weil er in krisenhaften Situationen zu unflexibel ist.
Der Bitcoin und andere Kryptowährungen[1] haben 2021 wieder für Schlagzeilen gesorgt. Erneut spielten dabei die rasanten Kursbewegungen eine Hauptrolle. Hinzu kam: Die Europäische Zentralbank hat im Oktober eine zweijährige Untersuchungsphase zur Einführung einer digitalen Zentralbankwährung („E-Euro“) gestartet. Aus Finanzmarkt- und Bankensicht ist das Projekt des E-Euro spannend und interessant.[2] Es wirft viele Detailfragen auf, die insbesondere die Prozesse und Geschäftsmodelle der Geschäftsbanken berühren. Für den Verbraucher ist der E-Euro hingegen denkbar unspektakulär. Sollte er kommen, wäre er das digitale Pendant zum Bargeld. Auch wenn es seltsam klingt, aber ein digitaler Euro wäre quasi unbares Bargeld. Der Verbraucher bekäme zu der ohnehin schon großen Zahl von Bezahlmöglichkeiten eine weitere hinzu. Das bestehende Geldsystem würde somit um eine Facette erweitert.
Abseits der Diskussion um digitale Zentralbankwährungen wird immer wieder die Systemfrage gestellt: Ist der Bitcoin (oder sind andere Kryptowährungen) besser als die etablierten Papiergeldwährungen? Diese Frage lässt sich schon deshalb nicht pauschal beantworten, weil die Zahl der Kryptowährungen unübersichtlich groß ist. Zum Jahresende 2021 listet die Website Coinmarketcap.com insgesamt 8.622 Kryptowährungen namentlich auf (Stand: 29.12.2021).[3] Es mag sein, dass sich darunter das ein oder andere Modell findet, dessen Design geeignet wäre, ein besseres Geld- und Währungssystem zu begründen. Für die weitere Analyse soll jedoch der Bitcoin im Mittelpunkt stehen.
Der Bitcoin war nicht nur die erste Kryptowährung, sondern er genießt bis heute die größte Bekanntheit und die höchste Marktkapitalisierung. Mit rund 900 Mrd. US-Dollar ist die Marktkapitalisierung des Bitcoin ziemlich genau doppelt so hoch wie die der zweitplatzierten Währung Ethereum und zehnmal so hoch wie die des drittplatzierten Binance Coin. Insgesamt steuert der Bitcoin rund 40 % zur gesamten Marktkapitalisierung aller Kryptowährungen bei (Stand: 29.12.2021).
Was macht den Bitcoin für Spekulanten und für einige Geldtheoretiker so interessant? Letztlich ist es die – vermeintliche – Knappheit des Bitcoin.[4] Es gibt eine harte Obergrenze von 21 Millionen Einheiten. Aktuell sind bereits 18,9 Millionen Einheiten „geschürft“. Da das „Schürfen“ neuer Bitcoin im Zeitablauf immer komplizierter wird, wird sich die Anzahl der Bitcoin der Obergrenze von 21 Millionen Einheiten in den nächsten Jahren asymptotisch nähern. Aus dieser – vermeintlichen – Knappheit ergibt sich für Spekulanten Kursfantasie und für einige Geldtheoretiker die Hoffnung, der Geldschwemme der Zentralbanken („Geldschöpfung aus dem Nichts“) ein stabileres Geldsystem entgegensetzen zu können.
Konkurrenz durch private (Krypto)Währungen kann hilfreich sein. Den Zentralbanken kann so ein Spiegel vorgehalten und die Geldpolitik diszipliniert werden. Ein Geld- und Währungssystem in der Art des Bitcoin sollte sich allerdings niemand wünschen. Es würde nicht funktionieren. Es funktioniert schon als Parallelsystem zu den etablierten Währungen lediglich für spekulative Zwecke. Als Transaktions- oder Tauschmittel führt es ein Nischendasein. Das ist kein Wunder, denn solange die Preise derart rasant schwanken, hat eine Marktseite kein Interesse, den Kauf in Bitcoin abzuwickeln: In Phasen steigender Bitcoin-Kurse wird niemand mit Bitcoin bezahlen wollen, weil schon in wenigen Tagen die Kaufkraft eines Bitcoin kräftig weiter gestiegen sein kann – die Deflation lässt grüßen. In Phasen fallender Bitcoin-Kurse wollen Verkäufer hingegen nicht in Bitcoin bezahlt werden, weil der Verkaufserlös binnen kurzer Zeit dahinschmelzen kann (Ausnahme: spekulativ eingestellte Verkäufer, die auf diese Weise ihre Bitcoin-Bestände erhöhen möchten). An diesem grundsätzlichen Problem ändern auch Meldungen wenig, dass inzwischen einige größere Unternehmen Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptieren. Solche Meldungen helfen eher, das positive Bitcoin-Narrativ am Laufen zu halten und die spekulativen Käufe weiter anzuheizen.
Das Bitcoin-Konzept als Ersatz für das bestehende Geld-System würde schon gar nicht funktionieren. Die erste Welle der Corona-Krise gibt Anlass zu einem kurzen Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, es gäbe angelehnt an die ursprüngliche Bitcoin-Idee eine Geldpolitik, die quasi durch einen Autopiloten gesteuert wird. Was würde in einer Krise passieren, wie wir sie im Frühjahr 2020 durch die Corona-Pandemie erlebt haben? Wäre das Geldangebot wie beim Bitcoin starr gewesen, hätten die Wirtschaft und die Bürger sehr schnell vor einem gewaltigen Problem gestanden. Die Wirtschaftsakteure erhöhen in solchen Krisen-Zeiten aus Vorsichtsmotiven ihre Geldnachfrage, doch die zusätzlich nachgefragte Liquidität kann in einer Bitcoin-Welt von niemandem angeboten werden.
Aus ökonomischer Sicht war die erste Corona-Welle – und in schwächerer Form waren es auch die weiteren Wellen – eine Liquiditätskrise: Während die Kosten weiterliefen, fehlten den Unternehmen aufgrund des Shutdowns die Einnahmen. Wer konnte nun die Liquidität bereitstellen, die für Löhne, Gehälter, Mieten etc. benötigt werden? Wegen der extremen einzel- und gesamtwirtschaftlichen Unsicherheiten waren normale Überbrückungskredite kaum verfügbar. Ohne Zentralbanken, die im Vorgriff auf eine spätere Normalisierung das akut erforderliche Geld aus dem Nichts schaffen können, wäre das System wohl kollabiert. Oder um es zuzuspitzen: Wenn es keine Zentralbanken mit Geldschöpfungsbefugnissen gegeben hätte, man hätte sie in einer solchen Notlage wohl schnellstens erfinden müssen. Insofern wären der Bitcoin oder andere Systeme mit geldpolitischem Autopiloten reine Schönwetterveranstaltungen.
Problematisch ist nicht, dass die Zentralbanken in wirtschaftlich turbulenten Zeiten ihrer Funktion als „lender of last resort“ oder „lender of last liquidity“ nachkommen. Problematisch ist aber, wenn sie in wirtschaftlich normalen Zeiten nicht wieder aus dem Krisenmodus herausfinden. Das ist in der Tat eine große Herausforderung, denn die Zentralbanken mussten zuletzt zu oft Versäumnisse an anderer Stelle ausbügeln. Die allgemeine Wirtschaftspolitik darf nicht weiter sachfremde Aufgaben bei der Zentralbank abladen. An dieser Stelle müssen Reformen ansetzen. Gefährliche Experimente und eine Revolution des Geldwesens brauchen wir deshalb allerdings nicht.
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[1] Gemäß dem Glossar der Bundesbank bezeichnet der Begriff Währung das hoheitlich geregelte Geldwesen eines Staates oder Gebietes. Nach dieser Definition können private, dezentral organisierte Kryptowährungen keine Währungen sein. Da sich die der Begriff im Sprachgebrauch inzwischen durchgesetzt hat, wird er auch in diesem Beitrag genutzt.
[2] Einen guten Überblick über den aktuellen Stand des Projektes gibt das Interview der Börsen Zeitung mit dem Bundesbank-Vorstand Burkhard Balz: „Der digitale Euro ist ein Jahrhundertprojekt“
[3] Vgl. https://coinmarketcap.com/?page=87.
[4] Es handelt sich nur um eine vermeintliche Knappheit, weil jederzeit ein Duplikat des Bitcoin-Systems in die Welt gesetzt werden könnte. Die rapide gestiegene und weiter steigende Zahl der Kryptowährungen zeigt, dass die „Geldschöpfung“ im Krypto-Sektor prinzipiell ohne jedes Limit ist. Das virtuelle Geld vermehrt sich also viel schneller als es den Kritikern der Papiergeldwährungen lieb sein kann.
Für einen breiteren Überblick über Bitcoin & Co. vgl. Berenberg/HWWI, Die Zukunft des Geldes – Das Geld der Zukunft und Berenberg/Börsen Zeitung, Kryptowährungen – zwischen Hype und Skepsis.
Blog-Beiträge zum Thema:
Uwe Vollmer (2018): Krypto-Währungen: Fluch oder Segen?
Gunther Schnabl (2021): Vorsicht vor dem Bitcoin? – Vorsicht vor dem Euro?
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