Gastbeitrag
Kommt jetzt eine US-Rezession?

Amerikaner haben miese Stimmung…
Die Stimmung in der US-Wirtschaft hat sich zuletzt deutlich eingetrübt. Einige regionale Umfragen zum Geschäftsklima in der Industrie sind im Mai unter die Marke von null Punkten gefallen, den niedrigsten Stand seit der Corona-Krise im Frühjahr 2020. Das Verbrauchervertrauen hat einen noch deutlicheren Schlag versetzt bekommen und liegt noch tiefer als zu Zeiten von Corona (Abbildung 1).

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… aber droht tatsächlich eine Rezession?
Es ist daher kein Wunder, dass Anleger und Beobachter verstärkt über Rezessionsrisiken diskutieren. Was ist dran an diesen Sorgen? Um diese Frage zu beantworten, haben wir die üblichen Verdächtigen untersucht, die eine Rezession auslösen könnten.

Risiko 1: Die Fed
Hauptverdächtige bei der Auslösung einer Rezession ist immer die Fed. Geldpolitische Bremsmanöver, um Inflation zu bekämpfen (oder Luft aus Asset-Blasen zu lassen – ein besonders riskantes Manöver wie die Beispiele 1929 und 2007 zeigen) würgten in der Vergangenheit sehr oft das Wachstum ab.

Auch jetzt steht die Bekämpfung von Inflation mittels restriktiverer Geldpolitik ganz oben auf der Tagesordnung der US-Notenbank. Deren Chef Jerome Powell hat sich – für die Fed sehr ungewöhnlich – bei der letzten Sitzung direkt an die Öffentlichkeit gewandt und versprochen, die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Fed hat dazu eine Reihe von 50-Bp-Schritten in Aussicht gestellt, um den Leitzins rasch auf ein neutrales Niveau zu bringen. Wir gehen davon aus, dass auf Jahressicht der Leitzins auf 3,50% steigt. Es gibt zwar auch Beispiele, wo der Fed eine „sanfte Landung“ gelungen ist (etwa 1994), meistens aber endeten Zinserhöhungen mit einer Rezession. Die geldpolitische Warnlampe für einen Abschwung blinkt also zumindest.

Im Unterschied zu anderen Zyklen dürfte der Realzins aber sehr gering bleiben. Auch wenn die Fed den Leitzins wie von uns prognostiziert bis Frühjahr nächsten Jahres auf 3,5% anhebt, dürfte er damit nur geringfügig über der Inflationsrate liegen und der Realzins deshalb nur leicht positiv sein (Abbildung 2). Insgesamt sollten daher die Zinserhöhungen die Wirtschaft zwar bremsen, aber nicht so stark, dass mit einer Rezession zu rechnen ist.

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Risiko 2: Fiskalpolitik
Die wirtschaftlichen Sorgen werden dadurch verstärkt, dass es neben der Fed weitere Belastungsfaktoren gibt. Eine beispiellos expansive Fiskalpolitik hat dazu beigetragen, dass die Wirtschaft so rasch aus der Krise herausgewachsen ist. Allerdings hat man es mit der Dosierung wohl deutlich übertrieben, was zu einer Überhitzung der Wirtschaft und damit zu den aktuellen Inflationsproblemen beigetragen hat.

Jetzt hat sich der Wind hier gedreht. Die Mittel der großen Stimulierungspakete sind längst ausgezahlt, und zusätzliche Ausgabenprogramme sind im Kongress steckengeblieben. Das Defizit hat sich daher unerwartet zügig verringert, wobei auch die durch die hohe Inflation aufgeblähte Steuerbasis einen Beitrag geleistet hat. Jedoch fällt auch das konjunkturbereinigte Defizit, nach unseren Schätzungen in diesem Jahr gemessen am BIP um 8 Prozentpunkte (Abbildung 3). Selbst wenn man für die Staatsausgaben einen relativ geringen Multiplikator von 0,5 ansetzt (ein Dollar zusätzliche Staatsausgaben erhöht das BIP um 0,5 Dollar), würde die Finanzpolitik das BIP-Wachstum 2022 also um 4 Prozentpunkte drücken. Dies fällt allerdings nicht auf, weil gleichzeitig mit dem Abflauen der Pandemie starke Kräfte in die andere Richtung wirken. Und für nächstes Jahr zeichnet sich keine weitere Dämpfung, sondern eine neutrale Finanzpolitik ab.

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Risiko 3: Energieschock
Ein anderer „klassischer“ Auslöser von wirtschaftlichen Problemen ist ein Energiepreisschock, wie er in den letzten Monaten zu beobachten war. Die stark steigenden Energiepreise hinterlassen – wie in anderen Ländern auch – deutliche Spuren. So kostet Benzin für die US-Verbraucher aktuell 44% mehr als vor einem Jahr. Innerhalb von zwei Jahren hat sich der Benzinpreis sogar mehr als verdoppelt. Erdgas ist ebenfalls teurer geworden, wenn auch lange nicht im selben Ausmaß wie in Europa. Die Verbraucher mussten zuletzt 4,3% ihres verfügbaren Einkommens für Energie ausgeben (2017-19 waren es im Durchschnitt 3,7%).

Die Belastungen sind aber nicht auf die Verbraucher beschränkt. Zur groben Abschätzung der gesamtwirtschaftlichen Belastungen berechnen wir unter der Annahme eines unveränderten Verbrauchs von Öl und Gas, was die USA für Öl und Gas mehr ausgeben müssten. Unter den weiteren Annahmen eines durchschnittlichen Rohölpreises von 105 Dollar je Barrel für 2022 (2021: 70 Dollar/Barrel) und ebenfalls höherer Gaspreise würde die Öl- und Gasrechnung 2022 um gut 1,3% des BIP höher ausfallen als 2021.

Eine höhere Rechnung für die Importe von Öl ist für die Volkswirtschaft ein Kaufkraftabfluss ins Ausland und somit eine Netto-Belastung. Allerdings sind die USA selbst ein großer Produzent von Öl und Gas. Somit bleibt ein erheblicher Teil dieses Kaufkraftabflusses von den Ölverbrauchern im Inland hängen und ist daher nur eine Umverteilung und kein Netto-Abfluss. Dies dämpft den gesamtwirtschaftlichen Bremseffekt der höheren Energiepreise, zumal es zu steigenden Investitionen in die Ölförderung kommt. Beispielsweise zeichnet sich für das zweite Quartal für den Wirtschaftsbau, zu dem die Öl- und Gasindustrie zählt, erstmal seit mehr als einem Jahr wieder ein leichtes Plus ab. Dies wird zwar kaum ausreichen, den Energieschock vollständig zu dämpfen. Es bleibt somit bei einer Belastung für die US-Volkswirtschaft, die aber kaum so stark sein dürfte, eine Rezession auszulösen

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Risiko 4: Immobilienmarkt
Schließlich zeigen sich auch am Immobilienmarkt, der oft den Takt für die Gesamtwirtschaft vorgibt, Schwierigkeiten. (1)

Aktuell ist der amerikanische Immobilienmarkt noch extrem angespannt. Bei Bestandsimmobilien entsprechen die zum Verkauf angebotenen Häuser rechnerisch gerade einmal den Verkäufen von zwei Monaten. Normal sind hier etwa 5 bis 6 Monate. Die Preise steigen daher drastisch und lagen im Februar um fast 20% höher als ein Jahr zuvor. In den letzten zehn Jahren legten die Immobilienpreise um durchschnittlich 8% im Jahr zu. Materialengpässe und knappes Bauland verhinderten eine stärkere Ausweitung des Angebots, was eine Entlastung bei den Preisen verhinderte.

Jetzt zeichnet sich aber eine Beruhigung ab. Die Hypothekenzinsen sind seit Ende 2021 um mehr als 2 Prozentpunkte gestiegen und lagen im Mai bei knapp 51/4 % (Abbildung 5). Dies ist der höchste Wert seit 2009. Der Wohnungsbau ist der zinssensitivste Bereich der US-Wirtschaft. Die steigenden Finanzierungskosten werden daher mittelfristig zu einer Abkühlung führen.

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Der Wohnungsbau wird auf Jahressicht das Wachstum damit eher belasten. Das Risiko, dass ein abruptes Ende des Immobilienpreisanstiegs eine größere Krise auslöst, sehen wir allerdings nicht. Denn anders als 2005/06 – dem Hochpunkt der Immobilienblase – ist die Kreditqualität deutlich höher und der Schuldenstand der privaten Haushalte deutlich niedriger (die Hypothekenkredite entsprachen 2007 fast 100% des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte, 2021 dagegen nur etwas mehr als 60%).

Ein weiterer Unterschied zur Immobilienkrise nach 2007 begrenzt die Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Damals waren nicht nur die Häuserpreise stark gestiegen, sondern auch die Bautätigkeit hatte geboomt. Diesmal sind nur die Preise deutlich geklettert. Der Anteil des Wohnungsbaus am BIP befindet sich diesmal nur auf seinem langjährigen Durchschnitt (Abbildung 6). Teilweise bremsten fehlende Grundstücke und restriktive Planungsgesetze, teils fehlten Material und Arbeitskräfte, um geplante Vorhaben auch umzusetzen. Entsprechend rechnen wir bei den Wohnungsbauinvestitionen nur mit einer leichten Korrektur und keinem Einbruch.

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Fazit: Joe Sixpack und Jane Doe verhindern Rezession
Damit sehen wir eine Reihe von Belastungsfaktoren, von denen keiner für sich genommen die Wirtschaft in die Rezession treiben sollte. Insgesamt summieren sich diese Effekte natürlich, sodass eine spürbare Verlangsamung des Wachstums wohl unvermeidlich ist. Wir erwarten, dass die Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2023 weitgehend stagniert, wenn die Zinserhöhungen mit den üblichen Wirkungsverzögerungen ihre maximale Wirkung entfalten. Sollten neben den aufgeführten Belastungen weitere Schocks auftreten, wäre eine Rezession wohl kaum zu vermeiden. Es ist daher ein recht schmaler Pfad, der zu einem glimpflichen Ausgang führt; dieses Bild hat Fed-Chef Jerome Powell verwendet.

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Für die Absicherung des Wachstums dürfte einmal mehr der geradezu unverwüstliche private Verbrauch sorgen. Die schlechte Laune der Konsumenten hat hier nicht zu größerer Kaufzurückhaltung geführt. Nach einem robusten Start in das zweite Quartal ist davon auszugehen, dass der private Verbrauch preisbereinigt im zweiten Quartal um beachtliche 4,5% (Jahresrate gegen Vorquartal) zulegt. Die hohe Inflation reduziert zwar die Kaufkraft der Konsumenten, doch legen die Einkommen wegen der höheren Löhne und der kräftig steigenden Beschäftigung noch stärker zu. Zuletzt pendelte sich der Anstieg der Lohneinkommen bei etwa 10% gegenüber dem Vorjahr ein (Abbildung 7). Außerdem können die Verbraucher auf ihre während der Pandemie deutlich aufgestockten Ersparnisse zurückgreifen, um Belastungen abzufedern.
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(1) vgl. Edward Leamer: Housing IS the business cycle, 2007

Bernd Weidensteiner und Christoph Balz
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