Die verbindliche Auskunft im Steuerrecht
Einige normative Überlegungen zu Rechtssicherheit und Konstanz der Wirtschaftspolitik

Das deutsche Steuersystem gilt als relativ kompliziert und umfaßt eine Vielzahl von Regelungen, die sich auf Einzelheiten beziehen und nicht immer konsistent aufeinander aufbauen. Damit der Steuerpflichtige bei einer für ihn steuerlich relevanten Entscheidung Klarheit über die steuerlichen Folgen erlangen kann, besteht gemäß § 89 Abs. 2 AO die Möglichkeit, bei den zuständigen Finanzbehörden einen Antrag auf verbindliche Auskunft zu stellen. In § 89 Abs. 3 AO heißt es weiter: „Für die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft nach Absatz 2 wird eine Gebühr erhoben. … Die Gebühr ist vom Antragsteller innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe ihrer Festsetzung zu entrichten. Die Finanzbehörde kann die Entscheidung über den Antrag bis zur Entrichtung der Gebühr zurückstellen.“ So gelangt der Steuerpflichtige nicht nur in die Bredouille, daß er schlafende Hunde weckt und sich die Fiskalbehörden ausführlich des Falles annehmen, sondern er muß auch noch dafür bezahlen. Böse Zungen könnten behaupten, daß es sich dabei um ein lukratives Geschäftsmodell der Finanzverwaltung handelt.

Reflektiert man diesen Sachverhalt aus ordnungsökonomischer Sicht, so gelangt man zu einer eher negativen Würdigung:

Das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland basiert – trotz einer zunehmenden Einflussnahme durch den Staat – überwiegend auf Privateigentum und dezentraler Entscheidungsfindung. Eine Lenkung der Ressourcen und die Verteilung der Güter erfolgt vornehmlich über Märkte – sie koordinieren die unterschiedlichen Pläne der Wirtschaftssubjekte, die Ausfluss der individuellen Ziele und Restriktionen sind. Dem Staat wird teilweise eine korrigierende Funktion zugewiesen im Falle, daß die Marktergebnisse bestimmten gesellschaftlichen Normen nicht entsprechen. Ein derartiges Wirtschaftssystem bedarf nach Ansicht der Ordnungsökonomie eines Ordnungsrahmens (siehe insbesondere Eucken 1952), der den Marktteilnehmen Rechtssicherheit bietet und ihnen erlaubt, ihre Ansprüche im Zweifel gerichtlich durchzusetzen. Wirtschaftspolitik in einem derartigen System sollte den konstituierenden Prinzipien entsprechen, zu denen auch die Forderung nach Konstanz der Wirtschaftspolitik gehört.

Zentral bei dieser Forderung ist der Sachverhalt, daß Entscheidungen auf Erwartungen bezüglich ihrer Konsequenzen beruhen. Dies gilt für positive wie negative Handlungskonsequenzen gleichermaßen – erwartete Kosten und Nutzen bestimmen die Entscheidung. Auf Unternehmensebene bedeutet dies, daß die zu erwartenden Auszahlungen und Einzahlungen einer Investition abgewogen werden und unter der Maßgabe eines rationalen Akteurs eine Entscheidung für eine Investition dann getroffen wird, wenn die Einzahlungen die Auszahlungen (barwertig betrachtet) überschreiten – dann liegt ein positiver Kapitalwert vor und die Investition ist aus ökonomischer Sicht vorteilhaft. Ein kompliziertes Steuersystem erhöht einerseits die Unsicherheit und führt andererseits zu Kosten der Informationsbeschaffung für den Steuerpflichtigen, was wiederum die Vorteilhaftigkeit der Investition beeinflusst. Sind die steuerlichen Folgen von Entscheidungen nicht absehbar, führt dies tendenziell zur Zurückhaltung. D.h., sofern der steuerpflichtige Akteur die steuerlichen Wirkungen nicht abschätzen kann, wird er, insbesondere dann, wenn er risikoavers ist, eher auf ein Engagement verzichten. Mit anderen Worten: Die Undurchsichtigkeit des Steuerrechts an manchen Stellen bremst die Investitionstätigkeit. Die Konstanz der Wirtschaftspolitik, also in diesem Fall die Vorhersehbarkeit der steuerlichen Folgen einer Investitionsentscheidung, vereinfacht den Entscheidungsprozeß, da sie zumindest in einem Bereich Verbindlichkeit schafft.

Ein für den Steuerpflichtigen in vielen Bereichen undurchsichtiges Steuerrecht steht dieser Forderung massiv entgegen. Das Angebot einer verbindlichen Auskunft kann nun als Versuch gewertet werden, dieses Defizit zu heilen. Inkonsistent ist dabei allerdings, daß die Kosten dafür den Steuerpflichtigen aufgebürdet werden, denn sie reduzieren c.p. den Kapitalwert. Aus ordnungsökonomischer Sicht hilfreicher wäre es vielmehr, das Steuerrecht in einer Weise zu gestalten, daß für den Steuerpflichtigen die Folgen seines Handelns eindeutig ersichtlich sind. Sicherlich gibt es immer Grenzfälle, bei denen eine unterschiedliche Interpretation des Sachverhalts möglich ist. Ist das Steuerrecht allerdings konsistent gestaltet, so lassen sich diese Grenzfälle durch eine teleologische Auslegung zumindest in der Weise interpretieren, daß einem rational entscheidenden Steuerpflichtigen keine Überraschungen drohen.

Literatur

Eucken, W., Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Bern, Tübingen 1952.

Frank Daumann und Florian Follert

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