Wirtschaftliche Freiheit, der Name des Ordnungspolitischen Journals, ist eine Maxime für viele Herausforderungen weit über die Wirtschaftspolitik und Wirtschaftstheorie hinaus. Politische Praxis und Analytik sind gut beraten diese Maxime ernst zu nehmen. Im angelsächsischen Raum ist die politische Ökonomie, zu der wirtschaftliche Freiheit zählt, in der Außen- und Sicherheitspolitik ein gleichermaßen etabliertes wie zunehmend interessantes Forschungsfeld. Das lässt sich exemplarisch an Monographien in führenden Wissenschaftsverlagen ablesen. Ein Schwerpunkt liegt nachfolgend auf einem politikökonomischen Forschungsfeld, das an der George Mason University, Virginia entstanden ist.
Krieg mit anderen Mitteln
Geoökonomie meint das Verwenden wirtschaftlicher Werkzeuge zum Erreichen geopolitischer Ziele und auch umgekehrt den Einsatz geopolitischer Mittel für ökonomische Zwecke. Grundsätzlich kann man unter Geoökonomie das Zusammenspiel zwischen internationaler Wirtschaftspolitik, Geopolitik und Strategie verstehen. Der Begriff tauchte vermutlich erstmals 1990 in einem Artikel von Edward Luttwak auf, der prognostizierte, dass nach dem Kalten Krieg die Bedeutung militärischer Stärke durch geoökonomische Macht abgelöst werden würde.
„War by Other Means. Geoeconomics and Statecraft“[1] ist ein Plädoyer für eine Rückkehr und Erneuerung ökonomischer Techniken der Staatsführung unter der Bezeichnung Geoökonomie. Blackwill und Harris, frühere Angehörige des amerikanischen Außen- und Sicherheitsapparats, verstehen darunter die systematische Verwendung ökonomischer Instrumente und wirtschaftlicher Macht, um geopolitische Ziele zu erreichen, vor allem den Schutz des Staates und eine Verhaltensänderung internationaler Akteure. Der Band bietet die erste moderne monographische Aufarbeitung mit sieben geoökonomischen Werkzeugen (Stand 2016):
1. Handelspolitik, z.B. im Konflikt Russlands mit der Ukraine,
2. Investitionspolitik, z.B. durch Staatsfonds und ausländische Direktinvestitionen sowie Staatsunternehmen,
3. ökonomische Sanktionen, die zwar ein gemischtes Bild hinsichtlich ihrer Wirksamkeit abgeben würden, aber durch Nutzen des US-Dollars als Hebel, den Ausschluss von Märkten und das SWIFT-Systems aufgewertet werden könnten,
4. Cyber mit zumindest partiell ökonomischen Zielen, z.B. der Einsatz von Schadprogrammen wie Stuxnet zur Manipulation des iranischen Atomprogramms oder Ziele aus den Sektoren Finanzen, Energie, IT und Luftfahrt,
5. ökonomische Hilfe, militärisch und humanitär, z.B. traditionell der USA für Ägypten und Saudi-Arabiens im Libanon,
6. Finanz- und Geldpolitik, um die Kosten für die Verschuldung zu beeinflussen, aber auch als Kreditvergabe oder garantierte Kredite und Bailouts wie des IWF an Argentinien und der EU für Zypern, schließlich
7. politische Maßnahmen, die auf den Energiesektor und Gütermärkte wirken, z.B. der Gaslieferstopp Russlands für Teile Europas.
In ihren Ausführungen, die sich ausführlich mit Chinas Außenpolitik und der amerikanischen Außenpolitik im historischen Kontext, ferner dem geoökonomischen Potenzial der USA und der Energie-Revolution befassen, zeigen sie den bereits verbreiteten Einsatz geoökonomischer Mittel durch andere Staaten als die USA. Blackwill und Harris sind überzeugt, mit Hilfe der Geoökonomie ließen sich neue politische Optionen erschließen, neue außenpolitische Mittel nutzen und Veränderungen von Politik und Märkten erzielen, weil Kalkulationen verändert werden würden, ohne Krieg zu führen.
Letztlich stellt sich die Frage, ob das vorgeschlagene Ausüben ökonomischer Macht(mittel) tatsächlich staatlicher Sicherheit dient. Die geopolitische Bilanz der USA seit dem Zweiten Weltkrieg ließe auch den Schluss zu, dass ein weiteres, nicht aber ein geeigneteres Interventionsmittel propagiert wird. Außerdem ist der Versuch, durch wirtschaftliche Sanktionen, Staatsführungen zu einer Kursänderung zu bewegen, in den aktuellen Fällen Russland und Iran wirkungslos geblieben, nicht indes für die Bevölkerungen.
Sanktionen scheitern überwiegend
Sanktionen sind ein verbreitetes politisches Mittel. Geradezu in Mode gekommen sind sogenannte „smart sanctions“ („gezielte Sanktionen“[2]). Ökonomische Sanktionen erreichen regelmäßig nicht die gesteckten Ziele. Eine empirische Untersuchung von über 200 Sanktionsregimen des 20. Jahrhunderts kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich 34% der Fälle und auch nur teilweise erfolgreich waren.
Das seit 1982 führende Standardwerk zur Sanktionsbilanz „Economic sanctions reconsidered“[3] stammt von Gary Clyde Hufbauer et al. und bietet die umfassendste empirische Untersuchung, seit 2007 in 3. aktualisierter und erweiterter Auflage des Stands von 1998.
Das regelmäßige Scheitern hat verschiedene Ursachen:
- Die Kosten von Sanktionen sind für die betroffenen Staatsführungen deutlich geringer als ein politisches Nachgeben.
- Die am Sanktionsregime beteiligten Länder verfolgen keine einheitlichen, sondern widersprechende Interessen hinsichtlich der sanktionierten Länder.
- Sanktionen werden aus nicht öffentlich geäußerten innenpolitischen Gründen verhängt und dienen dann lediglich als Signal der Ablehnung und Bestrafung.
Wirksame Sanktionen müssen einem belastbaren Kosten-Nutzen-Vergleich standhalten. Eine Verhaltensänderung der betroffenen Staatsführung ist nur dann wahrscheinlich, wenn die Sanktionskosten schmerzhafter sind als eine Aufgabe der bisher praktizierten Politik. Erwartungen an die Wirksamkeit von Sanktionen haben sich regelmäßig als aufgebläht und realitätsfremd erwiesen.
Besonders wirksam sind Sanktionen gegen enge Handelspartner und einstige Verbündete. Demokratien sind für wirtschaftlichen Druck anfälliger als Autokratien. Es gibt lediglich schwache empirische Hinweise auf eine stärkere Wirkung von Sanktionen bei ökonomisch schwachen und politisch instabilen Ländern. Eine Kombination von Finanz-, Export- und Import-Sanktionen war immerhin in 40% der Versuche erfolgreich, zugleich besaßen Finanzsanktionen allein ebenfalls eine vergleichsweise starke Wirkung.
Die öffentliche Zustimmung zu Sanktionen kann schnell erodieren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Sanktionen der Bevölkerung häufig erhebliche Kosten auferlegen, anders als verkündet, ohne dass diese das Regierungsverhalten beeinflusst. So sind den Irak-Sanktionen nach 1990 Hunderttausende Kinder zum Opfer gefallen ohne Einlenken von Saddam Hussein.[4]
Auch der in Chicago lehrende Politikwissenschaftler Robert A. Pape hat als erfolgreich geltende Sanktionsregime einer kritischen Prüfung unterzogen. In „Why Economic Sanctions Do Not Work“[5] kam er zu dem Schluss, dass von den im Jahr 1990 ausgewiesenen 40 erfolgreichen Fällen (von 115) lediglich fünf einer sorgfältigen Überprüfung standhalten. Sein Fazit korreliert mit der Untersuchung von Hufbauer et al: “… there is little empirical support that economic sanctions can achieve ambitious foreign policy goals”.
Imperialismus und Propaganda
Weitreichende Einsichten bieten die Analysen von Christopher Coyne, Professor of Economics George Mason University und stellvertretender Direktor des F. A. Hayek Program. Sein politikökonomischer Ansatz nutzt insbesondere Erkenntnisse der Public Choice und der Österreichischen Schule für außen- und sicherheitspolitische Phänomene sowie deren innenpolitische Rückwirkungen.
In „After War. The Political Economy of Exporting Democracy”, Stanford University Press 2007, zeigt Coyne auf, warum militärische Operationen mit dem Ziel eines Wiederaufbaus öfter scheitern als sie gelingen. Für den damals jungen liberalen Ökonomen ist das effektivste Mittel für den Export liberaler Demokratien kein Militäreinsatz, sondern die Beseitigung aller Handelsbarrieren mit so vielen Ländern wie möglich. Auch Sanktionsregime seien nicht geeignet, den beabsichtigten Wandel herbeizuführen. Nichteinmischung und Freihandel würden eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten schaffen und so für einen Entwicklungsschub sorgen.
In “Manufacturing Militarism. U.S. Government Propaganda in the War on Terror“, Stanford University Press 2021, machen Coyne und Abigail Hall, Associate Professor in Economics at the University of Tampa, an der George Mason University promoviert, deutlich, dass es ein massives Principal Agent Problem gibt, weil die Bürger als Wähler keinen Einfluss auf die Politiker als ihrer Vertreter nehmen können. Weder können sie sie kontrollieren, noch haben sie Anreize und Möglichkeiten die Informationsasymmetrie zu überwinden. Zugleich können die Politiker und außerdem die Bürokraten ihr eigenes Interesse verfolgen – auf Kosten und gegen die Interessen der Bürger. Zugleich haben die Politiker nur beschränkte Einflussmöglichkeiten auf die sich selbst verstetigende Bürokratie, die nach mehr Stellen und mehr Budget strebt, weil das ihr Erfolgsmaßstab ist.
Die Anwendung von Propaganda ist dadurch gekennzeichnet, dass die Staatsführung als Elite mit einem sorgfältig geschützten Informationsmonopol auftritt und die Bevölkerung als Gegner betrachtet, die manipuliert werden muss, damit die Ziele der Staatsführung gegen die Interessen der Bürger realisiert werden können.
Coyne und Hall zeigen, dass und wie die US-Regierung die Bevölkerung systematisch mit Propaganda überzogen hat, um einen ungerechtfertigten Krieg (Irak) zu führen und zu verlängern, um eine positive patriotische Haltung der Bevölkerung zu erzeugen, die durch Militärpropaganda im Sport befördert wird, eine gigantische, weitgehend nutzlose Sicherheitsbehörde im Flugverkehr aufgebaut hat und schließlich Hollywoodfilme an die Wünsche des Militärs angepasst werden.
Propaganda verändert das Verhältnis von Bürgern und Staat. Die Bürger stehen dem Staat im Weg. Täuschung wird zum Alltag. Diese Praxis kann auf andere Bereiche überschwappen.
Die Folgen im Inland haben Christopher Coyne und Abigail Hall zuvor in „Tyranny Comes Home: The Domestic Fate of U.S. Militarism“, Stanford University Press 2018, aufgezeigt. Durch den Import von Kriegspraktiken aus Auslandseinsätzen unter anderem durch Kriegsteilnehmer würden der Polizeistaat gestärkt und die zivilen Freiheiten eingeschnürt. Fallstudien zeigen wie im Ausland kaum kontrollierte Praktiken sozialer Kontrolle erprobt und importiert werden. Infolgedessen kommt es nicht nur zu einer Militarisierung der Polizei und unangemessener Überwachung durch Drohnen, sondern sogar zum Einsatz von Folter. Dieser Bumerang-Effekt dehnt den Staatssektor aus, nicht zuletzt indem Angst geschürt und zugleich staatliche Sicherheit angeboten und durch die Bürger akzeptiert wird
“In Search of Monsters to Destroy. The Folly of American Empire and the Paths to Peace”, Independent Institute 2022, primär aus Aufsätzen von Christopher Coyne hervorgegangen, folgt der Frage, warum eine international liberale Ordnung unmöglich mit illiberalen Mitteln errichtet werden kann. Eine kurze Antwort lautet, weil imperialistische Praktiken im Ausland keine liberalen Werte etablieren können und im Inland ebenfalls antifreiheitlich wirken. Außerdem leidet diese Politik unter einem unheilbaren Wissensmangel. Ursächlich ist die nicht erkannte Verwechselung eines technischen Problems, d.h. die Perspektive und Praxis, ein einziges Ziel planmäßig durch einen Staatsapparat über Anweisungen zu verfolgen, mit einem Koordinationsproblem, bei dem viele, unverbundene, vielfach kaum definierte und im Widerspruch stehende Ziele vieler Individuen in friedlicher und produktiver Art und Weise koordiniert werden müssen. Noch kürzer: Staatsbürokratie ist ungeeignet für die Lösung marktwirtschaftlicher und pluralistischer gesellschaftlicher Herausforderungen.
Fazit und Ausblick
Internationale Politische Ökonomie kann mit dem amerikanischen Politikwissenschaftler Robert Gilpin (1930-2018), Princeton University, als reziproke und dynamische Interaktion in internationalen Beziehungen im Streben nach Wohlstand und Macht definiert werden.[6]
Interventionismus lässt sich als Geschichte der Fehlschläge erzählen, als Missachtung ökonomischer Gesetzmäßigkeiten, und die Alternative als Entmachtung durch deren Beachtung. Offen erscheint, ob es sich wie bei der Entwicklungshilfepolitik und zahllosen Fällen der Wirtschafts- wie der Geldpolitik um „Doing Bad by Doing Good“ handelt, oder ob das vermeintlich Gute lediglich Propaganda ist und die Sonderinteressen der Akteure verdeckt. So wirken die gewaltsamen Versuche, Terrorismus einzuschränken nur bedingt und verdecken die Alternative, über verbesserte Lebensbedingungen Terrorismus eine Grundlage zu entziehen, statt den Preis für terroristische Aktivitäten hochzutreiben.[7] Relevant ist dabei auch, dass die Bürger nur bedingt rational handeln, weil sie gegen ihre Interessen eine in mittel- und langfristiger Sicht schädliche Politik unterstützen. Das ist der Mythos des rationalen Wählers.[8]
Die relativ junge Disziplin der Internationalen Politischen Ökonomie schließt an die klassische Politische Ökonomie an, darunter John Stuart Mills Grundsätze der politischen Ökonomie. Ein Jahrhundert später hat Ludwig von Mises in umfangreichen Arbeiten das kontraproduktive Wesen des Interventionismus in der Wirtschaft analysiert, u.a. in „Interventionism. An Economic Analysis“ (1940), posthum herausgegeben von Bettina Bien Graves (1998). Das Spannungsfeld zwischen Fremd- und Selbstbestimmung durchzieht alle Lebensbereiche; es kann mit ökonomischen Perspektiven und Methoden heute auch in der Außen- und Sicherheitspolitik erhellend bearbeitet werden.
[1] Robert D. Blackwill, Jennifer M. Harris: War by Other Means. Geoeconomics and Statecraft, Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge, London 2016.
[2] Dazu gehören je nach Definition vor allem Finanzsanktionen, Handelsrestriktionen, Reiseeinschränkungen, Flugbeschränkungen sowie kulturelle und sportliche Restriktionen. Das Konzept der „Smart Sanctions“ entstand im Jahr 2000 infolge der wesentlich sanktionsbedingten humanitären Katastrophe im Irak zuvor.
[3] Gary Clyde Hufbauer, Jeffrey J. Schott, Kimberly Ann Elliot, Barbara Oegg: Patterson Institute for International Economics, 3. Auflage 2007.
[4] Die Kinder waren tatsächlich Opfer von drei unheilsamen, zusammenwirkenden Faktoren: Kriegsfolgen, Sanktionsregime und Instrumentalisierung des Regimes durch Saddam, der Opfer für politische Zwecke suchte.
[5] Robert A. Pape: Why Economic Sanctions Still Do Not Work, in: International Security 23 (1998), 66-77.
[6] Eine Einführung bietet z.B. Benjamin J. Cohen: Advanced Introduction to International Political Economy, Elgar, 2. Aufl. Cheltenham 2019.
[7] Anschaulich sichtbar in klassischen Angebots-Nachfrage-Diagrammen bei Peter J. Boettke and Christopher J. Coyne, Liberalism in the Post-9/11 World (February 1, 2006). Indian Journal of Economics & Business, Special Issue, pp. 35-53, 2007, SSRN: https://ssrn.com/abstract=887424
[8] Bryan Caplan: The Myth of the rational voter, Princeton University Press, Princeton 2007.
Blog-Beiträge zum Thema:
Norbert Berthold (2022): Die Politik wirtschaftlicher Sanktionen. Ökonomisch kostspielig, politisch ineffizient?
Reiner Eichenberger und David Stadelmann (2023): Wie Sanktionen sanktionierte Regime stärken können
Norbert Berthold (2023): Ukraine, Sanktionen und Resilienz. Das Wichtigste zuerst