Gastbeitrag
Gegenüber China in die Offensive kommen!

Beim Weltwirtschaftsforum 2024 in Davos betonte Li Qiang als ranghöchster chinesischer Gast, dass China ein vertrauenswürdiges Land sei, das sich an völkerrechtliche Verträge halte und für ein regelbasiertes, multilaterales System eintrete. China werde weiterhin Motor der globalen Wirtschaftsentwicklung und offen für ausländische Investoren sein. Gleichzeitig zielt China mit der Doppelstrategie aus Neuer Seidenstraße und Made in China 2025 auf die weltweite Technologieführerschaft in wesentlichen Bereichen. Sein staatskapitalistisches System will es als alternatives Wohlstandsmodell etablieren und damit den Westen destabilisieren. Die EU sollte auf die protektionistische und interventionistische Strategie Chinas nicht mit undifferenziertem Protektionismus und Verleugnung westlicher Werte reagieren, darf aber auch nicht naiv sein. Wesentlich ist, die eigene Wettbewerbsfähigkeit und internationale Kooperationen zu stärken.

Die wirtschaftliche Entwicklung Chinas verläuft nach vielen sehr guten Jahren zuletzt enttäuschend. Neben einem rasanten Anstieg der privaten und öffentlichen Verschuldung kämpft die Volksrepublik mit einer Immobilienkrise. Das Vertrauen der chinesischen Bevölkerung, aber auch ausländischer Unternehmen ist durch die drastischen Maßnahmen während der Corona-Pandemie deutlich gesunken. Hinzu kommen die geopolitischen Spannungen, Rechtsunsicherheit sowie ein steigender Einfluss der chinesischen Regierung auf die Wirtschaft. Zudem betreiben insbesondere die USA, Kanada und Europa ein De-Risking gegenüber China, indem sie einerseits stärker diversifizieren, andererseits aber auch protektionistische Gegenmaßnahmen ergreifen. Die Folgen sind rückläufige chinesische Exporte und Direktinvestitionen. So zogen im dritten Quartal 2023 Investoren erstmals mehr finanzielle Mittel aus China ab, als in das Land flossen.

Mit seiner Doppelstrategie der Neuen Seidenstraße und Made in China 2025 verfolgt China nicht nur wirtschaftlich-technologische, sondern auch politische und militärische Ziele, insbesondere, neue Verbündete für eine multipolare Weltordnung zu finden und das eigene staatskapitalistische System als neues Wohlstandsmodell zu propagieren. Ziel der Made in China 2025-Strategie ist es, bis zum Jahr 2049 (100 Jahre nach der Machtübernahme durch die Kommunistische Partei) in zehn Schlüsselindustrien, darunter Informationstechnologie, Automatisierung, Medizintechnik und erneuerbare Energien, Weltmarkt- und Technologieführer zu werden. Im Rahmen der Neuen Seidenstraße führt China bereits seit 2013 weltweit Infrastrukturprojekte durch.

Während diese Doppelstrategie in den 2010er Jahren gut funktionierte, bleiben seit Beginn der Corona-Pandemie die Erfolge aus. So ist die Zahl chinesischer Fusionen und Übernahmen in Europa deutlich zurückgegangen und auch die chinesischen Infrastrukturinvestitionen sind gesunken. Zudem wird das Seidenstraßenprojekt im Westen zunehmend kritisch gesehen, da befürchtet wird, dass kleinere Länder in eine Abhängigkeit von China geraten könnten. Einzelne Länder haben sich daher zurückgezogen.

Seit dem WTO-Beitritt Chinas im Jahr 2001 hat sich die relativ naive Haltung des Westens gegenüber China verändert. Es kam zu einer Renaissance der Industriepolitik, die versucht, „Zukunftsindustrien“ im eigenen Land zu fördern, und es wurden Übernahmeregeln und die Fusionskontrolle verschärft, um zu verhindern, dass chinesische Unternehmen Mehrheiten an kritischen Infrastrukturen erwerben. Darüber hinaus hat die EU mit der sogenannten „Foreign Subsidies Regulation“ eine strenge Subventionskontrolle eingeführt, um wettbewerbsverzerrende Auswirkungen ausländischer staatlicher Beteiligungen auf den EU-Binnenmarkt zu begrenzen. Mit der 2018 ins Leben gerufenen Konnektivitätsstrategie, die 2021 als Global Gateway neu aufgelegt wurde, hat die EU zudem ihre eigene Antwort auf die Neue Seidenstraße gegeben. Bis 2027 stehen 300 Mrd. Euro zur Verfügung, um die weltweite Investitionslücke im strategischen Interesse der EU zu schließen. Die Vergabe der Investitionsmittel ist an Vorgaben zu Rechtstaatlichkeit und Demokratie sowie Sozial- und Umweltstandards gebunden. Inwieweit Empfängerländer bereit sind, diese Vorgaben einzuhalten, oder die weitgehend unkonditionierte chinesische Alternative bevorzugen, bleibt abzuwarten.

Die chinesische Systemrivalität stellt den Westen vor ein ordnungspolitisches Dilemma: Einerseits muss der Westen verhindern, dass China ihm seine Spielregeln aufzwingt oder er angesichts unfairer Praktiken den Kürzeren zieht. Andererseits widersprechen protektionistische Maßnahmen wie eine überzogene Industriepolitik, Zölle oder Beschränkung von Direktinvestitionen der Wettbewerbsordnung einer liberalen Marktwirtschaft. Das Pendel darf nicht in Richtung Protektionismus und Verleugnung westlicher Grundsätze umschlagen. Interventionistische Eingriffe sollten nur in gut begründeten, eng und klar definierten Fällen erfolgen. Für mehr Zurückhaltung bei interventionistischen Maßnahmen spricht auch, dass immer mehr Partner der Neuen Seidenstraße und von Made in China 2025 Peking aus wirtschaftlicher Enttäuschung oder politischer Empörung den Rücken zukehren. Für diese Länder hat sich China selbst entzaubert.

Statt Unfreiheit mit Unfreiheit zu beantworten, sollte die EU ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit stärken, indem sie wachstumsfreundliche Rahmenbedingungen schafft und in Digitalisierung, Klimaschutz und Bildung investiert. Zudem gilt es, mit Gleichgesinnten Freihandelsabkommen abzuschließen. Die aktuelle Schwäche Chinas sollte die EU nutzen, um ihre eigene Verhandlungsposition zu stärken. So kann sie von der Defensive in die Offensive kommen und die Attraktivität des westlichen Wohlstandsmodells unterstreichen.

Hinweis: Dieser Policy Brief entstand auf Grundlage des ECONWATCH-Meetings „Offene Märkte vs. Staatskapitalismus: Wie umgehen mit dem Systemrivalen China?“ mit Dr. Christian Geinitz (F.A.Z.).

Blog-Beiträge zum Thema:

Henning Klodt (IfW, 2024): Chinas Subventionen. Hinnehmen oder abwehren?

Jörn Quitzau (Bergos, 2022): China – Vom Wachstumsmotor zum Risikofaktor

Podcast zum Thema:

China: Erst Wachstumsmotor, jetzt Risikofaktor

Dr. Jörn Quitzau (Berenberg) im Gespräch mit Prof. Dr. Markus Taube (Universität Duisburg-Essen)

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