Den älteren unter uns ist noch die HB Zigarettenwerbung bekannt, bei der sich ein recht nervöser und häufig ungeschickter Mann von einer alltäglichen Katastrophe in die nächste bewegte, um dann regelmäßig vor Wut in die Luft zu gehen. Das sogenannte HB-Männchen beruhigte sich durch Rauchen einer Zigarette und dann ging alles wie von selbst.
Der Ratschlag, eine Zigarette zu rauchen, ist gewiss nicht gut, der Rat nach einer Katastrophe wie der Duisburger erst einmal ruhig nachzudenken und die Probleme nüchtern zu analysieren, ist jedoch ausgezeichnet. Wir sind von dieser Ruhe nach dem Sturm weit entfernt. So wie der Raucher seiner Sucht, geben wir vielmehr unserer Lust an Skandal und Personalisierung leichtfertig nach.
Zwar wird auch bei ruhiger Aufarbeitung des furchtbaren Geschehens im Gegensatz zu landläufigen Werbeversprechen danach keineswegs „alles wie von selbst“ gehen. Nachhaltige, von einzelnen Personen und deren Engagement unabhängige Verbesserungen werden aber wenigstens möglich und sogar wahrscheinlich, wenn wir uns um allgemeine Entscheidungsprozesse und deren Qualitätsverbesserung vorrangig kümmern. Dazu müssen wir alle endlich aufhören, das Kernproblem in persönlicher Verantwortung erblicken zu wollen. Versuchen wir die Angelegenheit also einmal nüchtern und ohne voreilige Skandalisierung zu betrachten.
1. Aus gegebenem Anlass
Wenn eine Stadt wie Duisburg (unberechtigterweise auch „Düsterburg“ genannt) danach strebt, positive Schlagzeilen zu erzeugen, dann ist das an sich nicht verfehlt. Die Durchführung der „Love Parade“ bot eine entsprechende Chance. Es ist gewiss auch nachvollziehbar, dass in der Vorbereitung der „Love Parade“ an Mitarbeiter appelliert wurde, Hindernisse zu überwinden und die Veranstaltung möglich zu machen. Diejenigen, die darauf drängten voranzuschreiten, sehen heute wie verantwortungslose Zyniker aus, spielten aber nur eine der in einem solchen Prozess notwendigen Rollen. Das sollten wir anerkennen.
In der Vorbereitung von Großereignissen gibt es immer Hindernisse, Gegeneinwände und vor allem auch uneliminierbare Rest-Risiken. Die Forderung, nur dann zu handeln, wenn alle Risiken ausgeschlossen werden können, ist unsinnig, weil dann überhaupt nicht mehr gehandelt werden könnte. Neben den „Bedenkenträgern“ muss es also immer auch „Hoffnungsträger“ geben. Es kommt zugleich darauf an, dafür zu sorgen, dass die Risiken angemessen berücksichtigt wurden, bevor eine positive Durchführungsentscheidung für eine risikobehaftete Aktion getroffen wird. Sie ist nur dann zu treffen, wenn erwartet werden darf, dass die Risiken bis auf einen akzeptablen Rest beherrschbar sind.
Man macht es sich allerdings zu einfach, wenn man es bei dem einfachen Vorsatz bzw. Appell, Risiken angemessen zu berücksichtigen, bewenden ließe. Die Hauptfrage ist die nach geordneten Verfahren, die unabhängig von den guten Vorsätzen der Beteiligten aufgrund systematischer Rollenverteilung für alle Risiken einen Anwalt vorsehen. Die angemessene Berücksichtigung der Risiken muss von diesen Personen eingefordert und auch in einem Prozess der gemeinsamen Entscheidungsfindung durchgesetzt werden können.
Da es im Ablauf einer Veranstaltungsplanung der Größenordnung der „Love Parade“ immer Zweifel an der Sicherheit geben muss, muss von den Anwälten der jeweiligen Gesichtspunkte und Sicherheitsinteressen auch eine gewisse Loyalität gefordert werden. Ist der Appell an die Loyalität zu erfolgreich, werden wir unannehmbar großen Gefahren ausgesetzt. Ist die Loyalität der Mitwirkenden zu gering, dann werden vielfältige an sich nützliche Vorhaben verhindert.
Die rechte Balance ist wesentlich und an der hat es vermutlich in Duisburg gefehlt. Es kommt aber nicht darauf an, hierfür „einen Schuldigen benennen zu können, sondern darauf herauszufinden, was an Prozessen wie dem der Duisburger Veranstaltungsplanung und -durchführung allgemein zu verändern ist, um eine angemessene Balance sicherzustellen.
Zur Diskussion der Frage, wie man die Wahrung der rechten Balance „verfahrensmäßig“ absichern kann, bietet Duisburg vor allem Anlass. Das ist aber nicht die Frage, die wir im Augenblick in der Öffentlichkeit diskutieren. Es herrscht vielmehr das übliche Verantwortungsgeschrei, das sich gern selbst als Ausdruck kritischen Denkens missversteht, es aber leichtfertig an jedem Willen zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit unser aller Fehlbarkeit fehlen lässt.
2. Die öffentliche Behandlung des Problems
Nach der Duisburger Katastrophe dauerte es nicht lange, bis die Medien begannen, geradezu ultimativ die Übernahme von Verantwortung durch einzelne Personen einzufordern. Den beteiligten Personen ist es aber angesichts der rechtlichen Folgen nahezu unmöglich, moralische Verantwortung in der Öffentlichkeit zu übernehmen, ohne die eigenen langfristigen Interessen in nahezu selbstzerstörerischer Weise zu gefährden. Daher sind solche Forderungen so offenkundig abwegig, dass man denjenigen, die sie erheben Zynismus oder Gedankenlosigkeit unterstellen muss. Außer unsere Sensations- und Skandallust anzuregen, bewirken sie nichts positives, sondern nur negatives.
Verantwortliche Medienarbeit und Pressearbeit bestünde gerade nicht darin, die Empörung zu inszenieren, das Unglück zu personalisieren und nach einzelnen „Tätern“ zu fahnden. Die umgehende Suche nach persönlicher Schuld und Verantwortung steht einem ernsthaften Bemühen um eine Katastrophenprävention entgegen. Denn sie verhindert es, dass die Beteiligten Hintergründe der Vorgänge offen legen und so zur Aufklärung über die Ursachen und deren mögliche Verhinderung in der Zukunft beitragen können.
3. Nie wieder?
Wenn wir, ebenso wie unsere Politiker und Medienvertreter in der Öffentlichkeit fordern, „so etwas“ dürfe „nie wieder passieren“, dann klingt das so, als gäbe es jemanden, der möglicherweise insoweit anderer Auffassung sein könnte. Aber wenn man von ein paar pathologischen Fällen absieht, sind sich alle im Ziel der Katastrophenprävention einig. Gestritten werden muss darüber, welche Maßnahmen die Wahrscheinlichkeit, dass sich solche Katastrophen wieder ereignen, verringern können. Sicher ist, dass Appelle in der Öffentlichkeit, man möge doch in Zukunft „verantwortlicher“ handeln, nichts bewirken werden. Auch strafrechtliche Vergeltung trägt allenfalls zur Steigerung der Risikoaversion einzelner Personen bei, ohne den generell kompetenten Umgang mit Risiken zu fördern.
Will man die Suche nach Mitteln und Wegen der Katastrophenprävention erleichtern, so muss man vor allem lernen, aus den Katastrophen zu lernen. Ein angemessener Umgang mit Katastrophen sollte vor allem von der Hypothese ausgehen, dass alle die an der Organisation des Ereignisses, das zur Katastrophe führte, mitgewirkt haben, grundsätzlich guten Willens waren. Das sollten wir auch in der Öffentlichkeit unterstellen. Nur so können wir die Beteiligten ermutigen, möglichst offen über die Hintergründe und Prozesse zu berichten, die zu dem Unglück führten. Denn es ist die Untersuchung der generellen Abläufe und nicht das Augenmerk auf Personen, das zur Prävention beitragen kann. Gute Prozesse sind solche, die auch dann gut funktionieren, wenn ihre Funktionsträger es einmal nicht tun.
4. Nicht in die Luft gehen, von der Flugsicherheit lernen
Im Luftverkehr hat es in den letzten Jahrzehnten erstaunliche Fortschritte gegeben. Die Flugzeuge wurden immer größer und immer schneller, die Reisen mit ihnen immer einfacher und preiswerter. Vor allem aber ist es geradezu unglaublich, wie sehr sich die Sicherheit des Fliegens verbessert hat. Bei der riesigen Zahl von Flügen, von Starts und Landungen muss es auch eine große Zahl von menschlichen Fehlern, Fehleinschätzungen, Sorglosigkeiten und dergleichen gegeben haben. Wenn es dennoch gelungen ist, das Fliegen so sicher werden zu lassen, wie das heute der Fall ist, dann müssen diejenigen, die die entsprechenden Prozesse definiert und implementiert haben, etwas Wesentliches darüber herausgefunden haben, wie man Prozesse sicherer macht.
Eine direkte Übertragung von Prinzipien der Flugtechnik auf andere Lebensbereiche scheidet gewiss aus. Aber man kann sehr wohl viel darüber lernen, wie man aus Fehlern lernt, wenn man die Geschichte der Verbesserung der Flugsicherheit betrachtet. Ein vorbildliches Beispiel hierfür liefert die Anästhesiologie, die ebenfalls in den letzen Jahrzehnten unglaubliche Fortschritte gemacht hat und sich dabei von Flugingenieuren und den Strategien der Verbesserung der Flugsicherung inspirieren liess.
Der Schlüssel zum Erfolg besteht hier im Verzicht auf persönliche Verantwortungszuschreibung: Die am Luftverkehr Beteiligten sind angehalten, auftretende Probleme einschließlich von Problemen, die auf eigene Fehler zurückgehen, innerhalb einer kurzen Frist zu melden. Derjenige, der umgehend meldet, hat keinerlei direkte Sanktionen zu befürchten. Von extremen Ausnahmen abgesehen wird man ihm ohne weitere Kritik danken für die Informationen und diese dann für eine weitere Verbesserung der Abläufe und Sicherungssysteme heranziehen.
Man zielt darauf ab, die Systeme vor allen Dingen auch gegen über der Fehlbarkeit menschlicher Akteure abzusichern. Das kann man aber nur, wenn die Folgen dieser Fehlbarkeit kennt. Von den Fehlern erfährt man aber nur dann umfassend, wenn man die Akteure generell für die Verantwortung für ihre Fehler, soweit wie das möglich ist, freistellt.
Entsprechendes könnten wir im politischen Raum nur realisieren, wenn es uns gelänge, rechtliche Verantwortungszuschreibungen und auch strafrechtliche Ermittlungen von den Prozessen der Qualitätssicherung insbesondere des bürokratischen und polizeilichen Handelns zu trennen. Umfassende Zusicherung von Anonymität, die Trennung von strafrechtlicher Ermittlungen zur personalen Verantwortlichkeit von Ermittlungen der Prozessschwächen wären anzustreben. Das ist nur möglich, wenn wir die Richtung der öffentlichen Diskussion über solche Fragen ändern. Die Katastrophe in Duisburg sollten wir vielleicht zum Anlass nehmen, uns insoweit zu besinnen.
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Vielen Dank für diesen hervorragenden und sachlichen Beitrag!
Unaufgeregte Kommentierung der sprachlosmachenden Pressehatz gegen Einzelne, so empfinde ich es, durch unanständige Beweggründe motivierter, parteipolitisch gefärbter Lokaljournalisten