Wer den schleichenden Niedergang der Welthandelsorganisation WTO von seinen Anfängen seit der Gründung 1994 bis heute dokumentieren möchte, kann dies anhand der Entscheidungen zweier Gremien tun, eines internen, der zweijährlich stattfindenden Ministerkonferenz als höchsten Entscheidungsorgan der WTO, und eines externen, dem jährlichen Gipfeltreffen der G20.
2024 endete die 13. Ministerkonferenz in Abu Dhabi ohne substanzielle Ergebnisse. Manche sprechen unverblümt von Scheitern, andere davon, dass man die Anstrengungen verdoppeln müsse, nachdem man die Richtung aus den Augen verloren habe. Da war es denn schon ein Erfolg, nach acht Jahren ohne neue Mitglieder, mit den Komoren und Osttimor (nicht gerade Schwergewichte des Welthandels) die Zahl der Mitglieder auf 166 erhöhen zu können. Immerhin konnte man sich auf den Gastgeber der 14.Konferenz im kommenden Jahr verständigen: Kamerun, mit Platz 140 unter 180 Ländern im Korruptionsindex von Transparency International kein Vorzeigeland, das zudem vom weltweit am längsten regierenden Staatschef, Paul Biya, beherrscht wird.
Der Reputationsverlust der WTO bei der G20 lässt sich daran ersehen, dass anlässlich des Gipfels 2017 in Hamburg. Wurde sie noch 2016 als zentrale Institution für den Welthandel hervorgehoben, verlor sie im ersten Jahr der ersten Präsidentschaft von Donald Trump und auf sein Drängen hin diese Stellung und lief zusammen mit UNCTAD und der OECD unter ferner liefen. Die USA waren auch dafür verantwortlich, dass der Aktivposten der WTO, das Streitschlichtungsverfahren, durch die Nichtbesetzung der Berufungsinstanz, lahmgelegt wurde. Am 2. April 2025 nun erfolgte der Generalangriff der USA auf die WTO, indem durch die sogenannten „reziproken“ Zölle die Kernregel, die uneingeschränkte Meistbegünstigung nach Art. I des GATT, kurz das Diskriminierungsverbot, außer Kraft gesetzt wurde. In den USA wurde dies, wie auch bei anderen internationalen Institutionen, so kommentiert: Wir kennen die Regeln. Wir haben sie ja selbst gemacht. Aber für uns sollen sie nicht gelten.
Die Eckpunkte des Niedergangs der WTO wurden oft beschrieben: keine eigene Vorschlags-und Umsetzungsrechte des WTO-Sekretariats, inhaltliche Überfrachtung und damit Zielkonflikte wie Umweltschutz, Menschenrechte und Handelsliberalisierung, endlose Verhandlungen, um zu einem Konsens zu kommen , zunehmende Heterogenität der Mitglieder mit heterogenen Zielen, nicht-kooperatives Verhalten der führenden Mitglieder und zuletzt die inflationär anmutende Berufung der USA auf Art 21 GATT, Gefahren für die nationale Sicherheit, um damit Handelsbeschränkungen zu rechtfertigen.
Den Niedergang allein den USA zuzurechnen, wäre falsch. Weder hat sich China mit seinem Beharren auf dem Trittbrettfahrerstatus des Entwicklungslandes und seinen horrenden Subventionen für staatseigene Betriebe in die Ordnung einbinden lassen, noch hat die EU lange Zeit an mit den Regeln unvereinbaren Präferenzen für ehemalige Kolonien und der Subventionierung von besonderen Gütern (Agrar, Flugzeuge) festgehalten. Zudem ist sie die treibende Kraft der bilateralen Abkommen gewesen, die an die Stelle der multilateralen Ordnung getreten sind. Und die EU greift zunehmend wie die USA zu eigenen sogenannten handelsverteidigenden Maßnahmen, weil ihr die WTO-Regeln zu langsam und ineffektiv erscheinen.
Angesichts dieser Sachlage scheint der „top down“ Ansatz zurück zur multilateralen Ordnung zumindest gegenwärtig verschlossen. Wenn aber Institutionen ein Regelvakuum hinterlassen, für diesen Ausfüllung Bedarf besteht, dann werden sich neue Regeln herausbilden. Dieser Prozess wird dauern und er ist kompetitiv. Verschiedene bottom-up Ansätze, zu denen sich gleichgesinnte Mitglieder zusammenfinden, stehen zur Diskussion. China wird für die Erweiterung seiner Gemeinschaft RCEP werben, in der sein Rohstoffhunger und seine Lieferketten das Momentum darstellen. Nachhaltigkeit wird doch anders definiert als in der EU. Diese kann mit Kanada, Südkorea und Japan drei Schwergewichte auf Augenhöhe zusammenführen, die über technologische Führerschaft in wichtigen Branchen, ähnliche Vorstellungen von Nachhaltigkeit und die Bereitschaft verfügen, regulatorisch zu kooperieren statt zu dominieren. Die USA werden punktuelle „deals“ mit jedem schließen, der den USA etwas anzubieten hat, z.B. den Golfstaaten. Welche der konkurrierenden Ansätze sich am politischen Markt behaupten wird, ist völlig offen. Die WTO wird als Evidenzzentrale gebraucht, aber in die Rolle einer handelsfokussierten Entwicklungshilfeinstitution zurückgedrängt werden.
Hinweis: Der Beitrag erschien als Leitartikel in Heft 7 (2025) der Fachzeitschrift WiSt.
Podcasts zum Thema:
Niedergang der Welthandelsorganisation. Ist Donald Trump ein Brandbeschleuniger?Prof. Dr. Norbert Berthold (JMU) im Gespräch mit Prof. Dr. Rolf Langhammer (IfW)
Donald Trump läuft handelspolitisch Amok. Wann hat der Spuk ein Ende? Prof. Dr. Norbert Berthold (JMU) im Gespräch mit Prof. Dr. Michael Frenkel (WHI)
Blog-Beiträge zum Thema:
Norbert Berthold (JMU, 2025): Der Fall der WTO. Sind liberale Welthandelsordnungen inhärent instabil?
Norbert Berthold (JMU, 2025): Der amerikanische Don Quijote. Zölle, Ölflecken, Interventionsspiralen
Henning Klodt (IfW, 2025): Donald Trump. Töter oder Totengräber der globalen Weltordnung?