Wenn es darum geht, Kandidaten für eine eigene Steuer der EU zu erfinden, ist die Europäische Kommission in jüngster Zeit zur Höchstform aufgelaufen. Nachdem sie bereits im August 2010 eine EU-Treibgassteuer und eine EU-Abgabe auf den Rohstoffverbrauch ins Gespräch gebracht hatte, hat sie im Oktober 2010 in einem Grundsatzpapier zum künftigen EU-Haushalt gleich vier neue Vorschläge für eine eigene Einnahmequelle der Gemeinschaft gemacht: Eine EU-Steuer auf den Finanzsektor, die Einnahmen aus Versteigerungen der Emissionszertifikate, eine europäische Luftverkehrsabgabe sowie eine ,echte“˜ europäische Mehrwertsteuer. Seither lassen EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Haushaltskommissar Janusz Lewandowski keine Gelegenheit aus, diese Forderungen gebetsmühlenartig zu wiederholen. Vehemente Unterstützung erfahren sie dabei vom Europäischen Parlament, das im November 2010 seine Zustimmung zum EU-Budget 2011 sogar davon abhängig machen wollte, dass die Mitgliedstaaten „die Debatte über die Einführung einer EU-Steuer vorantreiben“ sollten. Letztlich gaben sich die Abgeordneten dann im Dezember mit einem Versprechen der Kommission zufrieden, 2011 konkrete Vorschläge vorzulegen, wie die Einnahmen der EU „neu gestaltet“ werden sollen.
Forderungen nach einer eigenen EU-Steuer sind nun zwar nicht völlig neu, sondern schon in der Vergangenheit wiederholt von Vertretern des Europäischen Parlaments und der Kommission erhoben worden (vgl. z.B. Schreyer 2001). Vorgeschlagen wurden dabei vor allem eine EU-Energiesteuer, eine EU-Körperschaftssteuer und eine modulierte EU-Mehrwertsteuer (Überblick bei Becker 2005, S. 19 ff.). Vereinzelt haben sich auch deutsche Wirtschafts-, Rechts- und Politikwissenschaftler positiv zu einer EU-Steuer geäußert (Biehl 1991, Wieland 2002, Becker 2005), wobei im Einzelnen drei Varianten für eine EU-Besteuerung diskutiert wurden: Ein europäisches Steuerverbundsystem, ein europäischer Steuerzuschlag auf Steuern der Mitgliedstaaten sowie schließlich ein eigenes europäisches Steuersystem mit einer Zuweisung der Steuergesetzgebungs- und Steuerertragsrechts an die EU-Ebene (bei Verbleib der Verwaltungshoheit auf nationaler Ebene). Die Mehrzahl der deutschen Ökonomen hat allerdings eine EU-Steuer – ungeachtet der Ausgestaltung im Detail – beim gegenwärtigen Integrationsstand stets abgelehnt. Auch die Politiker der EU-Mitgliedstaaten haben sich meist mehrheitlich negativ zur Idee einer EU-Steuer geäußert.
Dass die Kommission und das Europäische Parlament die entgegengesetzte Auffassung vertreten, kann angesichts des Eigeninteresses dieser Akteure (s.u.) nicht verwundern. Insofern könnte man vielleicht meinen: „In Brüssel nichts Neues“. Tatsächlich aber enthält die aktuelle Debatte durchaus neue Akzente. Vor allem ist es die Hartnäckigkeit, ja geradezu Penetranz, mit der die Kommission das Thema in die 2011/2012 anstehende Debatte um die künftigen Finanzen der EU einbringen will. Außerdem soll – im Gegensatz zu früheren eher vorsichtigen Andeutungen in diese Richtung – jetzt offenbar Klartext geredet werden. Hatte die Kommission in einem an alle Interessierten in Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft gerichteten „Konsultationspapier“ zum künftigen EU-Haushalt im Jahr 2007 ihre Ambitionen noch eher schamhaft unter der Frage versteckt, „welche Grundsätze der Einnahmenseite des Haushalts zugrunde liegen … und wie sich diese im System der Eigenmittel niederschlagen“ sollten (Europäische Kommission 2007), so hält sie eine derartige Zurückhaltung nun offensichtlich nicht mehr für nötig. Vielmehr scheint ihr endlich der Zeitpunkt für eine offensive Argumentation und einen ,Kampf mit offenem Visier“˜ um eine eigene Steuerkompetenz für die Gemeinschaft gekommen zu sein.
Wohlfahrtsökonomische Argumente für eine EU-Steuer?
Im Zentrum der traditionellen Kritik am Finanzierungssystem der Gemeinschaft steht seit jeher die These, dass die unzureichende Einnahmeautonomie der europäischen Ebene sowohl politisch unerwünscht sei als auch eine ökonomisch effiziente Haushaltsführung behindere. Aus einer wohlfahrtsökonomischen, d.h. vom Eigeninterinteresse der politischen Akteure zunächst abstrahierenden, Perspektive könnte es aufgrund dieser Kritik durchaus nahe liegen, eine erweiterte Einnahmekompetenz der Union und insbesondere eine eigene EU-Steuerhoheit zu befürworten.
Die wohlfahrtstheoretische Basis der Forderungen nach einer eigenen EU-Steuer bildet das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz, das eine möglichst weitgehende Übereinstimmung von Nutzern, Entscheidern und Kostenträgern von Kollektivgütern verlangt. Hierzu wird das derzeitige Finanzierungssystem der EU mit seiner de-facto-Beitragsfinanzierung als im Widerspruch stehend interpretiert, da die Entscheidungen über die Ausgabenseite (durch den Ministerrat und das EP im Zuge der Mittelfristigen Vorausschau und der jährlichen Budgetbeschlüsse) getrennt stattfinden von den grundsätzlichen Finanzierungsentscheidungen (in Form der Eigenmittel-Begrenzungen, über die der Ministerrat gesondert beschließt). Aus dieser Trennung von Ausgaben- und Finanzierungsentscheidungen, so die These der Befürworter einer EU-Steuer, ergäben sich Anreize für eine ineffiziente Ausweitung des EU-Budgets, da die für die Ausgaben zuständigen Politiker zwar die politischen Nutzen von Ausgabenprogrammen, nicht aber die politischen Kosten der Steuern in ihr Kalkül einbeziehen würden. Eine eigene Steuerkompetenz der EU könne dazu beitragen, solche Ineffizienzen zu verringern, da damit dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz besser Rechnung getragen würde („benefit pricing argument; Spahn 1993). Kritisch ist hierzu anzumerken, dass sich eine EU-Steuer äquivalenztheoretisch überzeugend nur begründen ließe, wenn sie zur Finanzierung EU-weiter öffentlicher Güter herangezogen würde und eine entsprechende EU-weite Streuung der Bemessungsgrundlagen vorläge, um so alle Bürger als Kostenträger der steuerfinanzierten EU-Leistungen zu verpflichten. Die Bereitstellung EU-weiter öffentlicher Güter durch die Gemeinschaft spielt jedoch im EU-Haushalt praktisch keine Rolle, da das EU-Budget nahezu ausschließlich Umverteilungsziele verfolgt. Außerdem würde die konsequente Umsetzung des Äquivalenzprinzips nicht zwingend eine Steuerlösung verlangen, da die notwendigen Erträge zur Finanzierung von EU-Aufgaben auch über eine Beitragsfinanzierung durch die Mitgliedsländer erfolgen könnte, wenn die an die Union übertragenen Ertragsanteile explizit als EU-bedingt kenntlich gemacht würden. Eine Beitragsfinanzierung ist insofern keineswegs schlechter als eine Steuerlösung. Zudem erscheint bei realistischer Betrachtung höchst zweifelhaft, ob eine EU-Steuer dazu beitragen würde, die Budgetdisziplin auf der Ausgabenseite zu verstärken. Das gilt vor allem für das Europäische Parlament, das sich in der Vergangenheit regelmäßig eher für eine Ausweitung als für eine kritische Überprüfung zusätzlicher Ausgaben stark gemacht hat. Zudem gerieten die wiederholten Budgetstreitigkeiten zwischen Rat und Parlament zu einer Art Stellvertreterkrieg über die Kompetenzverteilung im Allgemeinen; eine EU-Steuer würde hieran nichts ändern.
Auch andere wohlfahrtstheoretische Argumente vermögen eine EU-Steuer kaum zu begründen. Das instrumental approach argument fordert den Einsatz von Steuern zur Erreichung allokations-, distributions- oder stabilisierungspolitischer Ziele. Dem tax competition argument zufolge soll eine Besteuerungskompetenz der EU dazu beitragen, unerwünschte Effekte eines Steuerwettbewerbs zu verhindern; dabei geht es vor allem um die angebliche Gefahr eines race to the bottom bei der Besteuerung mobiler Faktoren und einer daraus resultierenden Unterversorgung mit Kollektivgütern. Bei näherer Prüfung können jedoch beide Argumente im Fall der EU zumindest in ihrer gegenwärtigen Form nicht überzeugen (Caesar 2004). Stichhaltiger erscheint das regional arbitrariness argument, dem zufolge eine spezifische interregionale Verteilung der Bemessungsgrundlagen es nahe legen kann, Steuerkompetenzen einer höheren föderativen Ebene zuzuweisen. Das gilt vornehmlich für Zölle, deren regionales Aufkommen in einem gemeinsamen Markt überwiegend von Zufallsfaktoren bestimmt wird. Soweit daher die Berechtigung von Zöllen überhaupt akzeptiert wird und sie nicht bereits als Ausdruck gruppenbezogener Interessenpolitik abgelehnt werden, ist es folgerichtig, die Ertrags- und Entscheidungskompetenz hierfür der zentralen Ebene zuzuweisen. Die derzeitige Kompetenzverteilung in der EU, die diese Hoheiten der Gemeinschaft zuordnet, ist insoweit durchaus angemessen. Eine Ausweitung auf andere Steuern lässt sich damit jedoch nicht begründen.
Politische Argumente für eine EU-Steuer?
Neben den wohlfahrtsökonomischen Argumenten für eine eigene EU-Steuerkompetenz werden von Vertretern der europäischen Institutionen zusätzliche Begründungen angeführt, die eher politischen Charakter tragen. So hat u.a. die frühere EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer argumentiert, eine EU-Steuer werde zu mehr Transparenz für die Bürger beitragen und darüber hinaus die Diskussion um die sog. „Nettopositionen“ entschärfen (Schreyer 2001; ähnlich Goulard/Nava 2002, Europäische Kommission 2004a).Was die angebliche Erhöhung der Transparenz betrifft, ist es zwar zutreffend, dass das gegenwärtige Finanzierungssystem der EU gleichermaßen kompliziert wie intransparent für die europäischen Bürger ist. Um hier Verbesserungen zu erreichen, ist es jedoch keineswegs nötig, der EU eine eigene Steuerkompetenz zuzuweisen. Die Unübersichtlichkeit der EU-Einnahmenstruktur könnte unschwer auch durch eine Verringerung der Finanzierungsquellen – ohne Einführung einer EU-Steuer – erreicht werden. Dazu wäre lediglich die (bereits oft vorgeschlagene) Umstellung auf ausschließlich am BSP (bzw. BNE-Bruttonationaleinkommen) orientierte Finanzzuweisungen als einzige Einnahmequelle (neben den Zöllen) notwendig. Auch wäre es leicht möglich, die EU-bedingte Finanzierungslast für den Bürger fühlbar zu machen, wenn der jeweilige nationale Finanzbeitrag in Form eines Zuschlags zu nationalen Steuern umgelegt würde. Insgesamt besteht sicherlich ein Bedarf an mehr Transparenz über das Budget der Union, doch hat die Frage einer EU-Steuer damit nichts zu tun.
Die These, dass eine EU-Steuer die Debatte um die Nettopositionen beenden könnte, erscheint ebenfalls wenig stichhaltig. Im gegenwärtigen EU-Budget resultieren die Umverteilungseffekte zwischen den Mitgliedstaaten in erster Linie aus der Ausgabenstruktur, kaum dagegen aus der Einnahmestruktur. Eine Änderung auf der Einnahmeseite würde deshalb für sich genommen die Nettopositionen nicht entscheidend verändern, sondern allenfalls die Transparenz über die Inzidenz, d.h. die Verteilungswirkungen der EU-Finanzierung verringern. Von politikwissenschaftlicher Seite wird allerdings zuweilen gerade diese verminderte Transparenz als Vorzug einer EU-Steuer angeführt: „Das größte Manko des bestehenden Finanzierungssystems ist allerdings die im System angelegte Möglichkeit, die Finanzierungslasten dem einzelnen EU-Mitgliedstaaten eindeutig zuzuordnen“ (Becker 2005). Eine solche Argumentation läuft letztlich auf das Argument hinaus, dass ein hinsichtlich seiner räumlichen Inzidenz intransparentes Finanzierungssystem (nämlich über eine EU-Steuer) besser sei als ein transparentes System (d.h. über Finanzbeiträge), dass demnach eine bewusste Intransparenz des System vorzuziehen sei, um ggfs. politische Konflikte zu vermeiden. Demgegenüber wird in der Finanzwissenschaft üblicherweise die umgekehrte These vertreten, wonach zu den fundamentalen Anforderungen an ein modernes Steuer- bzw. Finanzierungssystem für die öffentlichen Haushalte gerade auch die Forderung nach Transparenz gehört. In jedem Fall würde die politische Diskussion über die Nettopositionen durch eine EU-Steuer nicht entschärft. Eine Beendigung der Debatte um die Nettopositionen kann daher nur durch eine fundamentale Reorientierung der EU-Aufgaben und speziell durch eine (ausgabensparende) Reform der beiden Hauptausgabenblöcke GAP und EU-Strukturpolitik erreicht werden.
Politökonomische Gefahren einer EU-Steuer
Aus politökonomischer Sicht entpuppen sich die beiden angeblichen politischen Vorzüge einer EU-Steuer als leicht durchschaubarer Versuch, der EU-Ebene erhöhte Einnahmespielräume zu verschaffen. Die Neue Politische Ökonomie geht von dem Grundgedanken aus, dass nicht nur die privaten Marktteilnehmer, sondern auch die politischen und bürokratischen Akteure primär eigennutzorientiert handeln, woraus sich ineffiziente Ergebnisse des staatlichen Handelns ergeben, nämlich eine Tendenz zu einer zu großen Staatstätigkeit und zu einer Vernachlässigung der Präferenzen der Bürger. Die sog. Konstitutionelle Theorie der Besteuerung folgert daraus, dass in jeder Verfassung der Schutz der Bürger bzw. Steuerzahler gegen eine Ausbeutung durch die staatlichen Akteure im Vordergrund stehen sollte („Konstitutionelle Effizienz“). Gerade diese Perspektive spricht dafür, der EU kein eigenes Besteuerungsrecht zuzugestehen. Dieses liefe nämlich auf eine wesentliche Lockerung der Budgetrestriktion für die verantwortlichen EU-Akteure – Kommission, Rat, Europäisches Parlament – hinaus. Eine Substitution von BSP/BNE-Eigenmitteln und MWSt-Eigenmitteln durch eine direkt beim Steuerzahler erhobene Belastung würde zudem bei den nationalen Regierungen die Anreize zu einer sparsamen EU-Haushaltsführung vermindern, da die bei einer Beitragsfinanzierung gegebene enge Verbindung zwischen EU-Ausgabenvolumen und nationalen Haushalten gekappt würde. Europäische Einsparungen würden dann nicht mehr wie bisher unmittelbar zu Rücküberweisungen an die nationalen Haushalte führen. Damit würde die europäische Budgetdisziplin vermindert. Demgegenüber wirkt eine Finanzierung der Gemeinschaft durch Finanzzuweisungen der Ausbeutungsgefahr der Bürger durch einen EU-Leviathan und der Möglichkeit der Entstehung eines institutionalisierten „Steuerkartells“ entgegen. Die wohlfahrtsökonomisch begründete Skepsis gegenüber einer EU-Steuerhoheit wird damit durch die politökonomischen Argumente zusätzlich gestützt. Das gilt natürlich desto mehr, je mehr der Gemeinschaft neue Aufgabenkompetenzen zuerkannt würden, die entsprechende zusätzliche Ausgabenbedarfe nach sich ziehen würden. Insgesamt würde sich – trotz aller wohlklingenden Beteuerungen, dass die Einführung einer EU-Steuer „natürlich“ aufkommensneutral geschehen müsse – die Belastung für den europäischen Steuerzahler voraussichtlich erhöhen (ähnlich Boss 2010).
Im Übrigen wäre die Einführung aller ,Kandidaten’ für eine EU-Steuer mit massiven Umverteilungswirkungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten verbunden. Berechnungen in einer Studie des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung haben gezeigt, dass z.B. eine ,echte’ EU-Mehrwertsteuer im Vergleich zum gegenwärtigen EU-Finanzierungssystem Mehrbelastungen für Zypern von ca. 70 % und für Luxemburg von rd. 40 % verursachen würde (Heinemann u.a. 2008). Eine EU-Tabaksteuer würde Bulgarien mit mehr als dem Dreizehnfachen und Rumänien mit dem Vierfachen des derzeitigen Finanzierungsanteils belasten. Eine EU-Körperschaftssteuer liefe auf eine Erhöhung der Belastung z.B. für Irland, Polen, Tschechien und die Slowakei um rd. 40 % hinaus. Ähnliches gilt für andere vorgeschlagene EU-Steuern wie eine EU-Benzinsteuer, eine EU-Steuer auf CO2-Emissionen, eine EU-Steuer auf Devisentransaktionen oder eine EU-Einkommensteuer. Geht man davon aus, dass die jeweils betroffenen Länder sich über derartige Mehrbelastungen sehr wohl im Klaren sein werden, so dürften sämtliche diskutierten Vorschläge für eine eigene EU-Steuer auf massive politische Widerstände seitens der betreffenden Mitgliedstaaten stoßen.
Fazit: Schutz des EU-Steuerbürgers durch strenge Finanzierungsgrenzen für die EU!
Das derzeit geltende System der Beitragsfinanzierung scheint somit nicht nur kurzfristig, sondern durchaus auch auf mittlere Sicht angemessen und sollte in einer reformierten EU-Finanzverfassung ausdrücklich verankert werden. Allerdings sind hinsichtlich der Zusammensetzung und Bemessungsgrundlage(n) der nationalen Finanzbeiträge durchaus Änderungen sinnvoll. So wäre es zweckmäßig, die beiden (neben den Zolleinnahmen) existierenden Beitragskomponenten „Mehrwertsteuer-Eigenmittel“ und „BSP-Eigenmittel“ zusammenzufassen und im Grundsatz an den BSP-Anteilen zu orientieren. Demgegenüber hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium eine reine Erhebung der Beiträge nach dem BSP-Anteil abgelehnt und vorgeschlagen, zusätzlich die Entscheidungsmacht (d.h. die Stimmengewichte) im Ministerrat zu berücksichtigen. Dies würde sich sicherlich bremsend auf die Wünsche einiger Mitgliedstaaten nach verstärkter Umverteilung auswirken. Konkret empfiehlt der Beirat einen kombinierten Tarif, bei dem die gesamten Beitragsleistungen zu 80 Prozent durch die Anteile am BSP der Gemeinschaft und zu 20 Prozent durch die Stimmenanteile im Rat bestimmt würden. Außerdem sollte nach Meinung des Beirats durchgängig eine Selbstbeteiligung der Empfängerländer von EU-Transfers („Kofinanzierung“) eingeführt werden, d.h. vor allem auch in der Gemeinsamen Agrarpolitik.
Auch sollte jedem Versuch, die Obergrenze für die „eigenen Einnahmen“ – d.h. zugleich für das Gesamtvolumen des EU-Budgets – aufzuweichen, energischer Widerstand entgegen gesetzt werden. Das gilt insbesondere angesichts der 2004 erfolgten Osterweiterung, die die finanziellen Probleme der Union massiv verschärfen wird. Zwar sind Berechnungen verschiedener Reformszenarien letztlich zu dem Ergebnis gekommen, dass die volle Einbeziehung der mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer in das derzeitige EU-Transfersystem auch im Rahmen der geltenden Eigenmittel-Obergrenze finanzierbar sei. Auch hat die Europäische Kommission im Juni 2004 stets betont, dass sie keine Änderung der Obergrenze vorschlage, jedoch gleichzeitig hervorgehoben, dass es ihrer Ansicht nach notwendig sei, eine beträchtliche „Steigerung der unterhalb dieser Obergrenze genutzten Ressourcen“ (Europäische Kommission 2004b) vorzunehmen. Auf längere Sicht besteht wohl eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sowohl die Europäische Kommission als auch das Europäische Parlament auf eine Anhebung der Eigenmittel-Obergrenze drängen werden, um die durch die Erweiterung verursachten Konflikte über zusätzliche Ausgaben lösen – bzw. finanzieren – zu können. Das derzeitige EU-Finanzierungssystem durch Finanzzuweisungen erscheint auch aus dieser Perspektive keineswegs als ein Anachronimus, sondern vielmehr als eine überaus hilfreiche Barriere gegen die allfällige Gefahr einer Ausbeutung des europäischen Steuerzahlers durch die politischen Akteure.
Die Bundesregierung hat sich zwar bislang immer gegen eine EU-Steuer ausgesprochen und darauf hingewiesen, dass die Hauptaufgabe in einer Umschichtung bei den EU-Ausgaben liegen müsse. Was diese Beteuerungen allerdings in der europapolitischen Realität wert sind, wird sich bei den spätestens 2012 anstehenden Verhandlungen über den neuen Finanzrahmen der EU für den Zeitraum 2014 bis 2020 zeigen. Stellt man die im Jahr 2010 deklarierten europapolitischen Ziele der Bundesregierung den tatsächlichen erzielten Ergebnissen bei zentralen EU-Finanz- und Wirtschaftsfragen gegenüber, so kann man nur mehr als skeptisch sein. So hat sich die Bundesregierung zunächst heftig gegen eine dauerhafte Verlängerung des „Rettungsschirms“ für in Krisen geratenen EU-Haushaltssünder ausgesprochen; im Ergebnis hat sie einem solchen Dauermechanismus dann freilich doch zugestimmt – ohne dass seine genaue Konstruktion auch nur andiskutiert worden wäre. Noch negativer fällt das Urteil in Bezug auf die von Deutschland stets als unabdingbar geforderte Verschärfung der Sanktionsmechanismen im Stabilitäts- und Wachstumspakt aus (Automatisierung der Sanktionen, Umkehrung des Abstimmungsverhaltens, möglicher Entzug der Stimmrechte von ,Sünderländern“˜ im Ministerrat); auch hier ist die Bundesregierung im Ergebnis durchweg gescheitert und hat ihre ursprünglichen Forderungen zurückziehen müssen. Schließlich ist von den einstigen Warnungen vor den Gefahren einer „Europäischen Wirtschaftsregierung“ für die deutsche Politik keine Rede mehr; stattdessen hat die Bundeskanzlerin hier ebenfalls eine totale Kehrtwendung vollzogen, ja sie scheint sich in ihren Reden für das neue Instrument einer zentralisierten Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene immer mehr zu begeistern. Nimmt man all dies zusammen, so kann man sich eines Eindrucks nicht erwehren, den Hans Barbier in der FAZ kürzlich treffend als neues ,Motto“˜ der deutschen Politik in Fragen der Währungsunion wie folgt charakterisiert hat: „Es gilt das gebrochene Wort“. Sollte sich das Verhalten der Bundesregierung bei den Diskussionen um eine eigene EU-Steuer fortsetzen, so wäre das der endgültige Dammbruch in Richtung auf eine kaum mehr zu kontrollierende Transferunion in der EU, für die die deutschen Steuerzahler maßgeblich die Zeche zu bezahlen hätten.
Zusätzlich: Neue Forderungen nach eigenen EU-Anleihen
In dieses wenig erfreuliche Bild fügt sich schließlich auch die von verschiedenen prominenten EU-Politikern (J.-C. Juncker, H. de Rompuy u.a.) erhobene Forderung nach einer gemeinschaftlichen Verschuldung der EU, wobei zwei Argumente vorgebracht werden. Zum Einen sollen mit solchen EU-Anleihen (in Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbank) große Infrastrukturprojekte – z.B. für den Ausbau transeuropäischer Energienetze oder für Forschungsvorhaben – finanziert werden; das würde aber dem Verschuldungsverbot für den EU-Haushalt wiedersprechen. Zum Zweiten sollen gemeinschaftliche Anleihen der EU-Länder zum Zwecke der ,Rettung“˜ von Krisenländern in der Währungsunion eingesetzt werden, weil dadurch niedrigere Zinsen erzielbar wären als bei nationalen Anleihen solcher Problemländer. Auch die letzteren Forderungen sind nicht völlig neu, doch würde ihre Realisierung dem No-Bail-Out-Verbot des Maastrichter Vertrages eindeutig widersprechen, und zwar noch klarer, als es bereits die Vereinbarungen über den ,Rettungsschirm“˜ zur Krisenbewältigung getan haben. Resignierend könnte man zwar beklagen, dass diese Klausel im Jahr 2010 bereits faktisch über Bord geworfen worden ist und deshalb auch einer erweiterten EU-Verschuldung keine Steine mehr in den Weg gelegt werden sollten. Außerdem seien mit einer Anleihe der Europäischen Kommission von Anfang Januar 2011 sowie der ersten Anleihe des Euro-Rettungsfonds EFSF in der letzten Woche de facto schon die Türen zur gemeinsamen Verschuldung der EU weit aufgestoßen worden, da für die Rück- und Zinszahlung dieser – zur Finanzierung der Irland-Hilfe dienenden – Anleihen alle EU-Länder (im Fall der Kommissions-Anleihe) bzw. alle Euro-Mitglieder (im Fall des EFSF-Anleihe) gemeinsam haften; die letztere in Höhe von 5 Mrd. Euro ist bemerkenswerterweise zu einem Zinssatz am Markt untergebracht worden, der deutlich über demjenigen für deutsche Bundesanleihen lag.
Aus ökonomischer Sicht kann vor einer solchen defätistischen Haltung aber nur gewarnt werden. Wendet man den oben für die Zuweisung von Besteuerungskompetenzen skizzierten Katalog wohlfahrtsökonomischer Kriterien auf die Frage einer EU-Verschuldung an, so lassen sich keine überzeugenden Argumente für eine erweiterte Verschuldungskompetenz der Union ableiten (Caesar 1992). Darüber hinaus muss gerade im Hinblick auf eine mögliche EU-Verschuldung an schwerwiegende Einwendungen politökonomischer Art erinnert werden (Lockerung der kurzfristigen Budgetrestriktion des Staates, „deficit bias“ der Finanzpolitik). Diese grundsätzlichen Bedenken gegen die Staatsverschuldung als Finanzierungsinstrument gelten im Fall der Union noch verstärkt. So fehlt aufgrund der speziellen Willensbildungsprozesse bei EU-Entscheidungen – insbesondere in Haushaltsfragen – ein wirksamer Sanktionsmechanismus, der die verantwortlichen politischen Akteure auf der EU-Ebene zwingen könnte, die abweichenden Präferenzen der Bürger im Hinblick auf eine stärkere (EU-)Verschuldung hinreichend zu berücksichtigen. Darüber hinaus würde die mit einem EU-Verschuldungsrecht verbundene Vergemeinschaftung bzw. ,Sozialisierung“˜ der Schulden unsicherer Euro-Länder perverse Anreize auslösen. Wenn nämlich unsolide Länder sich darauf verlassen könnten, dass die Folgen einer extensiven nationalen Verschuldungspolitik von allen EU- (oder Euro-)Ländern gemeinsam getragen werden müssten, entfiele jeglicher Anreiz, ihre Defizite in Grenzen zu halten. Gerade aus politökonomischer Sicht sollte daher nicht nur den Forderungen nach einer EU-Steuer, sondern genauso den wieder aufgeflammten Ideen zur Einführung eines eigenen Verschuldungsrechts der Union mit größter Skepsis begegnet werden.
Literatur
Becker, P. (2005): Der EU-Finanzrahmen 2007-2013, Auf dem Weg zu einer europäischen Finanzverfassung oder Fortsetzung der nationalen Nettosaldenpolitik?, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Studie S 36, Berlin.
Biehl, D. (1991): Die EG-Finanzverfassung: Struktur, Mängel und Reformmöglichkeiten, in: Wildenmann, R. (Hrsg.), Staatswerdung Europas?, Baden-Baden, S. 355-391.
Boss, A. (2010): Brauchen wir eine Europa-Steuer?, hier
Caesar, R. (1992): Kreditoperationen im Finanzsystem der EG, in: Hansmeyer, K.H. (Hrsg.), Ausgewählte Probleme der EG-Finanzen, Berlin, S. 115-182.
Caesar, R. (2004): Leitlinien für eine europäische Finanzverfassung, in: W. Schäfer (Hrsg.), Zukunftsprobleme der europäischen Wirtschaftsverfassung, Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F. Bd. 300, Berlin, S. 149-179.
Europäische Kommission (2004a): Bericht der Kommission über das Funktionieren des Eigenmittelsystems, Brüssel, 06.09.2004, KOM (2004) 505 endg./2, Bd. 1.
Europäische Kommission (2004b): Finanzielle Vorausschau 2007-2013. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Brüssel, 14.07.2004, KOM (2004) 487 endg.
Europäische Kommission (2007): Den Haushalt reformieren, Europa verändern. Konsultationspapier im Hinblick auf die Überprüfung des EU-Haushalts (2008/2009), SEK(2007) 1188 endgültig, Brüssel, 12.09.2007.
Goulard, S./Nava, M. (2002). A More Democratic System for Financing the EU Budget, mimeo.
Heinemann, F./Mohl, Ph./Osterloh, S. (2008): Reform Options fort he EU Own Ressouces System, ZEW Economic Studies, Vol. 40, Heidelberg.
Schreyer, M. (2001): The Own Ressources System Needs Rethinking, in: Intereconomics, 36. Jg., S. 223-225.
Spahn, P.B. (1993): The Community Budget for an Economic and Monetary Union, Houndsmill u.a.
Wieland, J. (2002): Erweitern und Teilen – Die künftige Finanzordnung der Europäischen Union, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, Bd. 35, S. 503-508.
Sehr interessant geschrieben. Es läuft aber wohl im Endeffekt auf folgendes heraus:
„den Hans Barbier in der FAZ kürzlich treffend als neues ,Motto“˜ der deutschen Politik in Fragen der Währungsunion wie folgt charakterisiert hat: „Es gilt das gebrochene Wort“.“
Ich denke das trifft alles genau zu. Bedenklich auch, daß über die politische Kontrolle des Souveräns (wenn man davon ausgeht, daß Demokratie die Grundlage sein sollte), nicht diskutiert wird. Wer wenn man fragen darf kontrollierte die EU?
Und warum darf man nicht verlangen, daß Gesetze auch für die Länder gelten, wie kann es sein, daß der Rettungsschirm akzeptiert werden „DARF“…..?
Es werden ja schon bestehende Gesetze gebrochen, wer würde die in der EU-Lebenden, denn vor fiskalischer Enteignung schützen?
Es sieht doch eher danach aus als ob sich die EU unabhängig von den Bürgern machen will…, sozusagen die Kontrolle wird durch sich selbst „ausgeführt“…