Eine andere Interpretation des Weber-Rücktritts

Seit seiner Rücktrittserklärung wird Bundesbank-Präsident Weber von der deutschen Presse mit Kritik überhäuft. Er habe gute Chancen gehabt, EZB-Präsident zu werden, und sei der Bundesregierung in den Rücken gefallen. Diese Kritik ist unberechtigt, denn sie geht von falschen Annahmen aus.

Schon in der zweiten Januar-Hälfte wurde aus Paris berichtet, dass die französische Führung einer Ernennung Webers auf keinen Fall zustimmen würde. Treibende Kraft war zweifellos EZB-Präsident Trichet, dem Weber offen die Gefolgschaft verweigert hatte, als es um den Ankauf der griechischen Staatsanleihen ging. Webers Weigerung war ökonomisch und juristisch wohlbegründet. Es wäre in Deutschland nicht verstanden worden, wenn er sich an diesem Tabubruch beteiligt hätte. Helmut Schlesinger zum Beispiel bemerkte damals, Trichet habe „den Rubikon überschritten“.

Bei der Wahl des nächsten EZB-Präsidenten besitzen Frankreich und Italien, das mit seinem Gouverneur Draghi einen eigenen Kandidaten präsentiert, zusammen eine Sperrminorität. Der Ministerrat der Euro-Gruppe muss mit qualifizierter Mehrheit (73,9 Prozent) entscheiden (Art. 283 AEUV und Art. 3, Z. 3 und 4 des Protokolls über die Übergangsbestimmungen). Der zukünftige EZB-Präsident muss 158 der 213 Stimmen erhalten. Die Sperrminorität liegt daher bei 213-158+1=56 Stimmen. Sowohl Frankreich als auch Italien verfügen über 29 Stimmen. Mit zusammen 58 Stimmen hätten sie die Wahl Webers verhindert. Aber das hätte in Deutschland einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.

Diese Aussicht musste vor allem Finanzminister Schäuble, den europhilsten aller Minister, beunruhigen. Der Eclat konnte nur vermieden werden, wenn Weber von sich aus auf die Kandidatur verzichten würde. Es ist auch zweifelhaft, ob Weber nach dem Mai 2010 überhaupt noch Schäubles Kandidat für die Trichet-Nachfolge war, denn Schäuble war nicht dagegen gewesen, dass der Ministerrat der Euro-Gruppe die EZB ermutigte, griechische Staatsanleihen zu kaufen. Meinte Schäuble, man müsse Weber eine attraktive Alternative bieten, um ihn zum Rücktritt zu bewegen?

Auch die Deutsche Bank hat kein Interesse daran, dass die Europäische Währungsunion bei den Deutschen noch mehr in Verruf gerät. Schäubles Bail-out-Politik hat die Banken davor bewahrt, bei ihren griechischen und irischen Anleihen hohe Abschreibungen vornehmen zu müssen. Aber die Aufstockung und Entfristung des Euro-Währungsfonds ist noch nicht in trockenen Tüchern, und die von der Kommission, Frankreich und anderen Mitgliedstaaten geforderten Euro-Anleihen würden ebenfalls dazu beitragen, die hochverschuldeten Mitgliedstaaten vor Umschuldungen und die Banken vor Verlusten zu bewahren. Die Nachricht, dass Weber nach einer Karenzzeit in den Vorstand der Deutschen Bank wechseln wird, ist weder von ihm noch von dieser bestätigt worden. Aber selbst auf direkte Anfrage war weder er noch die Bank bereit, diese Möglichkeit auszuschließen. Wenn nichts daran wäre, hätte man ein Dementi erwartet.

Dass mein ehemaliger Mitarbeiter und Doktorand Jens Weidmann einmal als Nachfolger Webers im Gespräch sein würde, hätte ich nicht für möglich gehalten.

8 Antworten auf „Eine andere Interpretation des Weber-Rücktritts“

  1. Ich sollte noch etwas hinzufügen. Wenn Trichet im Herbst ausscheidet, will Paris einen anderen Platz im Direktorium. Dieser Forderung kann nur entsprochen werden, wenn Trichets Nachfolger bereits Mitglied des Direktoriums ist. Diese Bedingung erfüllte Axel Weber nicht. Wie wäre es mit einem Belgier – Peter Praet, der jetzt den Direktoriumsplatz der Österreicherin Tumpel-Gugerell übernimmt? Aber dadurch fehlt eine Frau im Direktorium. Die Lösung ist eine Frau aus Frankreich: Christine Lagarde. Sie schützt sich vor einer Wahlniederlage Präsident Sarkozy’s. Dass Paris gegen Axel Weber war, ist also nicht nur damit zu erklären, dass er die EZB-Käufe der griechischen Anleihen abgelehnt hat, sondern auch damit, dass die französische Finanzministerin einen Platz im EZB-Direktorium beansprucht.

  2. Sehr geehrter Herr Professor Vaubel, Sie schreiben: „Webers Weigerung war ökonomisch und juristisch wohlbegründet.“ Wenn das stimmt, warum in Gottes Namen stellt er sich dann nicht offen gegen die Serie von Rechtsbrüchen, die unsere Regierung (also unsere gewählten Volksvertreter) mitträgt, ja sogar gestaltet? Herr Weber hätte nicht abberufen werden können und er hätte noch über ein Jahr gegen die Europa-Politik der Regierung Merkel Front machen können. Das hätte eine Staatskrise ausgelöst und es wäre nicht damit zu rechnen, daß ihn alle Medien einfach totschweigen könnten, ja einige nicht einmal mundtot machen wollten. WARUM also scheut so ein Mann die Konfrontation, wenn er überzeugt davon ist, daß die jetzige Politik falsch ist? Wer, wie und wodurch konnte Weber (und vielleicht vor ihm auch Köhler…) zu diesem feigen Rücktritt veranlassen? Hat er denn gar keinen Gemeinsinn oder gibt es solch furchteinflößenden Druckmittel? Wir alle hätten ein Recht darauf, das zu erfahren.

  3. Karl Otto Pöhl war seit 1980 Präsident der Bundesbank. Im Frühjahr 1991 trat er zurück, weil er Kohls Währungsunion nicht verantworten wollte. An den Folgen laborieren wir immer noch. Der heutige Bundesbankpräsident Axel Weber, der unlängst seine innere Unabhängigkeit durch die rechtswidrige Entlassung seines Präsidiumsmitglieds Sarrazin auf Geheiß von Kanzlerin und Bundespräsidenten aufgefallen war, hat immerhin als Mitglied des EU-Zentralbankrates öffentlich den Rückkauf von Staatsanleihen kritisiert und wahrscheinlich mit der fortgesetzten und permanenten Rettungsaktion Bauchschmerzen hatte. Da wollte er wohl lieber doch nicht EZB-Präsident werden. Dumm für Frau Merkel.

    http://fdogblog.wordpress.com/2011/02/12/weber-macht-den-pohl/

  4. @euckenserbe: Nein, nicht „dumm für Frau Merkel“, hat diese doch nun freie Hand bei der Nachbesetzung in der Bundesbank. Und gegenüber den anderen europäischen Regierungen kann sie ebenfalls „befreit“ auftreten. Ich frage mich nur, was noch passieren muß, daß ein Bundesbankpräsident einfach sagt: „Nein! Nicht mit mir.“ Und bleibt und Widerstand leistet. Wann, wenn nicht jetzt???

  5. Einverstanden. Dumm für Frau Merkel war nur, dass sie jetzt den wohl bereits promoteten Kandidaten für die EZB – Spitze loswurde und dass der mit seinem Verhalten deutliche gemacht hat, dass er nichts von der Weltwirtschaftsregierung hält.

    Die Chancen Webers, Widerstand zu kämpfen und dabei zu unterliegen, liegen in der Nähe von Null.

  6. Meine Interptretation wird zum Beispiel durch den folgenden Bericht der „Wirtschaftswoche“ (10.01.11, S. 14: „Europäische Zentralbank/Axel Weber/Sperrfeuer aus Paris“) gestützt: „Die Ernennung des Bundesbank-Chefs zum EZB-Präsidenten droht am Widerstand Frankreichs zu scheitern… Sarkozy … habe, heißt es in Paris, der Bundeskanzlerin eine Art Shortlist mit drei ihm genehmen Kandidaten vorgelegt: der Staatssekretär im Finanzministerium und einstige Weber-Schüler Jörg Asmussen, der Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Finanzpolitik im Kanzleramt, Jens Weidmann, und der Chef des Europäischen Rettungsschirms EFSF, Klaus Regling.“ Ganz Ähnliches wurde zweimal von Reuters berichtet.

  7. Ja, Sarkozy will vieles nicht und die Deutschen tun gut daran, ihn in seiner Machtlosigkeit nicht öffentlich vorzuführen. Ich denke, daß die deutsche Regierung aufgrund der Stärke ihrer Volkswirtschaft und deren „Hineinreichen“ in die europäischen Satelittenstaaten eine Art „wirtschaftliche Atombombe“ in der Hand hält. Dieses wird auch von den Märkten und einzelnen „Großakteuren“ zugesstandenen. Bestes Beispiel: Die Chinesen konsultieren sich zuerst mit Deutschland, bevor sie offenbaren, daß sie Griechenland helfen wollen. Frau Merkel wird dieses spüren und wir sollten sie nicht unterschätzen. Auf die deutsch-französichen Pläne zur Wirtschaftsregierung geht sie wahrscheinlich nur zum Schein ein, denn wer in den „kleineren“ Ländern unterwegs ist, weiß daß diese solchen Maßnahmen niemals zustimmen werden. Wir sollten am 14. und 21. März genau hinhören, was beim ECOFIN-Ratstreffen passiert. Vielleicht knallt es aber auch so laut, daß wir es auch ohne genaues Hinhören mitbekommen…

  8. Herr Professor Vaubel, Sie hatten einen guten „Riecher“: Asmussen und Weidmann… Bleibt die Frage, wie man Leute wie Weber und Stark so widerstands- und lautlos „wegbekommen“ kann? Für mich unerklärlich…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert