I.
Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) subventioniert den Euro-Bankensektor mit einer unlimitierten Basisgeldmenge, offeriert zu Tiefstzinsen. Das löst nicht die Ursache der Finanz- und Wirtschaftskrise, die die Zentralbanken durch zuviel Kredit und Geld, bereitgestellt zu künstlich gedrückten Zinsen, verursacht haben. Vielmehr treibt sie den angerichteten Schaden – der zusehends sichtbarer wird in Form von überschuldeten Staaten und Banken – weiter in die Höhe.
Seit September 2009 beschwichtigt der EZB-Rat mehr oder weniger regelmäßig die Öffentlichkeit, den baldigen Ausstieg aus den „ungewöhnlichen Politikmaßnahmen“ – im Klartext: aus der Politik der unbegrenzten Basis-Geldmengenvermehrung – zu vollziehen. Doch genau das Gegenteil hat er gemacht. Mittlerweile hat der EZB-Rat die Überschussreserve im Bankensektor auf etwa 1000 Mrd. Euro erhöht, weil er die Zahlungsfähigkeit von Staaten und Banken sicherstellen will, koste es, was es wolle.
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II.
Die EZB untergräbt mit ihrer Politik die lenkenden Kräfte des Marktes. So verlangt sie etwa für ihre dreijährigen Refinanzierungsgeschäfte einen Zins, der den Banken erst bei Fälligkeit in Rechnung gestellt wird, und zwar als der sich über die Laufzeit ergebende durchschnittliche Leitzins. Damit ist absehbar, dass die EZB die Refinanzierungskosten unterbietet, die die Banken alternativ auf dem Kapitalmarkt zu bezahlten hätten. Folglich werden Banken ihre Geldaufnahme vom Kapitalmarkt weg und hin zur EZB verlagern.
Schlechte Banken, die besser aus dem Markt ausscheiden sollten, werden künstlich über Wasser gehalten, und das erschwert es besseren Banken, Marktanteile zu gewinnen. Ein „Zombie“-Bankensystem entsteht, und die Lage am Bankenrefinanzierungsmarkt „normalisiert“ sich nicht mehr. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass die Abhängigkeit der Banken von EZB-Krediten zu Tiefstzinsen weiter zunimmt und dass weitere langfristige Refinanzierungsoperationen notwendig werden, weil private Investoren nicht mehr bereit sind, ihr Geld den Banken zu leihen.
Durch die großvolumige Kreditvergabe steigt zudem das Kreditrisiko der EZB gegenüber dem Bankensektor drastisch an. Die Finanzlage wackeliger Banken bestimmt zusehends die Solidität der EZB- beziehungsweise der Eurosystem-Bilanz. Die EZB hat damit ihre Unabhängigkeit gegenüber der Bankwirtschaft de facto aufgegeben: Denn vor die Wahl gestellt, Zahlungsausfälle bei Banken hinzunehmen und damit die eigene Bilanz (formal) zu ruinieren, oder neues Basis-Geld bereitzustellen, ist absehbar, dass sich die EZB-Geldpolitiker für Zweiteres, nicht aber für Ersteres entscheiden.
Die Tiefstzins-Geldpolitik verzerrt die Kapitalkosten, die die Marktakteure ihren Dispositionen zugrunde legen. Es bildet sich eine Produktions- und Beschäftigungsstruktur heraus, die nur bei dauerhaft künstlich gedrückten Zinsen überlebt. Das Beenden der Geldmengenausweitungspolitik wird ökonomisch und politisch umso schmerzlicher, je länger sie andauert. Und was heute gescheut wird – die Pleite von Banken und Staaten –, wird künftig erst recht gescheut. Und das ist auch der Grund, warum „in Zeiten der Not“ das Drucken von immer mehr Geld als die Politik des vergleichbar kleinsten Übels angesehen wird.
Mit der wachsenden Überschussreserve, bereitgestellt zu Tiefstzinsen, werden die Geschäftsbanken nun vermutlich Staatsanleihen – die regulatorisch nach wie vor keiner Eigenkapitalunterlegung bedürfen! – kaufen und auf diesem Wege die Zahlungsmittelmenge (M1) ausdehnen. Letzteres kann die EZB natürlich jederzeit auch selbst tun, wenn sie (noch mehr) Staatsanleihen kauft. Sie kann so auch eine Politik der hohen Inflation, im Extremfall Hyperinflation, herbeiführen.
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III.
Dass es zu einer immer größer werdenden Geldmengenausweitung kommen wird, folgt aus dem Ziel der EZB, Staaten und Banken zahlungsfähig zu halten, und das vor dem Hintergrund einer Finanz- und Wirtschaftskrise, die ihre Ursache im Geldsystem hat: Geld wird per Kredit, gewissermaßen „ex nihilo“, in Umlauf gebracht. Die Produktions- und Beschäftigungsstruktur, die im Zuge eines solchen Geldsystems entsteht, muss kollabieren, wenn der Zufluss von immer mehr Kredit und Geld zu immer tieferen Zinsen abebbt.
Der Ökonom Ludwig von Mises (1881 – 1973) erkannte die ökonomischen und politischen Folgen eines solchen Geldsystems. Es wird in eine schwere Rezession oder Depression münden. Im Jahr 1940 schrieb er:
“[T]he boom cannot continue indefinitely. There are two alternatives. Either the banks continue the credit expansion without restriction and thus cause constantly mounting price increases and an ever-growing orgy of speculation, which, as in all other cases of unlimited inflation, ends in a „crack-up boom“ and in a collapse of the money and credit system. Or the banks stop before this point is reached, voluntarily renounce further credit expansion and thus bring about the crisis. The depression follows in both instances.“
Folgt man Mises’ Schlussfolgerung, so muss die Politik des Geldmengenausweitens als die Politik des größten Übels erscheinen: Sie kann eine Depression nicht verhindern, sondern macht sie nur noch größer, und sie zerstört zudem noch das Geld. Die EZB-Politik hat also von allen Politikpfaden den schlimmsten eingeschlagen. Diese Politik wird nur wenigen nützen und vielen schaden.
- Kurz kommentiert
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Die sollen einfach mit „ihrem“ „Geld“ machen, was sie wollen. Benutzen wir anderes Geld – und gut ist. Man sollte einfach Euros nicht halten, schon hat man dessen Probleme nur noch deutlich verringert am Hals. Der Euro taugt – und dies ist allein strafbewehrten papiergesetzlichen Vorschriften geschuldet – nur noch als Tausch- und Schuldentilgungsmittel, letzteres insbesondere bezüglich der „geschuldeten“ Steuern und Abgaben. Durch Inflation leidet nur die Wertaufbewahrungsfunktion. Ein Umstand der bei Papiergeld wirklich nicht verwundern kann. Durch künstliche politisch-manipulierte Zinsen leidet die Wertmeßfunktion insbesondere der Zeitpräferenzen. Also braucht es für das, was der Euro nicht (mehr) leisten kann, Alternativen. Wer diese anbietet, wird Nachfrage finden.
Der Lissabon-Vertrag bestimmt die Aufgaben der EZB als Zentralbank der EU-€-Währungsgemeinschaft, der die Länder jedoch nur nach Vorliegen bestimmter Kriterien beitreten können oder beitreten möchten. Ein Austreten aus der Währungsgemeinschaft ist nicht vorgesehen. Allerdings hat die Politik in Europa diesen politischen Zielansatz bisher noch nicht realisiert, denn er läuft nach europäischem Verfassungsverständnis auf einen demokratischen „Bundestaat Europa“ hinaus. Wenn diese Zielsetzung im politischen Raum wirklich geklärt wäre, dann müssten die Maßnahmen der EZB anders – mehr praktisch und weniger grundsätzlich – beurteilt werden. Da dieses jedoch in keiner Weise geklärt ist – vielmehr wird in keinem Land der EU/EuroZone von fast keiner politischen Organisation das politische Ziel Bundesstaat Europa auch nur benannt – gibt es die von Th. Polleit beschriebenen politisch-ökonomischen Dilemmata. Angesichts der völligen Unklarheiten über den weiteren Integrationsprozess der EU/EuroZone sind alle Alternativvarianten grundsätzlich denkbar und real. In dieser Situation kann man in der Tat auch die EZB auf dem schlimmsten aller Wege sehen.
Klug gesprochen Herr Dr. Polleit! Was wir in Europa jetzt brauchen ist ein klärendes Gewitter, das mit dieser Schuldenwirtschaft aufräumt! Uns ist es viel zu lange, viel zu gut gegangen. Das verdirbt auf Dauer den Charakter. Wir haben uns eine Zivilisation der Verweichlichung aufgebaut und die harte Realität hinter einem Berg Schulden versteckt. Jetzt traut sich niemand mehr anderen auch einmal etwas zuzumuten. Die Luft nach einem schweren Sturm ist kalt aber klar!
Sehr gut geschrieben. Schnörkellos und auf den Punkt kommend. Das ganze Problem lässt sich immer wieder auf einen trivialen Satz bringen: Wer mehr ausgibt als er einnimmt, muss halt später sparen.
Ich als Laie wundere ich mich im Zusammenhang mit der Geldschöpfung durch die EZB über folgendes:
Das Ganze System der Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken funktioniert doch nur, wenn sie einen Anreiz haben, den Verleih-Zinssatz im richtigen Verhältnis zum Risiko des Kredites zu wählen. Wenn nun also zB eine griechische Bank mit dem Rücken zur Wand steht weil sie fast pleite ist und/oder Staatsgelder erhalten hat, die verantwortlichen Manager um ihre Job bangen, würden sie dann wahrscheinlich nicht eher alles was ihnen die Zentralbank erlaubt an Geld via Kredit zu schöpfen auf Teufel komm raus auf den Markt werfen, nur um schnell Zinseinnahmen zu generieren? Würden sie sich darum sorgen, ob der Kredit in 10, 20, 30 Jahren getilgt werden kann oder nicht? Wer sagt mir denn, das hier gerade nicht die nächste Generation an Schrottkrediten aufgelegt wird, für die wieder die Eurokernländer haften? Wird die Art der Kreditvergabe durch zB griechische Banken eigentlich durch irgendjemand vertrauenswürdigen kontrolliert?
Sehr informativer Beitrag, allerdings frage ich mich so langsam wirklich warum alles auf dem Rücken von Deutschland ausgetragen werden muss. Egal ob es darum geht das man andere Länder rettet (denen es finanziell schlecht geht) oder um mehr Geld zur Verfügung zu stellen.
Irgendwann geht Deutschland doch auch das Geld aus. Wir befinden uns auf dem besten Weg dorthin.