Freiheit ist ein Schlüssel zum Glücksempfinden der Menschen. Dies lässt sich heutzutage durch empirische Studien belegen. Der amerikanische Politologe Ronald Inglehart untersuchte zusammen mit Roberto Foa, Christopher Peterson und Christian Welzel über den Zeitraum von 1981 bis 2007 den Zusammenhang von wirtschaftlicher Entwicklung, persönlicher Freiheit und dem damit einhergehenden Anstieg von Glücksempfinden und Lebenszufriedenheit. Die empirischen Ergebnisse lauten wie folgt: Vor allem die Möglichkeit der freien Wahl ist maßgeblich für Glück und Zufriedenheit, und zwar sowohl für den Einzelnen wie auch für eine ganze Nation. Wahlfreiheit wird durch drei Parameter begünstigt: Von primärer Bedeutung ist die wirtschaftliche Entwicklung bzw. das Wirtschaftswachstum eines Landes. Je höher der Wohlstand ist, desto geringer wird die Sorge um die materielle und persönliche Sicherheit.
Gemäß der Bedürfnispyramide, wie sie Maslow entworfen hat, verfolgt der Mensch nach der Befriedigung von Grund- und Sicherheitsbedürfnissen individuelle und soziale Interessen. Mit zunehmendem Einkommen ist er in der Lage, sich verstärkt diesen Interessen zu widmen. Gerade die Wahrnehmung der sozialen Interessen – mithin das Agieren im öffentlichen Raum – kann und wird abhängig vom Einkommen, zudem aber auch vom zweiten Parameter, dem Demokratisierungsgrad einer Gesellschaft, realisiert. Entscheidend ist hier insbesondere die Zusicherung von Grundrechten, die den Menschen freie Wahlen ermöglicht. Der dritte Parameter, die soziale Toleranz, steht in positiver Wechselwirkung mit dem Demokratisierungsgrad. Je mehr per Gesetz gefestigte Freiheiten einem Menschen zustehen, desto eher verfügt er über die Fähigkeit der Toleranz, was sich ebenfalls wiederum positiv auf das Glücksempfinden auswirkt. Demnach ist die Garantie von Freiheit ein Positivsummenspiel, indem materielle Sicherheit, eine Gesellschaftsform mit gesetzlich garantiertem Zugang zur Wahlfreiheit und die daraus mögliche werdende individuelle Entfaltung in jeglicher Hinsicht zur Verbesserung der Lebenszufriedenheit einer Nation beitragen.
Der Gedanke der Freiheit wird in einem marktwirtschaftlichen System verwirklicht. Marktwirtschaft bedeutet in erster Linie Vertragsfreiheit und damit Wahlfreiheit. Grundsätzlich kann sich jeder in einer Marktwirtschaft frei entscheiden, wie er handeln möchte, was er kaufen will, wo er arbeitet. Unabhängig von Alter, Geschlecht oder Ethnizität trifft er seine Entscheidungen bezüglich seiner Aktivitäten aus eigenem Antrieb. Seine Antriebskraft ist dabei sein Eigennutz. Wenn auch oft negativ konnotiert, ist das Verhalten zur Maximierung des eigenen Nutzens die natürliche bzw. evolutionsbedingte Verhaltensweise des Menschen, jene Triebfeder, die uns Menschen dahin gebracht hat, wo wir mit unserer technischen Entwicklung heute stehen. Sie bietet sich damit als Grundlage unser Wirtschaftsordnung an. In einer funktionierenden Marktwirtschaft wird der Eigennutz produktiv kanalisiert und zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft herangezogen. Aus Eigennutz wird am Markt und durch den Wettbewerb Gemeinwohl. Zentraler Vorteil der Marktwirtschaft ist dabei die Tauschgerechtigkeit. Vor dem Marktpreis sind alle Menschen gleich, im Wettbewerb hat jeder die gleichen Chancen auf ein Gut, er muss nur bereit sein, den Marktpreis zu zahlen.
Dennoch besteht auch und gerade in einer Marktwirtschaft die Gefahr, dass Eigennutz in gemeinwohlschädigenden Egoismus umschlägt. Da die Natur des Menschen nicht dem Altruismus-, sondern dem Eigennutzprinzip entspricht, können sich auf dem Markt diejenigen am ehesten durchsetzen, die auch dann egoistisch ihre Ziele verfolgen, wenn dies dem Gemeinwohl schadet. Sie agieren mitunter zwar noch legal, aber an der Grenze zur Illegalität, sie bereichern sich illegitim auf Kosten Dritter. Führungskräfte in Unternehmen beuten Arbeitnehmer aus oder wirtschaften zu Lasten der Umwelt. Führungskräfte in der Politik nützen gesetzliche Grauzonen zur eigenen Bereicherung. Solche Grenzmoralisten sind der Grund für das negative Image, das der freiheitlichen Ordnung derzeit hierzulande anhaftet. Viel schlimmer noch: Der Wettbewerb lässt nicht nur das Wirtschaften als Grenzmoralist zu, er fördert es sogar.
Aufgrund des Wettbewerbsdrucks können die Unternehmen, die bewusst nach ethischen Standards handeln, nämlich am Markt zumeist nicht bestehen. Denn ethisch korrektes Wirtschaften hat seinen Preis, und die Einhaltung entsprechender Standards ist für solche Unternehmen ein zusätzlicher finanzieller Aufwand, der unter der Maxime der Kostendeckung an den Verbraucher weitergegeben wird. Das hat zwei Haken: Erstens ist der Verbraucher ein Schnäppchenjäger – er schaut auf die Preise. Zweitens kennt er die Vielzahl der Unternehmen nicht alle und weiß nur selten, ob diese moralisch integer wirtschaften. Da der Grenzmoralist sich nicht für ethische Werte, sondern nur für seinen Profit interessiert, bleiben ihm moralische Extrakosten erspart und er kann somit das Niedrigpreissegment dominieren. Das kommt beim Schnäppchenjäger gut an. Schließlich weiß dieser ja auch zumeist nicht um die moralischen Vorzüge teurerer Mitbewerber, für ihn zählt daher meistens der niedrige Preis. Der Grenzmoralist setzt sich durch, der moralisch Integere verschwindet vom Markt. Wenn die „guten“ Unternehmen am Markt weiter bestehen wollen, müssen sie sich am Grenzmoralisten und seinen niederen Standards orientieren und sich an ihn anpassen.
Eine Lösung für dieses Dilemma des Wettbewerbs zu finden erscheint schwierig. Die Natur des Menschen lässt sich nur schwer verändern oder beherrschen; der „sozialistische Mensch“, wie ihn ein Karl Marx bei seinem Lösungsansatz des Dilemmas im Kopf hatten, existiert in unserer Evolutionsgeschichte nicht. Die menschliche Eigenschaft des Eigennutzes ist kaum veränderlich, sie darf beim Gestalten der Wirtschaftsordnung nicht ignoriert werden. Demzufolge sind die Rahmenbedingungen an die Natur des Menschen anzupassen. Sie müssen verhindern, dass aus Eigennutz Gemeinwohlschädigung entsteht, ohne dass die Freiräume in dem Maße begrenzt werden, dass ein Überwachungsstaat sozialistischer Prägung entsteht, der die Freiheiten unnötigerweise einschränkt.
Freiheit kann und darf nicht bedeuten, dass ein Handeln zu Lasten unbeteiligter Dritter erlaubt ist. So etwas als legitim durchgehen zu lassen wäre ein anarchistischer Ansatz, kein marktwirtschaftlicher. Er wäre dem Laissez-faire zuzuordnen, einer Wirtschafts(un)ordnung, die sich vor der Etablierung der marktwirtschaftlichen Ordnung zu Zeiten der industriellen Revolution als quasi-anarchistische, da weitgehende regelfreie Form des Wirtschaftens durchgesetzt hatte. Um eine solche Anarchie zu vermeiden, muss der Mensch gewisse Einschränkungen seiner Freiheit in Kauf nehmen – im Sinne der Allgemeinheit und im Sinne der Freiheitsrechte der Anderen. Eine staatliche Rahmenordnung in Form von insbesondere gesicherten Eigentumsrechten sorgt für ein soziales Agieren der Akteure auf dem Markt. Wer anderen Schaden zufügt, soll dafür haften. Ist der Haftungsgrundsatz durchgehend implementiert, ist ein Agieren aus Eigennutz, das unbeteiligten Dritten schadet, nicht mehr möglich – im Falle einer Schädigung fallen entsprechende Kompensationsleistungen an. Die Freiheit wird kanalisiert.
Damit schränkt eine Marktwirtschaft die Freiheit des Einzelnen auch wieder ein, und zwar eben durch die Verteilung von Eigentumsrechten. So besitzen Menschen mit geringem Einkommen respektive wenig Eigentumsrechten einen eingegrenzten Handlungsspielraum und können diesem in der Regel aufgrund des Bildungsmangels auch nicht kurzfristig entweichen. Folglich fragen diese Menschen jedoch vermehrt Sicherheit statt Freiheit nach. Dies gefährdet das System Marktwirtschaft. Doch gerade der Markt ist es, der ihnen entsprechend des Leistungsprinzips auch die Chance des sozialen Aufstiegs – also die Möglichkeit, im Zeitablauf ihre Eigentumsrechte zu erweitern – bietet. Über Bildung lässt sich zusätzliches Einkommen generieren, und da eine funktionierende Marktwirtschaft eben Leistung belohnt, kann aufsteigen, wer sich anstrengt. Wenn auch die absolute Freiheit auf dem Markt durch die staatliche Rahmenordnung eingeschränkt wird, bedeutet das für den Menschen letztlich nicht eine Einschränkung bezüglich seiner möglichen freien Entfaltung, sondern vielmehr die Chance zur freien Nutzung der ihm im Rahmen der Eigentumsrechte geschaffenen Möglichkeiten.
Die Freiheit, die im Rahmen des marktwirtschaftlichen Systems entsteht, ist ständig bedroht. Auf der einen Seite versuchen Wettbewerber, durch technische Innovationen oder auch durch wettbewerbswidriges Verhalten monopolistische Spielräume zu schaffen sowie Wege zu finden, wie sie den Haftungsgrundsatz umgehen können. Monopolisten beuten ihre Kunden aus, Aufsichtsräte nutzen ihre Spielräume, sich ihnen nicht zustehende Privilegien zu beschaffen, Topmanager heimsen Boni ein und wälzen die Haftung für Risiken und Kosten, die sie auf diesem Weg verursachen, auf die Gesellschaft ab. Auf der anderen Seite mühen sich Kritiker des marktwirtschaftlichen Systems, die Rahmenordnung zu ändern: Weg von der Garantie von Freiheiten hin zu einem freiheitsfreien, auf Sicherheit und staatliche Zuweisung aufbauenden System. Im Sinne unserer Freiheit wie auch unserer Lebenszufriedenheit gilt es, beide Bedrohungen ernst zu nehmen und ihnen zu begegnen. Dazu ist jeder Einzelne aufgefordert, Mitverantwortung für die Weiterentwicklung unserer freiheitlichen Ordnung zu übernehmen.
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Super Beitrag!
Kann ich nur bestätigen!
Mich beschäftigt hierzu die Gemeinwohlökonomie, aber nicht um unsere Marktwirtschaft abzuschaffen sondern um die Marktteilnehmer sich gemeinwohlorentiert zu verhalten! Um einen Wettbewerb zu erzeugen der nicht nur auf billig ausgerichtet ist.
Lasst uns daran arbeiten, zum Wohle unserer Enkel!