Billige EZB-Liquidität: Licht und Schatten

Das Direktoriumsmitglied der EZB Benoit Coeure beklagte sich dieser Tage, dass die den Banken über EZB-Refinanzierungen billig zur Verfügung gestellte Liquidität nicht über entsprechende Kredite bei Unternehmen und Haushalten ankommt. Eine entsprechende Entlastung der Wirtschaft würde erst die volle Bedeutung der eingeleiteten Zentralbankmaßnahmen erkennen lassen.

Nun sollte man bei derartigen Aussagen generell vorsichtig sein, denn die Kompression von Ursachen und Wirkungen in wenige Sätze führt regelmäßig zu Unschärfen, bei denen man interviewten Mandatsträgern durchaus einigen Interpretations-Rabatt einräumen kann. Trotzdem sind die oben skizzierten Aussagen Coeures es wert, kritisch reflektiert zu werden.

Zunächst einmal geht es um die Frage, ob vorliegend die Verfügbarkeit von Krediten an sich ein Problem darstellt (Kreditklemme) oder ob sich Kredite nur zu im Verhältnis zur wirtschaftlichen Situation überhöhten Zinsen erlangen lassen, also neuhochdeutsch ein „mispricing“ am Kreditmarkt vorliegt. Zumindest hierzulande sind beide potenziellen Probleme aktuell nicht in größerem Umfang gegeben, was Coeur auch allgemein als Folge schwacher Kreditnachfrage eingeräumt hat. Ihm muss also vorschweben, dass bei einem Anziehen der Nachfrage Banken Kredite zu niedrigen Zinsen ausreichen sollen. Es bleibt abzuwarten, ob dies geschieht, und es ist fraglich, ob damit nicht die nächste Krise eingeläutet wird. Um dies zu zeigen, ist es zunächst wichtig, die beiden genannten Aspekte des vorgeblichen Kreditproblems zu trennen.

Hinsichtlich des reinen Verfügbarkeitsaspekts muss zunächst festgehalten werden, dass dort, wo es bei Banken überhaupt zu Engpässen kommt, diese durch die erhöhten Anforderungen an die Eigenkapitalunterlegung bedingt sind. Nun war es zwar grundsätzlich richtig, die vor der Finanzkrise bestehenden Eigenkapitalanforderungen zu erhöhen. Das Problem war und ist nur, dass Kreditrisiken dabei zu stark und Handelsrisiken zu gering gewichtet wurden. Während letztere durchaus noch eine stärkere Unterlegung mit Eigenmitteln verdienen würden, ist bei ersteren die erhöhte Anforderung im Zusammenspiel mit der allgemeinen Eigenkapitalknappheit mancher Institute die wesentliche potentielle Schranke für größere Verfügbarkeiten im Kreditbereich. Diese Schranke ist nun aber nicht im Einflussbereich der EZB, sondern der europäischen Standardsetter, deren jeweilige Regulierungen vom einschlägigen Publikum regelmäßig mit einer Kombination der Stadt Basel und einer römischen Ziffer tituliert werden. Wenn diese Schranke im Einzelfall nicht greift und ein Liquiditätsproblem hinsichtlich der Refinanzierung von Krediten bei einzelnen Banken besteht, muss sich die EZB allerdings fragen lassen, warum sie als Sicherheiten Forderungen gegenüber Staaten und Banken praktisch durchweg akzeptiert, während die Beleihung von Forderungen gegenüber Unternehmen – von Konsumenten ganz zu schweigen – sich unvergleichlich schwieriger gestaltet. Diese Frage ist freilich eher rhetorisch, denn diese Vorgaben sollten dazu führen, dass die Banken die freien Mittel nicht zuletzt in diese Sicherheiten investierten, was dann auch in großem Umfang geschah. Bei diesen offensichtlichen Prioritäten verliert die Beschwörung einer liquiditätsgetriebenen „Finanzierung der Wirtschaft“ viel Herzblut.

Was die Bedeutung des Kreditzinses angeht, ist ebenfalls Vorsicht angezeigt. Wenn die EZB die Refinanzierungskonditionen für Banken senkt, kann sie zumindest im kurzfristigen Bereich Druck auf das Zinsniveau ausüben. Dieser Druck ist aber im Moment nur bedingt hilfreich, denn im Bereich der normalen Refinanzierung von Kreditinstituten können die Zinsen kaum noch gedrückt werden, was ein „mispricing“ zudem umso unwahrscheinlicher macht: Tatsächlich refinanzieren sich Banken seit einiger Zeit teurer über Kundeneinlagen als über die EZB, weil die Einleger bei noch geringeren Zinsen zu Instituten  abwandern, die aufgrund ihrer Strukturen gezwungen sind, höhere Zinsen zu bieten, oder ihr Geld in gänzlich andere Kanäle lenken – von der privaten Bargeldhortung bis zu verzweifelten Umtrieben, mit irgendwelchen Anlagen viel höhere Renditen zu erzielen, obwohl man sich noch vor wenigen Jahren eigentlich geschworen hatte, dies nie wieder zu versuchen.

Für die betroffenen Banken entsteht daraus unversehens eine Zwickmühle: Entweder hält man die Kunden und riskiert dabei, die überlebensnotwendige Zinsmarge bei EZB-gewollt rückläufigen Kreditzinsen nicht mehr zu erreichen, oder man lässt sie ziehen und nimmt in Kauf, dass die enttäuschten Einleger bei einem Drehen der Verhältnisse nicht oder nur zu überhöhten Guthabenzinsen wieder zurückkehren und das Zinsmargenproblem dann in der „2. Runde“ den Bestand der Bank gefährdet. Ausgerechnet die „braven“ kleinen und mittelgroßen Kreditinstitute, die weder die 2008er Finanzkrise noch außer Kontrolle geratene Staatsfinanzen in Südeuropa zu verantworten, sondern beide finanziellen Brandherde bislang ohne öffentliche Hilfe überstanden haben, sind in jedem Fall die Gekniffenen. Im Ergebnis wird die Krise damit möglicherweise auf den Teil des Bankensektors ausgedehnt, der maßgeblich für die Finanzierung des lokalen/regionalen Mittelstands verantwortlich ist – es sei denn, alles erholt sich in Windeseile und wir machen uns ohnehin alle nur unnötige Sorgen.

All dies heißt nicht, dass die Liquiditätsspritzen der EZB für den Bankensektor grundsätzlich falsch sind. Sie haben durchaus Gutes bewirkt und werden auch weiterhin positive Effekte zeigen. Man sollte sich indessen darüber im Klaren sein, dass der Preis für angestrebte Wirkungen durchaus sehr hoch sein könnte und kein Anlass besteht, das Eintreten dieser Wirkungen ebenso undifferenziert wie publikumswirksam herbeizusehnen, denn auch hier wird ein begehrtes Licht so manchen Schatten werfen.

 

5 Antworten auf „Billige EZB-Liquidität: Licht und Schatten“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert