I.
Im Jahr 1929 veröffentliche Ludwig von Mises (1881 – 1973) seine Aufsatzsammlung Kritik des Interventionismus. Untersuchungen zur Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsideologie der Gegenwart. Was meint Mises mit Interventionismus? Mises versteht darunter „ein System des durch Eingriffe der Regierung und anderer gesellschaftlicher Zwangsmächte (z. B. der Gewerkschaften) beschränkten, geregelten und geleiteten Sondereigentums. Die Wirtschaftspolitik, die diesem Ideal zustrebt, nennen wir Interventionismus, das System selbst die Gebundene Wirtschaft.“[1]
Unter Interventionismus ist demnach ein Wirtschaftssystem zu verstehen, in dem der Staat durch Weisungen, Vorschriften, Regulierung, Gebote und Verbote den Eigentümern vorschreibt, was sie mit ihrem Eigentum dürfen und was nicht. Anders als im Sozialismus darf jeder Bürger und Unternehmer sein Eigentum formal behalten. Der Staat schränkt jedoch die Verfügungsrechte der Eigentümer über ihr Eigentum (zusehends) ein. Für Mises ist der Interventionismus ein System, in dem das Privateigentum zwar nominell besteht, der Staat jedoch zusehend in das Marktgeschehen eingreift, um „politisch wünschenswerte(re)“ Ergebnisse zu erzielen.
Mises zentrale Einsicht, die er in Kritik des Interventionismus formuliert, ist, dass jeder Markteingriff des Staates, der die privaten Eigentumsrechte verletzt, kontraproduktiv ist. Der Interventionismus kann die Ziele, die seine Befürworter mit ihm vorgeben erreichen zu wollen, nicht erreichen. Er zwingt die Menschen, sich in einer Weise zu verhalten, wie sie sich aus wohlverstandenem Eigeninteresse nicht verhalten wollen. Folglich versuchen die Betroffenen, sich dem auf sie ausgeübten Zwang zu entziehen. Die Tatsache, dass der Interventionismus seine Ziele nicht erreicht, überzeugt seinen Befürworter jedoch nicht etwa von seiner Unmöglichkeit. Es bestärkt ihn vielmehr in ihrem Eifer: Er fordert „weitergehende“, „bessere“ und „innovativere“ Interventionen: „Daß das System schlecht funktioniert, schreibt er ausschließlich dem Umstande zu, daß die Gesetze nicht weit genug gehen und daß ihre Durchführung durch Korruption behindert wird. Gerade der Mißerfolg der Interventionspolitik bestärkt ihn in der Überzeugung, daß das Sondereigentum durch strenge Gesetze kontrolliert werden müsse. Die Korruption der mit der Ausführung der Staatsaufsicht betrauten Organe erschüttert nicht sein blindes Vertrauen in die Unfehlbarkeit und Makellosigkeit des Staates; sie erfüllt ihn nur mit moralischem Abscheu gegenüber den Unternehmern und Kapitalisten.“[2]
Den Teufelskreis des Interventionismus und sein Ergebnis hat Alexander Rüstow (1885 – 1963) eindringlich zusammengefasst: „Der Staat macht bestimmte Eingriffe in der Absicht, sich auf sie zu beschränken. Aber diese Eingriffe führen zu unvorhersehbaren Folgen, die ihrerseits neue, ursprünglich nicht beabsichtigte Eingriffe nötig machen. Mit diesen neuen Eingriffen geht es wieder ebenso, usw. usf. Und wenn die Grenze der Staatseingriffe nicht auf eine einsichtige und haltbare Weise von vornherein mindestens im Prinzip festliegt, wenn die privaten Wirtschafter irgendeines bisher noch freigelassenen Wirtschaftssektors mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass der Staat über kurz oder lang auch in ihre Sphäre in nicht vorausrechenbarer Weise eingreift, so hört die Möglichkeit langfristiger Kalkulation und solider Geschäftsführung auf. Es finde geradezu eine Regression auf jene vorkapitalistische Epoche statt, wo, mangels sicherer Vorausberechenbarkeit, „Krieg, Handel und Piraterie“ noch nicht zu trennen waren.“[3]
II.
Wie problematisch der Interventionismus ist, sei im Folgenden anhand dreier Beispiele aufgezeigt. Beispiel Mindestlohn: Der Staat erhebt einen Mindestlohn, um die Einkommensbedingungen der Arbeitnehmer zu verbessern. Ist der Mindestlohn höher als der Lohn, der sich beim freien Spiel um Angebot und Nachfrage im Arbeitsmarkt einstellt, so ist ungewollte Arbeitslosigkeit die Folge: Bei solch einem Mindestlohn wird die Nachfrage kleiner sein als das Arbeitsangebot, und sie wird auch geringer sein im Vergleich zur Situation, in der der Staat keinen Mindestlohn erhebt. Eine Mindestlohnpolitik wird die Beschäftigungszahl nicht steigern, sondern vielmehr verringern. Besonders betroffen sind dabei die niedrig qualifizierten Arbeitnehmer, also diejenigen, die ohnehin schon ein geringes Einkommen haben. Sie sind die ersten, die bei einem Mindestlohn nicht mehr bezahlbar sind und keine Anstellung mehr finden.
Beispiel Mietpreisbegrenzung: Der Staat will den Mietpreis absenken, um Wohnraum „bezahlbar“ zu machen. Dazu fixiert er einen Höchstpreis für Mietzahlungen. Wenn der Höchstpreis für Mieten niedriger ausfällt als der marktübliche Preis, übersteigt die Nachfrage nach Mietraum das Angebot von Mietraum. Das Angebot von Mietraum muss irgendwie zugeteilt, also „rationiert“ werden. Die absehbaren Folgen bei Angebotsknappheit unter (Miet-)Höchstpreis sind „Warteschlangen“, Korruption und Vetternwirtschaft. Ein Höchstpreis für Vermietung wird Investoren davon abhalten, in neue Wohnungen zu investieren. Das gilt sowohl für Instandhaltungs- als auch für Erneuerungsinvestitionen. Die Folge ist eine Verschlechterung der Wohnbedingungen für Mieter. Eine Mietpreisobergrenze reduziert also nicht nur den Wohnraum, er verschlechtert auch die Lebensqualität der Mieter.
Beispiel Kredit- und Geldsystem: In kaum einem anderen Bereich lassen sich die destruktiven Konsequenzen des Interventionismus so deutlich erkennen wie im staatlich beherrschten Kredit- und Geldsystem. Die staatliche Monopolisierung der Geldproduktion und das Verwenden von Papier- oder „Fiat“-Geld, das durch Bankkredite in Umlauf gebracht wird, befördert nicht nur die Inflation und die damit verbundene, nicht-marktkonforme (Um-)Verteilung von Einkommen und Vermögen. Es führt auch zu Fehlinvestitionen, Kapitalaufzehrung, „Boom-und-Bust“-Zyklen, wachsender Überschuldung und vor allem zu einem sich immer weiter ausdehnenden Staatsapparat zu Lasten der Privatwirtschaft. Das Fiat-Geld ist nicht nur eine Schöpfung des Interventionismus, es dient ihm geradezu als Katalysator – und treibt damit Entwicklungen voran, die großes Übel mit sich bringen: Zerrüttung oder gar Zerstörung der freiheitlichen Ordnung, vor allem auch durch Geldwertzerstörung. Bereits 1922 schrieb Mises: „Die destruktionistische Politik des Interventionismus und Sozialismus hat die Welt in schwere Not gestürzt. Ratlos stehen die Politiker der Krise gegenüber, die sie heraufbeschworen haben. Und sie wissen keinen anderen Ausweg zu empfehlen als neue Inflation, oder, wie man in der jüngsten Zeit zu sagen pflegt, Re-Deflation.“[4]
Das europäische Integrationsprojekt ist zum Großprojekt der Interventionisten mutiert. Die staatlich oktroyierte Einheits-Papierwährung Euro funktioniert nicht so, wie es sich die Planer gedacht haben. Der Maastricht-Vertrag und der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt haben die staatliche Verschuldung nicht, wie geplant, im Zaume halten können, weil die Anreize, die die Euro-Einheitswährung unter dem Regime der Europäischen Zentralbank (EZB) setzt, die Verschuldung zu erhöhen. Der Euro-Bankenapparat konnte im Zuge der großzügigen EZB-Geldpolitik gewaltig anwachsen und kann mittlerweile nur noch durch künstlich verbilligte Zentralbankkredite und (eine in Aussicht gestellte) unbegrenzte Basisgeldzufuhr vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt werden.
Um die Schäden, die der Interventionismus angerichtet hat, nicht in Erscheinung treten zu lassen, wird nun zu immer weitreichenderen Interventionen gegriffen. Dem politischen Ziel, den Euro um jeden Preis zu erhalten, wird dabei nahezu alles untergeordnet. Die EZB kündigt an, Staatsanleihen aufkaufen zu wollen, wenn sie das für nötig erachtet – etwas, das gegen das vertragliche Verbot der Haushaltsfinanzierung durch die EZB verstößt. Die nationale Fiskalverantwortlichkeit wird gekippt, indem mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) eine supranationale Verschuldungsebene geschaffen wird. Eine Bankenunion wird auf den Weg gebracht. Offiziell, um das Euroraum-Bankwesen „sicherer“ zu machen, inoffiziell, um den Wettbewerb im Euroraum auszuschalten, der schwache Anbieter aussortiert und starken Anbietern Marktanteile zukommen lässt. Die EZB steigt zur zentralen Machtschaltstelle im Euroraum auf: Ihre Zins- und Geldmengenvermehrungsentscheidungen befinden über das Wohl oder Wehe von nationalen Regierungen, Banken, Konjunkturen und letztlich nationalen Wirtschaftsstrukturen.
III.
Der Befund, dass der Interventionismus das prosperierende Gemeinwesen schädigt, ist eine ökonomische Gesetzmäßigkeit. Greift der Staat in die Eigentumsrechte der Handelnden ein (etwa durch Besteuerung, Ge- und Verbote), so muss notwendigerweise die Produktionsleistung abnehmen. Die Kosten der Produktion steigen. Investieren wird weniger attraktiv. Der Interventionismus sorgt dafür, dass knappe Ressourcen vom Produzenten hin zu Nichtproduzenten umverteilt werden, so dass die produktive Leistungsfähigkeit notwendigerweise weniger stark wächst (sie kann sogar abnehmen!) im Vergleich zu einer Situation, in der es keine Intervention gibt. Der Interventionismus ist daher zweckwidrig. Er versucht, einen vermeintlichen „Überschuss“, den die einen erwirtschaften, den anderen zu übertragen. Dadurch untergräbt er notwendigerweise die Prozesse, die das Erzielen eines „Überschusses“ überhaupt erst möglich machen. Der Interventionismus ist also (selbst-)zerstörerisch und kann nicht dauerhaft Bestand haben.
Mises zeigt damit auf, dass der Interventionismus – heute würde man dazu vermutlich „soziale Marktwirtschaft“ oder „dritter Weg“ der gesellschaftlichen-wirtschaftlichen Organisation sagen – notwendigerweise scheitern muss. Der Interventionismus versucht, das „Gute“ und „Wünschenswerte“ von Kapitalismus und Sozialismus zu nutzen und gleichzeitig das „Schlechte“ und „Unerwünschte“ dieser Systeme auszuschalten. Er versucht also einen Weg zu beschreiten, der sich zwischen Sozialismus und Kapitalismus bewegt. Der Interventionismus kann jedoch keine dauerhafte Organisationsform gesellschaftlicher Kooperation sein. Eine Gesellschaft, die sich auf den Interventionismus einlässt, wird, wenn sie an ihm festhält, früher oder später in einem sozialistisch-totalitären System enden; oder sie lässt vom Interventionismus ab, dann aber muss sie sich dem Kapitalismus zuwenden – dem System des unbedingten Respekts des Privateigentums. Ein Mittelweg zwischen Sozialismus und Kapitalismus ist nicht gangbar.
Im Zuge eines immer stärker um sich greifenden Interventionismus werden seit Jahren marktwirtschaftliche Grundprinzipien über Bord geworfen, befördert von ökonomischen Lehren, die die Konsequenzen von Politikmaßnahmen entweder verkürzt darstellen oder gar fehleinschätzen. Den Geist des Neo-Interventionismus legitimierend, dringt der Staat immer weiter in alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche vor, ob Arbeitsmärkte, Energiepolitik, Gesundheitswesen, Altersvorsorge und Kredit- und Geldwesen. Immer mehr staatliche Ge- und Verbote reglementieren und verengen die Handlungsfreiheiten der Bürger und Unternehmer. Dieser Weg führt, wenn er immer weiter beschritten wird, zur Errichtung eines sozialistischen-totalitären Gemeinwesens. Die Verformung der Gesellschaft in eine planwirtschaftliche Konstruktion zerstört nicht nur die Freiheit, sondern auch den Wohlstand und die friedvolle Kooperation national wie international.
Mises“˜s Kritik des Interventionismus hat an Aktualität nichts eingebüßt und muss wieder verbreitet werden. Die Hingabe an den Interventionismus ist kein Kavaliersdelikt, der geduldet werden darf, sondern geradezu ein Spiel mit dem Feuer. Mises wusste das, als er 1940 das Folgende schrieb: „Mit dem Schicksal der Nationalökonomie ist das Geschick der modernen Kultur, wie sie die Völker weisser europäischer Rasse seit zweihundert Jahren ausgebaut haben, unlösbar verknüpft. Diese Kultur konnte entstehen, weil die Völker von Ideen beherrscht wurden, die die Anwendung der Lehren der Nationalökonomie auf die Politik darstellten. Sie wird und muss verschwinden, wenn die Politik auf den Wegen, die sie unter dem Einfluss der die Nationalökonomie bekämpfenden Lehren eingeschlagen hat, weiterschreiten sollte.“[5]
Friedrich August von Hayek (1899 – 1992) schrieb später – Mises’s Kritik des Interventionismus im Hintergrund –, dass „der Sozialismus als bewußt anzustrebendes Ziel zwar allgemein aufgegeben worden ist, es aber keineswegs sicher ist, daß wir ihn nicht doch errichten werden, wenn auch unbeabsichtigt. Die Neuerer, die sich auf die Methoden beschränken, die ihnen jeweils für ihre besonderen Zwecke am wirksamsten scheinen, und nicht auf das achten, was zur Erhaltung eines wirksamen Marktmechanismus notwendig ist, werden leicht dazu geführt, immer mehr zentrale Lenkung der wirtschaftlichen Entscheidungen auszuüben (auch wenn Privateigentum dem Namen nach erhalten bleiben mag), bis wir gerade das System der zentralen Planung bekommen, dessen Errichtung heute wenige bewußt wünschen. Außerdem finden viele der alten Sozialisten, daß wir schon so weit auf den Zuteilungsstaat zugetrieben sind, daß es jetzt viel leichter scheint, in dieser Richtung weiter zu gehen, als auf die etwa in Mißkredit geratene Verstaatlichung der Produktionsmittel zu drängen. Sie scheinen erkannt zu haben, daß sie mit einer verstärkten staatlichen Beherrschung der nominell privat gebliebenen Industrie jene Umverteilung der Einkommen, die das eigentliche Ziel der sensationelleren Enteignungspolitik gewesen war, leichter erreichen können.“[6] Hayek warnt hier, wie lange Zeit vor ihm es bereits Mises tat, vor der „Interventionismus-Falle“.
Literatur
Hayek, F. A. v. (1991),Die Verfassung der Freiheit, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen.
Mises, L. v. (1940), Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens, Editions Union Genf.
Mises, L. v. (2007), Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus, unveränderter Nachdruck der zweiten, umgearbeiteten Auflage, Jena 1932, Lucius & Lucius, Stuttgart.
Mises, L. v. (2013), Kritik des Interventionismus, Untersuchungen zur Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsideologie der Gegenwart, Nachdruck der Ausgabe Jena 1929, H. Akston Verlags GmbH, München.
Rüstow, A. (1949), Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, Godesberg.
[1] Mises (2013), Kritik des Interventionismus, S. 19.
[2] Mises (2013), Kritik des Interventionismus, S. 13 – 14.
[3] Rüstow (1949), Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, S. 25 f.
[4] Mises (2007), Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus, S. 461.
[5] Mises, L. v. (1940), Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens, Editions Union Genf, S. 7.
[6] Hayek (1960), Verfassung der Freiheit, S. 327.
Beiträge der Serie “Ordnungspolitische Denker heute“:
Wolf Schäfer: Verkehrswege in Deutschland: Falsche Institutionen
Ulrich van Suntum: Ordnungspolitische Leere: Es steht mehr auf dem Spiel als nur die Effizienz
Rainer Hank: Was wir von Wilhelm Röpke lernen sollten – und was lieber nicht.
- Kurz kommentiert
Verbietet den Zentralbanken, Aktien zu kaufen - 12. September 2016 - Auf dem Weg in eine Welt ohne Renditen - 19. Juli 2016
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Man muss diese auf Erfahrung basierenden Erkenntnisse immer wieder in Erinnerung rufen.
…finde ich auch! Bitcoin zeigt doch, dass es auch ohne Staat geht!