Ordnung in der Währungspolitik (2)
Schweizer Nationalbank löst Tsunami an den Finanzmärkten aus

Nach knapp dreieinhalb Jahren hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Wechselkursuntergrenze des Schweizer Frankens (CHF) gegenüber dem Euro am 15. Januar überraschend aufgehoben und damit erhebliche Schockwellen nicht nur an den Devisen- sondern auch an anderen Finanzmärkten ausgelöst. Der Chef des Uhrenherstellers Swatch, Nick Hayek, sprach in diesem Zusammenhang von einem Tsunami. Abbildung 1 zeigt, dass unmittelbar, nachdem die SNB um 10.30 Uhr angekündigt hatte, die Stützung des CHF aufzugeben, der Wechselkurs gegenüber dem Euro um nahezu 35 Prozent von 1,20 CHF auf etwa 0,85 CHF für einen Euro aufwertete. Nach diesem ersten Prozess des Überschießens pendelte sich der neue Wechselkurs bei etwa einem Franken für einen Euro ein – was immer noch einem Aufwertungssatz von ca. 15 Prozent entspricht. Parallel dazu verlor der Schweizer Aktienindex SMI im Tagesverlauf ca. neun Prozent – zeitweise sogar 14 Prozent – an Wert, weil man von einem aufwertungsbedingten erheblichen Wettbewerbsverlust der schweizerischen Exportwirtschaft ausgeht.

CHF
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Weitere Auswirkungen dieses überraschenden Schritts der SNB sind insbesondere im Bankenbereich und bei Brokern zu beobachten: Angeregt durch die Ankündigung der SNB, den Mindestwechselkurs in Höhe von 1,20 Franken für einen Euro mit allen Mitteln – d.h. mit unbeschränkten Devisenkäufen – durchzusetzen, hat der bereits frühzeitig sehr niedrige Zinssatz in der Schweiz in großem Umfang sogenannte Carry Trades – also eine Kreditaufnahme in einer niedrig verzinsten Währung und eine Anlage in einer höher verzinsten Währung – ausgelöst. Neben dem Zinsvorteil zu Gunsten einer Kreditaufnahme in der Schweiz wurde darüber hinaus „schlimmstenfalls“ ein Aufwertungsgewinn bei Anlagen in Euro (durch einen steigenden Wechselkurs bei einer Abwertung des CHF) erwartet. Man betrachtete die Kreditaufnahme in der Schweiz somit als Einbahnstraßen-„Spekulation“, bei der man – da eine Aufwertung des CHF höchst unwahrscheinlich erschien – nur gewinnen könnte. Die nun stattdessen eingetretenen Verluste haben dazu geführt, dass die Aktien des US-Online-Brokers FXCM um 90 Prozent sanken und der britische Broker Alpari sowie der neuseeländische Broker Global Brokers NZ Insolvenz anmeldeten. Aber auch Privatpersonen sowie (deutsche) Kommunen sind auf diesen Zug aufgesprungen; mit dem Ergebnis, dass die nun erfolgte Aufwertung des CHF zu einer Erhöhung des Schuldendienstes im Umfang des Aufwertungssatzes führt und die entsprechenden Kreditnehmer in vielen Fällen vor erhebliche Probleme stellen wird. Dieses Beispiel zeigt aber auch, wie groß das Risiko solcher Carry Trades ist – und zwar nicht nur bei flexiblen, sondern auch bei (vermeintlich) festen Wechselkurs(ziel)en.

Verluste erleidet aber auch die SNB selbst aufgrund der Neubewertung ihrer Devisenreserven im Gegenwert von nahezu 500 Mrd. CHF. Man geht davon aus, dass sich dieser Verlust auf etwa 60 Mrd. CHF beläuft. Der jüngst verkündete Gewinn der SNB in Höhe von 38 Mrd. CHF für das Jahr 2014, der zum Teil an den Bund und die Kantone ausgeschüttet wird, wird sich daher im nächsten Jahr eher in einen Verlust verwandeln. Im Gefolge der Wechselkursfreigabe kam es insgesamt zu einer höchst unsicheren Marktlage. Daher strebten die Anleger (zumindest kurzfristig) in „sichere Häfen“ und fragten verstärkt schweizerische und deutsche Staatsanleihen nach, was die Rendite zehnjähriger deutscher Staatsanleihen mittlerweile auf etwa 0,40 und diejenige schweizerischer Staatsanleihen auf etwa –0,30 Prozent sinken ließ.

Neben den Nahwirkungen in der Schweiz könnte aber auch die Wechselkursbindung Dänemarks als Fernwirkung von der Maßnahme der SNB betroffen werden. Im Rahmen des EWS II hat Dänemark die Krone mit einer Schwankungsmarge von nur +/ – 2,25 Prozent an den Euro gebunden. Durch die Aufwertung des CHF und die Anhebung der Negativzinsen durch die SNB sind Anlagen in Dänemark – wo ein Leitzins von 0,05 Prozent herrscht – deutlich attraktiver geworden. Käme es zu umfangreichen Kapitalzuflüssen, könnte auch diese Wechselkursbindung unter Druck geraten. Da der Handel Dänemarks aber noch weit stärker als im Fall der Schweiz von der Eurozone abhängt, ist wohl eher damit zu rechnen, dass die Dänische Zentralbank (zunächst) alles versuchen wird, um die handels-strategisch wichtige Wechselkursbindung zu gewährleisten. Bei Druck auf die dänische Krone wird man wohl – wie bereits 2012 – zunächst versuchen, über Negativzinsen die Attraktivität der Währung zu reduzieren. Im äußersten „Notfall“ bliebe dann noch eine einmalige Aufwertung durch die Neufestsetzung des fixierten Mittelkurses von aktuell 7,46 dänischen Kronen für einen Euro.

Begründet wurde die Wechselkursuntergrenze bei der Einführung 2011 zum einen mit dem Schutz der schweizerischen Exportindustrie, die als Folge der stetigen Aufwertung seit 2007 in immer stärkerem Maße an Preiswettbewerbsfähigkeit gegenüber der Eurozone verloren hatte. Dies galt sowohl für Dienstleistungen wie etwa den Tourismus als auch für den Warenhandel. Als Ergebnis dieser Entwicklungen stagnierte die Schweizer Wirtschaft und die Verbraucherpreise sanken. Abbildung 2 zeigt, dass der Anteil der schweizerischen Exporte nach Europa in der Zeit von 2007 bis 2011 deutlich zurückgegangen ist, während dieser Anteil in der Phase der Wechselkursuntergrenze nahezu konstant geblieben ist. Somit scheint zumindest der Schutz der schweizerischen Wirtschaft weitgehend gelungen zu sein. Hierdurch wurde aber nur Zeit für die Exportunternehmen „gekauft“, die es ihnen ermöglichen sollte, sich durch verstärkte Produktivitätsfortschritte an die neuen Verhältnisse anzupassen. Doch selbst wenn man diese Zeit genutzt hat, wird die jetzt vollzogene (reale) Aufwertung des CHF (siehe auch Abbildung 4) den Druck auf die schweizer Exportwirtschaft wieder erhöhen. Neuerliche Wettbewerbsverluste erwartet man nun – wie die Kursentwicklung bei den Einzelaktien im SMI zeigt – insbesondere im Bereich der Luxusgüterproduktion, der Banken und der chemischen Industrie. Dabei handelt es sich in vielen Fällen um Branchen, die in der Schweiz produzieren, aber in erheblichem Umfang ihre Produkte im (Euro-)Ausland absetzen. Nachteilen beim Verkauf von Endprodukten in die Eurozone stehen dabei allerdings auch Vorteile beim Import von Vor- und Endprodukten gegenüber. Dies wird ferner dazu führen, dass die Schnäppchentouren von Käufern aus der Schweiz in den grenznahen Gebieten der Eurozone noch weiter zunehmen werden.

Exporte
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Ein zweites Argument für die Wechselkursuntergrenze bildete die Ankurbelung der heimischen Wirtschaft sowie die Vermeidung einer drohenden Deflation, die man mit Hilfe einer expansiven Geldpolitik erreichen wollte. Nachdem die SNB im Zusammenhang mit der Finanzkrise und zur Entlastung des Interbankenmarktes den Zinssatz auf ein Niveau von nahe Null gesenkt hatte, stand dieses Instrument seit 2009 nur noch sehr eingeschränkt zur Verfügung. Ähnlich wie der amerikanischen Zentralbank (Fed) blieb der SNB daher (vermeintlich) nur eine quantitative Lockerung (Quantitative Easing), um weitere expansive geldpolitische Impulse auszulösen. In einer Volkswirtschaft, in der auf der einen Seite die Staatsverschuldung vergleichsweise niedrig ist und damit wenige Staatsschuldpapiere umlaufen, auf der anderen Seite aber auch nur ein begrenztes Maß an Unternehmensanleihen zur Verfügung steht, lässt sich ein solches QE aber nur über Devisenmarktinterventionen durchführen. Dies setzt allerdings voraus, dass deren geldpolitische Wirkungen nicht sterilisiert, sondern in vollem Umfang wirksam werden. Abbildung 3 zeigt, dass dies in den zurückliegenden Jahren durchaus der Fall war. So verlaufen die Entwicklungen der Bilanzsumme der SNB sowie die Veränderung der Währungsreserven (ohne Gold) nahezu parallel. Die Interventionsverpflichtungen der SNB – die im Gegensatz zu manchen Erwartungen auch tatsächlich notwendig wurden – führten dazu, dass sich ihre Bilanzsumme seit der Einführung der Wechselkursuntergrenze mehr als verdoppelte. Dies führte dazu, dass die Bilanzsumme der SNB mittlerweile etwa 85 Prozent des BIP ausmacht. Im Gegensatz dazu belaufen sich die entsprechenden Quoten für die amerikanische Fed, die EZB und die Bank of England auf etwa 25 Prozent sowie für die Bank of Japan auf 43 Prozent. Die Inflationsrate hat sich während des gleichen Zeitraums jedoch kaum verändert und schwankt seit 2013 mit kleinen Ausschlägen um null Prozent. Abbildung 3 zeigt ferner, dass dieser Zuwachs der Bilanzsumme weit überwiegend in (Staats-)Anleihen gehalten wird, was dazu geführt hat, dass die Schweiz mit geschätzten 175 Mrd. Euro mittlerweile der größte Gläubiger des deutschen Staates ist.

Bilanzsumme
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Warum hat die SNB aber gerade jetzt die Wechselkursuntergrenze des CHF gegenüber dem Euro aufgegeben? Der Grund dafür ist wohl in erster Linie in der aktuellen Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zu sehen. Seit Monaten wurde über eine quantitative Lockerung laut nachgedacht, die nun am 22. Januar zur Gewissheit wurde. Bis zum September 2016 will die EZB (Staats-)Anleihen im Umfang von monatlich 60 Mrd. Euro ankaufen, um die Wirtschaft der Eurozone – mit Blick auf das reale Wirtschaftswachstum und die Inflationsrate – anzukurbeln. Den Weg dazu hatte nicht zuletzt der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs geebnet, der am 14. Januar in einem Gutachten erklärte, dass er das Staatsanleihenprogramm OMT der EZB – wenn auch unter bestimmten Bedingungen – grundsätzlich als mit dem EU-Recht vereinbar ansehe. Sowohl die Erwartung als auch die tatsächliche Ankündigung dieses Ankaufsprogramms in Höhe von 1,14 Bil. Euro hat zu einer erheblichen Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar geführt. Anleger suchen Alternativen zum Euro und hätten sicherlich in noch größerem Umfang die Flucht auch in den CHF angetreten, was zu erneuten umfangreichen Interventionsverpflichtungen der SNB und einer damit verbundenen Ausweitung ihrer Bilanzsumme geführt hätte. Damit wäre aber das (längerfristige) inflationäre Potential – was allerdings bisher nicht zum Tragen gekommen ist – für die Schweiz immer weiter angestiegen. Möglicherweise war die SNB also nicht mehr zu einer so weitgehenden Einschränkung ihrer (autonomen) Geldpolitik bereit, da bei einem Wechselkursziel das nationale Gleichgewicht (in Form der Preisniveaustabilität) dem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht, hier im Sinne eines Mindestwechselkurses, untergeordnet werden muss.

Flankiert wurde die Aufhebung der Wechselkursuntergrenze durch eine weitere Senkung des Leitzinses. Die SNB strebt nun ein Zielband für den unbesicherten Drei-Monats-Franken im Londoner Interbankenmarkt (Libor) von –1,25 bis –0,25 Prozent an. Zugleich wurde der Negativzins für Guthaben von Geschäftsbanken bei der SNB (Einlagensatz) von 0,25 Prozent auf 0,75 Prozent heraufgesetzt. All dies soll den Anreiz, Kapital in der Schweiz anzulegen und damit eine (weitere) Aufwertung des CHF auszulösen, reduzieren. Die SNB behält sich ferner vor, auch in Zukunft am Devisenmarkt einzugreifen – obgleich solche fallweisen Interventionen gegen den Markttrend wohl kaum zu einer nachhaltigen Beeinflussung des CHF-Kurses führen dürften.

Ein weiteres Argument, das Thomas Jordan, der Präsident der SNB, zur Begründung anführte, betrifft das Ausmaß der Überbewertung des CHF. Nach seinen Aussagen ist die Überbewertung gegenwärtig nicht mehr so ausgeprägt wie bei der Einführung der Wechselkursuntergrenze. Misst man die Überbewertung an der Kaufkraftparität, dann verdeutlicht Abbildung 4, dass diese Aussage richtig ist – allerdings nur bezogen auf die Preisuntergrenze von 1,20 CHF für einen Euro. Durch die niedrigere Inflation in der Schweiz im Vergleich zur Eurozone während der letzten dreieinhalb Jahre hat sich der Verlust an Preiswettbewerbsfähigkeit und damit der Konkurrenzdruck für die schweizerischen Anbieter reduziert. Der Kaufkraftparitätenkurs hat sich auf die Wechselkursuntergrenze zubewegt! Durch die Aufwertung des CHF knapp unter einen CHF für einen Euro hat sich die Überbewertung allerdings wieder deutlich erhöht. Geht man davon aus, dass der gegenwärtige Wechselkurs das längerfristige Kursniveau widerspiegelt, ist der (kurzfristige) Verlust an Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Exportindustrie eher größer als bei der Einführung der Wechselkursuntergrenze. Der Druck, Kosten zu senken, wird also in der nächsten Zeit noch einmal deutlich zunehmen. Auf der anderen Seite gewährleistet ein realistischer Wechselkurs allerdings auch, dass keine Unternehmen – ungerechtfertigter Weise – über die Wechselkurs-„Subvention“ künstlich am Leben erhalten werden.

Bilanzsumme
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Hinzu kommt, dass die potenziellen Bewertungsverluste auf ihren Bestand an Währungsreserven bei einer späteren Wechselkursfreigabe über den jetzigen Verlust von etwa 60 Mrd. CHF hinaus nochmals massiv in die Höhe geschnellt wären. Da ihr bereits deutlich kleinere Bewertungsverluste aufgrund von Devisenmarktinterventionen in Höhe von etwa 70 Mrd. CHF und der im Gegenzug erfolgte Ankauf von Euro in der Zeit von März 2009 bis Juni 2010 herbe Kritik eingetragen hatte, mag dies ein weiteres Argument für die Wechselkursfreigabe gewesen sein.

Demgegenüber hat aber auch die Glaubwürdigkeit der SNB – zumindest was ein künftiges Wechselkursziel angeht – in erheblichem Maße gelitten. Ein weiteres Mal wird man ihr die bedingungslose „Garantie“ eines Wechselkursziels wohl kaum abnehmen. Unter den sich verändernden Rahmenbedingungen ist die Entscheidung der SNB allerdings nachvollziehbar. Dies gilt sowohl für den Zeitpunkt als auch für das Vorgehen: Ein schrittweiser Ausstieg mit vorheriger Ankündigung wäre einem Freifahrtschein für Spekulanten gleichgekommen und der Übergang zu einer Wechselkursbindung an einen Währungskorb wäre aufwendig und für die Marktteilnehmer wenig durchschaubar gewesen. Mithin kann man das Vorgehen der SNB als einen „clean exit“ ansehen.

Blog-Beiträge aus der Serie „Ordnung in der Währungspolitik“:

Wolf Schäfer: Die Schweiz: Nicht mit dem Euro in die Krise!

 

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Schweizer Nationalbank löst Tsunami an den Finanzmärkten aus“

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