Am aktuellen Rand
Finanzmarktwaffen gegen Russland
Hat Wladimir Putin die Folgen unterschätzt?

Mit der russischen Invasion in der Ukraine hat eine internationale Welle der Solidarität eingesetzt, die Finanz- und Waffenhilfe für die Ukraine, den Abbruch von Geschäftsbeziehungen mit Russland sowie Finanzmarktsanktionen gegen Russland umfasst. Da viele westliche Industrieländer von russischen Rohstoffen abhängig sind, liegt der Schwerpunkt der Sanktionen nicht auf den Rohstoff-, sondern den Finanzmärkten. Dies fügt sich in den Trend, dass die Finanzmärkte eine wachsende Bedeutung für die wirtschaftliche Stabilität gewonnen haben. Inzwischen spricht man von „Finanzmarktwaffen“.

Ein Fokus der Sanktionen ist das Zahlungssystem SWIFT, mit dem internationale Zahlungen schnell, sicher und effizient abgewickelt werden können. Da für jeden Verkauf von Gütern über Grenzen hinweg Zahlungen erfolgen müssen, erleichtert SWIFT den internationalen Handel. Bei einem kompletten Ausschluss aus SWIFT hätte Russland zumindest kurzfristig keine Rohstoffe mehr exportieren können. Da Rohstoff- und Energieimporte für die westlichen Industrieländer aber sehr wichtig sind, hat man Banken, die den Rohstoffhandel abwickeln, vom Boykott ausgenommen.

Hingegen dürfte es zu Problemen beim Import von Industriegütern kommen, was die russische Wirtschaft jedoch weniger schädigen wird. Zudem könnte Russland die SWIFT-Blockade über das eigene Zahlungssystem SPFS, Übermittlung per E-mail oder auch mit Hilfe von Bitcoin umgehen. Auch chinesische Banken könnten bei der Abwicklung von wichtigen Transaktionen behilflich sein. Der Einfluss der SWIFT-Sanktionen auf den internationalen Handel dürfte deshalb vergleichsweise begrenzt sein.

Der zweite Pfeiler der Sanktionen ist das Einfrieren der Devisenreserven des russischen Staates und der privaten Vermögen reicher Russen im Ausland. Im Gegensatz zu den westlichen Industrieländern war Russland über die letzten Jahre hinweg sparsam, was sich in einer niedrigen Staatsverschuldung (ca. 20% des Bruttoinlandsprodukts) und Devisenreserven in Höhe von 630 Milliarden Dollar zeigt (davon 132 Milliarden Dollar in Gold). Die Oligarchen haben ihre immensen Vermögen meist mit den Rohstoffen gemacht. Der Zugang zu einem Großteil dieser Vermögen ist versperrt.

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Die russische Zentralbank kann deshalb den Wechselkurs nicht stützen, der durch die einsetzende Kapitalflucht unter starken Abwertungsdruck gekommen ist. Zwar liegt das russische Gold in Moskau; doch es ist nur schwer zu liquidieren. In vielen Ländern einschließlich den USA und der EU wurden zudem Transaktionen mit der russischen Zentralbank verboten. Deshalb kann diese russischen Geschäftsbanken und Unternehmen, die im Ausland in Not geraten, nicht mehr unter die Arme greifen. Auch die Oligarchen können nicht zu Hilfe eilen.

Zusammen mit den Einschränkungen bei SWIFT hat dies zu einem Vertrauensverlust in russische Geschäftsbanken geführt. Sowohl in Russland als auch in Auslandsfilialen hat ein Run auf die Einlagen eingesetzt. In Russland haben sich Schlangen an den Bankautomaten gebildet. Im Österreich hat die Bankenaufsicht inzwischen die Sberbank Europe geschlossen und das Eigenkapital konfisziert.

Die starke Abwertung des Rubel wird die Inflation in Russland nach oben treiben, so dass über diesen Weg die Finanzmarktsanktionen spürbar bei der russischen Bevölkerung ankommen werden. Der Versuch der Zentralbank, den Rubel über starke Zinserhöhungen (auf 20%!) zu stabilisieren, bremst das Wachstum. Ebenso werden die Ausweitung der Kapitalverkehrskontrollen und das Stopp für Zinszahlungen an ausländische Gläubiger das Vertrauen in das russische Finanzsystem weiter unterminieren. Kollabieren Banken, sind diese nur mit Hilfe der Notenpresse zu retten. Die Inflation steigt dann weiter.

Es könnte also sein, dass Wladimir Putin die Folgen der Finanzsanktionen unterschätzt hat. IWF und Weltbank warnen bereits vor schlimmen Verwerfungen. Im Gegensatz zum zuletzt mit Finanzsanktionen belegten Iran sind Russland und seine Eliten stärker mit dem internationalen Finanzsystem verwoben. Gleichzeitig ist Russlands Finanzsektor zu klein, um die internationalen Finanzmärkte ins Wanken zu bringen. Zwar sind einige westeuropäische Banken mit großen Russlandgeschäft – UniCredit, Société Générale und Raiffeisenbank International – unter Druck gekommen, doch die Schockwellen werden wohl nicht bis nach London und New York reichen.

In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob sich die Wirkung der „Finanzmarktwaffen“ weiter potenzieren wird. Die Ratingagentur Scope hat das Länderrating von Russland bereits auf Ramsch herabgestuft, unter anderem da sie erhebliche Erschütterungen im russischen Bankensystem erwartet. In Europa werden sich die Auswirkungen der Krise vor allem in weiter steigender Inflation zeigen. Denn die Krise treibt nicht nur die Energie-, Rohstoff- und Lebensmittelpreise nach oben, sondern die EZB könnte sich auch veranlasst sehen, die Geldpolitik weiterhin sehr locker zu lassen. Alle Bürger Europas werden deshalb für den Konflikt in Form schmerzhafter Kaufkraftverluste bezahlen.

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