Nun ist es also offiziell: Die Europäische Union dient dem Frieden! Wenn in Brüssel die Korken knallen zur Feier der Extraportion Legitimität, die so ein Friedensnobelpreis nun einmal mit sich bringt, könnte man einige ketzerische Fragen stellen. Zum Beispiel die Frage nach der Kausalität: Sichert die Europäische Union den Frieden in einem konfliktreichen Europa? Oder haben die meisten Europäer nach zwei Weltkriegen nicht sowieso und völlig zurecht jede Lust am militärischen Konflikt auf dem Kontinent verloren, ob mit EU oder ohne?
Und überhaupt: Wenn es in der Europäischen Union vor allem um den Frieden geht, warum haben dann alle Mitgliedstaaten immer noch eigene Militärapparate, aber eine gemeinsame Glühbirnenpolitik? Aus friedenspolitischer und aus ökonomischer Sicht wäre jeweils das Gegenteil sinnvoller. Dem Präsidenten des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, dürfte die Nachricht aus Oslo trotz solcher Einwände sehr gelegen kommen. Sie gibt ihm politischen Rückenwind in einer kritischen Phase. Van Rompuy hat nämlich gerade erst ein Papier vorgelegt, in dem er den Anstoß zu einer weiteren Zentralisierung der Politik in der Eurozone gibt.
Wie die Frankfurter Allgemeine berichtet, besteht die Kernforderung des Papiers darin, daß ein eigenes Budget für die Eurozone insgesamt geschaffen werden soll. Van Rompuy wird dort aus einer Rede zum Papier mit den Worten zitiert: „Unser Ziel ist es nicht, eine politische Union um ihrer selbst Willen zu gründen. Nein, das Ziel ist, den Euro stabil zu machen – finanziell und ökonomisch, aber auch politisch solide. Das müssen wir machen.“ Das klingt, wie immer bei Van Rompuy, technokratisch und harmlos. Wir haben ein kleines Problem im Regelwerk der Eurozone, das korrigieren wir nun. Keine große Sache.
Auch das Originalpapier bleibt in den Details sehr vage. Es ist nicht klar, wie das gemeinsame Budget der Eurozone finanziert werden soll. Auch die angestrebten Entscheidungsverfahren über die Verwendung der Budgetmittel bleiben im Dunkeln. Deutlich ist hingegen, daß das zentrale Budget einer Koordinierung der nationalen Finanzpolitiken ex ante dienen soll. Aber nicht nur das: Auch die Wirtschaftspolitik insgesamt soll stärker koordiniert werden. Die Budgetmittel wären so einzusetzen, daß sie dieser Koordinierung dienen. Es soll darüber hinaus bei asymmetrischen Schocks eine ausgleichende Funktion wahrnehmen. Wenn Van Rompuy schreibt, daß dies wegen „strukturellen Hindernissen von Preisanpassungen“ nötig sei, dann wird er damit wohl vor allem in Kollektivverhandlungen vermachtete Arbeitsmärkte meinen. Und schließlich regt Van Rompuy auch an, daß ein zentrales Budget genutzt werden könne, um in einzelnen Mitgliedstaaten einen sinnvollen Strukturwandel zu beschleunigen.
Damit ist klar, daß der Ratspräsident mit dem gemeinsamen Budget der Eurozone letztlich einen Finanzausgleich unter den Euroländern vorschlägt. Es geht offensichtlich nicht darum, einzelne öffentliche Güter auf der zentralen Ebene bereitzustellen, sondern es geht um einen permanenten Umverteilungs- und Steuerungsmechanismus zwischen Euroländern. Umso erstaunlicher ist, daß die deutsche Bundesregierung auf den Vorschlag positiv reagiert hat. Denn ganz egal, welche konkreten Bedingungen für einen solchen Mechanismus am Ende von den Regierungschefs ausgehandelt werden — Deutschland wäre in einem solchen Finanzausgleich immer auf der Seite der Nettozahler.Vielleicht hat es die Bundesregierung überzeugt, daß Van Rompuy die Zahlung von Transfers aus dem zentralen Budget an strikte Bedingungen knüpfen will. Vielleicht glaubt die Bundesregierung also, hier einen Hebel zur Beeinflussung der Politik in den Südländern zu bekommen. Man sieht jedoch gerade in Griechenland, wie wenig glaubhaft die Drohung der strikten Durchsetzung solcher Bedingungen ist.
Der tatsächliche Modus der Einflußnahme über das zentrale Budget auf die nationalen Regierungen dürfte ein anderer sein. Nicht Sanktionen sind entscheidend, sondern die institutionalisierte Möglichkeit des Tauschgeschäfts. Die zentrale Ebene verspricht Transferzahlungen, die dezentrale Ebene tritt im Gegenzug Kompetenzen nach Brüssel ab. Man kennt diesen Mechanismus gut aus föderalen Staaten, er wird auch in der Eurozone funktionieren.
Van Rompuy schlägt weiterhin vor, daß mit dem zentralen Budget auch ein Eurozonen-Finanzministerium etabliert wird. Dieses könnte dann auch beschließen, sein Budget durch die Ausgabe von Staatsanleihen zu finanzieren. Eurobonds wären damit möglich. Zwar schlägt Van Rompuy die Anwendung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes vor, um diese Möglichkeit zu begrenzen. Aber wieder muß man fragen: Wie glaubhaft wäre diese Selbstbindung angesichts der Tatsache, daß der Pakt schon in der Vergangenheit immer wieder gebrochen wurde? Van Rompuy liefert jedenfalls keinen Vorschlag, der die Glaubwürdigkeit erhöhen würde.
Das Papier betont hingegen die Notwendigkeit einer starken wirtschafts- und finanzpolitischen Koordinierung. Das zentrale Budget soll als Anreiz- und Durchsetzungsmechanismus für eine solche Koordinierung dienen. Die gewünschte Durchsetzung eines Strukturwandels und Aufholprozesses in rückständigen Regionen ist dabei unrealistisch. Die Erfahrung zeigt, daß fiskalische Transfers eher nicht beschleunigend auf den Strukturwandel wirken. Damit erscheint die geforderte Beseitigung makroökonomischer Ungleichgewichte durch zentrale Koordinierung gerade für Deutschland als bedrohlich. Es wären auch extreme Szenarien denkbar, in denen Brüssel deutsche Exportüberschüsse als Problem identifiziert und versucht, Ungleichgewichte durch Eingriffe zum gezielten Abbau deutscher Wettbewerbsfähigkeit zu senken. Man stelle sich etwa vor, daß unter formaler Wahrung der Tarifautonomie der öffentliche Sektor zu Lohnerhöhungen über dem Produktivitätsfortschritt genötigt wird, was über kurz oder lang auch zu entsprechenden Abschlüssen im Privatsektor führen würde.
Nach einer Etablierung des zentralen Budgets und eines Eurozonen-Finanzministers bestünde das Hauptproblem in der langen Frist in der bereits angesprochenen weiteren Zentralisierung von Kompetenzen. Dies würde nicht unbedingt formal vollzogen, etwa in einem Kompetenztransfer durch eine Änderung der Europäischen Verträge. Vielmehr ist das ganze Konstrukt des Rompuy-Plans von Anfang an auf ein Hineinregieren in die nationalstaatliche Wirtschafts- und Finanzpolitik ausgelegt. Die Zustimmung hierzu kann von Fall zu Fall durch Transferzahlungen erkauft werden. Ein schleichender Machtzuwachs in Brüssel ist die Folge.
Zwar wird noch einiges davon abhängen, in welcher Weise der an vielen Stellen vage Rompuy-Plan in weiteren Verhandlungen konkretisiert wird. Die Hoffnung ist aber in jedem Fall verfehlt, daß mit einem Eurozonen-Budget die Voraussetzungen für eine effiziente Durchsetzung von Haushaltsdisziplin und wachstumsorientierter Politik geschaffen werden. Die Aussicht auf einen auf Dauer angelegten Finanzausgleich bietet keinen Anreiz zu effizienter Politik, weder für zukünftige Nettoempfänger, noch für die Nettozahler, die damit rechnen müssen, daß ein Teil ihrer überdurchschnittlichen Wirtschaftskraft abgeschöpft wird.
Der Rompuy-Plan ist also keine technokratische Kleinigkeit zur Reparatur der Eurozone, wie sein Urheber suggeriert. Einmal implementiert, wäre er vielmehr eine weitere, eminent wichtige Weichenstellung auf dem Weg vom Staatenbund zum Bundesstaat. Damit wiederum dürften aber in vielen Mitgliedstaaten die Bürger nicht einverstanden sein, noch nicht einmal nach der Zuerkennung des Friedensnobelpreises. Da die für ein zentrales Budget und einen europäischen Finanzminister notwendigen Änderungen der Verträge wohl in einigen Staaten durch eine Volksabstimmung bestätigt werden müssten, sind auch hier Zweifel an der Durchführbarkeit des Rompuy-Planes angebracht. Insofern ist der Plan zunächst einmal nur ein weiteres Symptom für den unstillbaren Zentralisierungshunger der Brüsseler Politik.
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Eine Antwort auf „Das neueste Van Rompuy-Papier: Was bringt ein eigenes Budget für die Eurozone?“