Wie – wenn überhaupt – wirken sich wirtschaftswissenschaftliche Neuerungen auf die Wirtschaftspolitik aus? John Stuart Mill schrieb 1845: „Ideas, unless outward circumstances conspire with them, have in general no very rapid or immediate efficacy in human affairs“. Dennoch kann ihre Wirkung langfristig groß sein. Diese langfristige Wirkung hat ausgerechnet John Maynard Keynes (1936) betont:
„The ideas of economists and political philosophers, both when they are right and when they are wrong, are more powerful than is commonly understood. Indeed, the world is ruled by little else. Practical men, who believe themselves to be quite exempt from any intellectual influences, are usually the slave of some defunct economist.“
Die Gegenposition hat zum Beispiel George Stigler (1982) vertreten: „Economists exert a minor and scarcely detectable influence on the societies in which they live“.
Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass es in der Wirtschaftspolitik von Zeit zu Zeit grundlegende Neuerungen gibt und dass manchen dieser wirtschaftspolitischen Reformen entsprechende wirtschaftswissenschaftliche Neuerungen vorausgehen. Über welche Transmissionskanäle wirkt sich der wirtschaftswissenschaftliche Wandel auf die Wirtschaftspolitik aus? Welche haben sich in der deutschen Nachkriegsgeschichte als besonders wichtig erwiesen?
Fünf Übertragungsmechanismen sind zu unterscheiden:
- Der Wirtschaftswissenschaftler als Berater der Regierung
Dabei stößt der Ökonom auf Informations- und Anreizprobleme: der Politiker hat keine Zeit, versteht die Argumente nicht und hat andere Interessen als die Bürger. - Der Wirtschaftswissenschaftler als Meinungsmacher
Der Ökonom kann versuchen, die Wähler aufzuklären, indem er in den Medien auftritt und öffentliche Vorträge hält. Diesmal haben die Bürger keine Zeit und verstehen die Argumente nicht. Der Wissenschaftler ist glaubwürdiger als der Politiker (solange er nicht selbst einen Politiker berät), aber er kann sich nicht verständlich genug ausdrücken. - Der Wirtschaftswissenschaftler als Politiker
Schon Platon meinte: „Der Philosoph muss König werden“. Aber es gelingt nur selten. Der Wissenschaftler ist nicht machtbewusst und emotional genug. Er hat zu viele intellektuelle Skrupel. Ihm mangelt es in der Regel an politischer Durchsetzungsfähigkeit. - Der Wirtschaftswissenschaftler als Beamter in wirtschaftspolitischen Institutionen
Dafür gibt es viele Beispiele. Der Wirtschaftsprofessor kann Ministerialbeamter (z.B. Müller-Armack, John Taylor), Notenbankchef (z.B. Burns, Bernanke, Axel Weber) oder EU-Kommissar (z.B. Hallstein, Barre, Marjolin, Monti, Prodi) werden. Der Preis ist der Verlust der individuellen Unabhängigkeit. - Der Wirtschaftswissenschaftler als Ausbilder
Vielleicht ist der Mensch nur in seiner Studienzeit für wissenschaftliche Argumente zugänglich. Danach hat er keine Zeit und auch kein Interesse mehr – er lebt von der Substanz. Der Wissenschaftler muss den Generationenwechsel – den „Marsch durch die Institutionen“ – abwarten. Max Planck und Thomas S. Kuhn haben dies selbst für die Naturwissenschaften behauptet.
Im Folgenden werde ich die acht wichtigsten wirtschaftspolitischen „Revolutionen“ oder „Paradigmenwechsel“ (Kuhn) der deutschen Nachkriegsgeschichte betrachten und jeweils fragen, ob einer oder mehrere dieser fünf Transmissionsmechanismen eine prominente Rolle gespielt haben. Die Ergebnisse werden in einer Tabelle zusammengefasst. Das Jahr bezieht sich auf die wirtschaftspolitische Entscheidung – nicht den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens. Der Transmissionskanal ist in der nächsten Spalte vermerkt. Wird die Revolution ohne wissenschaftliches Vorbild, aber von einem Ökonomen durchgeführt, so erscheint der Buchstabe Ö. Nach Thomas S. Kuhn werden wissenschaftliche Paradigmenwechsel durch Krisen ausgelöst. Das Gleiche wird für wirtschaftspolitische Reformen behauptet. Diese Hypothese wird in Spalte 3 überprüft. Die letzte Spalte misst die Verzögerung der wirtschaftspolitischen gegenüber der wirtschaftswissenschaftlichen Revolution (in Jahren, gerundet).
Revolution I, die „Soziale Marktwirtschaft (1948/49)“, ist die Revolution Ludwig Erhards. Ein Ökonom ist Politiker geworden (Transmissionskanal 3). Die wirtschaftliche Krise hätte größer nicht sein können. Erhard greift auf Schriften der späten dreißiger Jahre zurück.
Revolution II ist die keynesianische Globalsteuerung von Karl Schiller (1966). Wiederum ist der Wissenschaftler Politiker geworden (Transmissionskanal 3). Es geht eine ungewohnt heftige Rezession (Krise) voraus. Schiller ist von Keynes‘ General Theory (1936) inspiriert.
Revolution III ist der (endgültige) Übergang zu flexiblen Wechselkursen (1973). Die treibende Kraft ist wiederum Karl Schiller (Transmissionsmechanismus 3). Auslöser sind wiederholte Währungskrisen. Flexible Wechselkurse wurden bereits in den fünfziger Jahren von Milton Friedman (1953) und James Meade (1957) empfohlen. Die Verzögerung beträgt also etwa zwanzig Jahre.
Revolution IV ist die Vorankündigung der Geldmengenexpansion ab Dezember 1974. Es handelt sich um eine Entscheidung von Zentralbankbeamten (Transmissionsmechanismus 4). Die Situation ist krisenhaft: der Ölpreisschock von 1973 droht in hohe Inflationsraten zu münden. Die Bundesbanker greifen auf Ideen Milton Friedmans aus der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zurück.
Revolution V ist die Errichtung des Europäischen Währungssystems durch Helmut Schmidt. Die Entscheidung fällt 1978. Meine Untersuchungen haben gezeigt, dass Schmidt im Februar 1977 seine Mehrheit im Zentralbankrat der Bundesbank verloren hatte. Wahrscheinlich befürchtete er, dass die Bundesbank seine Wiederwahl im Jahr 1980 sabotieren würde, und versuchte deshalb, die Geldpolitik an die wechselkurspolitische Kette zu legen (so auch Hans Willgerodt und der Sachverständigenrat im Herbst 1978). Auf wissenschaftliche Neuerungen konnte Schmidt nicht zurückgreifen (kein Transmissionskanal), aber er war Ökonom (Ö). Schmidt versuchte, das EWS mit der Dollarkrise zu begründen.
Revolution VI ist die Entscheidung für die Europäische Währungsunion. Sie wurde im Dezember 1989 auf dem Europäischen Gipfel in Straßburg (im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung) getroffen. Der Anstoß ging nicht von der Wirtschaftswissenschaft aus (kein Transmissionskanal). Es gab auch keine wirtschaftliche Krise.
Revolution VII ist die Hartz IV-Reform von 2004, d.h. die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe. Der verantwortliche Akteur ist Wolfgang Clement (Transmissionskanal 3). Er ist Ökonom (Ö). Auslöser ist ein starker Anstieg der Arbeitslosenquote (Krise). Die deutsche Arbeitslosenhilfe war in der OECD einmalig, aber der Anstoß kam nicht aus der Wissenschaft (kein Lag).
Revolution VIII ist die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ab 2015. Sie wurde von Nicht-Ökonomen betrieben (kein Transmissionskanal). Eine Krise lag nicht vor. Dass es sich um eine Revolution handelt, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass Müller-Armack die „Soziale Marktwirtschaft“ – seine Wortschöpfung – als eine Wirtschaftsordnung definiert hat, in der einerseits die Marktwirtschaft durch eine soziale Komponente ergänzt wird, andererseits aber die Sozialpolitik nur „marktkonforme“ Mittel einsetzt (vgl. seinen Aufsatz „Soziale Marktwirtschaft“ im Handwörterbuch der Sozialen Marktwirtschaft, 1956). Die staatliche Fixierung von Preisen, Mieten, Zinsen und Löhnen in privaten Vertragsverhältnissen ist damit unvereinbar. Die Einführung staatlicher Mindestlöhne zum Jahreswechsel 2014/15 markiert deshalb nach über 65 Jahren das Ende der Sozialen Marktwirtschaft.
Zieht man Bilanz, so zeigt die Tabelle, dass vier der acht Revolutionen auf Neuerungen bekannter Wirtschaftswissenschaftler zurück geführt werden können. Dreimal lief es über Transmissionskanal 3 (der Ökonom als Politiker), einmal über Transmissionskanal 4 (der Ökonom als Beamter). In zwei Fällen (V und VII) wurde die wirtschaftspolitische Revolution zwar ohne wissenschaftliche Vorbilder, aber von Ökonomen (Schmidt, Clement) durchgeführt (Ö). Die größte wirtschaftspolitische Wirkung erzielt der Ökonom demnach als Politiker. In sechs der acht Fälle lag eine wirtschaftliche Krise vor. Dort, wo wirtschaftswissenschaftliche Neuerungen ursächlich waren, betrug die Wirtschaftsverzögerung im Durchschnitt knapp 20 Jahre. Damit bestätigt sich Mills Regel, dass die Wirkung, wenn überhaupt, so doch „nicht sehr schnell“ eintritt. Vergleicht man die ersten und letzten vier wirtschaftspolitischen Revolutionen, so scheint der Einfluss der Wirtschaftswissenschaft abgenommen zu haben.
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –
“Seven member states experience some deflation.There is nothing wrong with that.“
Inflation or deflation are indicators. Deflation is an indicator of a major problem in an economy: lack of demand.
Competitiveness and Budget cuts to the bone will not do the Trick, somewhere in the Eurozone someone have to Offset with a Bit higher Inflation, demand and Investments. This one is Germany. Only Germany can help the others to get out of the Deflation. By doing nothing the political risks within the Eurozone will get higher.