Herr Riester, zum 1. Januar 2015 sind die Rentenbeiträge gesunken, während die Renten trotz einer stark alternden Bevölkerung zum 1. Juli dieses Jahres um 1 bis 2 Prozent steigen sollen. Leben wir in einem Wunderland?
Walter Riester: In einem Schlaraffenland leben wir definitiv nicht. Dennoch ist die Situation nur auf den ersten Blick absurd. Denn das Prinzip des Systems der Gesetzlichen Rentenversicherung ist so angelegt, dass es zu Leistungssteigerungen bzw. Beitragskürzungen kommt, wenn sich die Einnahmeseite verbessert darstellt. Genau dies ist in den letzten Jahren aufgrund von Lohnerhöhungen und zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen geschehen. Eigentlich hätten die Beiträge bei Rentenreserven von mehr als 30 Mrd. Euro schon früher sinken müssen.
Warum ist dies nicht passiert?
Riester: Weil die Große Koalition zum 1. Juli 2014 das Rentenpaket in Kraft gesetzt hat. Sie ist drauf und dran, die Rentenreserven an einige wenige Jahrgänge zu verfrühstücken.
Ihr Meisterstück war 2002 die Einführung der Riester-Rente. Wie funktioniert sie?
Riester: Es handelt sich um eine ergänzende Altersvorsorge, die auf privaten Ersparnissen beruht und staatlich gefördert wird; zum einen durch eine nachgelagerte Besteuerung, zum anderen durch Zulagen. Die nachgelagerte Besteuerung ist nicht neu und kommt auch in vielen anderen Ländern zum Einsatz. Das Besondere an der Riester-Rente ist, dass sie sich nicht nur für Menschen mit vergleichsweise hohen Einkommen, sondern wegen der Zulagen eben auch für Geringverdiener lohnt. Alle eingezahlten Beiträge und die Zulagen sind garantiert. Ein solches System sucht weltweit seinesgleichen.
Können Sie uns das bitte an einigen Beispielen erläutern?
Riester: Man nehme einen alleinverdienenden Gutverdiener mit einem Jahreseinkommen von 55.000 Euro. Er kann bis zu 2.100 Euro, die er in einen Riester-Vertrag einzahlt, von der Steuer absetzen. Bei einem Spitzensteuersatz inklusive Soli-Zuschlag von derzeit 44,31 Prozent, beträgt die Steuerersparnis 930,51 Euro jährlich. Eine durchschnittlich verdienende Familie mit zwei kleinen Kindern profitiert mit einem noch viel größeren Wirkungsgrad. Denn sie erhält die Zulagen, da diese höher sind als die Steuerersparnis. Die Zulagen betragen zusammen 908 Euro. Bei einem angenommenen Haushaltseinkommen von 30.000 Euro muss die Familie 1.200 Euro jährlich in den Riester-Vertrag einzahlen. Durch die Zulagen beträgt der Eigenanteil nur noch 292 Euro. Eine geringverdienende Alleinerziehende mit zwei Kindern muss sogar nur den Mindestbeitrag von 60 Euro einzahlen und erhält jährlich einen staatlichen Zuschuss von 754 Euro. Das ist doch ein toller Hebeleffekt.
Die Versicherungsverträge machen den Großteil der Riester-Verträge aus. Gerade diese Produkte verschlingen in den ersten Jahren hohe Gebühren.
Riester: Ja, aber das ist bei normalen Lebensversicherungen doch ganz genauso. Deshalb ist es ratsam, die Verträge so früh wie möglich abzuschließen und nicht vorzeitig zu kündigen. Dann verteilen sich die Kosten über die Zeit und fallen nicht so stark ins Gewicht.
Auch das anhaltend geringe Zinsniveau macht den Versicherungen und damit auch deren Kunden zu schaffen. Der Garantiezins ist zum 1. Januar auf nur noch 1,25 Prozentpunkte gefallen.
Riester: Über längere Zeiträume wechseln sich Phasen hoher und niedriger Zinsen ab. Insofern gilt das Argument der langfristigen Anlagehorizonte auch hier, wenngleich ich davon ausgehe, dass das niedrige Zinsumfeld noch länger anhalten dürfte. Doch man hat ja auch die Möglichkeit auf den Wohn-Riester oder riestergeförderte Fondssparpläne zu setzen. Vor allem die Abschlüsse von geförderten Bausparverträgen haben zuletzt sprunghaft zugenommen.
Dennoch werden die Riester-Renten in vielen Fällen sehr klein ausfallen, häufig nicht viel mehr als 100 Euro und da ist die Inflation noch gar nicht berücksichtigt.
Riester: Das hängt davon ab, wie viel man Zeit seines Lebens in die Verträge einzahlt. Aber natürlich darf man von der Riester-Rente auch keine Wunderdinge erwarten. Sie ist schließlich als ergänzende Altersvorsorge konzipiert worden und kann alleine natürlich auch keine Altersarmut verhindern.
Damit werden wir allerdings in Deutschland zunehmend fertig werden müssen.
Riester: Da stimme ich Ihnen zu. Der im letzten Jahrzehnt entstandene Niedriglohnsektor und die starke Zunahme von Teilzeit-Beschäftigten werden früher oder später dazu führen, dass die Rente trotz Riestern für einen immer größeren Teil der Bevölkerung nicht mehr zum Leben reicht.
CDU/CSU und SPD haben die sogenannte Lebensleistungsrente im Koalitionsvertrag festschreiben lassen, um dieser Entwicklung vorzubeugen. Doch um sie ist es relativ still geworden.
Riester: Ich finde die Idee grundsätzlich gut, auch wenn mir der Begriff überhaupt nicht gefällt. Denn Lebensleistungsrente suggeriert, dass man die gesetzliche Rente als Entschädigung für die Anstrengungen während des Erwerbslebens erhält. Wir bekommen sie aber aufgrund unserer eingezahlten Beträge. Wenn man von diesem Äquivalenzprinzip abweichen möchte, bedarf es einer guten Begründung. Sehr niedrige Renten aufzustocken ist sicherlich ein Argument, auch wenn es steuerfinanziert sein muss. Gleichzeitig gebe ich jedoch zu bedenken, dass die wachsende Gruppe der Selbstständigen zu einem großen Teil nicht von einer wie auch immer ausgestaltenden Lebensleistungsrente profitieren würde.
Genauso wenig wie von der Riester-Rente. Warum hat man diese Gruppe links liegen gelassen?
Riester: Das hat man nicht. Doch unser System ist historisch so gewachsen. Darin unterscheiden wir uns von anderen Ländern. Letztlich geht es auf Bismarck zurück, dass in der Gesetzlichen Rentenversicherung nur die abhängig Beschäftigten pflichtversichert sind. Den Unternehmern hat man zugetraut, dass sie eigenständig fürs Alter vorsorgen. Diese Zweiteilung hat sich auch über Jahrzehnte bewährt. Doch heute müssen wir feststellen, dass sich die Situation geändert hat. Die Zahl der (Schein-)Selbständigen, die zu wenig Altersvorsorge betreiben, wächst immer weiter an. Dem muss man entgegenwirken. Ansonsten haben wir in ein paar Jahren ein massives Problem. Mir ist aber schon bewusst, dass man an dieser Stelle dicke Bretter bohren muss. Schließlich will jede Selbstständigen-Gruppe ihre Pfründe verteidigen.
Das Gespräch führte Joerg Rieger.
Hinweis: Die Langfassung des Interviews finden Sie in der Januar-Ausgabe der Fachzeitschrift WiSt (01/15).