Griechenland (13)
Die EWU am Scheideweg
Permanente Transfers oder temporärer Grexit?

“I am prepared not only to retract anything I said but to deny under oath that I ever said it.“ (Mort Sahl, Humorist)

Der Euro spaltet Europa. Griechische Schuldner und internationale Kreditgeber streiten seit der Regierungsübernahme durch Syriza wie die Kesselflicker. Sachliche Argumente zählen längst nicht mehr. Persönliche Verunglimpfungen sind an der Tagesordnung. Das alles wird medial aufgeblasen. Dennoch sind die Emotionen nur Kulisse. Auf der richtigen Bühne tobt ein beinharter Verteilungskampf. Schuldner- und Gläubigerländer sind die Akteure. Es geht um die Frage, ob es in der EWU künftig möglich sein soll, dass ein Mitglied dauerhaft von den Anderen durchgefüttert wird. Griechenland wäre der erste Fall eines permanenten Haushaltsnotlagenlandes in der Eurozone.

Währungspolitisches Einmaleins

Der Vertrag von Maastricht ist in diesem Punkt eindeutig. Dauerhafte finanzielle Transfers sind ohne „wenn und aber“ verboten. Eine Haftungsgemeinschaft unter den Mitgliedern ist ebenso ausgeschlossen wie eine monetäre Staatsfinanzierung durch die EZB. Der modernisierte Stabilitäts- und Wachstumspakt (Fiskalpakt) soll die fiskalische, die politische Unabhängigkeit der EZB die monetäre Leitplanke sein. Die Installation des ESM ermöglicht temporäre Rettungsaktionen, aus denen faktisch dauerhafte werden. Mit dem Billionen-Aufkauf-Programm der EZB ist auch die Grenze zur monetären Staatsfinanzierung eindeutig überschritten.

Die Idee der regelgebundenen Politik à la Maastricht ist einfach aber auch riskant. Auf negative exogene Schocks haben die Mitglieder der EWU zwei Möglichkeiten zu reagieren: Entweder sie werden besser oder billiger. Wettbewerbsfähig bleiben sie oder werden es wieder, wenn die Produktivität steigt oder die Löhne und Preise sinken. In der kurzen Frist bleiben nur die nominalen Löhne, mit den sich die Länder an neue wirtschaftliche Gegebenheiten anpassen können. Die realen Lasten der Anpassung lassen sich allerdings abmildern, wenn Arbeit beruflich und räumlich mobil ist. Jobs in neuen Berufen, wachsenden Sektoren und Regionen auch in fremden Ländern können helfen.

Marktwirtschaftliche Dynamik

Zumindest die liberalen Euro-Optimisten waren der Meinung, dass die fiskalischen und monetären Spielregeln die wirtschaftlichen Akteure zwingen würden, die Kanäle der internen Anpassung zu nutzen. Den Problemländern bliebe gar nichts anderes übrig, als über eine interne Abwertung wieder wettbewerbsfähig zu werden. Da haben sie allerdings die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der Widerstand gegen sinkende Löhne und Preise ist in Europa weit verbreitet. Arbeitsplatzbesitzer in Gewerkschaften und eine Mehrheit der Wähler stemmen sich gegen Reallohnkürzungen. Wie Irland und Griechenland zeigen, sind sie aber unterschiedlich erfolgreich.

Diese Widerstände gibt es überall, mehr oder weniger stark. Treibende Kräfte sind die Marktmacht der Arbeitsplatzbesitzer und die Regeln der Demokratie. Sie werden verstärkt, wenn Regierungen und EZB fiskalische und monetäre Rettungsschirme aufspannen. Sie verringern die Anreize, interne Abwertungen zu akzeptieren. Wer ankündigt, großzügig zu retten, schwächt die Anpassung über die relativen Preise. Der „Lehman-Effekt“ der Finanzkrise hat die Angst von Regierungen und EZB vor einer finanziellen Kernschmelze von Banken und EWU verstärkt. Die Bereitschaft zu retten, ist seit dem Ausbruch der Euro-Krise gewachsen. Mario Draghi führt die EZB in die babylonische Gefangenschaft der Politik.

Marktwidrige Rettungsschirme

Mit der Größe der fiskalischen und monetären Rettungsschirme sinkt aber der Wille in den Problemländern, die staatlichen Haushalte zu konsolidieren und notwendige Strukturreformen auf den Weg zu bringen. Die fiskalische und monetäre Rettung tendiert dazu, die unvermeidliche Anpassung à la Maastricht über die relativen Preise zu behindern. Reale Ungleichgewichte in den Problemländern werden nicht abgebaut, sie werden nur von den anderen Mitgliedern über den ESM und die EZB finanziert. Eine wirkliche wirtschaftliche Besserung tritt oft nicht ein. Die Arbeitslosigkeit bleibt hoch, die staatliche und private Schuldenlast wird nicht kleiner.

Und noch etwas verringert die reale Anpassung über die relativen Preise. Der politische Widerstand gegen die Hilfsprogramme wächst überall. Es stimmt schon, nationale Regierungen im Rettungsmodus haben ihre wirtschaftspolitische Autonomie weitgehend verloren. Bei wichtigen ökonomischen Entscheidungen haben die Retter das letzte Wort. Kein Wunder, dass die Euro-Gruppe, die EZB und der IWF in den Programmländern verhasst sind. Überall haben extreme Parteien großen Zulauf. Sie versprechen der Bevölkerung, sie ein für alle mal vom „Joch der Troika“ zu befreien. Kommen diese Parteien an die Macht, ist die Anpassung über die relativen Preise endgültig gescheitert.

Dauertropf oder Grexit

Dann bleiben aber nur zwei Möglichkeiten der Anpassung an veränderte wirtschaftliche Umstände. Die eine besteht darin, die fiskalischen und monetären Rettungsschirme dauerhaft aufzuspannen. Damit müssten die Problemländer auf Dauer von den Anderen (Steuerzahler) finanziell durchgefüttert werden. Eine solche Politik ist eindeutig kontraproduktiv. Sie ist voll von negativen Anreizwirkungen für Nehmer- und Geberländer (moral hazard). In den Nehmerländern ändert sich, wie die Erfahrung lehrt, wenig zum Besseren. Die Entwicklungspolitik ist voller abschreckender Beispiele. Auch unsere „griechischen“ Bundesländer (Haushaltsnotlagenländer) oder das Mezzogiorno zeigen, wie man es besser nicht machen sollte.

Der wachsende Widerstand der Wähler in den Geberländern gegen diese Variante der Fiskalunion versperrt diesen Weg. Eurokritische Parteien verstärken diese Entwicklung. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Problemländer die EWU – zumindest temporär – verlassen. Mit anpassungsfähigen Wechselkursen können sie den marktlichen Weg der Anpassung über die relativen Preise beschreiten. Ohne die Bereitschaft zu schmerzhafter Anpassung geht es allerdings auch dann nicht. Eines ist aber anders. Die Länder können nun den Weg der wirtschaftspolitischen Anpassung in eigener Regie wählen. Ein „Diktat fremder Mächte“ gibt es nicht mehr.

Fazit

Die EWU als Schicksalsgemeinschaft ohne Wiederkehr ist keine gute Idee. Sie spaltet Europa, ökonomisch und politisch. Die Spielregeln der EWU basieren auf einem marktlichen Wettbewerbsmodell, das alle Mitglieder akzeptieren. Seit der Euro-Krise ist allerdings klar, dass dies nicht länger der Fall ist. Die Regierung Tsipras etwa hat andere, neo-marxistische Vorstellungen, wie sie Wirtschaft organisieren will. Hält die Krise an, werden weitere Länder folgen. Es ist unsinnig, diesen Ländern das „alte“ Wettbewerbsmodell aufzwingen zu wollen. Das heizt den Streit in Europa weiter an. Sinnvoller ist es, die EWU zu redimensionieren. Der Grexit wäre ein erster Schritt.

 

Blog-Beiträge zum Griechenland-Poker:

Juergen B. Donges: Griechische Manöver in der Eurozone. Droht aus Spanien ähnliches Ungemach?

Norbert Berthold: Briefe in die griechische Vergangenheit. Giannis Varoufakis: Abgezockt oder unfähig?

Wolf Schäfer: Mit „Gewissheit“ im Euro. Das strategische Spiel der Griechen

Norbert Berthold: Immer Ärger mit Griechenland. Ein Pyrrhus-Sieg der “Institutionen“?

Dieter Smeets: Nach der Rettung ist vor der Rettung. Griechenland und kein (Rettungs-)Ende!

Roland Vaubel: Schäubles Scherbenhaufen

Norbert Berthold: Trojanisches Pferd. Der Brief des Giannis Varoufakis

Uwe Vollmer: Scheidung auf griechisch. Wie realistisch ist der “Grexit“?

Norbert Berthold: Was erlauben Griechenland? Schwach wie Flasche leer

Dieter Smeets: Poker um Griechenland

Norbert Berthold: Sie kamen, sahen und verloren. Haben sich Alexis Tsipras und Giannis Varoufakis verzockt?

Thomas Apolte: Hexenmeister und Reformer. Was Varoufakis von Balcerowicz lernen kann.

13 Antworten auf „Griechenland (13)
Die EWU am Scheideweg
Permanente Transfers oder temporärer Grexit?

  1. Falls die Redimensionierung bei 19 nationalen Währungen ihr Ende findet bleibt die Frage, womit diese 19 Währungen besichert sein sollen. Die Kreditpfänder sind dank der Schuldenkrise im alten Euro gebunden, ein Schuldenschnitt würde zwar helfen aber die Gläubiger ruinieren. In jedem Fall sind alle Banken mangels frischem Eigenkapital ausgelöscht. Was das für Industrienationen bedeutet, die ihre Produktion vorfinanzieren müssen sollte die Sorge hinter dem Ententanz um Griechenland sein…
    Ich finde wir sollte nicht mehr über den Euro, sondern über unsere Zukunft nachdenken https://blog.malik-management.com/wp-content/uploads/2015/03/Die-vierzig-Monate-der-SNB_Schweizer-Monat_Heinsohn_03-2015.pdf

  2. Jegliche Kritik gegen den Eurorettungswahnsinn wirkt hinfällig, machtlos, vergebens.
    Die deutsche und die europäische Politik ist fest entschlossen und gewillt, nicht nur den Euro zu bewahren, sondern auch alle im Euro zu halten, auch Pleitestaaten. Sie wird dafür alles opfern, alles. Ein Bankrott Griechenlands käme einem Scheitern der Währungsunion gleich, was die europäische Nomenklatura um jeden Preis vermeiden möchte. Solange die Altparteien mit Merkel an der Spitze diese positive Zustimmung der deutschen Bevölkerung genießen, wird sich in der Eurorettung nichts ändern.

    Ich glaube nicht, dass die Zuammenbruchs-Euphoriker, die den grossen Absturz, den apokalyptischen Euro-Knall beschwoeren, recht behalten. Auch ich habe jahrelang geglaubt, dass allein das Griechenlandabenteuer an die 90 Milliarden Euro kosten könnte, die dann auf deutschen Schuldenkonten landen werden. Die EZB ist dabei – in Absprache mit den EU-Eliten – eine völlig neue, ausgeklügelte Geld- und Finanzpolitik zu betreiben. (Ich erspare mir die Aufzählung all der feinen Akronyme, mit denen Finanzexperten die geldtechnischen Tricks und Finessen der Zentralbanken beschreiben.) Die EZB betreibt eine Entschuldungspolitik der Staaten und Pleite-Banken durch eine Geldschöpfung ex nihilo. Sie entfacht einen wahren Liquiditätszauber, der Staaten und Banken weiterhin Kontoüberziehungen ohne limit ermöglicht. Jedenfalls wird sie verhindern, dass gigantische Schuldensummen direkt auf deutsche Staatsschuldenkonten landen. Das gilt natürlich auch für die anderen Länder, die mit Krediten und Bürgschaften “mit drinhängen“.

    Warum?

    Der deutsche Michel revoltiert erst dann, wenn Schulden anderer Staaten für ihn direkt spürbar werden, z.B in Form eines “Eurosoli“ fuer überschuldetete Staaten. Solange die Politik und die EZB durch Geldschöpfungsaktionen das gigantische Ausmaß der Krise verschleiern und verstecken können, wird es immer wieder zu Kollapsverzögerungen kommen. Die geldpolitischen Manöver und Kabinettstücke sind:

    Schuldenschnitte, Stundungen, Schenkungen, Aufschübe der Rückzahlung von Krediten auf 100 Jahre, Billigstzinsen.

    Ich bin als Geldlaie nicht kompetent genug, um weitere Möglichkeiten der EZB aufzulisten. Aber wir können davon ausgehen, dass die EZB zusammen mit der europäischen Politik eine äußerst trickreiche und hochinnovative Produktivität gebären wird.

    Dieser unendliche Geldzauber wird für Deutschland schwere Nachteile bringen, nicht plötzlich, sondern schleichend, über Jahre verteilt. Geldvermögen und Erspartes werden entwertet, kapitalgedeckte Altersversorgungen lohnen nicht mehr etc. Das hat fatale Folgen für Millionen! Darüberhinaus: Die deutsche Wirtschaft wird an Effizienz, Produktivität, Innovationsfähigkeit und internationaler Wettbewerbsfähigkeit einbüssen. Auch Deutschland wird ärmer – langsam, schleichend.

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    Bakwahn
    Hamburg Bangkok Duesseldorf

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