Die Apple-Saga (3)
Leistungsfähigkeit und Äquivalenz
Steuergerechtigkeit in Irland im Fall Apple

Zur Debatte um den Fall Apple gab es hier im Blog bereits zwei Beiträge (hier) (hier), aber ich möchte in aller Kürze noch eine dritte Perspektive hinzufügen. Es geht dabei um die auch in der öffentlichen Diskussion des Falles dominierende Frage nach der Steuergerechtigkeit.

Das Leistungsfähigkeitsprinzip und die Rechtfertigung der Körperschaftsteuer

Wie selbstverständlich wird in der populären Diskussion stets ein vereinfachtes Leistungsfähigkeitsprinzip in den Vordergrund gestellt. Wer gleich leistungsfähig ist, was üblicherweise an dem im Steuerjahr erwirtschafteten Einkommen gemessen wird, der soll auch steuerlich gleich behandelt werden.

Kann man aber das Leistungsfähigkeitsprinzip auf der Unternehmensebene überhaupt sinnvoll anwenden? Unternehmen befinden sich, wenn auch manchmal verschachtelt und indirekt, im Besitz von natürlichen Personen. Nur natürliche Personen konsumieren, und nur diese müssen ihren Konsum einschränken, wenn sie besteuert werden. Daher argumentierten traditionell viele Finanzwissenschaftler, dass ein korrekt interpretiertes Leistungsfähigkeitsprinzip nur bei natürlichen, nicht bei juristischen Personen ansetzen könne.

Nun könnte man einwenden, dass bei einem Unternehmen wie Apple, das kaum Dividenden ausschüttet und seine Gewinne stattdessen thesauriert, das Leistungsfähigkeitsprinzip mit einer Dividendenbesteuerung auf individueller Ebene kaum durchzusetzen ist. Allerdings sollte man bedenken, dass ein individueller Aktionär tatsächlich nicht steuerlich leistungsfähiger geworden ist, solange die Gewinne seines Unternehmens ihm nicht zugeflossen sind. Beispiele wie Volkswagen zeigen, wie schnell Rücklagen infolge unternehmerischer Fehlleistungen auch wieder verschwinden können.

Aktionäre profitieren allerdings auch ohne Dividenden natürlich von der Wertsteigerung eines über lange Jahre hoch profitablen Unternehmens. Realisiert ein Apple-Aktionär seinen Anlagegewinn, so schlägt sich dies sofort in der von ihm gezahlten Einkommensteuer nieder und der Fiskus an seinem Wohnsitz profitiert ebenfalls von der Entwicklung des Unternehmens. Dem Leistungsfähigkeitsprinzip ist Genüge getan, solange das System der Einkommensteuer entsprechend ausgestaltet ist.

Eine andere Sichtweise, die auf das Leistungsfähigkeitsprinzip abstellt, sieht in der Körperschaftsteuer eine Art Lückenfüller. Sie soll demnach sicherstellen, dass die Gewinne juristischer Personen genau einmal besteuert werden. Im Fall der Ausschüttung ist dann eine Doppelbelastung zu verhindern, aber im Fall des Einbehaltens von Gewinnen oder der Ausschüttung an steuerbefreite Anteilseigner ist die Besteuerung auf der Ebene der Körperschaft sicherzustellen. Diese Sichtweise impliziert allerdings eine andere Interpretation des Leistungsfähigkeitsprinzips. Sie setzt voraus, dass man auch juristische Personen als eigenständige, nicht nur den wirtschaftlichen Interessen der Anteilseigner dienende Subjekte betrachtet.

Horizontale Steuergerechtigkeit?

Was bedeutet das nun alles für den Fall Apple? Noch nicht sehr viel. Ob die Tatsache, dass Apple in Irland de facto nicht besteuert wurde einen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip darstellt, hängt soweit erst einmal davon ab, in welcher Rolle man juristische Personen sieht. Gewichtiger ist dagegen vielleicht das Argument, dass wir es im Fall Apple mit einer Verletzung des horizontalen Leistungsfähigkeitsprinzips zu tun haben. Die Argumentation der Europäischen Kommission stützt sich wesentlich auf die Behauptung, dass Apple hier von der irischen Finanzverwaltung einen Vorteil erhalten hat, den andere Unternehmen in einer vergleichbaren Situation nicht zugebilligt bekämen.

In den öffentlich zugänglichen Unterlagen der Kommission zu dem Fall finden sich dazu keine direkten Belege. Stattdessen wird angeführt, dass der effektive Steuersatz Apples sehr niedrig war, nämlich etwa ein Dreitausendstel des nominalen Steuersatzes. Nun sind aber Abweichungen der effektiven von den nominalen Steuersätzen überall auf der Welt normal, wenn auch nicht in einem so extremen Ausmaß. Alle modernen Steuersysteme enthalten eine Vielzahl von Schlupflöchern und Schleichwegen, die aber alle auch erst einmal gefunden werden müssen. Hatte hier also Apple einfach sehr gute Steueranwälte, die ein prinzipiell allen offenstehendes und völlig legales Schlupfloch eher gefunden haben als die Konkurrenz? Oder hätten die irischen Steuerbehörden anderen Unternehmen den gleichen Weg tatsächlich versperrt? Nur im zweiten Fall wäre ein Verstoß gegen das horizontale Leistungsfähigkeitsprinzip zu beklagen.

Das Äquivalenzprinzip

Neben dem Leistungsfähigkeitsprinzip kann natürlich noch ein zweites Kriterium zur Beurteilung der Gerechtigkeit eines Steuerregimes herangezogen werden, nämlich das Äquivalenzprinzip. Es fordert, dass der Besteuerung eine wenigstens näherungsweise äquivalente Gegenleistung des Staates gegenübersteht. Der Charme des Äquivalenzprinzips ist die Idee der Freiwilligkeit: Ein konsequent so konstruiertes System aus Steuern und Staatsausgaben ist grundsätzlich für alle Beteiligten zustimmungsfähig, weil sie unter dem Strich nicht schlechter gestellt werden.

Die einfachste Lehrbuch-Lösung zur Sicherung des Äquivalenzprinzips wären sogenannte Lindahl-Preise. Während wir beim Konsum privater Güter unsere individuellen Mengen an die Marktpreise der Güter anpassen, können wir dies bei Staatsausgaben nicht. Diese sind für alle Personen auf einem Staatsgebiet identisch. Also müssen die individuell zu zahlenden Preise so angepasst werden, dass sie der Zahlungsbereitschaft für das gegebene Niveau der Staatstätigkeit entsprechen. Das ist zwar in der Realität mangels Information über die wahre Zahlungsbereitschaft nie wirklich durchzusetzen, aber wichtig ist erst einmal das Resultat, dass das Äquivalenzprinzip mit differenzierten Steuerpreisen verbunden ist und damit regelmäßig mit dem horizontalen Leistungsfähigkeitsprinzip in Konflikt geraten kann.

Am ehesten lässt sich das Äquivalenzprinzip wahrscheinlich mit Zuwandernden realisieren. Denn mit diesen kann man in Verhandlungen treten, bei denen es um die Frage geht: Wie viel sind Sie bereit, für den Zugang zu unseren öffentlichen Gütern und den sonstigen lokalen Standortvorteilen an Steuern zu zahlen?

Tatsächlich gibt es Beispiele hierfür. So gab es immer wieder Länder, wie etwa auch einige Kantone der Schweiz, die es hinreichend wohlhabenden Zuwanderern erlaubt haben, ihre Steuerlast erst einmal mit den Finanzbehörden auszuhandeln, anstatt sich dem regulären Tarif zu unterwerfen. Das ist für fast alle Beteiligten vorteilhaft, denn der Fiskus im betroffenen Territorium wird sich auf das Geschäft nicht einlassen, wenn die Kosten, die der Zuwanderer verursacht, höher sind als seine pauschale Steuerzahlung. Der einzige Verlierer ist natürlich der Fiskus in dem Land, das der Zuwanderer nun verlässt. Aber dieser hätte sich ja prinzipiell selbst auf Verhandlungen einlassen können, um dies zu verhindern.

Aber ist so ein Arrangement auch gerecht? Das kommt darauf an. Wenn wir zurück zum konkreten Fall gehen und die Beschreibung des Steuersparmodells sehen, dann scheint es so, als hätte das irische Tochterunternehmen nichts anderes getan, als fertige Produkte aus asiatischen Produktionsstätten anzukaufen und dann auf dem europäischen Markt wieder zu verkaufen. Darüber hinaus wurden noch Gebühren für Forschung und Entwicklung gezahlt, einerseits an die amerikanische Zentrale und andererseits an ein fiktives, nirgendwo real angesiedeltes head office. Ob dieses Arrangement in Irland auch anderen Unternehmen offenstand wird, wie gesagt, nicht berichtet.

Unter dem fiktiven head office dürften vor allem der amerikanische und der irische Fiskus gelitten haben. Die Gewinne wären sonst entweder in Irland final versteuert worden, oder ebenfalls an die amerikanische Zentrale weitergeleitet worden. Irland wollte und will das Geld nicht. Den amerikanischen Finanzbehörden kann man getrost genügend Feuerkraft zutrauen, gegen ein solches Arrangement auch international vorzugehen, wenn sie nicht einverstanden sind. Aber auch sie verteidigen bisher Apple gegen das Ansinnen der Europäischen Kommission.

Bleiben die anderen europäischen Länder, in die Apples irische Töchter ihre Produkte verkauft haben. Nehmen wir einmal an, wir würden nicht über Apple reden, sondern über eine mittelständische irische Whiskey-Distillerie ohne steuerliches Sonderregime, die ihre Produkte direkt nach Deutschland verkauft. In diesem Fall würde es wohl kaum jemand für ungerecht halten, wenn diese Distillerie, die in Deutschland nichts produziert sondern nur hierhin versendet, ihre Körperschaftsteuer in Irland zahlt.

Der Fall Apple liegt aber materiell nicht viel anders. Irische Logistik sorgt dafür, dass fertige Produkte aus Asien nach Deutschland geschafft und dort verkauft werden. Man kann kaum behaupten, dass hier, wie etwa im Fall einer eigenen Produktionsstätte in Deutschland, in nennenswertem Umfang öffentliche Güter in Deutschland in Anspruch genommen werden. Vor dem Hintergrund des Äquivalenzprinzips ist es dann durchaus zu rechtfertigen, wenn die Etragsteuerlast hier sehr gering ausfällt.

Natürlich ist Apple keine mittelständische Distillerie in Irland, sondern hat auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern eigene Tochterfirmen. Damit diese in der Lage sind, Gewinne nach Irland zu verschieben, müssen sie entsprechende interne Verrechnungspreise ansetzen, oder auch Lizenzgebühren nach Irland zahlen. Dies wiederum geht nur mit deutscher Zustimmung – sei es des Gesetzgebers, der entsprechende Spielräume schafft (auch durch Zustimmung zu entsprechenden Steuerabkommen), oder der Finanzverwaltung, die im konkreten Einzelfall nichts beanstandet. Auch hier kann man aber wieder vermuten: Die notwendige politische Zustimmung gäbe es nicht, wenn das Arrangement nicht in irgendeiner Weise auch für Deutschland vorteilhaft wäre. Und vor allem: Das Arrangement gäbe es nicht, wenn nicht alle Beteiligten freiwillig mitspielen würden. Die Interpretation Resteuropas als hilfloses Opfer irischen Steuerraubs erscheint deutlich zu einfach.

Schlussfolgerungen

Das Ziel dieses Beitrages bestand nicht darin, zu zeigen, dass man Apples irisches Steuermodell unbedingt für gerecht halten sollte. Es ging vielmehr darum, zu zeigen, dass Fragen der Steuergerechtigkeit oft wesentlich komplizierter sind, als sie auf den ersten Blick scheinen. Vor allem haben wir es mit Kriterien für Steuergerechtigkeit zu tun, die miteinander im Konflikt stehen können. Ob man das Leistungsfähigkeitsprinzip oder das Äquivalenzprinzip in den Vordergrund stellt, ist immer auch eine Frage von individuellen Werturteilen und nicht wissenschaftlich zu entscheiden.

Wenn man aber ernsthaft über Steuergerechtigkeit diskutiert, dann sollte jedenfalls klar sein, dass die reflexhafte und wenig reflektierte Empörung über Irland in diesem Fall wesentlich zu einfach und voreilig ist. Eine etwas ruhigere Abwägung der verschiedenen Aspekte von Steuergerechtigkeit wäre angemessen.

Blog-Beiträge zur Apple-Saga:

Frank Daumann, Apple und der Steuerwettbewerb in der EU – Reloaded

Henning Klodt, Apple für’n Ei?. Steuerflucht im Fokus der EU

2 Antworten auf „Die Apple-Saga (3)
Leistungsfähigkeit und Äquivalenz
Steuergerechtigkeit in Irland im Fall Apple

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