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Am 20. September 2019 hat das Klimakabinett der Bundesregierung nach einer aufsehenerregenden Nachtsitzung die „Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030“ vorgestellt. Nach vielen Wochen intensiver öffentlicher Diskussionen der zahlreichen Vorschläge der verschiedenen Parteien hat sich die Bundesregierung nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf das „politisch Machbare“ konzentriert.
Die vorgelegten „Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030“ sind ein kleiner zaghafter Schritt in die richtige Richtung: Die Entscheidung für eine einheitliche CO2-Bepreisung über alle Sektoren hinweg in Form eines nationalen Emissionshandelssystems ist richtig, erscheint aber zu wenig ambitioniert, mutlos und damit weitgehend wirkungslos. Ein nationales Emissionshandelssystem für die CO2-Bepreisung ist als technologieoffener, marktwirtschaftlicher und kosteneffizienter Ansatz zwar grundsätzlich sinnvoll und zielführend. Die tatsächliche CO2-Bepreisung von 2021 an mit einem Mindestpreis von 10 Euro pro Tonne CO2 entspricht aber faktisch einer verkappten CO2-Steuer, die deutlich unterhalb des bisherigen EU-ETS Preises von ca. 28 Euro pro Tonne CO2 liegt. Dieser CO2-Preis (ehrlicher gesagt: CO2-Steuer) wird dann in jährlichen Stufen auf 25 Euro im Jahr 2025 angehoben. Ab dem Jahr 2026 soll dann ein marktlicher Preiskorridor von 30 bis 60 Euro pro Tonne CO2 ermöglicht werden, der dann erstmals eine (beschränkte) Handelsmöglichkeit eröffnet. Die CO2-Bepreisung wird so nicht zu dem erforderlichen zentralen Leitinstrument für den Klimaschutz, den der Sachverständigenrat (2019) für einen „Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik“ so eindringlich gefordert hatte (hier).
Dem Klimakabinett scheint das grundlegende Vertrauen an eine marktwirtschaftliche Steuerung zu fehlen. Und es weiß sehr wohl um die geringe Lenkungswirkung, die von dieser faktischen CO2-Steuer in Höhe von 10 Euro ausgeht. Deshalb muss das Klimakabinett durch mehr als 60 kleinteilige und kostenintensive Einzelmaßnahmen nachsteuern und nachfinanzieren, die die bisher eh schon hohe klima- und energiepolitische Regelungsdichte weiter erhöhen und verkomplizieren. Allein schon der legislative Aufwand ist immens, der betrieben werden muss, um eine rasche und praxisgerechte Anpassung des gesetzlichen Rahmens für die über 60 Einzel-Maßnahmen zu ermöglichen und der Komplexität des Maßnahmenpakets erfolgreich Herr zu werden (vgl. Dena 2019). Von einem Abbau bisheriger überbordener Detailregelungen ist an keiner Stelle die Rede. Und schlimmer noch: Diese kleinteiligen Maßnahmen werden die Lenkungswirkung des CO2-Preises beeinträchtigen und zum Teil wirkungslos machen und so das Vertrauen der Öffentlichkeit in marktliche Prozesse weiter untergraben. Denn wenn die Klimaziele – was absehbar ist – verfehlt werden, wird – was ebenso absehbar ist – auf dem Zeigefinger auf den Marktprozess verwiesen, der zu einem effizienten Klimaschutzbeitrag gar nicht fähig ist. Dies ist Wasser auf die Mühlen der ideologischen Marktpessimisten. Auf diese Weise wird die Glaubwürdigkeit der Marktwirtschaft in der Bevölkerung weiter zerstört.
Da dem marktlichen Steuerungsprozess nicht getraut wird, ist eine detaillierte Politiksteuerung über die vielfältigen Einzelmaßnahmen und über den jährlich vorgesehenen Monitoringprozess vorgesehen, was wiederum ein gesellschaftliches Austarieren jeder einzelnen Maßnahme erforderlich macht. Der Monitoringprozess bringt zudem die planwirtschaftlichen Sektorziele durch die Hintertür wieder ins Spiel und damit einen immensen bürokratischen Aufwand. Heerscharen von Beamten (in den Klima- und Energieabteilungen), Wissenschaftlern und Beratern werden dauerhaft gebraucht, um die jährliche klimapolitische Zielerfüllung zu monitoren und detaillierte Maßnahmen für die politische Feinsteuerung vorzuschlagen. Ob eine solche enorme Beschäftigungsausweitung in der staatlichen „Klima-Planwirtschaft“ mit den angeblich positiven Beschäftigungseffekten, die die Energiewende mit sich bringt, gemeint ist, ist fraglich und sicher nicht zielführend.
Die angesichts der hohen Strompreise dringend erforderliche nachhaltige Entlastung bleibt die Bundesregierung dem Stromverbraucher weitgehend schuldig. Das hohe Strompreisniveau wird auch weiterhin die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gefährden. Die Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030 werden in finanzieller Hinsicht auf rd. 54,5 Mrd. Euro bis 2023 beziffert. Da sich eine solche Fördersumme kaum ein anderes Land auf der Welt wird leisten können, eignet es sich nicht als Vorbild auf internationaler Ebene.
Es ist bedauerlich und bezeichnend, dass die Bundesregierung eine faktische CO2-Steuer (bis 2025) und ab 2026 einen staatlich gedeckelten CO2-Preis als einen marktwirtschaftlichen Preismechanismus bezeichnet und damit die Glaubwürdigkeit der Marktwirtschaft absehbar diskreditiert und so der klimapolitischen Planwirtschaft weiter Vorschub leistet.
Literatur:
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) (2019): „Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik“, Sondergutachten des SVR vom 12. Juli 2019, abzurufen unter: https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/sondergutachten-2019.html
Dena (2019): Das Klimapaket in der Gesetzgebung. Eine Analyse der legislativen Herausforderungen, Berlin 2019, abgerufen unter: https://www.dena.de/newsroom/publikationsdetailansicht/pub/dena-analyse-das-klimapaket-in-der-gesetzgebung/
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* Dr. Rupert Pritzl ist im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, München, tätig. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.
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Blog-Beiträge zum Thema:
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Die Einführung einer “ einheitliche(n) CO2-Bepreisung über alle Sektoren hinweg in Form eines nationalen Emissionshandelssystems“ anstelle dieser „60 kleinteilige(n) und kostenintensive(n) Einzelmaßnahmen“ ist sicherlich auf jeden Fall zu befürworten.
Wir müssen aber auch berücksichtigen, dass die Einführung dieser Maßnahmen in Deutschland alleine
(1.) keinen messbaren Einfluss auf die Klimaerwärmung haben wird, da Deutschland nur ca. 2% der Weltemissionen verursacht, aber
(2.) die Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft und der dahinter stehenden Einkommen der Arbeitnehmer signifikant verschlechtern würde.
Wir sollten deshalb die Infrastruktur für eine solche „CO2-Bepreisung über alle Sektoren hinweg in Form eines nationalen Emissionshandelssystems“ heute schon legen. Mit der Einführung sollten wir aber warten bis mindestens 2/3 aller Treibhausgasemittenten, insbesondere die „Dirty 6“ ( https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/un-klimagipfel-die-schmutzigen-sechs-koennten-die-erde-retten-a-1288019.html ) mitmachen.
Hier in unverbindliche Vorleistung zu treten, setzt bloß Anreize zu Trittbrettfahrer-Verhalten.
Dem Blödmichel kann man durch das Einreden eines schlechten Gewissens, sogar Steuererhöhungen verkaufen! Jeder andere Mensch auf der Welt würde Rebellieren, wenn er schon 80% Steuern zahlen würde. Nicht so der Michel!