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Am 28. Oktober dieses Jahres wurde Mario Draghi vertragsgemäß nach acht Jahren Amtszeit verabschiedet. Viele Politiker, an ihrer Spitze die Staatspräsidenten aus Frankreich und Italien sowie die Bundeskanzlerin, waren nach Frankfurt geeilt, um dem scheidenden EZB-Präsidenten zu danken. Dazu hatten sie auch allen Grund. Schließlich hat die EZB unter seiner Führung zahlreiche Fehler und Versäumnisse der Politik ausgebügelt.
Am 26. Juli 2012 erklärte Draghi in London: “Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the Euro. And believe me, it will be enough.“ (Der Zusatz „within our mandate“ wurde weithin nicht als entscheidende Einschränkung empfunden.) Diese damals eher beiläufige Bemerkung kann wohl als erfolgreichste Verlautbarung gelten, die je ein Notenbanker abgegeben hat. Kurz nach der Ankündigung beruhigten sich die Märkte, die steil nach oben gegangenen Zinsen der Anleihen hochverschuldeter Euroländer gingen abrupt zurück. Es kann nicht überraschen, dass auf der Veranstaltung zum Abschied von Draghi alle drei genannten Politiker in ihrem Dank diesen Satz hervorgehoben haben.
Damit hat die EZB ein Versprechen abgegeben, die Existenz des Euro und – so wurde das jedenfalls weithin verstanden – auch den Zusammenhalt des Währungsgebiets mit allen Mitgliedsländern zu garantieren. Kein Wunder, dass die anwesenden Politiker diesen Satz in den Mittelpunkt ihrer Dankesreden gestellt haben. Die EZB hat aber damit eine Verantwortung übernommen, die eindeutig in den Bereich der Politik, der Regierungen und Parlamente gehört, die ihre Entscheidungen vor den Wählern rechtfertigen müssen.
Schon vorher hat die EZB mit dem selektiven Ankauf von Anleihen hochverschuldeter Staaten aus ökonomischer Sicht gegen das im Vertrag verankerte Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstoßen. Der gleiche Einwand betrifft die Ankündigung des „whatever it takes“. Mit solchen Grenzüberschreitungen stellt die EZB ihre Unabhängigkeit in Frage, die eine politische Rolle der Institution ausschließt.
Mit ihrer expansiven Geldpolitik hat die EZB nach dem Ausbruch der Finanzmarktkrise – wenn auch sehr spät – dazu beigetragen, dass es bei einer tiefen Rezession blieb und die Wiederholung einer Depression in den Dimensionen der 1930er Jahren vermieden werden konnte. An ihrer extrem akkommodierenden Geldpolitik mit umfangreichen Käufen von Anleihen und Notenbankzinsen von Null bzw. sogar im negativen Bereich hat die EZB aber über Jahre auch dann noch festgehalten, als sich die Wirtschaft des Euroraums längst weitgehend erholt hatte. In ihrem Memorandum vom 4. Oktober 2019 haben ehemalige Notenbanker Kritik an der Wiederaufnahme des „Quantitative Easing“, d.h. dem Ankauf von Wertpapieren geübt, obgleich zahlreiche Studien die geringe Wirksamkeit einer Fortsetzung dieses Programms belegen. Es kann nicht überraschen, dass diese Entscheidung im EZB-Rat heftig umstritten war.
Der fortgesetzte Ankauf von Staatsanleihen und das damit verbundene niedrige Zinsniveau erlaubt es Ländern mit hoher Staatsverschuldung, die notwendige Konsolidierung der öffentlichen Finanzen immer weiter hinauszuschieben. Schwer verständlich bleibt auch, wieso die EZB in Abwesenheit jeglicher Deflationsgefahren sich nun schon seit Jahren vergeblich bemüht, die Preissteigerungsrate in Richtung von 2% zu bewegen. Sollte die Notenbank eine Inflationsrate von 1,5%, oder auch 1% nicht eher als Erfolg ansehen?
Die nun schon seit Jahren niedrigen Notenbankzinsen haben erhebliche negative Auswirkungen auf Banken, Versicherungen, Pensionsfonds und den Aufbau einer privaten Altersvorsorge . Zinsen von Null und darunter auf herkömmliche sichere Anlagen verleiten Anleger, auf der Suche nach Rendite unüberschaubare Risiken einzugehen. Insgesamt resultiert daraus eine drohende Instabilität des gesamten Finanzsystems.
Mit der nun schon so lange praktizierten, extrem akkommodierenden Geldpolitik und der Festlegung auf eine Fortsetzung des Kurses auf längere Zeit, ist die EZB im Übrigen auf eine mögliche stärkere Abschwächung der Wirtschaft des Euroraums schlecht vorbereitet.
Der scheidende Präsident hinterlässt ein schweres Erbe.
Hinweis: Der Beitrag erschien in Heft 12/2019 der Fachzeitschrift WiSt.
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