„Das Gegenteil von gut gemacht ist gut gemeint!“ (nach Gottfried Benn)
- 1. Problemstellung
Der Schutz des Klimas bleibt – auch in der aktuell von Corona beherrschten Zeit –eine große globale Herausforderung. Klimaschutz ist ein globales öffentliches Gut, das unter der „Trittbrettfahrer“-Problematik leidet. Ein einzelnes Land, das seinen Treibhausgasausstoß senkt, trägt zwar die „Vermeidungskosten“; von der Reduktion profitieren aber weltweit alle Länder, auch wenn sie selbst nicht dazu beitragen. Somit hat jedes Land nur einen geringen Anreiz, selbst in den Klimaschutz zu investieren, wenn gleichzeitig die Vorteile weltweit verteilt werden. Nationalstaatliche Klimapolitik beinhaltet Maßnahmen, die im Inland Wohlfahrtseinbußen verursachen und zum weltweiten Ziel der CO2-Vermeidung nur geringfügig beitragen.
Die Klimapolitik in Deutschland beruht maßgeblich auf dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz und ist – nach Meinung des Sachverständigenrats und des Wissenschaftlichen Beirats – kleinteilig, teuer und ineffizient und leistet (fast) keinen Beitrag zur klimapolitisch erwünschten Verringerung der CO2-Emissionen. Der Kohleausstiegsbeschluss und das „Klimapaket 2030“ sind weitere Weichenstellungen der deutschen Klimapolitik, die diese Linie fortführen. Aber warum ist die Klimapolitik in Deutschland so unbefriedigend ineffizient und ineffektiv, wie sie ist? Warum unterliegen wir in Deutschland einer Realitätsillusion in der Klimapolitik und reden sie uns weiterhin schön?
Nach Ansicht vieler scheinen die Politiker nicht ausreichend lernwillig oder lernfähig zu sein und können sich falsche Entscheidungen nur unzureichend eingestehen. Politische Entscheidungsträger verheddert sich häufig zu sehr in gesellschaftlichen Verteilungskämpfen mit EEG-Lobbygruppen und inszenieren letztlich nur vorgebliches Bemühen. Politiker neigen zudem eher zu planwirtschaftlichen als zu marktwirtschaftlichen Instrumenten und geben leicht dem Drang nach verteilungspolitischen Markteingriffen nach. Diese Gründe werden im Folgenden aus Sicht der Neuen Institutionenökonomik analysiert.
2. Pfadabhängigkeit des politischen Handelns – unzureichende Einsichtsfähigkeit und –willigkeit der Politiker
Die Klimapolitik wird in Deutschland maßgeblich vom Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gestaltet, das den Ausbau der erneuerbaren Energien und insbesondere die Förderung der regenerativen Stromerzeugung vorsieht. Es trat am 1. April 2000 in Kraft und garantiert feste Einspeisevergütungen, die Anschlusspflicht für erneuerbare Energieanlagen und den Einspeisevorrang für Strom aus erneuerbaren Energien. Kernelement ist die technologiespezifische umlagefinanzierte Förderung von erneuerbare Energien über eine garantierte Laufzeit von 20 Jahren (sogenannte „EEG-Umlage“).
Was im Jahr 2000 sinnvoll und zielführend war, hat sich mittlerweile ins Gegenteil verkehrt. In Deutschland – so urteilt der Wissenschaftliche Beirat – hat sich in den vergangenen Jahren ein „Wildwuchs“ unterschiedlicher Steuern, Abgaben und Umlagen auf verschiedene Formen des Energieverbrauchs herausgebildet, der einer effektiven und kosteneffizienten Klimapolitik im Weg stehen. Dieser Wildwuchs verzerrt die Investitionsentscheidungen von Haushalten und Unternehmen, führt zu hohen zusätzlichen Kosten und erbringt (fast) keine Fortschritte bei der Verringerung der CO2-Emissionen. Der Wissenschaftliche Beirat hatte schon im Jahr 2004 darauf hingewiesen, dass eine direkte Förderung erneuerbarer Energien (durch das EEG) innerhalb des übergreifenden EU-Emissionshandelssystem keinen Beitrag zur Verringerung der THG-Emissionen erbringt, sondern nur zu einer Verlagerung in andere Länder führt. Und viele Experten fragen sich, wie man mit regenerativen Energien und – auf absehbare Zeit – ohne ausreichende Stromspeicher die Versorgungssicherheit für den Industriestandort Deutschland in Zukunft garantieren möchte.
Diese grundlegenden Sachzusammenhänge haben aber die Politiker nicht dazu bewegt, die Grundstruktur des EEG zu verändern. Ebenso wenig die ernüchternde Bilanz der deutschen Klimapolitik, nach der die CO2-Emissionen in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren fast unverändert geblieben sind. Auch die hohen Kosten des EEG (so betragen die spezifischen CO-Vermeidungskosten der Windenergie onshore rd. 1.900 Euro und der Photovoltaik rd. 1.874 Euro – gegenüber dem derzeitigen Marktpreis im EU-ETS von rd. 28 Euro pro Tonne CO2) haben zu keiner Einsicht der politisch Verantwortlichen und zu keinem grundlegenden Umsteuern in der Klimapolitik geführt. Ganz im Gegenteil halten weite Teile der Bevölkerung nach wie vor an den sogenannten „Erfolgen“ und am positiv besetzten Bild von der Energiewende fest und verklären weiterhin die klima- und energiepolitische Fehlsteuerung der Energiewende.
Aus der Politikberatung wissen wir, dass Politiker bestrebt sind, eine möglichst klare politische Haltung in bestimmten Politikbereichen einzunehmen, um sich so von Vertretern anderer politischer Parteien abzugrenzen. Diese politisch-inhaltliche Positionierungen können dann nicht so leicht von Wissenschaftlern oder Interessenvertretern mit Hilfe von Aufklärungs- oder Informationsoffensiven verändert werden. Veränderungen in der einmal verkündeten politischen Positionierung von Abgeordneten sind entweder gar nicht, nur marginal oder nur auf längere Sicht möglich. Politiker sind auch an die Wert- und Richtungsentscheidungen ihrer Partei gebunden, die wiederum nur schrittweise (z.B. durch Parteitagsbeschlüsse) geändert werden können. Parteien sind dabei darauf bedacht, keine abrupten Kurswechsel zuzulassen, die möglicherweise ihre politische Geschlossenheit in Frage stellt und Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer politischen Beschlüsse aufkommen lässt. Dies schränkt zwangsläufig die Veränderungsbereitschaft und –fähigkeit der politischen Vertreter ein. Ein Politiker, der sich einmal öffentlich zugunsten des EEG positioniert hat, wird sich dann kaum von der Ineffizienz und der Ineffektivität des EEG überzeugen lassen. So wird verständlich, warum das EEG auch nach 20 Jahren so ein enormes Beharrungsvermögen hat.
3. Funktionsweise des politischen Entscheidungsprozesses – politische Unternehmer und Interessengruppen
Das EEG hat eine umfangreiche kleinteilige Regelungsdichte im Energiebereich hervorgebracht. Verschiedene durchsetzungsstarke Interessengruppen bemühen sich – weitgehend erfolgreich – um eine finanzielle Privilegierung, an der Wiederwahl orientierte politische Entscheidungsträger gewähren zahlreiche finanzielle Vorteile und Sondervorteile (z.B. über Ausnahmetatbestände im EEG) und die nur schwer organisierbare große Gruppe der Stromverbraucher trägt letztlich die Gesamtkosten. Starke Lobbyakteure sind die Erneuerbare-Energien-Verbände („Wind- und Solarlobby“), die Unternehmen der Energiewirtschaft und die einzelnen Bundesländer, die sich für ihre natürlichen Standortvorteile (z.B. Wind im Norden, Sonne im Süden und Bioenergie in den agrarischen Flächenstaaten) stark machen. Auch die Klimaschutzbürokratie (in Deutschland: das Umweltbundesamt) entwickelt eine Eigendynamik und nutzt ihre politische Stellung – in der Bürokratietheorie William Niskanens – zur Durchsetzung ihrer politischen Präferenzen (diesen Hinweis verdanke ich J. Schnellenbach).
Die durch das EEG gewährten Renteneinahmen haben zu einer Herausbildung mächtiger Interessengruppen und zu einem Rent-Seeking-Spielfeld par excellence geführt. Die Lobbyakteure streben den weiteren mengenmäßigen Zubau von Erneuerbaren Energie-Anlagen an, der ihren Mitgliedern lukrative EEG-Vergütungen für 20 Jahre garantiert („Quasi-Renten“), und wehren sich gegen eine Verringerung der Vergütungssätze bzw. Verschlechterung der Einnahmensituation. Die Kosten werden v.a. über die EEG-Umlage, die im Jahr 2020 auf den Rekordstand von 6,765 ct/KWh angestiegen ist, auf die Stromverbraucher abgewälzt. Die Gesamtkosten von EEG-Umlage, Stromsteuer und Netzentgelte belaufen sich lt. Bundesrechnungshof mittlerweile auf rd. 34 Mrd. Euro pro Jahr, was durchschnittlich jeden Bundesbürger mit 415 Euro jährlich belastet. Und in den nächsten beiden Jahren werden Haushaltsmittel in zweistelliger Milliardenhöhe verwendet, um die EEG-Umlage auf 6,5 bzw. 6,0 Cent zu deckeln. Das EEG führt zudem zu gesellschaftlich unerwünschten Umverteilungen zu Gunsten von Eigenheim- und Flächenbesitzern sowie Kapitaleignern, die zu Lasten der einkommensschwächeren Haushalte und Mieterhaushalte gehen.
Es kennzeichnet den enormen Machteinfluss der EEG-Lobbygruppen, dass trotz schon im Jahr 2004 vom Wissenschaftlichen Beirat geäußerten Kritik sich an dieser kleinteiligen, ineffizienten und sozial unausgewogenen der Grundstruktur der Förderung wenig geändert hat. Je mehr die ökonomische Bedeutung dieser Branche aber zunimmt und je größer die Bevölkerungsgruppen werden, der selbst EE-Anlagen betreiben, desto weniger wird die Politik in Zukunft willig bzw. fähig sein, gegen deren Interessen als homogene und gut organisierbare Wählergruppe zu handeln und die vom Sachverständigenrat geforderte Neuausrichtung der Energie- und Klimapolitik vorzunehmen. So manche Vertreter der EEG-Lobby wittern in den aktuellen Corona-Zeiten Morgenluft und plädieren für eine Weiterentwicklung der EEG-Förderung, indem sie einen beschleunigten Ausbau von Photovoltaik und Windkraft mit einem expansiven Investitions- und Konjunkturprogramm verknüpfen.
4. Fehlendes Vertrauen der Politiker in marktliche Prozesse – Politiker entscheiden sich eher für planwirtschaftliche Elemente als für Marktwirtschaft
Wirksamer Klimaschutz erfordert eine drastische Verringerung der globalen Treibhausgasemissionen und damit eine umfassende Transformation der Energieversorgungssysteme und eine grundlegende Umstrukturierung des gesamten Wirtschaftens und Konsumierens im Hinblick auf Treibhausgasneutralität. Da diese wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozesse enorm kostenintensiv sind, kommt der Kosteneffizienz der Maßnahmen zentrale Bedeutung zu. Bestmögliche Kosteneffizienz kann aber nur die marktwirtschaftliche Koordination bewirken, die mit dezentralen Preissignalen dafür sorgt, dass Klimabelastungen dort vermieden werden, wo die Kosten der Vermeidung am niedrigsten sind. Nur der Wettbewerb bildet nach von Hayek den gesellschaftlichen Suchprozess für die ökonomisch effizientesten Lösungen. Die Monopolkommission weist darauf hin, dass die ökonomischen Ineffizienzen eine Volkswirtschaft belasten und damit den Handlungsspielraum für die Politik zur Erreichung weiterer Klimaziele verringern. Die im Wettbewerb miteinander stehenden Unternehmen sind dabei die wichtigsten Akteure und sollten daher als Verbündete im Klimaschutz gesehen werden.
Politische Entscheidungsträger haben ein starkes Interesse, nicht nur den Ordnungsnahmen für die Wirtschaft zu gestalten, sondern im wirtschaftlichen Geschehen bei Einzelentscheidungen selbst mitzuwirken. Politiker wollen unmittelbar an möglichst vielen konkreten (auch wirtschaftlichen) Entscheidungen so beteiligt sein, dass ihnen durch ihr Handeln ein positives Ergebnis zugerechnet wird. Sie wollen auch im wirtschaftlichen Leben sichtbar und wahrnehmbar. Sie haben im Regelfall nur geringes Interesse, einen unpersönlichen und ergebnisoffenen Marktmechanismus zu etablieren und ihm bestimmte Entscheidungen anzuvertrauen. Es liegt also gar nicht in der Handlungslogik von Politikern, öffentlichkeitsbedeutsame Fragen in den ökonomischen Bereich auszulagern und den sich auf dem Markt bildenden Preisen eine Chance zu geben.
Die politische Entscheidungslogik ist auf direkte, kurzfristig wirkende und zurechenbare Eingriffe der Politiker ausgerichtet. Wenn ein Marktergebnis aus politischer Sicht als unerwünscht interpretiert wird, wird es schnell als „Marktversagen“ abgewertet und eine politische Intervention gefordert. In vielen Fällen macht diese Intervention dann aber wiederum weitere politische Regulierungen erforderlich, so dass es zu einer Interventionsspirale mit immer weiteren legislativ-administrativen Eingriffen kommt. Renate Köcher beschreibt diese politische Interventionsdynamik kurz und prägnant: „Regulierung macht offensichtlich Lust auf mehr.“ Nur in seltenen Fällen werden marktverzerrende staatliche Eingriffe zurückgenommen und Bürokratie oder legislative Anforderungen abgebaut. Das EEG ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich in den vergangenen 20 Jahren ein ausdifferenzierter und selbst von Fachleuten kaum mehr „handhabbares bürokratisches Monster“ (H.-J. Fell) herausgebildet hat, das sich allein vom Umfang von einst 12 auf inzwischen 79 Paragrafen versechsfacht hat. Das Standardwerk „Energierecht“ (im Beck-Verlag) bringt es mittlerweile auf fast 1.800 Seiten (gegenüber 512 Seiten der 1. Auflage 2000).
Das von der Bundesregierung Ende 2019 beschlossene „Klimapaket 2030“ ist ein weiteres Bespiel dafür, dass die Politiker das grundlegende Vertrauen in eine marktwirtschaftlich ausgerichtete Klimapolitik verloren haben und – wie schon im EEG – auf detaillierte Politiksteuerung über vielfältige Einzelmaßnahmen setzen. Der nationale CO2-Emissionshandel mit Fixpreissystem von 2021 bis 2026 entspricht in Wirklichkeit einer verkappten CO2-Besteuerung und hat mit einem Preismechanismus gar nichts zu tun, sondern ist – wie Schnellenbach formuliert – politischer „Etikettenschwindel“. Die CO2-Bepreisung wird so eben gerade nicht zum zentralen Leitinstrument für den Klimaschutz, den der Sachverständigenrat eindringlich gefordert hatte. Im Gegenteil: Die kleinteiligen diskretionären Politikmaßnahmen werden die Lenkungswirkung des CO2-Preises beeinträchtigen und das Vertrauen der Bevölkerung in marktliche Prozesse vorhersehbar enttäuschen. Durch den jährlichen Monitoringprozess kommen planwirtschaftliche Sektorziele wieder ins Spiel, was in der Konsequenz einer politische Bewertung der Marktergebnisse Tür und Tor öffnet. Damit ist ein immenser bürokratischer Aufwand für Heerscharen von Beamten (in den Klima- und Energieabteilungen), Wissenschaftlern und Beratern verbunden, die sich in diese politische Bewertung – möglicherweise auch mit eigenen Interessen – einbringen. Das sektorscharfe jährliche Zielmonitoring könnte eine unheilvolle Eigendynamik in Gang setzen, die sich aus wachsenden Ansprüchen der Bevölkerung einerseits und Machbarkeitsillusion der Politiker und der „Klimaschutzbürokratie“ andererseits speißt und sich zu einer Interventionsspirale hochschaukelt. Es steht zu befürchten, dass dies in der öffentlichen Debatte zu einem weiteren Vertrauensverlust des marktwirtschaftlichen Gedankens in weiten Teilen der Bevölkerung führt. Die Diskreditierung des Europäischen Emissionshandelssystem hatte ja schon in der Vergangenheit der politischen Rhetorik der Profiteure des EEG und der Verfechter direkter staatlicher Eingriffe gedient.
5. Ideologie und Gerechtigkeitsvorstellung – Umverteilung dominiert Wachstum und Allokation
In der gesellschaftlichen Debatte wird der Ruf nach staatlich motivierten Eingriffen immer stärker. Immer häufiger kommt es dazu, dass die Politik die Marktergebnisse aus politischer Sicht bewertet und die Preise in eine von ihm gewünschte Richtung lenkt. Mit direkten staatlichen Preiseingriffen können Politiker bestimmten Bevölkerungs- und Wählergruppen finanzielle Vorteile zukommen lassen, ohne dass es den Staat (scheinbar) etwas kostet. Die gesellschaftlichen Kosten der Preiseingriffe werden auf andere Bevölkerungsgruppen (bei staatlichen Höchstpreisen – auf Anbieter und Produzenten) abgewälzt.
Viele Ökonomen beklagen, dass die Marktwirtschaft immer häufiger ideologisch abgelehnt oder marktliche Prozesse gar nicht zugelassen werden. Der Staat wird von vielen als Wirtschaftslenker und Preissetzer gesehen, der alles und für alle regeln soll. Dies ist eine grundlegende Delegation der Entscheidung und der gesellschaftlichen Verantwortlichkeit weg von der Eigenverantwortung jedes einzelnen hin zum „fürsorgenden“ Wohlfahrtsstaat. Clemens Fuest spricht hier von einer „schleichenden Verbreitung des Neodirigismus.“
Ein vielbeachtetes Beispiel für verteilungsmotivierte Staatseingriffe im Mietwohnungsmarkt ist der sog. „Berliner Mietendeckel“. Die Politik möchte die Miethöhe für sechs Jahre auf dem gegenwärtigen Niveau einfrieren und blendet dabei sowohl die allokativen Folgen für das Wohnungsangebot als auch die mittelfristig sich einstellenden vielfachen administrativ-bürokratischen Ungerechtigkeiten (z.B. Warteschlangen, administratives Beantragungsverfahren, willkürliche Zuteilung des übernachgefragten Gutes) aus. Zur Begründung führen die Verfechter des Mietendeckels an, dass sie eine Diskriminierung nach dem objektiven Kriterium der Zahlungsfähigkeit ablehnen und dafür subjektive soziale oder politische Kriterien fordern. Die Verteilungsergebnisse des Marktes werden von Teilen der Bevölkerung per se als ungerecht und unsozial kritisiert, Regelgerechtigkeit als gesellschaftliches Gerechtigkeitsprinzip abgelehnt und stattdessen Ergebnisgerechtigkeit oder Gleichheit gefordert. Und ist nicht auch die Bundesumweltministerin Svenja Schulze der Ansicht, dass „jeder Sektor seinen Teil zur Verringerung der CO2-Emissionen beitragen soll“ eine Ablehnung des marktwirtschaftlichen Koordinationsprinzips in der deutschen Klimapolitik?
Mit diesen Forderungen ist unterschwellig meist eine offene oder versteckt vorgetragene Wachstums- und Kapitalismuskritik verbunden. Klimaschutz sehen viele als einen geeigneten Weg, das aus anderen Gründen schon immer unerwünschte private Unternehmertum und den unliebsamen marktlichen Wettbewerb auszuhebeln. Die Klimathematik wird dabei gezielt als Hebel instrumentalisiert, um politische Regulierungen zu erzwingen, die man sich schon immer von der Politik erhofft hatte.
6. Vermeidung kognitiver Dissonanzen – Moralisch gutes Handeln
Zwischen dem politischen Versprechen eines wirksamen Klimaschutzes (und sogar Klimaneutralität Deutschlands bis 2050) und den bisherigen Erfolgen der Klimapolitik klafft eine enorme Anspruchslücke. Auf allen Ebenen formulieren Politiker immer ambitioniertere Ziele, viele Menschen fragen sich jedoch, wie die Politik diese Erwartungen realistischer Weise jemals erfüllen kann. In der Sozialpsychologie wird dieses Phänomen als „kognitive Dissonanz“ (Leon Festinger) bezeichnet. Danach stehen mehrere Kognitionen (also Erkenntnisse über die Realität) einer Person zueinander im Widerspruch und charakterisieren die innere Spannung bzw. Zerrissenheit des Individuums. Kognitive Dissonanz gefährdet das stabile Selbstkonzept des handelnden Menschen und drängt nach Auflösung dieser inneren Spannung.
Diese Auflösung wird aber nicht durch erreicht, dass eine Änderung von Einstellung oder vom Verhalten angestrebt und somit eine der beiden Extrempole aufgegeben wird. Das Ziel Klimaneutralität 2050 aufzugeben, würde bedeuten, dass die Glaubwürdigkeit der Klimapolitik der Bundesregierung und mithin der gesamten Klimapolitik nach der Pariser Klimaschutzkonferenz 2015 beschädigen wird. Und hinsichtlich einer realistischen Zielerreichung dämmert der Politik mittlerweile auch, dass sie die geeigneten Instrumente zur Zielerreichung kaum besitzt.
Eine Auflösung dieses inneren Spannungszustandes bietet die Vorstellung einer „Inszenierung des ehrlichen Bemühens“ auf möglichst breiter Ebene und mit größtmöglicher gesellschaftlicher Beteiligung getreu dem Goetheschen Motto: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ Denn alle Menschen (auch die politischen Entscheidungsträger) möchten moralisch gut handeln, sie möchten ein gutes Gewissen haben und – wie Armin Nassehi formuliert – „auf der richtigen Seite stehen.“ Auf diese Weise versuchen sie, ihre kognitiven Dissonanzen zu reduzieren und sich so ihr stabiles Selbstkonzept zu erhalten. Daher streben Politiker kleine sichtbare Schritte bzw. Fortschritte an, um darauf hinzuweisen, es geht ja – zumindest ein wenig – in die richtige Richtung. In der aktuellen Klima- und Energiepolitik findet man zahlreiche Belege für diese politische Inszenierungsstrategie: Immer mehr Personal in den einschlägigen Behörden, mehr Gesetze und Verordnungen, zusätzliche Gremien und Abstimmungsrunden (sogenanntes „Klimakabinett“ der Bundesregierung) sowie ein umfassendes jährliches Monitoringwesen und mehr Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen. Auch die starke Fokussierung von Politik und Öffentlichkeit auf den Stromsektor dient der politischen Selbstinszenierung und Selbstbestätigung. Denn hier erreicht der Anteil erneuerbarer Energien mittlerweile fast 50 Prozent, was als vorzeigbarer „Erfolg“ ja offensichtlich die eigenen Bemühungen zu bestätigen scheint.
In diesem Sinne ist auch der sehr emotionale und moralisierende Grundton der gesellschaftlichen Klimadebatte in Deutschland zu sehen, mit dem das eigene klimapolitische Engagement gerechtfertigt und einer fachlich-objektiven Überprüfung entzogen werden soll. Die privaten und politischen Akteure profilieren sich in der Öffentlichkeit als „Klimaretter“ und kaschieren erfolgreich ihre privaten Interessen und sind sich einig, dass sie an der bisherigen Politik so festhalten. Angesichts einer wenig stringenten Klimapolitik der Bundesregierung wird diese „vermeintliche“ gesellschaftliche Akzeptanz für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien willkommen geheißen, die hohen gesellschaftlichen Kosten und Ineffizienzen verschleiert und die regressiven Verteilungswirkungen hingenommen. In der sich wechselseitig bestärkenden Auffassung, ja moralisch gut zu handeln, werden kritische politikberatende Stimmen vom Sachverständigenrat oder Wissenschaftlichen Beirat oder kritische kontrollierende Stimmen des Bundesrechnungshofes beiseite gewischt. Mit der fortwährenden Verschärfung der klimapolitischen Ziele (und hat nicht jüngst das EU-Parlament das CO2-Einsparziel bis 2030 auf 60 Prozent angehoben) demonstrieren Politiker letztlich aber nur ihre „hyperambitionierte Ambitionslosigkeit“ (Richter), und müssten doch eigentlich zugeben, dass sie die erforderlichen Instrumente zur Zielerreichung gar nicht besitzen.
7. Psychologisches Moment – „Irren ist menschlich“ – auch Politiker sind Menschen
20 Jahre nach Einführung des EEG kann die Politik – vielleicht: jetzt erst recht – nicht zugeben, dass die Energiewende zu scheitern droht. Und hat Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht ihre eigene Klimapolitik im Sommer 2019 als „Pillepalle“ bezeichnet und ihr damit selbst ein grottenschlechtes Zeugnis ausgestellt und eine deutliche Besserung mit dem sogenannten „Klimapaket 2030“ versprochen? Warum können sich die Klimapolitiker dann nicht ehrlicherweise eingestehen, dass sie mit ihrem „Großprojekt Energiewende“ (Altrogge) gescheitert sind?
Der Umgang mit wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Scheitern ist in Deutschland eher negativ besetzt. Nach einer repräsentativen Umfrage der Universität Hohenheim steht nur etwa die Hälfte der Befragten dem unternehmerischen Scheitern positiv oder überwiegend positiv gegenüber. International vergleichende Studien zeigen auch, dass die Angst vor einem geschäftlichen Misserfolg in Deutschland deutlich höher als ist als z. B. in den USA. Und während es im wissenschaftlichen Bereich systemimmanent ist, aus Fehlern zu lernen, seine Kenntnisse zu erweitern und seine fachliche Position auch mal zu ändern, werden im politischen Bereich eindeutige und stets korrekte Antworten erwartet. Sich politische Fehler eingestehen zu müssen, bedeutet dann oftmals das politische Aus.
Das Scheitern in einem politischen Amt ist ein Sonderfall, denn es geschieht in der Öffentlichkeit und wird von den Medien meist kritisch begleitet und kommentiert. Öffentlichkeit und Medien sind nach persönlicher Erfahrung der ehemaligen Oberbürgermeisterin von Kiel, Susanne Gaschke, die im Oktober 2013 von ihrem Amt zurückgetreten ist, eher bösartig, ungerecht und besserwisserisch. Denn es liege ja in der Natur der journalistischen Arbeit, dass sie Ergebnisse im Nachhinein beurteilt, ohne selbst politische Verantwortung zu tragen und Konsequenzen fürchten zu müssen. Gaschke beklagt besonders die Skandalisierung von einzelnen politischen Entscheidungen und die persönliche Diffamierung, die zu Vorverurteilungen und einer medialen Zerstörung von Politikern führen kann (wie im Fall des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff).
Es scheint also unterschiedliche Toleranzniveaus für das Scheitern in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu geben. Wenn das politische Scheitern am wenigsten gesellschaftlich akzeptiert wird, so steht zu erwarten, dass im politischen Bereich am wenigsten – und schon gar nicht öffentlich – eigene Fehler zugegeben werden können. Vielleicht wird auch damit verständlich, dass das Eingeständnis der Bundeskanzlerin über ihre Pillepalle-Klimapolitik nicht zu einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über die unbefriedigende Klimapolitik geführt hat.
8. Schlussbetrachtung
Die Bilanz der bisherigen Klimapolitik in Deutschland ist sehr ernüchternd: Die klimapolitischen Ziele werden weitgehend verfehlt, und die gesellschaftlichen Kosten erscheinen demgegenüber sehr hoch. Politiker zeigen – gerade in Corona-Zeiten – wieder eine stärkere Präferenz für staatsinterventionistische und neodirigistische Politikelemente. Deutschland scheint in der Klimapolitik einer Realitätsillusion zu unterliegen.
Die klimapolitische Herausforderung ist ohne eine rationale Klimapolitik nicht zu bewältigen. Grundbedingung dafür ist, dass Klimapolitik auch von der Politik in Deutschland als internationales Koordinationsproblem erkannt und angegangen wird. Deutschland sollte sich – viel stärker als bisher – für einen weltweit einheitlichen CO2-Preis einsetzen und dafür werben, ihn schrittweise zu institutionalisieren (z.B. in den G 20 Staaten). Die EU-Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2020 könnte Deutschland nutzen, zunächst in der EU für mehr marktorientierten Klimaschutz zu werben. Die Ankündigungen von China bzw. Japan, bis 2060 bzw. 2050 Klimaneutralität anzustreben, darf als hoffnungsvolles Signal verstanden werden.
Darüber hinaus sind mehr Sachlichkeit und Vernunft in Deutschland über die Instrumente der Klimapolitik dringend erforderlich. Zentrale Elemente dafür müssen sein: Kosteneffizienz, Technologieoffenheit und stärkere Förderung von Forschung und Entwicklung. Angesichts der Ineffektivität und Ineffizienz der bisherigen deutschen Klimapolitik darf es ein noch stärkeres „Weiter so“ nicht geben. Notwendig ist ein grundlegender Strategiewechsel der deutschen Klimapolitik, der nur mit der Einführung eines einheitlichen CO2-Preises über alle Sektoren hinweg erreicht werden kann. Nur so können die Produktivkräfte der Marktwirtschaft effektiv und effizient für den Klimaschutz gezielt eingesetzt werden. Deutschland sollte endlich aufhören, mit hohen Subventionen den Ausbau der erneuerbaren Energien zu fördern, sondern vielmehr auf eine breite Technologieförderung setzen. Wir brauchen mehr Offenheit und Vertrauen in Deutschland, die gesellschaftlichen Vorteile von Märkten und Wettbewerb zum Wohl der Menschen zu nutzen. Letztlich muss es Ziel der Klimapolitik in Deutschland sein, nachhaltig zu demonstrieren, dass sich Emissionsminderungen mit hohem und wachsendem Wohlstand und gesellschaftlicher Akzeptanz verbinden lassen.
Hinweis: Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version des unter dem Titel „Realitätsillusion der deutschen Klimapolitik“ im „Wirtschaftsdienst“ erschienenen Beitrages (Heft 09/2020, Literaturangaben dort).
- Gastbeitrag
„Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ und die ambivalente grüne Klimarhetorik
Eine Dechiffrierung der Sprache des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck - 13. Februar 2022 - Gastbeitrag
Mehr Fortschritt wagen – auch in der Klimapolitik?
Einige politökonomische Überlegungen zum Koalitionsvertrag und zur Klimapolitik der neuen Ampel-Regierung - 1. Januar 2022 - Gastbeitrag
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Einige politökonomische und psychologische Aspekte des Politikerverhaltens - 8. Dezember 2020
Eine Antwort auf „Gastbeitrag
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