Haushaltskonsolidierung des Bundes: Wider den Defätismus

Deutschland steckt ohne Zweifel in der Schuldenfalle. Das gesamtstaatliche Haushaltsdefizit, das sich vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise schon hoffnungserweckend vom negativen Bereich auf die Null zubewegt hatte, ist wieder kräftig gestiegen und wird sowohl im Jahr 2010 als auch in den Folgejahren die Maastricht-Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts deutlich überschreiten. Der Bundesfinanzminister wird alle Hände voll zu tun haben, um wieder einen Maastricht-konformen Haushalt vorlegen zu können. Verschärft wird der Konsolidierungszwang durch die neu ins Grundgesetz aufgenommene „Schuldenbremse“, die den Bund verpflichtet, sein strukturelles Haushaltsdefizit bis zum Jahr 2016 auf maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu reduzieren.

Natürlich steht der Bundesfinanzminister vor einer extrem ehrgeizigen Aufgabe, wenn ihm die nötigen Ausgabenkürzungen gelingen sollen. Betrachtet man die Ausgabenentwicklung im Bundeshaushalt isoliert für den Zeitraum von 2010 bis 2016, so erscheint die Konsolidierungsaufgabe als gigantisch bis unlösbar. Denn in all den Jahren seit der Deutschen Vereinigung hat es nie vergleichbare Einsparungen über einen längeren Zeitraum hinweg gegeben. Ein gewisser Rückgang auf der Ausgabeseite ist lediglich von 1996 bis 1997 und in äußerst schwacher Ausprägung von 1999 bis 2001 zu beobachten. Die Einsparungen waren allerdings nicht von langer Dauer, sondern wurden in den Folgejahren rasch wieder kompensiert. Diesmal dagegen geht es darum, volle sechs Jahre lang bis zum Jahr 2016 einen strikten Sparkurs zu fahren und auch in den Jahren danach die Ausgaben nicht schneller als die Einnahmen steigen zu lassen (Abbildung 1).

Schaut man sich dagegen die längerfristige Entwicklung der Ausgaben des Bundes an, so wird deutlich, dass sie in der Zeit von 1996 bis 2008 durchaus auf dem richtigen Kurs waren und im Jahr 2008 zu einem Haushaltsdefizit führten, das nahezu mit der Schuldenbremse des Grundgesetzes (die damals noch nicht existierte) vereinbar war. Erst in den Jahren 2009 und 2010 liefen die Ausgaben aus dem Ruder, was gemeinsam mit den krisenbedingten Einnahmeausfällen zu sprunghaft steigenden Haushaltsdefiziten führte. Aus dieser längerfristigen Perspektive heraus kann man die Aufgabe der Haushaltskonsolidierung also auch so umschreiben, dass es letztlich „nur“ darum geht, auf den Kurs zurückzufinden, der die staatliche Ausgabenpolitik bis zum Jahr 2008 geprägt hatte.

Abbildung 1: Konsolidierungsbedarf im Bundeshaushalt


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Hinweis: In der Abgrenzung der Finanzstatistik. Bis 2013 nach Finanzplan. Ab 2014 eigene Schätzung.

Gleichwohl dürfte die Haushaltssanierung alles andere als leicht werden, denn die Ausgabenentwicklung ist mit erheblichen Risiken behaftet.

– An erster Stelle sind dabei die Rettungsschirme für Griechenland und den Euro zu nennen. Immerhin ist Deutschland dabei Bürgschaftsverpflichtungen von maximal 8,4 Mrd. Euro bzw. 184 Mrd. Euro eingegangen. Heute kann niemand sagen, wie viel davon in Zukunft kassenwirksam werden wird.

– An zweiter Stelle steht der Sonderfonds „Finanzmarkstabilisierung“ (SoFFin), dessen Aktivitäten sich bislang nur ansatzweise auf die Haushaltszahlen ausgewirkt haben, der aber künftig, wenn die Sanierung des Finanzsektors nur zögerlich vorankommen sollte, ebenfalls zu ganz erheblichen Haushaltsbelastungen führen könnte. Insgesamt verfügt der SoFFin über ein Volumen von 400 Mrd. $. Für das Jahr 2009 ist ein Verlust von 4 Mrd. Euro zu verzeichnen, und insgesamt sind bislang Stabilisierungshilfen im Umfang von 150 Mrd. Euro gewährt worden. Diese Hilfen sind teils als Darlehen und teils als Bürgschaften ausgestaltet.

– Ein drittes Haushaltsrisiko stellt die Zinsentwicklung dar. Seit vielen Jahren schon verharren die Zinsen auf niedrigem Niveau, doch es ist keineswegs ausgemacht, dass dies für alle Zukunft so bleiben muss. Derzeit liegen die Zinsausgaben im Bundeshaushalt bei rund 40 Mrd. Euro, und der Zinssatz für deutsche Staatsschuldtitel liegt bei rund drei Prozent. Ein Zinsanstieg um zehn Basispunkte würde zu einer Haushaltsmehrbelastung von mehr als 1 Mrd. Euro führen.

– Ein vierter Unsicherheitsfaktor geht von dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus, nach dem die Regelsätze im ALG II auf neue Berechnungsgrundlagen zu stellen sind. Zwar hat das Gericht wiederholt darauf hingewiesen, dass sein Urteil keineswegs zwangsläufig eine Anhebung der Regelsätze nach sich ziehen müsse, aber es bleibt offen, welche sozialpolitischen Konsequenzen Regierung und Parlament letztlich aus dem Urteil ziehen werden.

– Und fünftens schließlich könnte es auch bei den Sozialversicherungen zu nennenswerten zusätzlichen Staatsausgaben kommen. Besonders umstritten sind dabei die finanziellen Konsequenzen der von der Regierung angestrebten Gesundheitsreform, die nach unterschiedlichen Schätzungen eine Spannweite von 10 bis 35 Mrd. Euro aufweisen könnte. Einen weiteren haushaltspolitischen Sprengsatz enthält die Altersversorgung, deren Unterstützung zum größten Einzelposten im gesamten Bundeshaushalt geworden ist.

Insgesamt ist also die künftige Entwicklung der Ausgaben im Bundeshaushalt mit vielen Fragezeichen behaftet. Andererseits könnte es auch zu positiven Überraschungen kommen. Die konjunkturelle Erholung in Deutschland könnte kräftiger ausfallen als in den Haushaltsansätzen veranschlagt, wodurch nicht nur mehr Steuereinnahmen, sonder auch weniger Sozialausgaben zu erwarten wären.

Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, die notwendige Sanierung ihres Haushalts ab dem Jahr 2011 in Angriff nehmen zu wollen. Um die Vorgaben der Schuldenbremse des Grundgesetzes zu erfüllen, wird sie dafür das Defizit im Bundeshaushalt, das derzeit mehr als 80 Mrd. Euro beträgt, schrittweise bis auf rund 10 Mrd. Euro zurückfahren müssen. Entsprechende Haushaltszahlen finden sich bereits im Finanzplan für die Jahre bis 2013, der im Sommer 2009 verabschiedet wurde. Für die Darstellung im Schaubild wurden diese Daten übernommen, mit den aktuellen Beschlüssen des Deutschen Bundestags ergänzt und bis zum Jahr 2016 fortgeführt, so dass am Ende der Anpassungsperiode das Haushaltsdefizit unter den Annahmen dieses Schaubilds tatsächlich bei 10 Mrd. Euro liegt.

Wie oben erwähnt, hatte die Ausgabenseite des Bundeshalts bis zum Jahr 2008 im großen und ganzen mit den Erfordernissen der Schuldenbremse des Grundgesetzes im Einklang gestanden. Um diese Aussage zu veranschaulichen, ist im Schaubild eine Trendlinie durch die Ausgaben gelegt, die für das Jahr 2002 mit den tatsächlichen Staatsausgaben zur Deckung gebrach wurde. Dieses Jahr bietet sich als Referenzmaßstab an, weil die konjunkturell bedingte Auslastung der Produktionskapazitäten damals in etwa dem langjährig zu erwartenden Mittel entsprach.

Den zweiten Fixpunkt der Trendlinie stellen die Staatsausgaben des Jahres 2016 dar, die auf ein Niveau gesetzt wurden, das mit der ab jenem Jahr zwingenden Schuldenbremse des Grundgesetzes vereinbar ist. Vergleicht man die Ausgabenniveaus dieser beiden Jahre miteinander, ergibt sich ein jährlicher Anstieg der Staatsausgaben von 1,44 Prozent. Wäre dieses Expansionstempo tatsächlich beibehalten worden, dann hätten die Ausgaben im Bundeshaushalt 2010 nicht bei 319,5 Mrd. Euro gelegen, sondern bei 277,8 Mrd. Euro. Die Differenz zwischen den tatsächlichen Bundesausgaben des Jahrs 2010 und jenen Ausgaben, die sich bei Fortführung des längerfristigen Trends ergeben hätten, liegt also bei knapp 42 Mrd. Euro.

Diese Zahl kann als realistisches Maß für den Konsolidierungsbedarf auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts angesehen werden. Würde stattdessen nur auf die Differenz zwischen den tatsächlichen Ausgaben des Jahres 2010 und den hypothetischen Ausgaben des Jahres 2016 abgestellt, würde das Ausmaß des Konsolidierungsbedarfs unterschätzt, da es stets einen latenten Druck zum Anstieg der Staatsausgaben gibt, der unter anderem schon aus den jährlichen Tarifsteigerungen des Öffentlichen Dienstes oder auch aus allgemeinen Preissteigerungen im Beschaffungswesen resultiert.

Wie gesagt die Konsolidierungsaufgabe würde leichter fallen, wenn es nicht zu dem ausgeprägten Anstieg der Bundesausgaben zwischen 2008 und 2010 gekommen wäre. Dies wirft die Frage auf, wie diese Mehrausgaben zustande gekommen sind. Dafür ist es instruktiv, sich eine Aufschlüsselung des Bundeshaushalts 2008 und des Bundeshaushalts 2010 nach sieben großen Aufgabenbereichen anzuschauen. Dabei zeigt sich das überraschende Bild, dass es bei allen Aufgabenbereichen zusammengenommen unter Ausschluss des Aufgabenbereichs „Soziale Sicherung“ eine vollständige Konstanz der Ausgaben gegeben hat. Der über den langfristigen Trend hinausgehende Anstieg der Ausgaben zwischen 2008 und 2010 ist also allein auf die Ausgabensteigerungen im Bereich der sozialen Sicherung zurückzuführen. Dabei schlugen allein die Ausgaben für den Arbeitsmarkt mit zusätzlichen rund 25 Mrd. Euro zu Buche. Um fast 10 Mrd. Euro erhöhten sich die sogenannten „sonstigen Maßnahmen“ im Sozialbereich, wozu insbesondere der Bundeszuschuss für die Aufwendungen der gesetzlichen Krankenversicherung beigetragen hat. Dieser Zuschuss betrug im Jahr 2009 7,2 Mrd. Euro und soll im Jahr 2010 auf 15,78 Mrd. Euro ansteigen. Weitere 2,5 Mrd. Euro werden für die Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung fällig, der damit auf insgesamt 80,8 Mrd. Euro anwächst.

Insgesamt macht der Vergleich der Ausgabenstrukturen der beiden Bundeshaushalte durchaus Hoffnung. Immerhin ist es in den Aufgabenbereichen außerhalb der sozialen Sicherung schon jetzt gelungen, Ausgabensteigerungen zu vermeiden. Und der kräftige Ausgabenanstieg bei der sozialen Sicherung selbst ist natürlich auch vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftskrise zu sehen. An allererster Stelle stehen dabei die Ausgaben für das Kurzarbeitergeld, das einen Teil des hohen Bundeszuschusses an die Bundesagentur für Arbeit erklärt. Aber auch der erwähnte Bundeszuschuss an die gesetzlichen Krankenkassen geht zumindest mittelbar auf die Finanz- und Wirtschaftskrise zurück. Denn im Rahmen des Konjunkturpakets 2 wurde der eigentlich für spätere Jahre vorgesehene Bundeszuschuss zeitlich vorgezogen. Wenn also die Aufgabenbereiche außerhalb der sozialen Sicherung auf dem Niveau des Jahres 2008 geblieben sind und die Ausgaben des Jahres 2010 für die soziale Sicherung im wesentlichen krisenbedingt sind, dann sollte nach Überwindung der Krise eine Rückkehr der Bundesausgaben auf den längerfristigen Pfad keine unlösbare Aufgabe sein. Bei konsequentem Ausschöpfen aller Einsparpotenziale sollte es darüber hinaus sogar möglich sein, finanzielle Ressourcen frei zu bekommen, die für eine Steuerreform eingesetzt werden können.

Zusätzlichen finanziellen Handlungsspielraum könnte die Bundesregierung gewinnen, wenn endlich ernst gemacht würde mit einem durchgreifenden Subventionsabbau. Allein die Steuervergünstigungen des Jahres 2010, die dem Unternehmenssektor zugute kommen, belaufen sich nach jüngsten Schätzungen aus dem Institut für Weltwirtschaft auf 41 Mrd. Euro. Eine Reduzierung dieser Steuervergünstigungen würde natürlich nicht nur dem Bundeshaushalt, sondern auch den anderen Gebietskörperschaften zugute kommen, aber angesichts des Gesamtvolumens winken hier auch für den Bundeshaushalt erhebliche Einsparpotenziale. Entsprechende Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft für die direkten Finanzhilfen des Bundes weisen Subventionen für den Unternehmenssektor in einer Größenordnung von rund 20 Mrd. Euro pro Jahr aus.

Diese grobe Überschlagsrechnung zeigt, dass die Haushaltskonsolidierung keineswegs eine unlösbare Aufgabe darstellt; zu Defätismus besteht kein Anlass. Rund drei Viertel der im Bundeshaushalt erforderlichen Konsolidierung lassen sich allein schon durch eine Rückführung der krisenbedingten Mehrausgaben der Jahre 2009 und 2010 erreichten. Wenn es darüber hinaus gelingt, den trendmäßigen Anstieg der Ausgaben des Bundes auf etwa die Hälfte des zu erwartenden Einnahmeanstiegs zu begrenzen, ist für das Jahr 2016 ein Finanzierungssaldo zu erwarten, der mit der Schuldenbremse des Grundgesetzes vereinbar ist. Dies setzt allerdings voraus, die teils erheblichen Haushaltsrisiken aus der Finanzmarktentwicklung unter Kontrolle zu behalten.

Alle Einsparungen im Bundeshaushalt, die über den hier skizzierten Konsolidierungskurs hinausgehen, können für umfassende und wachstumsfördernde Reformprojekte zur Verfügung gestellt werden. Je entschlossener die Bundesregierung den Subventionsabbau angeht, desto mehr gewinnt sie politische Handlungsfähigkeit zurück, die ihr in der Schuldenfalle der letzen Jahre verlorengegangen war. Bevor diese Handlungsspielräume genutzt werden, muss allerdings zwingend abgewartet werden, wie sich die Haushaltsrisiken insbesondere aus den Stabilisierungspaketen für die Finanzmärkte entwickeln werden. Wofür die Handlungsspielräume genutzt werden, ist dann eine politische Frage; ganz oben auf der Agenda sollten aber nach Ansicht des Autors die Bildungspolitik sowie eine wachstumsorientierte Steuerpolitik stehen.

Update: Eine ausführlichere Fassung finden Sie hier.

Henning Klodt

2 Antworten auf „Haushaltskonsolidierung des Bundes: Wider den Defätismus“

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