Europas politische Klasse lernt nicht. Die prinzipielle Einsicht, daß die Gründe für die andauernde Euro-Krise primär in den nicht anreizkompatiblen institutionellen Konstruktionsfehlern der Währungsunion zu suchen sind, die sich in Staatenüberschuldung und zunehmendem Verfall der Wettbewerbsfähigkeit verschiedener Mitglieder der Euro-Zone dokumentieren, und diese nicht durch expandierende liquiditätssichernde Rettungsschirme geheilt, sondern übertüncht und deshalb perpetuiert werden, greift nicht Raum. Nunmehr soll es ein „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ (Merkel), der in Frankreich als „Wirtschaftsregierung“ firmiert, richten.
Ein „dauerhafter Krisenmechanismus“ und eine abermalige „Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts“, die Vergrößerung des 750 Milliarden-Euro-Rettungsschirms sowie die Einführung eines unbefristeten Rettungsfonds müssen her. Ebenso erweiterte Garantien von den sechs Geberländern mit Triple A. Und über allem: Eine engere Koordinierung und Harmonisierung der Wirtschaftspolitiken ist das „zukunftsweisende“ Herzstück des neuesten „Pakts“, der den Euro wieder mal „dauerhaft“ retten soll.
Man reibt sich die Augen und blickt zurück: Nicht einmal die ärgsten „Euro-Skeptiker“ von damals, als die Euro-Einführung vor allem in der Akademia kontrovers diskutiert wurde, hatten für den Euro einen solchen Gigantismus einer politischen Philosophie des permanenten Rettens diskutiert. Um es auf den Punkt zu bringen: Ab welchem Preis sind die europäischen Bürger auf die Dauer nicht mehr bereit zu akzeptieren, daß die politische Klasse ihnen jegliche Umschuldungsarrangements für überschuldete Euro-Mitglieder und jegliche Wechselkursanpassungen innerhalb der Euro-Zone wie eine ansteckende Krankheit als ökonomisch schädlich erklären darf, ohne auf die gigantischen Alternativkosten der politisch motivierten permanenten Rettungsaktionen („koste es, was es wolle“) verweisen zu müssen?
Wechselkursanpassungen nach wie vor und immer vehementer politisch bedingungslos und grenzenlos kostenexplosiv zu tabuisieren, zeugt von beklagenswerter Unkenntnis fundamentaler Zusammenhänge von Währungstheorie, Währungspolitik und von den Grundprinzipien gut funktionierender Währungsunionen, die man nicht andauernd immer wieder neu retten muß. Die Botschaft ist ja nicht neu, aber man muß sie wohl immer eindringlicher verkünden: Währungsunionen mit fundamentalen Konstruktionsfehlern rettet man nicht durch Rettungsschirme, sondern allein durch die Beseitigung dieser Fundamentalfehler.
Und nun also der „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“, der diese Rettung nochmals und nun aber wirklich dauerhaft vollbringen soll. Die Termini „Pakt“ und „Wettbewerbsfähigkeit“ haben in Deutschland wohl einen guten Klang. Sie als verschleiernde Überschrift für ein Programm zu verwenden, das in Frankreich als „Wirtschaftsregierung“ wohlklingend akzeptiert wird, impliziert den Widerspruch zwischen der politischen Semantik des Scheins, die wahlstrategisch auf die deutsche Öffentlichkeit ausgerichtet ist, und der ökonomischen Realität des Seins, die französisch geprägt die expandierenden Aktionsfelder der Europa-Zentralisten befördert, was von der deutschen Wählergunst – folgt man dem Politbarometer – aber immer weniger honoriert wird.
Ein echter und erfolgreicher „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ war das EU-Binnenmarktprogramm: das vertraglich vereinbarte Wegräumen von Mobilitätsbeschränkungen für Menschen, Dienste, Waren und Kapital mit dem Ziel, den ökonomischen Wettbewerb innerhalb der Union zu stimulieren, den Wettbewerb um komparative Vorteile. Das ist ziemlich gut gelungen, und man wünschte sich, daß die europapolitischen Agenten in der Freihandelsidee des Binnenmarktes und nicht im politisch-institutionellen EU-Regulierungsgeflecht die zentrale Erklärungsbasis für den gestiegenen Wohlstandserfolg der EU erkennen. Stattdessen erscheint gerade der intensivierte ökonomische Wettbewerb als primärer Grund für die zunehmende Tendenz zur Ausschaltung seiner Wirkungen auf den politischen Wettbewerb in der EU identifizierbar.
Denn die europäische Freihandelsidee im Ökonomischen steht in offensichtlichem Gegensatz zur Kartellierungsneigung im Politischen. Manche nennen Letztere die notwendige „Vertiefung“ der Union, andere begründen sie immer wieder mit der „Rettung des Euro“. Sie erkennen nicht, daß es sich hier um eine den politischen Wettbewerb innerhalb der Union ausschaltende Kartellbildung zu Lasten Dritter, nämlich der europäischen Bürger, handelt. Denn sie sind es, die die Kosten ineffizienter und ineffektiver politisch-institutioneller Währungsarrangements in Europa letztlich tragen müssen. Und es scheint zu stimmen, daß die politische Kartellierung zur Wettbewerbsausschaltung umso stärker wird, je intensiver sich der ökonomische Wettbewerb in Europa ausprägt. Nach allem Gesagten schmälert dies die Wohlstandsentwicklung in der EU.
Deshalb ist der neuerliche „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ sein ganzes Gegenteil, nämlich ein „Kartell gegen Wettbewerbsfähigkeit“. Denn es werden – neben den expandierenden Rettungsschirmaktivitäten – Absprachen über Lohnkosten, Verschuldung, Renteneintrittsalter und Unternehmenssteuern angepeilt. Institutionelle komparative Vorteile einzelner Staaten sollen politisch-administrativ wegharmonisiert werden, wenn auch die deutsche Semantik des Pakts das Gegenteil suggeriert. Über alle Details und viele weitere zu koordinierende Politikbereiche soll ein Euro-Gipfel im März befinden. Nichts Gutes für den Wettbewerb in Europa steht zu erwarten. Für den Euro deshalb auch nicht. Wenn das so weitergeht, wird man ihn immer wieder neu „retten“ müssen.
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