Gastbeitrag:
Das Prinzip Glaubwürdigkeit zum Vorgehen gegen bankrotte EURO-Staaten

Belohnungen und Bestrafungen stellen verhaltenslenkende Anreize dar, die ein Handeln wahrscheinlicher bzw. unwahrscheinlicher machen. Daher benennen Psychologen diese Lernmethode auch ein Lernen von Konsequenzen. Nur eine hohe Bestrafungsrate zeigt Wirkung. Wird von einer Bestrafung abgesehen, so wirkt dies indirekt wie eine Belohnung für das unerwünschte Verhalten.

Der EURO-Rettungsschirm gibt Anreize zur Kostenabwälzung in zweifacher Hinsicht.

Den bereits insolventen Staaten werden überaus günstige Kreditkonditionen von derzeit 5 % p.a. zur weiteren Verschuldung geboten[1] und den Haltern von Staatsanleihen dieser Länder eine Prämie bei weitgehender Abnahme eines Umschuldungsrisikos. Mit dem politisch erzeugten Insolvenzausschluss zulasten Dritter und dem einhergehenden Moral Hazard-Verhalten hat die Europäische Politik ihr Primat an quasi-bankrotte Staaten und Anleihehalter abgegeben. Der Kriseninterventionsmechanismus birgt in sich die eigentliche Ansteckungsgefahr für andere Länder. Die Spekulation auf den Fortbestand dieser Bedingungen ist deshalb politik-immanent. Der Europäische Stabilisierungsmechanismus ESM institutionalisiert den Griff in die Taschen der nordischen Onkel und Tanten dauerhaft. Durch Beschluss des Verwaltungsrates kann die Kapitalbasis von 700 Mrd. € ohne Legitimation der nationalen Parlamente ausgeweitet werden. Die „ZK“ (zentrale Kommission) der EU übernimmt die Durchführung der Alimentation. Derweil reiben sich die Finanzinvestoren die Hände. Reduzierten sie noch im 2. Quartal 2010 ihre Engagements in den Krisenländern (GIPS) um 107 Mrd. US-Dollar, so stieg ihr Volumen um 10 % auf derzeit 2.500 Mrd. US-Dollar.

Eine wesentliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit von Kapitalmärkten stellt die Glaubwürdigkeit von Sanktionen bei der Verletzung von Eigentumsrechten im weiteren Sinne dar. Die Relevanz von Erwartungen belegt auch ein Blick in die jüngere Geschichte. So ergänzte die Roosevelt Corollary (1904) die Monroe-Doctrine, indem sie eine Art Polizeifunktion der USA im Falle eines , Chronic Wrongdoing’ von Staaten des karibischen und lateinamerikanischen Raumes installierte. Zu den aufgelisteten Fällen von potenziellen Rechtsverletzungen zählte u.a. die Nichtbedienung von Anleihen.

Auch die europäischen Mächte Großbritannien, Frankreich und Deutschland setzten bei Zahlungsstörungen militärische Macht ein, verbunden mit politisch-fiskalischem ,Hausarrest’. Nach einem Zahlungsausfall 1876 übernahmen Großbritannien und Frankreich die Schuldenverwaltung in Ägypten. 1882 unterstellt Großbritannien das Land einem Protektorat mit fiskalischer Zwangsverwaltung. Ein Staatsbankrott Griechenlands im Jahr 1893 und der verlorene Türkisch-Griechische Krieg führten 1898 zu einer internationalen Finanzkontrolle, bei der Deutschland die Federführung übernahm. 1898 schlossen Großbritannien und das Deutsche Reich in London mit dem geheimen Angola-Abkommen einen Vertrag über die Aufteilung der portugiesischen Kolonien in Afrika, sollte Portugal in finanzielle Schwierigkeiten geraten.

Anstehende Umschuldungsverhandlungen konnten durch diese Sanktionsandrohungen und Interventionen im Sinne der ausländischen Gläubiger beeinflusst werden. Nach einer Untersuchung von Mitchener u. Weidenmier (2005) fielen die Risikoprämien der ausfallbedrohten Staatsanleihen im Mittel von 13,4 % auf 2,1% und die Kapitalmarktfähigkeit konnte in den Folgejahren wiedererlangt werden. Spürbare Sanktionen wirken demnach wie ein Anstieg der Reputation des Schuldnerstaates. Als wesentlich für die Wirksamkeit dürfte auch die Dauer der Fiskalkontrolle gelten, die für Ägypten 32 Jahre und für Griechenland 15 Jahre betrug.

Ähnliche Wirkungen zeigte der Einsatz militärischer Mittel durch die Gläubigerstaaten Deutschland, Großbritannien und Italien gegenüber Venezuela 1902, als das Land den Schuldendienst ausstehender Anleihen einstellte. Aufgrund einer Seeblockade verschiedener Häfen und der Bombardierung von Fort San Carlos konnten diese Staaten letztendlich vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag Sonderkonditionen einer Restrukturierung gegenüber anderen ausländischen Gläubigerstaaten durchsetzen.

Diese historischen Erfahrungen würden für die vertragliche Einführung massiver Sanktionsandrohungen politischer und ökonomischer Art im Falle zahlungsunfähiger/-williger EURO-Länder sprechen. Die Verhaltensforschung unterstützt diese Sichtweise. Um ihr Ziel der zukünftigen Vermeidung einer unsoliden Haushaltsführung zu erreichen, müssen die Sanktionen verzögerungsfrei erfolgen. Ein vielstufiges, sich über Jahre hinziehendes Defizitverfahren scheint deshalb wenig geeignet[2]. Zugleich belegen Untersuchungen eine besondere Effektivität, wenn die Strafen intensiv, d.h. sofort und in voller Stärke, stattfinden. Eine geringe Intensität löst hingegen Gewöhnungseffekte aus. Das laufend an die sich verschlechternde Haushaltslage angepasste griechische Konsolidierungsprogramm mit Zinsnachlass und Laufzeitverlängerung gibt ein Gegenbeispiel[3]. Sodann erleichtert die Verfügbarkeit von Freiheitsgraden einen Wechsel des Verhaltens und steigert die Effektivität von Sanktionen. Statt eines Interventionismus, externer EU-Vorgaben und Kostentragung wäre auf die Motivation durch Selbstbestimmung bei Eigenverantwortung zu setzen. Im Übrigen lässt der EURO-Plus-Pakt zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ein kontraproduktives Selbstverständnis der EU erkennen. Muss man Mitgliedsstaaten zu ihrem Glück und Wohlstand zwingen?

Ein Katalog wirksamer Sanktionen würde aus genau den Vorschlägen bestehen, die als nicht gemeinschaftskonform verworfen wurden. Hierzu zählen ein Stimmrechtsentzug auf EU-Ebene, ein nur in Ausnahmen aussetzbarer, wirksamer Automatismus von Strafzahlungen bei Verstößen gegen den Stabilitätspakt sowie ein Ausschluss aus dem EURO. Statt der Kredithilfen würde ein Resolvenzverfahren unter obligatorischer Beteiligung der Anleihehalter eine Marktrationierung der Staatsverschuldung rechtzeitig auf den Weg bringen und diese Ultima Ratio-Lösung im Vorwege vermeiden helfen. Eine kurzzeitige Erschütterung der Finanzmärkte mit einer im Bedarfsfall steuerschonenden Abwicklung systemrelevanter Banken wären die sozialen Kosten zugunsten einer nachhaltigen Stärkung des EURO-Währungsraumes durch das Prinzip Glaubwürdigkeit.

Literatur

EEAG (2011): The EEAG Report on the European Economy, CESifo, München.

Mitchener, Kris James u. Weidenmier, Marc D. (2005): Supersanctions and Sovereign Debt Repayment, in: NBER Working Paper 11472, Cambridge/USA.

Fußnoten

  • [1]Der Zinssatz dieser Kredithilfen der EURO-Länder liegt aktuell bei 5-6 % p.a., bei einer tilgungsfreien Laufzeit von drei Jahren. Ausgangsbasis dieser Zinssetzung ist der Euribor von derzeit 1,2 % p.a. Darauf wird ein Laufzeitenaufschlag von 3 %-Punkten zuzüglich einer Bearbeitungsgebühr von 0,5 %-Punkten gelegt. Bei einer längeren Laufzeit erhöht sich der Aufschlag auf 4 %-Punkte. Wird der Rückzahlungstermin verpasst, kommt ein Strafzins auf die ausgefallene Rate von 2 %-Punkten hinzu. Nach den Vorgaben des ESM wird sich der Zinssatz noch weiter ermäßigen. Hier sollen zukünftig die ESM-Finanzierungskosten zuzüglich einer Gebühr auf das gesamte Darlehen von 200 Basispunkten und gegebenenfalls einem Laufzeitenzuschlag von 100 Basispunkten für Rückzahlungen länger als drei Jahre gelten.
  • [2] Zudem hat sich der Stabilitäts- und Wachstumspakt institutionell mit der Konstellation von Richtern als potenziell betroffene Defizitsünder als weitgehend wirkungslos gezeigt. Die Defizitgrenze von 3 % wurde bis Anfang 2011 insgesamt 97 mal überschritten. In 29 Fällen wurde eine Ausnahmesituation festgestellt und in den restlichen 68 Fällen blieb der Verstoß sanktionslos. Vgl. EEAG (2011), S. 79 u. S. 94.
  • [3] Zwischenzeitlich wurde die Laufzeit der Kredite auf 7,5 Jahre verlängert. Zugleich wurde eine Reduzierung der Zinssätze für die Hilfskredite um 100 Basispunkte auf unter 3,5 % p.a. vorgenommen. Im Gegenzug erklärte sich die griechische Regierung zu einem Privatisierungsprogramm in Höhe von 50 Mrd. € bereit. Bereits durch diese Barwertreduzierung der Schuld ist eine Teilumschuldung im Rahmen der ,Rettungskredite’ vorgenommen worden.
  • 2 Antworten auf „Gastbeitrag:
    Das Prinzip Glaubwürdigkeit zum Vorgehen gegen bankrotte EURO-Staaten“

    1. Ich finde weder die Staaten die am Rande des Bankrotts stehen oder eigentlich schon darin stecken noch diejenigen die diesen Staaten „beistehen“ wollen haben sich als glaubwürdig erwiesen.

      Es geht eher nach der Salamitaktik: „Nur da zugeben was man unbedingt muss“ ansonsten wird mit „Glauben“ argumentiert und/oder noch unfeiner mit der „Alternativlosigkeit“.

      Schon die erste Reaktionen auf Griechenland legen es nahe zu denken „Betrüger sollen geschützt werden“. Die erste Hilfe an Griechenland war m.E. schon gegen §125 von Lissabon.

      Auch im guten Bemühen muss man festhalten. „Glaubwürdig sieht anders aus“… Darf man auch an die diversen „Geheimtreffen“ erinnern. Wenn das alles so glaubwürdig ist warum sieht es dann nach Hinterzimmermauschelei aus?

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