Ist die Währungsunion zu retten?
Kernelemente für einen anreizeffizienten Krisenmechanismus

Kann der Europäische Stabilitätsmechanismus Schuldenkrisen wie die in Griechenland und Portugal künftig verhindern? Eindeutig nicht, denn private Investoren profitieren nach wie vor von den hohen Zinsen der notleidenden Staatsschuldtitel – angemessen an den Ausfallrisiken beteiligt sind sie hingegen nicht. Wie sollte ein besserer Krisenmechanismus aussehen, der den betroffenen Ländern, den privaten Gläubigern und den Garantieländern der Euro-Zone einen Anreiz bietet, die Schuldenkrisen zu überwinden, und der geeignet ist, die Währungsunion vor dem Zerfall zu retten?

Die politische Debatte zum Umgang mit den Länderkrisen im Euro-Raum wirkt mitunter fast kopflos. Noch im März 2010 hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel gefordert, chronische Schuldensünder aus der Euro-Zone auszuschließen. Schon im Juni 2010 kämpfte sie gemeinsam mit Nicolas Sarkozy für eine EU-Wirtschaftsregierung, was nichts anderes bedeutet als eine Kehrwendung um 180 Grad, denn eine gemeinschaftliche Fiskalpolitik würde nahezu unausweichlich in eine europäische Transferunion führen. Der Wirtschafsweise Peter Bofinger fordert leidenschaftlich die Ausgabe von Eurobonds, während das Ifo-Institut dieses Instrument ebenso leidenschaftlich ablehnt. Die EU-Kommission erklärte in ihrem Anpassungsprogramm für Griechenland vom August 2010 kategorisch: „Debt restructuring is not an option“. Spätestens seit Januar 2011 arbeitet sie aber gemeinsam mit dem IWF und der EZB an der konkreten Umsetzung einer solchen Umschuldung. Und mittlerweile räumt sogar Jean-Claude Juncker als Chef der Euro-Gruppe ein, dass Griechenland seine Schulden wohl nicht pünktlich bedienen kann.

Mehr Struktur könnte die Debatte gewinnen, wenn zunächst einmal geklärt wird, welche Grundbedingungen ein Rettungsplan erfüllen soll. Aus ökonomischer Sicht sind die zentralen Bedingungen dabei die Effektivität und die Anreizeffizienz. Effektivität bedeutet, insbesondere den hochverschuldeten Ländern Griechenland und Portugal die ungeordnete Insolvenz zu ersparen und die Europäische Währungsunion vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Damit scheidet der ursprünglich von Kanzlerin Merkel favorisierte Rauswurf der Schuldenländer aus der Euro-Zone aus, denn diese wären dann kaum noch in der Lage, ihre auf Euro oder Dollar lautenden Schulden zu bedienen, wenn sie dafür nur auf wiedereingeführte Drachmen oder Escudos zurückgreifen könnten. Es war wohl ein Fehler, Griechenland und Portugal überhaupt in die Euro-Zone aufzunehmen. Aber diese Entscheidung ist zumindest kurzfristig nicht reversibel.

Anreizeffizienz bedeutet, die Hauptakteure zu veranlassen, an der Überwindung der Schuldenkrisen aktiv mitzuwirken und künftige Schuldenkrisen zu vermeiden. Für hochverschuldete Länder wie Griechenland und vermutlich auch Portugal wäre die Umschuldung das geeignete Instrument. Dabei würden die im Umlauf befindlichen Staatschuldpapiere umgetauscht gegen sogenannte „Brady-Bonds“, die entweder einen reduzierten Rückzahlungswert (Discount-Bonds) oder einen reduzierten Zinssatz (Par Bonds) aufweisen. Wenn der auf diese Weise erzielte „Haircut“ hoch genug ausfiele, bekämen die Regierungen der Schuldenländer eine realistische Perspektive, ihre Staatshaushalte wieder konsolidieren zu können. In die aktuelle Diskussion wurde der Vorschlag der Brady-Bonds von Kenneth Rogoff eingebracht. Er verweist darauf, dass Argentinien in den 1990er Jahren erst durch einen Haircut von 30 Prozent wieder handlungsfähig wurde. Für Griechenland dürfte der nötige Haircut eher höher ausfallen.

Um den Regierungen nicht nur eine Möglichkeit, sondern auch einen Anreiz zur Konsolidierung zu geben, darf die Umschuldung für sie allerdings nicht kostenlos erfolgen. Weit¬gehend wirkungslos wären Strafzahlungen, wie sie der formal immer noch gültige Stabilitäts- und Wachstumspakt oder der von Daniel Gros und Thomas Mayer vorgeschlagene Europäische Währungsfond vorsehen, denn einem völlig überschuldeten Staat dürfte es wenig ausmachen, wenn zu den bereit vorhandenen Schulden noch die Strafzahlungsschulden hinzukämen. Politisch wirksamer wäre der vorübergehende Verlust der Haushaltssouveränität, der die politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Regierungen beschneiden würde. Die Regierungen hätten dann abzuwägen zwischen dem völligen Verlust ihrer fiskalischen Handlungsfähigkeit bei Verweigerung der Teilnahme und dem damit verknüpften Staatsbankrott und einem nur teilweisen Verlust ihrer fiskalischer Handlungsfähigkeit bei temporärem Verzicht auf ihre Haushaltssouveränität.

Wenn die Umwandlung der Staatsschuldpapiere in Brady-Bonds kurzfristig umgesetzt werden soll, ist eine Einwilligung der privaten Gläubiger erforderlich, da die Umschuldung ansonsten einer Enteignung gleichkäme. Auch für sie muss die Umschuldung also anreizeffizient sein. Für die Gläubiger hätten die Brady-Bonds einen höheren Wert als die ursprünglichen Staatsschuldpapiere, wenn die übrigen Euro-Länder die Brady-Bonds garantieren würden, nicht aber die alten Staatsschuldpapiere. Unter diesen Bedingungen hätten die Schuldner abzuwägen zwischen dem Halten der alten Papiere mit hohem Ausfallrisiko und dem Umtausch in Brady-Bonds mit niedrigem Ausfallrisiko. Die Kurs- oder Zinsverluste beim Umtausch der alten Papiere würden zugleich Anreize für sie setzen, eine allzu sorglose Finanzierung der Staatsschulden in Zukunft zu vermeiden.

Anreizeffizient wären die Brady-Bonds schließlich auch für solvente EU-Länder wie Deutschland. Diese Länder würden zwar durch die Gemeinschaftsgarantien mit in die Haftung genommen, doch aufgrund der Haircuts wären die Haftungssummen ungleich niedriger als unter dem derzeitigen Regime des Euro-Rettungsschirms. Schließlich winkte ihnen der Lohn, die Europäische Währungsunion nachhaltig stabilisieren zu können, ohne den Weg in die Transferunion gehen zu müssen.

Der Erfolg sämtlicher Rettungspläne ist allerdings an eine zentrale Voraussetzung geknüpft: die Schaffung eines funktionsfähigen Regulierungsrahmens für systemische Finanzinstitutionen. Solange es daran mangelt, können die Banken stets damit drohen, durch ihre eigene Insolvenz einen Strudel an den Finanzmärkten auszulösen, dessen wirtschaftliche Folgen für alle Beteiligten äußerst unangenehm wären. Diesen Hebel nutzt jetzt sogar die neue irische Regierung, die damit droht, ihre internationalen Gläubigerbanken in den Konkurs zu treiben, wenn die Euroländer nicht bereit sind, ihr einen über den ursprünglich vereinbarten Rahmen hinausgehenden Zinsnachlass zu gewähren. Insofern gehört die Schaffung eines Insolvenzrechts für systemische Finanzinstitutionen und/oder eine weit über Basel III hinausgehende Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen an den Anfang und nicht an das Ende aller Rettungspläne.

Grundbedingung einer stabilen Währungsunion: Einheit von Handlung und Haftung

Die aktuellen Regelungen unter der EFSF (European Financial Stability Facility) und dem EFSM (European Financial Stability Mechanism) des Euro-Rettungsschirms und die geplanten Regelungen des permanenten Krisenmechanismus ESM (European Stability Mechanism), der ab Juli 2013 den derzeitigen Rettungsschirm ersetzen soll, sind nicht anreizeffizient. Ansatzweise gelungen ist lediglich die Disziplinierung der Regierungen der Schuldenländer, denn diese müssen sich bei Inanspruchnahme der Hilfen relativ strikten Konsolidierungsauflagen unterwerfen. Stark unterentwickelt ist dagegen die Beteiligung der privaten Gläubiger, die auch unter dem vorübergehenden und dem permanenten Krisenmechanismus letztlich so weitermachen können wie bisher. Beeinträchtigt werden ihre Anreize zu risikobewusstem Verhalten unter anderem durch die im ESM vorgesehene Möglichkeit, dass die Schuldnerländer, ihre Staatsanleihen aus Mitteln des ESM zurückkaufen. Denn dadurch werden private Investoren, die jahrelang von den hohen Zinsen profitiert haben, zusätzlich vor Verlusten geschützt. Spiegelbildlich dazu sind die Anreize für die solventen Euro-Länder gering, sich nachhaltig für den Erhalt der Währungsunion einzusetzen, denn ihnen werden vergleichweise hohe Opfer abverlangt, ohne dass ein wirkliches Aufbrechen der Schuldenmechanik der Währungsunion erkennbar wäre.

Es gehört nicht viel Phantasie zu der Prognose, der permanente Krisenmechanismus könne den Grundstein für eine permanente Krise legen. Die Gefahr ist groß, dass die Politik sich dann, um der Dauerkrise zu entkommen, in eine Transferunion flüchtet, die die Krisenländer kurzfristig stabilisiert, die Währungsunion insgesamt aber langfristig destabilisiert, da sie das Schuldenmachen ihrer Mitgliedsländer belohnt.

Wie muss eine Währungsunion, die heterogene Länder umfasst und in der die von Robert Mundell geforderte Faktormobilität nicht gegeben ist, konstruiert sein, um dauerhaft funktionieren zu können? Sie muss dem Grundprinzip folgen, dass Handlung und Haftung zusammenfallen und der Griff in fremde Taschen zur Finanzierung der eigenen Schulden verwehrt ist.

  1. An allererster Stelle steht dabei die Regulierung des Finanzsektors. Solange systemrelevante Banken damit drohen können, durch ihre Insolvenz ganze Volkswirtschaften zu destabilisieren, werden alle Haftungsregeln zwischen Regierungen und Staaten ins Leere laufen.
  2. Das zweite Kernelement sind die Zinssignale an den Kapitalmärkten, die Entfaltungsspielraum benötigen, um Überschuldungsprobleme einzelner Länder frühzeitig anzeigen zu können. Diese Funktion können sie nur erfüllen, wenn den Gläubigern keine Illusionen darüber gemacht werden, im Ernstfall würde die Gemeinschaft der Euro-Länder für die Schulden ihrer einzelnen Mitglieder aufkommen.
  3. Das dritte Kernelement stellt die Schaffung geeigneter Instrumente zur Umschuldung dar, wie sie oben am Beispiel der Brady-Bonds skizziert wurden. Hier liegt eigentlich keine Aufgabe der europäischen Wirtschaftspolitik, sondern eher eine Aufgabe für die unmittelbar involvierten Gläubiger und Schuldner. Die Gemeinschaft der Euro-Länder ist allerdings als Bürge gefordert in Situationen, in denen es zu überschießenden Reaktionen an den Finanzmärkten kommt und die Schuldenländer kurzfristig nicht in der Lage sind, selbst die Brady-Bonds zu garantieren.
  4. Im Grunde stellt die gemeinschaftliche Bereitstellung von Bürgschaften für Brady-Bonds eine Verletzung des Prinzips der Einheit von Handlung und Haftung dar. Deshalb wird als viertes Kernelement ein Sanktionsmechanismus benötigt für jene Länder, die diese Garantien in Anspruch nehmen. Als politisch wirksamstes Instrument bietet sich die temporäre Abtretung der Haushaltssouveränität der Schuldenländer an die Garantieländer an.

Bislang ist keines dieser vier Kernelemente wirklich implementiert. Es wäre deshalb verwegen, der Europäischen Währungsunion eine sichere Zukunft vorherzusagen.

Henning Klodt

5 Antworten auf „Ist die Währungsunion zu retten?
Kernelemente für einen anreizeffizienten Krisenmechanismus

  1. Sie nennen das Problem doch beim Namen „systemrelevante“ Banken. Daher wäre es doch logisch eben diese abzuschaffen. Also weg mit den Zentralbanken und weg mit den anderen „systemrelevanten“ Banken.

    Aber davor scheuen Sie zurück und es bleibt beim Laborieren an den Symptomen. Die doch offensichtlich sind. Staaten legen Anleihen auf, Zentralbanken akzeptieren Anleihen als „Sicherheit“ und drucken neues Geld….

  2. Weshalb sollen wir griechische Brady-Bonds garantieren? Es ist viel billiger, wenn Griechenland ein Schuldenmoratorium ankündigt und die Mitgliedstaaten die griechischen (und soweit nötig, ihre eigenen) Banken stützen. Griechenland hat dann zwangsläufig einen ausgeglichen Haushalt und kann selbst entscheiden, wie es seine Staatsausgaben an seine Steuereinnahmen und Privatisierungserlöse anpasst. Im Folgenden kann Griechenland in aller Ruhe mit seinen Gläubigern über einen Haircut verhandeln.

  3. Zu den systemrelevanten Instituten gehört zweifellos auch die Umverteilungsmaschine“ European System of Central banks. Hier liegt m. E. Das Hauptproblem. Mit anderen Worten das EZB-Regelwerk muss unter diesem gesichtspunkt total neu geregelt werden.
    Dies ist politisch kaum möglich

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