Europas falsche Freunde

Nichts ist alternativlos. Es gibt in der aktuellen Situation und mit einem kurz- bis mittelfristigen Zeithorizont verschiedene Wege, mit der europäischen Staatsschuldenkrise umzugehen. Einer dieser Wege setzt voraus, die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands hinzunehmen und die Gläubiger Griechenlands die entsprechenden Abschreibungen vornehmen zu lassen. Gefährdet dies systemrelevante Banken, dann ist eine Rekapitalisierung der Banken vorzunehmen. Ein anderer Weg ist die Etablierung einer Transferunion. Dieser kann auf verschiedenen Pfaden begangen werden, sei es verborgen durch einen Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB, oder etwas offener durch den Aufbau finanzpolitischer Transfermechanismen.

In unseren politischen Eliten und in einigen Redaktionen sogenannter Qualitätszeitungen scheint der Weg in die Transferunion derzeit klar favorisiert zu werden. Exemplarisch für diese Haltung steht ein jüngerer Kommentar des wieder einmal jedes Maß verlierenden Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, der Zweifel an der Transferunion gleich pauschal für politisch unseriös hält. Sein Kommentar enthält zwar kein einziges ökonomisches Argument, neigt in seiner schon klischeehaften Zentralisierungseuphorie aber stellenweise erkennbar ins satirische Genre, wenn auch vermutlich ungewollt. Andere Vertreter dieses Fachs werfen Kritikern des Weges in die Transferunion gar ein angebliches Spiel mit dem Rechtspopulismus vor. Damit wird die Diskussion endgültig rationalen Argumenten entzogen und auf der Ebene von Ideologie und Propaganda geführt.

Nüchtern betrachtet kann man sich zwei Dinge fragen: Was ist Europa? Und was ist in der aktuellen Lage gut für Europa? Als Antwort auf die erste Frage hört man nicht selten, Europa sei der Euro, ohne Euro gebe es also kein Europa. Das ist natürlich falsch, denn Europa ist wesentlich mehr. Es ist eine Freihandelszone, es ist der Schengenraum, es ist bei aller Verschiedenheit letztendlich doch auch eine kulturelle Gemeinschaft. Die Behauptung, ein friedliches und wohlintegriertes Europa könne es ohne Euro nicht mehr geben ist einfach schlechte politische Rhetorik, aber mehr auch nicht. Aber auch die Drohung mit einem Ende des Euro für den Fall eines griechischen Defaults ist nur dies: schlechte politische Rhetorik. Es ist nicht auszuschließen, daß es für Griechenland und vielleicht auch für Portugal besser wäre, außerhalb der Eurozone, mit einer eigenen Währungs- und Zinspolitik ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen. Aber auch eine an der Peripherie leicht geschrumpfte Eurozone bliebe immer noch ein großes europäisches Projekt mit der Perspektive zum späteren Wiedereintritt der aktuell betroffenen Länder, bei dann neu gewonnener Wettbewerbsfähigkeit. Andere finanzpolitische Problemländer wie Italien, Irland und wohl auch Spanien sind von ihrer wirtschaftlichen Basis her ohnehin stabil genug um in der Eurozone zu verbleiben.

Die Behauptung, ein griechischer Default gefährde die Integration Europas entbehrt also jeder Grundlage. Dieser erste der beiden oben beschriebenen Wege wäre außerdem relativ transparent, er wäre durchaus auch gerecht diejenigen, die bisher Risikoprämien auf griechische Anleihen kassiert haben, müßten nun eben Abschreibungen hinnehmen. Und er wäre sicherlich auch günstiger, denn die Rekapitalisierung gefährdeter Banken ist weniger aufwändig als die Rettung von Staaten. Zudem würden die Staaten, die den Banken neues Kapital zuschießen Anteilseigner dieser Banken, könnten also mittelfristig diese Anteile (erfahrungsgemäß meist mit Gewinn) wieder veräußern.

Der zweite Weg, der in die Transferunion, ist dagegen hoch problematisch. Einerseits ist er, wie wir gesehen haben, keineswegs notwendig um das Projekt der europäischen Integration zu retten. Diese Behauptung ist nur vorgeschoben; nicht umsonst wird sie meist zwar lautstark vorgetragen, aber praktisch nie mit weiteren Sachargumenten unterfüttert. Andererseits ist dieser Weg aber auch intransparent, besonders dann, wenn er abseits aller demokratischen Kontrollinstanzen und gegen alle Regeln über den Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB gegangen wird. Aber auch permanente finanzpolitische Transfermechanismen leiden darunter, daß sie bestenfalls schwach demokratisch kontrolliert sind. Viel weiter vom Souverän entfernt als der Gouverneursrat des ESM kann ein politisches Entscheidungsgremium fast nicht mehr sein. Auch die verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber einer weiteren Zentralisierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik sind nicht mehr zu überhören.

Dazu kommen weitere Probleme. Die Erfahrung mit intergouvernmentalen Transferzahlungen von Mecklenburg bis zum Mezzogiorno deutet bisher nicht darauf hin, daß diese helfen, die Wettbewerbsfähigkeit der empfangenden Regionen deutlich zu verbessern. Ausnahmen wie etwa Bayern sind Nadeln in großen Heuhaufen. Griechenland wäre höchst wahrscheinlich ein ewiger Transferempfänger, ganz sicher aber ein sehr langfristiger Transferempfänger. Anders gesagt: Der Weg in die Transferunion schafft Verpflichtungen für Generationen. Auch darüber muß man sich klar sein.

Dann aber kommen erst die eigentlichen politischen Schwierigkeiten. Wie schon einmal hier diskutiert, impliziert eine Transferunion unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung die Notwendigkeit zur bürokratisch-hierarchischen Kontrolle der Finanzpolitik der Empfängerstaaten. Das aber schafft politische Spannungen innerhalb Europas. Schon jetzt sind deutsche Politiker in Griechenland noch unbeliebter als in Deutschland selbst, da sie als Sündenböcke für die dortige Sparpolitik dienen. In einer auf Ewigkeit angelegten Transferunion wird es sich kaum verhindern lassen, daß solche Spannungen chronisch werden. Außerdem gibt es Beispiele wie Italien mit seiner bis ins letzte Jahrzehnt hinein stark sezessionistisch orientierten Lege Nord, die zeigen, daß es selbst innerhalb eines Nationalstaates zu starken separatistschen Strömungen kommen kann wenn die Geberregionen sich ausgebeutet fühlen.

Breite empirische Evidenz zeigt darüber hinaus, daß ganz generell Menschen umso weniger zur Zahlung von Transfers bereit sind, je weniger sie sich kulturell oder geographisch mit den Empfängern dieser Transfers verbunden fühlen. Dies gilt selbst in relativ kleinen Staaten wie Belgien mit seinen unterschiedlichen Sprachregionen. Nach allen aktuellen demoskopischen Meinungsbildern trifft dies aber auch und gerade auf Europa zu: Es gibt in der Bevölkerung der potentiellen Geberländer keine Zustimmung zum Projekt der Transferunion. Wer dieses Vorhaben dennoch vorantreibt, der muß sich darüber klar sein, daß er gerade damit den Samen zukünftiger politischer Spannungen bis hin zum offenen Separatismus in der Europäischen Union sät.

Die Freunde des Elitenprojektes einer demokratisch nicht legitimierten weiteren Zentralisierung politischer Kompetenzen in Europa bis hin zu einer Transferunion sind falsche Freunde Europas. Die nicht sehr überzeugende Rhetorik der Denkverbote wird beim interessierten Bürger letztendlich vor allem den Zweifel am Elitenprojekt wecken, der Weg zur Transferunion wird mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit in politische Konflikte hineinführen, die dann mittel- und langfristig das europäische Integrationsprojekt erst wirklich gefährden. Es mag paradox klingen, aber eine kurzftistig zu übereifrige europäische Zentralisierung gefährdet langfristig den Erfolg der europäischen Integration. Der erste Weg, also das Zulassen der formalen Insolvenz ökonomisch längst insolventer Staaten, würde hingegen ex post und mit etwas Abstand wohl nur als kurzer Umweg zum ansonsten im großen und ganzen intakten, integrierten Europa wahrgenommen werden.

5 Antworten auf „Europas falsche Freunde“

  1. Vielen Dank für diesen Artikel!
    Er spricht mir aus der Seele.

    Ich denke bei der Frage um den Euro und den Verbleib Griechenlands geht es aber garnicht um wirtschaftliche Fragen. Viel mehr war der Euro als Vehikel oder U-Boot gedacht mit dem man mittelfristig eine Zentrale Europäische Regierung einführen wollte. Nur so läßt sich aus meiner Sicht erklären, warum die Politik und Presse so reagiert wie sie es tun. Es ist egal, was aus wirtschaftlicher Sicht vernünftig ist. Ein Ausscheiden Griechenlands etc. ist da absolut kontraproduktiv. Daher auch das Denk- und Redeverbot. Man braucht halt den „scheinbaren“ Druck um über die nationalen Bedenken gegen eine Einheitsregierung aus Brüssel in den jeweiligen Staaten hinwegzukommen. Diese einzigartige Chance Europa zu einen wollen sich Politik und ein Großteil der Presse einfach nicht nehmen lassen. Daher ist eine „Hilfe“ für Griechenland für Frau Merkel etc tatsächlich alternativ los.

    Noch mal Dank für den Artikel, machen Sie bitte so weiter.
    mit freundlichen Grüßen

    ein treuer Leser

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