Horst Seehofer sorgte jüngst für Schlagzeilen, als er wieder einmal eine grundlegende Reform des Länderfinanzausgleichs forderte und dies mit der Androhung einer Klage beim Bundesverfassungsgericht untermauerte. Man kann darin, gerade angesichts des gewählten Zeitpunktes, natürlich ein Wahlkampfmanöver sehen. Wenn man die bayrischen Forderungen aber nur hierauf reduziert, macht man es sich zu einfach.
Es ist nämlich richtig, daß der deutsche Finanzausgleich, mit seiner extremen Anhebung der Finanzkraft schwacher Länder fast auf den Länderdurchschnitt, Anreize zu einer soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik in diesen Ländern aushöhlt. Wenn Bayern als Geberland Studiengebühren verlangt, das fiskalisch ziemlich verlotterte Berlin aber auf solche Einnahmen lieber verzichtet, dann ist es kein Wunder, daß die Bayern sich übers Ohr gehauen fühlen.
Wenn man im Bundesstaat Transfers für sich beansprucht, aber gleichzeitig nicht selbst erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung seiner Finanzkraft unternimmt, dann spielt man ein in der langen Frist riskantes Spiel. Ein solches Verhalten ist war kurzfristig im Rahmen der gegebenen, formalen Spielregeln völlig rational. Letztendlich aber erodiert die Politik manch eines Nehmerlandes die gefühlte Legitimität eben dieser Spielregeln und provoziert das Mobilisieren politischen Widerstandes gegen ein Transfersystem, das zunehmend als ungerecht und auch unklug empfunden wird.
So gesehen immerhin haben die europäischen Südländer den deutschen Sorgenländern wie Berlin und Bremen einiges voraus: Sie implementieren echte, innenpolitisch wenig populäre Reformen! Das mag zu langsam passieren, auch immer noch zu zaghaft, aber immerhin. Nun ist diese Reformbereitschaft andererseits natürlich auch kein Wunder, denn es gibt in Europa — noch! — kein etabliertes, routiniert nach festen Regeln arbeitendes Transfersystem wie den Länderfinanzausgleich. Vielmehr müssen Transfers noch von Fall zu Fall mit politischem Wohlverhalten erkauft werden.
Das hat Nachteile: Es zwingt die Nehmerländer immer wieder in die Rolle von Bittstellern und es erleichtert der Boulevardpresse, die Geberländer als ökonomische Besatzungsmächte zu karikieren. Aber immerhin bleiben im fallweisen politischen Verhandeln verglichen mit einem bürokratischen Verfahren stärkere Anreize für eine sinnvolle Reformpolitik erhalten. Will man sich ernsthaft vorstellen, wie eine dysfunktionale politische Elite wie die Griechische sich unter den Bedingungen des deutschen Länderfinanzausgleichs verhalten würde?
Neben den praktischen Anreizwirkungen gibt es bei Umverteilungssystemen aber noch ein weiteres, vielleicht noch schwerwiegenderes Problem. Gehen wir nochmal nach Bayern: In Mentalität und Kultur ist die Distanz zwischen München auf der einen und Berlin oder Hannover auf der anderen Seite nicht gerade klein. Man ist sich doch eher fremd. Diese Distanz aber reduziert auch die Bereitschaft, den anderen mit Transfers zu unterstützen.
Man muß hier zwei Dinge auseinander halten: Hilfsbereitschaft in akuten Notsituationen, wie etwa nach Erdbeben oder Tsunamis, ist eine Sache. Die Bereitschaft, dauerhaft in institutionalisierten Transfersystemen Unterstützung zu leisten ist dagegen etwas völlig anderes. Hier deutet die empirische Literatur ziemlich deutlich darauf hin, daß mit zunehmender kultureller Distanz die Bereitschaft der Bürger abnimmt, ein solches dauerhaftes Umverteilungssystem zu unterstützen.
Damit mögen zwar einem Münchner vielleicht Transfers nach Italien noch eher zu vermitteln sein als Transfers nach Berlin. Aber diese Konstellation ist in Europa doch eher die Ausnahme. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß eine ausgebaute, Europa umfassende Transferunion bei den Bürgern auf wenig Gegenliebe stoßen würde. In gewisser Weise ist das Infragestellen des deutschen Länderfinanzausgleichs daher ein Menetekel für jedes Bestreben, Europa als Transferunion zu gestalten.
Man mag das bedauern, man mag auch Appelle an die Öffentlichkeit richten, zum Zwecke der weiteren europäischen Integration Herzen und Geldbeutel zu öffnen. Nur ändern solche Appelle selten etwas. Ins Leere laufen hier auch Forderungen, Angela Merkel müsse den Bürgern ihre Europapolitik intensiver erklären und sie von weiteren Integrationsschritten überzeugen. Solche tief sitzenden Einstellungen wird auch ein begnadeter politischer Rhetoriker kurz- und mittelfristig nicht entscheidend beeinflussen können. Auch der integrationsfreundlichste Europapolitiker wird damit leben müssen, daß er der Bevölkerung nicht verordnen kann, eine Transferunion für erstrebenswert zu halten.
Gefährlich wäre in diesem Zusammenhang auch der europapolitisch beliebte Weg, Integrationsschritte erst einmal als Elitenprojekt durchzusetzen und dann zu hoffen, daß die Bevölkerung sich schon daran gewöhnen wird. Niemand wird behaupten, daß der Länderfinanzausgleich in Deutschland ein Gefühl des Zusammenhaltes stiftet. Das Gegenteil scheint eher der Fall zu sein. Wähler aus den Geberländern schauen mißtrauisch auf die Politik der Nehmerländer, während man in den Nehmerländern über eine gefühlte Arroganz der Geberländer klagt. Wenn der Finanzausgleich überhaupt einen Effekt jenseits des rein Fiskalischen hat, dann wirkt er wohl eher als Spaltkeil.
Genau das macht die politischen Sonntagsreden so gefährlich, in denen die aktuelle Krise als Anlaß genommen wird, die Grundlegung einer neuen, gesamteuropäischen „Solidarität“ zu fordern. Sobald man diese wohlklingenden Appelle in praktische Politik übersetzt, wird man eine zunehmende Europaskepsis ernten und alles bisher Erreichte gefährden. Umfragen in Großbritannien deuten bereits an, daß im Falle eines Referendums eine Mehrheit für einen EU-Austritt möglich wäre. Wie würde ein solches Referendum in Deutschland ausgehen, wenn die Bundesrepublik das Hauptgeberland einer gesamteuropäischen Transferunion ist?
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Ich finde auch, man sollte Länder wie Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen oder das Saarland zusammen mit den PIIGS in eine eigene Währungsunion entlassen. Auch die innerdeutsche Transferunion schafft nur falsche Anreize!