„Why do we need change, my dear sirs? Aren’t things bad enough already?“ (Queen Victoria)
Die gegenwärtige Ruhe an der Eurofront ist trügerisch. Von einer Wende in der „Eurokrise“ kann keine Rede sein. Es ist noch lange nicht vorbei. Die Ankündigung von Mario Draghi, die EZB endgültig zu einer „bad bank“ zu machen, hat keines der Probleme gelöst. Ein Ende der Krise ist erst in Sicht, wenn alle akzeptieren, dass ein Leben auf Kosten anderer nicht mehr möglich ist. Die EWU kommt um den steinigen Weg von Austerität und Strukturreformen nicht herum. Eingetretene Lasten müssen vom Verursacher getragen werden. Die Mehrheit der Mitglieder der EWU hofft aber immer noch, es würde ausreichen, die Lasten zu finanzieren. Fiskalische und monetäre Rettungsschirme sind das Mittel ihrer Wahl. Die Erfahrung zeigt allerdings, weder fiskalische noch monetäre Medikamente heilen strukturelle Krankheiten.
Internationale Wettbewerbsfähigkeit
Der Verteilungskampf in der EWU ist heftig. Ein harter Kern ist dafür, die Lasten asymmetrisch zu tragen. Er plädiert für ein verursacheradäquates „Tragen“ mit solidarischer Hilfe zur Selbsthilfe. Austerität und Strukturreformen sind die favorisierten Instrumente. Schwachstellen sind Wachstumsdellen, temporär höhere Arbeitslosigkeit, soziale und politische Krisen. Die Peripherie setzt demgegenüber darauf, Lasten symmetrisch zu verteilen. Sie propagiert ein solidarisches „Finanzieren“ mit weniger harten Auflagen der Helfer. Immer größere fiskalische und monetäre Rettungsschirme sind die Mittel. Die Achillesferse sind Reformstillstand, Ruin der Retter und Stagflation. Soziale Härten und politische Unruhen sind die Risiken und Nebenwirkungen einer so verschleppten ökonomischen Krankheit.
Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Peripherie entscheidet über die Zukunft der heutigen EWU. Mit der Einführung des Euro wertete sich der reale effektive Wechselkurs in den Ländern der Peripherie überall auf. Besonders stark fiel die Aufwertung in Irland aus. Seit der Finanzkrise versuchen die PIIGS, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit wieder zu verbessern. Allerdings gelingt ihnen das bisher nicht besonders gut. In keinem der Länder wurde das Niveau an internationaler Wettbewerbsfähigkeit zu Beginn der EWU wieder erreicht. Fast überall werteten die realen Wechselkurse nur sehr zögerlich ab. Es gelang nur sehr schleppend, die Lohnstückkosten nach unten zu schleusen. Allein in Irland gelang eine nennenswerte Abwertung des realen Wechselkurses.
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Reale Lohnstückkosten
Wie sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit entwickelt, hängt stark von den realen Lohnstückkosten ab. Ein erster Blick auf die Daten stimmt vorsichtig optimistisch. Die Länder der Peripherie scheinen einen Teil des steinigen Weges zu mehr Wettbewerbsfähigkeit zurückgelegt zu haben. Allerdings unterscheiden sie sich teilweise ganz erheblich. Das hängt damit zusammen, dass sich die beiden Komponenten der Lohnstückkosten, Löhne und Arbeitsproduktivität, auf nationaler Ebene unterschiedlich entwickeln. Die realen Lohnstückkosten sinken nur, wenn die Löhne schwächer steigen als die Produktivität. Sinkende Lohnstückkosten beeinflussen die internationale Wettbewerbsfähigkeit umso positiver, je stärker sie im gewerblichen Bereich eintreten, vor allem in der Industrie mit international handelbaren Produkten.
Die realen Lohnstückkosten entwickeln sich auf nationaler Ebene uneinheitlich, weil in den Ländern der Peripherie die Löhne und die Arbeitsproduktivitäten unterschiedlich schnell wachsen. Am stärksten sanken die Löhne seit Ausbruch der Eurokrise in Griechenland und Portugal. Allerdings waren in beiden Ländern die Fortschritte bei der Produktivität sehr überschaubar. Trotz Eurokrise entwickeln sich die Löhne in Spanien und Italien fast bis an den aktuellen Rand ähnlich explosiv. In Italien wuchs die Produktivität allerdings lange langsamer als in Spanien. Erst die Finanzkrise gab der italienischen Produktivität einen Schub. Seither sinken auch in Italien die realen Lohnstückkosten wieder. In Irland gehen die Lohnstückkosten seit dem Ausbruch der Eurokrise zurück, weil die Löhne stärker einbrachen als die Produktivität.
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Nationale Verbraucherpreise
Es ist eine ökonomische Binsenweisheit: Die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes steigt nur, wenn es besser oder billiger wird. Das gilt auch für die europäische Peripherie. Da die Entwicklung neuer Produkte mehr oder weniger Zeit braucht, bleibt den Ländern auf die Schnelle nur der Weg, ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Die Preise der Güter, mit denen sie international handeln, müssen sinken. Niedrigere reale Lohnstückkosten machen ein Land nur preislich wettbewerbsfähiger, wenn sie sich in sinkenden Preisen für international handelbarer Güter niederschlagen. Einen realistischeren Blick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit erhält man deshalb, wenn man auf den realen effektiven Wechselkurs schaut, der mit den Verbraucherpreisindizes deflationiert ist.
Die Entwicklung der mit Konsumgüterpreisindizes deflationierten realen Wechselkurse zeigt ein weniger optimistischeres Bild als es mit den realen Lohnstückkosten gezeichnet wird. Es gilt nach wie vor, Irland ist im Prozess der Anpassung an die neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten am weitesten vorangekommen. Aber auch hier stockt der Prozess seit 2010. Leichte Fortschritte verzeichnen auch Portugal und Italien. Wenig passiert ist allerdings in Spanien. Weitgehender Stillstand herrscht in Griechenland. Es spricht vieles dafür, dass die Sanierung der Haushalte über höhere Verbrauchssteuern und administrierte Preise die Inflationsraten in der Peripherie hoch gehalten hat. Auch die angekündigten Strukturreformen auf Güter- und Faktormärkten haben bisher noch keine nachhaltige Wirkung erzielt.
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Fazit
Die europäische Peripherie ist für die EWU nur zu retten, wenn es diesen Ländern gelingt, wieder wettbewerbsfähiger zu werden. Der Weg über neue Produkte ist kurzfristig weitgehend versperrt. Es bleibt die Anpassung über sinkende Preise von Gütern, Diensten und Produktionsfaktoren. Dieser Prozess kommt aber nur in Gang, wenn Strukturreformen für flexiblere Güter- und Arbeitsmärkte sorgen. Die Ankündigungen der Politik waren groß, allein die Umsetzung war mangelhaft. Das wird sich nach der angekündigten „Neuen Geldpolitik“ der EZB wohl auch nicht ändern. Den Anreizen zu „moral hazard“ kann die Peripherie kaum widerstehen. Notwendige Reformen werden auf die lange Bank geschoben, der inflationären Staatsfinanzierung wird Vorschub geleistet. Damit hat die EZB sich und der EWU einen Bärendienst erwiesen.
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Verbrauchssteuern mit Zollwirkung haben einen positiven Effekt auf die Wettbewerbsfähigkeit von Ländern. Normalerweise werden importierte Güter mit der Mehrwertsteuer belastet und sind damit teurer, während exportierte Güter davon befreit sind. Einige Anpassungen dieser Steuern könnten die Wettbewerbsfähigkeit vieler Länder relativ schnell wieder herstellen. Im übrigen hat sich Deutschland trotz eines massiven Leistungsbilanzüberschusses diesen Mechanismus genutzt als es die Mehrwertsteuer von 16 auf 19% erhöhte. Wenn wir uns nun beklagen, dass diese Länder nicht wettbewerbsfähig seien sollten wir vielleicht mal über eine Senkung dieser Steuer bei gleichzeitiger Erhöhung anderer nachdenken.