Wenn in den Medien von Steuerwettbewerb die Rede ist, dann meist, weil dieser Wettbewerb beklagt wird. Man liest und hört dann beispielsweise von amerikanischen Computerfirmen, die mit undurchsichtigen, sich über mehrere Länder erstreckenden Konstruktionen ihre Durchschnittssteuerlast auf wenige Prozentpunkte drücken. Oder von einem britischen Milliardär, der seinen Hauptwohnsitz steuergünstig in der Karibik nimmt, aber betont, dies eigentlich nur wegen der schönen Strände zu tun. Und auch deutsche Steuerzahler mit geheimen Konten in südlichen Nachbarländern können ganz offensichtlich in steuerlichen Wettbewerb verwickelt werden.
Steuerwettbewerb wird also vor allem als Störung wahrgenommen. Das ist auf Seiten der politischen Praktiker nicht erstaunlich. Kaum jemand ist gerne selbst dem Druck von Konkurrenten ausgesetzt, nicht als Unternehmer und auch nicht als Politiker. Auf der anderen Seite wissen wir in unserer Rolle als Konsumenten natürlich den Wettbewerb unter Produzenten sehr zu schätzen. Und als Steuerzahler? Da sind wir uns nicht ganz sicher. Einerseits hätten wir vielleicht nichts dagegen, wenn der Steuerwettbewerb unseren eigenen Steuersatz senken würde. Andererseits aber schauen wir argwöhnisch auf die Steuervermeider und -hinterzieher, die alle Möglichkeiten zur Minimierung ihrer Steuerlasten nutzen.
Was ist Steuerwettbewerb?
Auch die ökonomische Theorie ist sich in der Bewertung des Steuerwettbewerbs nicht sicher. Wie so oft hängt alles von den Annahmen ab. Gehen wir von einer finanzpolitisch wohlwollenden und gut informierten Regierung aus, dann führt Steuerwettbewerb zu ineffizient niedrigen Steuersätzen. Das Problem liegt dann darin, daß dezentrale Regierungen die Kosten von Steuererhöhungen überschätzen, da sie die resultierende Abwanderung von Kapital oder Haushalten aus ihrer eigenen Region als Kosten in Rechnung stellen. Aber die Bemessungsgrundlagen verschwinden nicht, sie sind nur woanders. Gesamtwirtschaftlich sind also keine Kosten entstanden, sie existieren nur im räumlich begrenzten Horizont dezentraler Entscheidungsträger.
Gehen wir dagegen in der Theorie von einer Neigung der Finanzpolitiker aus, zu hohe Ausgaben zuzulassen, dann ist Steuerwettbewerb ein wünschenswertes Korrektiv dieser Neigung und kann mit einem Effizienzgewinn verbunden sein. Man muß hierzu der Politik nicht unbedingt einen extremen und bösen Willen zur Maximierung von Steuereinnahmen unterstellen. Schon die spezifischen Anreizprobleme politischer Entscheidungen können zu hohe Ausgabenwünsche und damit auch Steuerbelastungen nach sich ziehen, wie etwa das Konkurrieren vieler Ressortminister um Ausgabenspielräume. Die Leistungsfähigkeit der Steuerzahler kann dann zu einer fiskalischen Allmende werden, auf die viele Fachpolitiker gleichzeitig zugreifen wollen, so daß diese übermäßig beansprucht wird.
Schließlich kann Steuerwettbewerb auch als notwendige Bedingung für finanzpolitische Vielfalt verstanden werden. Wenn Wähler in unterschiedlichen Regionen oder Ländern auch durch unterschiedliche Präferenzen für staatliche Leistungen gekennzeichnet sind, dann sollte dies eigentlich auch unterschiedliche Steuerbelastungen nach sich ziehen. Das ist nicht aus der Luft gegriffen. Wenn etwa ein Bundesland traditionell sozialdemokratisch geprägt ist, dann deutet dies doch auf ein anderes vorherrschendes Staatsverständnis und auf höhere Ausgabenwünsche hin, verglichen mit einem Land, das traditionell konservativ-liberal regiert wird. Wieso sollte sich dies nicht auch in verschiedenen Steuerbelastungen in diesen Ländern wiederspiegeln?
Etwas Empirie zum Steuerwettbewerb
Ein wesentlicher Einwand vieler Gegner des Steuerwettbewerbs ist die Angst vor einer Abwärtsspirale der Steuerbelastungen. Trifft dieser Einwand zu, dann stellt Steuerwettbewerb in der langen Frist eine ernste Gefahr für den Staat dar, der möglicherweise irgendwann sogar nicht mehr in der Lage ist, seine Kernaufgaben ausreichend zu finanzieren. Die empirische Evidenz läßt aber Zweifel an der Angst vor einer solchen Abwärtsspirale aufkommen.
Betrachtet man etwa den internationalen Wettbewerb bei den Unternehmensteuern, so zeigt sich, daß die Steuersätze in den letzten Jahrzehnten tatsächlich deutlich gesunken sind. Dies ging allerdings mit einer Tendenz zur Verbreiterung von Bemessungsgrundlagen einher. Man kann also nicht ohne weiteres behaupten, es mit schädlichem Steuerwettbewerb zu tun zu haben. Vielmehr deutet dies auf einen steuerpolitischen Paradigmenwechsel hin, der unter Effizienzgesichtspunkten wünschenswert ist, nämlich hin zu geringeren steuerlichen Verzerrungen und weniger Möglichkeiten, der Besteuerung auszuweichen.
Bemerkenswert ist auch, daß Studien, die sich auf das Steueraufkommen beziehen keine klare Evidenz für strategischen Steuerwettbewerb und eine Abwärtsspirale des Steueraufkommens in der Besteuerung von Unternehmen liefern. Trotz gesunkener nominaler Steuersätze scheint jedenfalls bisher die Fähigkeit der Staaten, ein ansehnliches Einnahmenniveau aus der Besteuerung von Unternehmensgewinnen zu erzielen, weiterhin zu bestehen.
Neben der Besteuerung von Unternehmen ist natürlich auch die persönliche Einkommensteuer interessant. Hier bietet sich ein Blick in die Schweiz an, wo die Einkommensteuer von Bund, Kantonen und Gemeinden separat erhoben wird und wo die beiden unteren staatlichen Ebenen sich jeweils zu einem erheblichen Anteil aus dem autonom erhobenen Aufkommen der Einkommensteuer finanzieren.
Zwar gibt es auch hier Evidenz für im Zeitablauf sinkende Steuersätze. Erstaunlich ist aber, daß davon vor allem Bezieher von niedrigen und, in etwas geringerem Ausmaß auch mittleren Einkommen betroffen sind. Eigentlich würde man aber erwarten, daß sehr mobile und auch sehr umworbene reiche Haushalte besonders stark vom Steuerwettbewerb profitieren, was sie aber nicht tun. Auch dies spricht dafür, daß eine Abwärtsspirale und ruinöser Steuerwettbewerb keine große Gefahr darstellen.
Die Schweiz mit ihren 26 Kantonen auf kleinem Raum und den damit verbundenen sehr geringen Mobilitätskosten zwischen Kantonen ist ein aussagekräftiges Beispiel. Wenn hier eine autonome, dezentrale Steuerpolitik und mithin Steuerwettbewerb möglich ist, ohne zu einer Erosion der Steuereinnahmen zu führen, dann kann man mit Frank Sinatra sagen: If you can make it there, you can make it anywhere. Dafür spricht übrigens auch die Erfahrung aus zahlreichen anderen föderalen Staaten, die mehr dezentrale Steuerautonomie zulassen als Deutschland.
Diese Länder zeigen auch, daß ein bei uns häufig gegen Steuerwettbewerb zwischen Bundesländern ins Feld geführtes Argument keine Grundlage hat: Danach benötigt man, so hört man oft, „ähnliche Startbedingungen“ zwischen Ländern, bevor man Steuerwettbewerb zulassen kann. Gemeint ist damit wohl, daß die Länder erst einmal durch ähnliche strukturelle Bedingungen oder Einkommensniveaus gekennzeichnet sein sollen. Aber beispielsweise die Kantone Graubünden und Zürich waren nie durch ähnliche strukturelle Bedingungen gekennzeichnet. Dennoch stehen sie seit Menschengedenken im Steuerwettbewerb miteinander, zum gegenseitigen langfristigen Vorteil. Ähnlich könnte es Brandenburg und Bayern ergehen, den nötigen politischen Unternehmergeist vorausgesetzt.
Ein Ordnungsrahmen für den Steuerwettbewerb?
Auch wenn Steuerwettbewerb möglich und keinesfalls ruinös ist, so kann er trotzdem mit anderen Problemen verbunden sein. So ist es einerseits zwar ein Vorteil, daß man sich mittels des Steuerwettbewerbs in Richtung der Durchsetzung des Äquivalenzprinzips bewegen kann: Man stimmt durch die Wahl seines Wohnsitzes ab und zahlt Steuern an einem Ort und in einer Höhe, die mit einem angemessenen Bündel öffentlicher Leistungen im Gegenzug verbunden sind. Andererseits besteht durch Steuerwettbewerb natürlich auch die Gefahr, daß gerade dieses Prinzip aufgehoben wird. Wenn etwa ein Konzern durch interne Transferpreise in die Lage versetzt wird, Steuern gerade nicht dort zu zahlen, wo öffentliche Güter in seine Produktion einfließen, oder wenn Steuerhinterzieher Einkommen auf ausländischen Geheimkonten vor ihrem heimischen Fiskus verbergen, dann wird das Äquivalenzprinzip ausgehebelt.
Die schwierige Frage ist also nicht so sehr, ob man für oder gegen Steuerwettbewerb ist, sondern welcher Ordnungsrahmen geeignet ist, den Wettbewerb in die richtigen Bahnen zu lenken und vor allem eine Delegitimation des Wettbewerbs zu verhindern, zu der es sicher kommt, wenn er z.B. für illegale Steuerpraktiken genutzt wird. Die jüngeren Entwicklungen in der Schweiz und in Liechtenstein zeigen, daß vormalige Steueroasen schnell einen Anreiz zur Kooperation haben können, wenn große Länder wie die USA ausreichend Druck ausüben.
Gegen Maßnahmen wie eine Besteuerung der Kapitalerträge von Ausländern an der Quelle, oder auch einen begrenzten Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden der beteiligten Staaten wird man daher wenig einwenden können. Sie dienen letztendlich dazu, die Äquivalenzbeziehung zwischen Steuerzahlung und konsumierten öffentlichen Gütern zu stützen. In Europa werden weitergehende Maßnahmen diskutiert, wie die einheitliche Definition einer Bemessungsgrundlage für die Besteuerung von Unternehmensgewinnen. Hier ist die Beurteilung schon zwiespältiger: Einerseits würde eine einheitliche Bemessungsgrundlage den Steuerwettbewerb auf einen Parameter, den Steuersatz, reduzieren, ihn damit transparenter machen und vielleicht sogar verschärfen. Andererseits ist zu befürchten, daß ein solcher Schritt zur materiellen Vereinheitlichung nur als erster Schritt gesehen und die Angleichung der Steuersätze als logischer nächster Schritt bereits mitgedacht wird.
Fazit
Steuerwettbewerb ist nicht ruinös, sondern als nachhaltiger Wettbewerbsprozeß möglich und in der Praxis beobachtbar. Besonders wichtig ist die Ausgestaltung des Ordnungsrahmens, so daß Steuerwettbewerb möglichst die Äquivalenzbeziehung zwischen gezahlten Steuern und erhaltenen öffentlichen Leistungen verstärkt. Dann führt Steuerwettbewerb zu Wohlfahrtssteigerungen, da sich Haushalte und Unternehmen tendenziell dort niederlassen, wo das Bündel öffentlicher Güter ihren Wünschen und ihrer Zahlungsbereitschaft entspricht.
Wenn politische Eingriffe in den Rahmen des Steuerwettbewerbs diskutiert werden, dann sollte stets die Frage im Mittelpunkt stehen, ob diese Eingriffe geeignet sind, die oben skizzierte Äquivalenzbeziehung abzusichern. Bei Maßnahmen gegen illegale Steuerhinterziehung ist dies eher der Fall als bei materiellen Harmonisierungen des Steuerrechts, die vielmehr als die Vorbereitung eines Steuerkartells von Finanzministern verstanden werden können, die sich dem Wettbewerbsdruck lieber entziehen wollen.
Hinweis: Der Beitrag ist die schriftliche Fassung eines Vortrages auf dem „1. Würzburger Ordnungstag“ am 10. Oktober 2013 in Frankfurt. Das Symposium stand unter dem Motto „Wettbewerb“ (Arbeitsmärkte, Standorte, Steuern, Währungen). In loser Folge werden weitere Vorträge dieses wirtschaftspolitischen Symposiums hier erscheinen.
Beiträge der „1. Würzburger Ordnungstage“:
Norbert Berthold: Das Tarifkartell lebt (noch). Tarifeinheit oder Koalitionsfreiheit?
- Auch Du, Brutus?
Die NZZ auf einem Irrweg zu höherer Staatsverschuldung - 21. Oktober 2024 - Wie steht es um den Bundeshaushalt 2025 – und darüber hinaus? - 19. September 2024
- Die Krise des Fiskalföderalismus
Dezentralisierung und Eigenverantwortung sind notwendiger denn je - 31. Juli 2024
5 Antworten auf „“1. Würzburger Ordnungstag“
Steuerwettbewerb ist möglich und sinnvoll“