In einem Beitrag zu diesem Blog hatte ich auf die Konsequenzen unterschiedlicher Techniken der Basisgeldschaffung aufmerksam gemacht (NEUMANN, 2014). Die EZB emittiert Basisgeld hauptsächlich indem sie den Banken so viel Kredit gibt, wie die zum festgesetzten Refinanzierungssatz der EZB nachfragen. Die Basisgeldnachfrage der Banken wird daher zum limitierenden Faktor der monetären Expansion. Die FED dagegen emittiert Basisgeld, indem sie Staatsanleihen erwirbt. Da die amerikanische Staatsschuld derzeit mehr als das Vierfache der Geldbasis beträgt, muss die FED nicht besorgt sein, an ein Limit zu stoßen.
Kürzlich hat VOLLMER (2014) aber nicht auf die FED, sondern auf die japanische Notenbank, die Bank of Japan (BoJ), als ein denkbares Vorbild für die Geldpolitik der EZB verwiesen. Die BoJ sei ein „Prototyp aggressiver Geldpolitik“. Sie wolle durch forcierten Anleiheerwerb die Geldbasis jährlich um 60 bis 70 Billionen Yen (nicht: Trillionen) ausweiten. In der Tat hat die BoJ seit Ende 2012 die Basisgeldmenge um 110 Billionen Yen vergrößert. Der Löwenanteil in Höhe von 90 Billionen Yen wurde durch den Ankauf japanischer Staatsanleihen geschaffen. Auch bei einem Wechselkurs von rund 140 Yen per Euro sind das enorme Beträge. Die Frage ist, ob die neue Strategie, die mit einem Anheben des offiziellen jährlichen Inflationsziels der BoJ von einem auf zwei Prozent verbunden ist, eine hinreichend starke Liquiditätsexpansion schafft und sowohl den monetären wie den realen Sektor der japanischen Volkswirtschaft erfasst oder ob sie leer zu laufen droht.
Von der ungewöhnlichen Höhe der Beträge sollte man sich nicht blenden lassen. Die absolute Höhe der Geldbasis eines Landes hängt natürlich von der Größe des Sozialprodukts und den Zahlungsgewohnheiten der Bürger ab. Wenn man Länder und Perioden vergleichen will, empfiehlt es sich daher, die Entwicklung von Aggregaten nicht in Währungseinheiten, sondern in Prozent eines Ausgangsniveaus auszudrücken. In Analogie zu meinem früheren grafischen Vergleich der Basisgeldentwicklung in der Eurozone und in den Vereinigten Staaten (NEUMANN, 2014) ermöglicht die folgende Grafik einen entsprechenden Vergleich von Japan mit den Vereinigten Staaten.
– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –
Für jedes Land werden die Verläufe von gesamter Geldbasis und aktiver Geldbasis aufgezeigt, rot gestrichelt für die Vereinigten Staaten, grün durchgezogen für Japan. Die aktive Geldbasis umfasst den Bargeldumlauf und die Mindestreserven der Banken. Die gesamte Geldbasis erfasst darüber hinaus die von den Banken auf Konten der Notenbank unterhaltenen Überschussreserven. Die einzelne Bank wird Überschussreserven  in nennenswertem Umfang nur dann unterhalten wollen, wenn sie in Zeiten einer Finanzkrise nicht sicher sein kann, im Interbankenmarkt jederzeit kurzfristigen Kredit von einer anderen Bank zur Durchführung von Zahlungen eingeräumt zu bekommen. Aus dem Vorsichtsmotiv wird sie dann eine Überschussreserve freiwillig halten. Sie wird aber nicht generell interessiert sein, überschüssige Basisgeldreserven anzusammeln, sondern netto zufließendes Basisgeld für den Erwerb von zinstragenden Aktiva verwenden.
Was die einzelne Bank tun kann, kann auch das Bankensystem in seiner Gesamtheit tun. Daher sollte man auf der Stufe der monatlichen Frequenz nicht beobachten können, dass sich im Bankensystem Überschussreserven größeren Ausmaßes aufbauen und über längere Zeit bestehen. Tatsächlich ist das aber neuerdings der Fall. In der Grafik veranschaulichen die vertikalen Differenzen zwischen der Kurve der gesamten Geldbasis und der Kurve der aktiven Geldbasis das Volumen der Überschussreserven. Der ab Herbst 2008 in den Vereinigten Staaten zunehmende Aufbau von Überschussreserven war anfangs ein Krisenphänomen, gleichsam eine Versicherung der Banken gegen plötzliche Liquiditätsengpässe. Das war auch für das Bankensystem der Eurounion im Zeitraum Herbst 2008 bis Mitte 2012 zu beobachten, allerdings mit dem Unterschied, dass sich dort mit abnehmender Krisenangst die Überschüsse immer wieder zurückbildeten (NEUMANN, 2014). In den Vereinigten Staaten dagegen ist es nicht dazu gekommen, weil die FED das bewusst verhindert hat. Von Anfang an verfolgte sie einen prononciert expansiven Kurs, der keine Normalisierung der Reservehaltung zuließ. Nicht die Liquiditätsnachfrage der Banken bestimmte, in welchem Ausmaß mit Anleihekäufen Basisgeld geschaffen wurde, sondern die Expansionsneigung der FED. Im Unterschied zu den Banken der Eurounion konnten sich die amerikanischen Banken auch nicht gegen die Überfülle an Liquidität durch die Rückzahlung von Refinanzierungskrediten wehren, weil sie traditionell bei der FED wenig verschuldet sind.
In den Jahren 2009 – 2012 vergrößerte die FED die Geldbasis um 59 Prozent. Seit Ende 2012 hat sie bis Mitte dieses Jahres für eine weitere Ausdehnung um 49 Prozent gesorgt. Im Ergebnis betragen die Überschussreserven der amerikanischen Banken inzwischen 65 Prozent der gesamten Geldbasis. In Annäherung an die Vorgaben der Abe-Regierung folgt die BoJ seit April 2013 dem Vorbild der FED und hat es sogar übertrumpft. Bis Mitte dieses Jahres haben die fortgesetzten Anleihekäufe es der BoJ ermöglicht, die Basisgeldmenge um eindrucksvolle 56 Prozent zu vergrößern. Allerdings gibt es eine tiefe Schattenseite. Und zwar liegt der größte Teil des neugeschaffenen Basisgeldes als unbeschäftigte Überschussreserve auf den Konten der Notenbank still. Den für das Wirtschaftsgeschehen wichtigen, aktiven Teil der Basisgeldmenge (Bargeldumlauf plus Mindestreserven) hat die BoJ seit Ende 2012 um nicht mehr als 7,7 Prozent ausweiten können. Das ist gerade mal die Hälfte des prozentualen Zuwachses, den in dieser Zeit die FED für ihre aktive Geldbasis erreichte (15,5 Prozent).
Die Abe-Strategie der BoJ läuft bisher also weitgehend leer. Das kann nicht überraschen, wenn man berücksichtigt, dass ungeachtet der aggressiven Anleihekäufe die Bankkreditgewährung an Unternehmen und private Haushalte in Japan von Ende 2012 bis Mitte 2014 um insgesamt nur vier Prozent zugenommen hat, die entsprechende Kreditgewährung in den Vereinigten Staaten dagegen um mehr als zehn Prozent. Das spiegelt sich auch im Wachstum der Geldmengen. In Japan ist im Verlauf dieser anderthalb Jahre die Geldmenge M3 um nur 4,7 Prozent gestiegen, die vergleichbare Geldmenge M2 in den Vereinigten Staaten aber um 9,0 Prozent.
Erklärtermaßen will die BoJ ihre Strategie massiver Anleihekäufe solange fortführen, bis die Preissteigerungsrate die offizielle Zielmarke von 2 Prozent erreicht haben wird. Ob und wann das der Fall werden könnte, steht in den Sternen, nachdem nicht einmal die mit rd. 10 Prozent sehr kräftige Abwertung des Yen im vergangenen Jahr zu starkem Preisauftrieb geführt hat. Zwar hat die anhand des Verbraucherpreisindex gemessene Inflationsrate im Frühjahr 2014 einen Sprung getan, aber im Wesentlichen war das die Folge einer brutalen Heraufsetzung der japanischen Konsumsteuer von fünf auf acht Prozent im vergangenen April. Steuerbereinigt liegt die Inflationsrate derzeit bei ca. 1,3 Prozent und wird nach Prognosen des IWF auch 2015 auf diesem Niveau bleiben, aber danach wieder etwas nachgeben. Es wäre durchaus ein Erfolg, wenn sich anstatt der Null die Eins als mittelfristige Trendrate der Preissteigerung etablieren würde. Im Unterschied zum IWF erwartet der Rat der BoJ mit einer Rate von 1,9 Prozent für 2015 sogar deutlich mehr (IWATA, 2014), aber das dürfte eine den innenpolitischen Verhältnissen geschuldete, leicht geschönte Prognose sein.
Literatur
IWATA, K. (2014), Japan’s Economy and Monetary Policy, Speech, Bank of Japan.
NEUMANN, M.J.M. (2014), Die große Illusion von Expansion. Zur Geldpolitik der EZB
VOLLMER, U. (2014), ,Abenomics“˜ für die Eurozone? Chancen und Risiken einer ,aggressiven“˜ Geldpolitik durch die EZB
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Notenbankgewinne und Geldpolitik (5)
Am Ende haften wir alle - 24. Januar 2015 -
Eine Billion – was ist das schon?
Zu Draghis Expansionsplänen - 7. Januar 2015 - Politik und Rat (2)
Sachverständige Läuse
Zur Politkritik am Sachverständigenrat - 16. November 2014
„Im Unterschied zu den Banken der Eurounion konnten sich die amerikanischen Banken auch nicht gegen die Überfülle an Liquidität durch die Rückzahlung von Refinanzierungskrediten wehren, weil sie traditionell bei der FED wenig verschuldet sind.“
Warum sollten sich die US-Banken denn „wehren“? Sie zahlen derzeit für Fed-Kredite 0,09 Prozent Zinsen. Umgekehrt verzinst die Fed Reserven mit 0,25 Prozent.
Daher werden US-Banken ihren Fed-Kreditrahmen stets ausschöpfen. Eine „full allotment“ Politik wie die EZB kann die Fed offenbar nicht betreiben, weil Kredite und Reserven gegen Unendlich gehen würden.
Ja, das wäre ein tolles Geschäft für die amerikanischen Banken, wenn sie sich bei der FED in beliebiger Höhe zum federal funds Zins von 0,09 Prozent verschulden könnten und die Mittel auf Konten der Fed zum Zinssatz von 0,25 Prozent einlegen dürften. Das ist nicht der Fall. Die FED gewährt nicht generell, sondern nur einer liquiditätsklammen Bank, die über keine Überschussreserven verfügt, kurzfristigen Kredit. Daher betragen die Kredite der FED derzeit nicht mehr als 0,01 Prozent der von den Banken unterhaltenen Überschussreserven.
Ich bleibe dabei: Es wird weder kurz, noch mittelfristig inflationäre Tendenzen geben. Nicht in Europa, und auch sonst kaum. Wenngleich auch die explodierenden Bilanzsummen der ZBen an Kriegszeiten erinnern lassen. Die Illusion von der Möglichkeit, die Inflation nach Belieben steuern zu können, löst sich stärker in Wohlgefallen auf, je näher wir der Nullzinslinie kommen. Kapital hat dann keinen Preis mehr. Wenn aber Angebot & Nachfrage keinen Preis als Orientierung haben, was dann? Wo kein Preis, da kein Markt…?!?
Impliziert dies ergo ein Marktversagen? Folgt daraus Planwirtschaft am Kapitalmarkt, also dass bspw. die EZB den Unternehmen & privaten Haushalten Kredite an den Privatbanken vorbei aufzwingt?
Meine Meinung: Das Moral Hazard-Treiben wird sich in den nächsten Jahren verstärken und solange weitergehen, bis das Fiat-Money untergeht. Wer weiß schon was dann kommt…? Ein effizienteres Geld?
…nach dem Crash folgt der Crash…