Gastbeitrag
Die Zukunft des Mindestlohns

Am 1. Januar wird in Deutschland der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt. Damit verknüpft die Bundesregierung die Hoffnung, existenzsichernde Löhne für Millionen von Beschäftigten sicherzustellen und dadurch der „Armut trotz Arbeit“ entschieden entgegenzutreten – ohne dabei Arbeitsplätze zu gefährden. Eine Hoffnung, die leicht enttäuscht werden kann, denn weder die theoretische und empirische Forschung noch der Blick auf andere Länder mit Mindestlohnerfahrung können die Befürchtungen zerstreuen, dass die eigentlichen Adressaten des Mindestlohns, die Niedrigstlohnbezieher am Ende als die großen Verlierer des deutschen Mindestlohns dastehen könnten. Die Bundesrepublik Deutschland startet 2015 ein riskantes sozialpolitisches Experiment, bei dem sämtliche Risikoabwägungen außer Acht bleiben.*

Wenn der Arbeitsmarkt sich weiterhin stabil zeigt, dann werden die Verluste vielleicht noch überschaubar bleiben, doch spätestens bei der ersten, den Arbeitsmarkt hart treffenden Rezession können sich die Arbeitsplatzverluste schnell vervielfachen. Wie wird die Bundesregierung in einer solchen Situation reagieren? Es ist kaum denkbar, dass sie den Mindestlohn wieder abschaffen wird. Ebenso wenig ist vorstellbar, dass sie einer Mindestlohnkommission folgen wird, wenn diese sich angesichts der nachteiligen Beschäftigungswirkungen für eine Absenkung oder Differenzierung des Mindestlohns aussprechen würde. Nimmt sie es also in Kauf, die arbeitsmarktpolitischen Erfolge der letzten Jahre zu gefährden und zwingt damit insbesondere diejenigen, die den schwersten Stand am Arbeitsmarkt haben, zurück in die Arbeitslosigkeit bzw. verwehrt ihnen die Chance, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen? Das hätte verheerende sozialpolitische Konsequenzen: Wir würden einen Teil der Gesellschaft dauerhaft von der Teilhabe am Wohlstand ausschließen. Auch das ist kaum vorstellbar. Doch welche Optionen bleiben der Politik dann noch?

Der Blick nach Frankreich zeigt einen möglichen Ausweg auf, wenngleich dieser Ausweg Deutschland sehr teuer kommen würde. Frankreich hat mit derzeit 9,53 Euro Bruttostundenlohn einen der höchsten Mindestlohnsätze in Europa und der Anteil der Arbeitnehmer, die einen Mindestlohn beziehen, ist relativ hoch. Um Arbeitsplatzverluste durch den Mindestlohn zu minimieren, erhalten die französischen Unternehmer daher 26 Prozent des Lohns vom Staat erstattet, wenn sie einen Arbeitnehmer genau zum Mindestlohn beschäftigen. Beim aktuellen Mindestlohnsatz in Höhe von 9,53 Euro bekommt der Arbeitgeber also 2,48 Euro pro Arbeitsstunde durch staatliche Zuschüsse erstattet. Auch Löhne oberhalb des Mindestlohns werden bezuschusst, allerdings wird der Zuschuss linear abgeschmolzen. So erhält der Arbeitgeber bei einem Stundenlohn von 12,39 Euro immer noch einen Zuschuss von 1,61 Euro. Erst bei Löhnen über dem 1,6-fachen des Mindestlohns, das entspricht einem Stundenlohn von 15,25 Euro, wird kein staatlicher Lohnkostenzuschuss mehr bezahlt.

Frankreich hat den Mindestlohn mit einem umfassenden Kombilohnmodell verbunden, um so die negativen Beschäftigungswirkungen des Mindestlohns gering zu halten. Wird dieses Modell für Deutschland übernommen, so wird die Einführung des Mindestlohns dem Kombilohn, den die Mindestlohnbefürworter mit dem Mindestlohn eigentlich abschaffen wollten, in Deutschland zu neuer Blüte verhelfen. Aber eine solche Politik hat ihren Preis. Die französischen Sozialkassen weisen die Belastungen für das Jahr 2012 mit 22,3 Mrd. Euro aus, für Deutschland dürfte eine solche Kombination von Mindestlohn und Arbeitgebersubvention ähnlich teuer werden. Der Staat zahlt damit für eine Maßnahme, die nicht dazu dient, neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern ausschließlich dazu eingesetzt wird, die schädlichen Wirkungen des Mindestlohns zu neutralisieren. Am Ende zahlen dann nicht nur diejenigen für den Mindestlohn, die durch ihn ihre Arbeit oder die Hoffnung auf Arbeit verloren haben, sondern auch die Steuerzahler.

Hinweis: Die vollständige Version dieses Kommentars finden Sie in: WiSt – Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 2014, Heft 11.

* Eine ausführliche Darstellung der potentiellen Wirkungen des Mindestlohns findet sich bei Knabe, Andreas, Ronnie Schöb und Marcel Thum (2014): „Der flächendeckende Mindestlohn“, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 15(2), S. 133-157.

 

Weitere Blog-Beiträge zum Mindestlohn:

Christoph A. Schaltegger: Gesetzliche Mindestlöhne – ein Erfahrungsbericht zur Volksabstimmung in der Schweiz

Manfred J.M. Neumann: Professorale Preiskommissare drängen in die Mindestlohnkommission

Thomas Apolte: Mindestlohn: Viel Lärm um nichts!

Thorsten Polleit: Warum ein Mindestlohn keine gute Idee ist

Norbert Berthold: Denn sie wissen, was sie tun. Mindestlöhne zerstören die Marktwirtschaft

Norbert Berthold: Die Wendehälse der CDU. Mindestlöhne statt Marktwirtschaft

Norbert Berthold: Eine unendliche Geschichte. Mindestlöhne, Arbeitslosigkeit und Strukturwandel

Norbert Berthold: Gesetzliche Mindestlöhne – wehret den Anfängen

Wolfgang Franz: Der trügerische Charme des Mindestlohnes

7 Antworten auf „Gastbeitrag
Die Zukunft des Mindestlohns“

  1. Diese Appelle bleiben leider ungehört in der Politik. Politiker die wiedergewählt werden wollen, müssen den Mindestlohn einführen und zudem den Rentnern Honig ums Maul schmieren. Letztere wird die größte Wählerschar in Zukunft darstellen. Diese gesellschaftlich divergierende Interessenlage wird uns vor ungeahnte Herausforderungen stellen. Die Zuwanderung insb. aus Afrika in den nächsten Jahrzehnten wird ihr übriges tun. Eine gesellschaftliche Zerreißprobe droht m.E.
    Leider ist die Merhheit der Bürger ökonomisch ungebildet und durchschaut die Spielchen der Politik nicht. Viele lassen sich emotional Leiten & verschließen sich Sachargumenten. Gewerkschaften bspw. leben davon, den „armen Arbeitern“ Hilfe anzubieten um sie vor den „bösen kapitalistischen Unternehmern“ zu beschützen. Nur so generieren sie die Einnahmen (Gewerkschaftsbeiträge)…

  2. Ihren Aussführen kann ich uneingeschränkt zustimmen. Besonders der Verweis auf die Folgen einer möglichen Abkühlung der Konjunktur ist sehr treffend. Aktuell befindet sich die Bundesrepublik auf ihrem Zenit (sportlich und wirtschaftlich). Doch was passiert, wenn sich andere Länder unsere Produkte nicht mehr leisten können oder es bessere Alternativen gibt?
    Die aufgezählten Wahlgeschenke werden jedesmal mit der Gerechtigkeit begründet. Dieser Begriff wird immer öfter als Totschlagargumet benutzt, um den politischen Gegner zu dikreditieren. („Wollen Sie etwa nicht, dass ein Rentner/Arbeiter genug zum Leben hat?“) Statt das Bildungssystem zu reformieren, beschäftigt man sich lieber mit der Autobahnmaut. Deutschland ist zu großen Teilen sehr bequem geworden. Denn es lebt sich ja ganz gut im Moment.
    Es fehlt der Mut für Reformen!

    Meine persönliche politische Wahrnehmung beginnt mir der ersten Kanzerschaft von Frau Merkel und ich sehe einfach keine Reform, die Deutschland entscheident vorangebracht hat.

    Marktwirtschaft und Innovationen sind der Schlüssel für Wohlstand und eine verheißungsvolle Zukunft. Warum arbeiten wir nicht daran, anstatt uns in politsche Grabenkriegen (Alt vs. Jung, Frauen vs. Männer, Südeuropa vs. Nordeuropa) zu verschleißen?

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