Flüchtlinge in Europa
Deutschland wird im Stich gelassen

„Fairness, like beauty, is in the eye of the beholder.“ (Greg Mankiw)

Der massive Strom von Flüchtlingen nach Europa reißt einfach nicht ab. Verzweifelte Menschen suchen seit dem Jahr 2013 immer öfter in den Ländern der EU nach Zuflucht. Das Jahr 2015 war ein „annus horribiles“. Über 1,3 Millionen Menschen beantragten Asyl. Mittlerweile ist die Flüchtlingswelle zwar etwas abgeebbt. Die Zahl der Flüchtlinge bleibt aber weiterhin sehr hoch. Bis Ende Mai 2016 wurden in der EU immer noch über 500.000 Anträge auf Asyl gestellt. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Die treibenden Kräfte der Flüchtlingsströme sind weiter am Werk. Schreckliche Bürgerkriege, blutiger Terror und eklatante Verletzungen der Menschenrechte halten an.

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Ein Blick auf die Zahlen macht allerdings stutzig. Wie schon in der Balkan-Krise zu Beginn der 90er Jahre schultert Deutschland die Hauptlast der gegenwärtigen Flüchtlingswelle. Ende Mai 2016 suchten über 60 % der Asylbewerber ihr Glück in Deutschland. Von den 1,8 Millionen Anträgen die 2015 und 2016 in der EU auf Asyl gestellt wurden, entfielen über 800.000 auf Deutschland. Ungarn und Schweden folgten mit weitem Abstand. Große Länder, wie etwa Frankreich, waren mit etwas mehr als 100.000 Asylbewerbern konfrontiert. In Spanien bewarben sich gerade einmal etwas mehr als 18.000 um Asyl.

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Der Flüchtlingsstrom ebbte im ersten Halbjahr 2016 etwas ab. Wie viele es wirklich sind, ist weiter unklar. Die Zahl der Asylanträge hat sich auf etwa 100.000 in der EU eingependelt. Dazu hat der Türkei-Deal beigetragen. Die Balkan-Route ist dicht. Allerdings steigt die Zahl der Flüchtlinge seit Mitte des Jahres wieder. An der Verteilung der Flüchtlinge in der EU hat sich nichts geändert. Die Zahlen für Mai, in der Daten für alle Länder vorliegen, sind eindeutig. Allerdings sind darin noch viele registrierte „Altfälle“ vor der Schließung der Balkan-Route enthalten. Deutschland trägt weiterhin die Hauptlasten. Über 60 % bewerben sich um Asyl in Deutschland.

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Diese Verteilung der Lasten aus der Flüchtlingskrise in der EU ist nicht fair. Deshalb muss innerhalb der EU spürbar umverteilt werden. Die wenigen stark belasteten Länder, wie etwa Ungarn, Schweden, Österreich und Deutschland, müssen nachhaltig entlastet werden. Andere Länder, die sich in der Flüchtlingsfrage bisher einen schlanken Fuß machen, müssen spürbar stärker belastet werden. Das stößt allerdings auf erheblichen Widerstand der Länder, die sich weigern, mehr Flüchtlinge oder überhaupt welche aufzunehmen. Vor allem die Visegrád-Staaten organisieren ihren entschiedenen Widerstand gegen alle Verteilungspläne der EU-Kommission.

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Wie es gehen könnte, zeigt Deutschland. Hierzulande werden die Asylbewerber nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer aufgeteilt. Als Gewichte gehen dabei zu 2/3 die Steuereinnahmen und zu 1/3 die Bevölkerungsgröße der Länder in die Verteilung ein. Die meisten Asylbewerber müssen Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg schultern. Wirtschaftlich schwächere Bundesländer und Länder mit relativ geringer Bevölkerung müssen weniger Asylbewerber aufnehmen. Wie die Bundesländer die Flüchtlinge auf ihre Kommunen aufteilen, bleibt ihnen überlassen. Sie gehen dabei ganz unterschiedliche Wege.

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Es ist unfair, dass die Flüchtlingslasten sehr ungleich auf die Länder der EU aufgeteilt werden. Deutschland ist Haupt-Zahlmeister. Die EU-Kommission hat sich bemüht, einen adäquaten Schlüssel zu finden (hier). Allerdings gelang es bisher nicht, den Widerstand der aktuell relativen „Gewinner“ zu überwinden. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Situation zu ändern. Eine besteht darin, Verweigerern die Mittel aus Struktur- und Regionalfonds zu kürzen. Deutschland ist hier mit seinem (finanziellen) Latein noch nicht am Ende. Ein Flüchtlings-Finanzausgleich ist eine andere, wenn sich Länder der „Quoten“-Regelung partout verweigern. Er ist allerdings polit-ökonomisch riskant. Die EU-Kommission hat klebrige Finger, finanziell und politisch.

13 Antworten auf „Flüchtlinge in Europa
Deutschland wird im Stich gelassen

  1. „Diese Verteilung der Lasten aus der Flüchtlingskrise in der EU ist nicht fair. Deshalb muss innerhalb der EU spürbar umverteilt werden. “
    Nur geht es in diesem Fall nicht um Warenverteilung sondern um Menschen. Diese Menschen können nicht einfach unter Zwang umgesiedelt werden, das würde nicht nur der Menschenrechts-Deklaration sondern auch dem GG und der Personenfreizügigkeit widersprechen.

  2. Ich vermute, dass die Veteilung der Asylbewerber, die schon da sind, irrelevant ist. Weil auch zahlenmäßig das, was wir hier sehen (letztes Jahr über 1 Mio Asylbewerber allein in D) erst die Spitze des Eisberges ist. Mich verwundert, warum die Arabischen Emirate, sowie Katar & Co. sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen. Stattdessen werden Einwanderer nach Europa geschickt, um politische Instabilitäten zu erzeugen. (vermute ich). Frau Merkel hat die Einladung ausgesprochen und unser Sozialsystem wirkt zusätzlich wie ein Magnet. Heitmatnaher Schutz der Menschen wäre doch mit einer arabischen Lösung optimal. Ich vermute, dass Frau Merkel politisch erpresst wurde. Ähnlich wie bei dem 1. Griechenrettungspaket, als Sarkozy sie erpresste.

    Gar nicht auszudenken, wie instabil Europa würde, wenn sich auch noch halb Afrika mit dem Boot nach Europa bewegt. Wenn sich allein 10% der nigerianischen Bevölkerung (also etwa 17 Mio. Menschen) auf den Weg zu uns machen, ist der Kollaps vorprogrammiert. Auch Dtl. ist militärisch nicht dazu in der Lage und willens, Eigentumsrechte der Bürger zu schützen.

  3. Im Prinzip ist es dasselbe Problem wie mit dem Euro: Es gibt keine politische Union und es gibt keinen europäischen Staat. Darum lässt sich so etwas wie den Fiskalpakt zwar beschließen, aber eben nicht durchsetzen.

    Ebenso ist es mit einer Quotenregelung. So etwas wie der Königsteiner Schlüssel lässt sich in einem Bundesstaat durchsetzen, aber nicht gegenüber souveränen Staaten, in der die Mehrheit der Bürger dagegen ist.

    Der Versuch, Polen und Ungarn zur Aufnahme einer bestimmten Zahl von Asylbewerbern zu zwingen, ist noch aussichtsloser als der Versuch die Griechen, Italiener und Franzosen zur Einhaltung der Sparauflagen zu bewegen.

  4. @ Bökenkamp
    Verteilungsprobleme lassen sich grundsätzlich schwer lösen: Das gilt nicht nur zwischen den Nationalstaaten in der EU, es gälte auch in einer EU als Politische Union. Allerdings ist eine Politische Union nicht in Sicht. Der nationale Widerstand dagegen ist in der EU auf absehbare Zeit nicht zu überwinden.
    Was ist Ihr Vorschlag, die Lasten aus den Flüchtlingsströmen in der EU fair zu verteilen?

  5. N. Berthold schreibt:

    „Diese Verteilung der Lasten aus der Flüchtlingskrise in der EU ist nicht fair.“

    „Was ist Ihr Vorschlag, die Lasten aus den Flüchtlingsströmen in der EU fair zu verteilen?“

    Ihr Ansatz ist grundsätzlich absolut wichtig und korrekt – deshalb finde ich den Blog-Eintrag auch sehr gut.

    Allerdings ist die Frage nach der Beurteilung von „Fairness“ an dieser Stelle schon legitim. Es gibt durch freie und öffentliche Wahlen legitimierte Regierungen in der EU, die bereit sind und waren viele Flüchtlinge aufzunehmen und es gibt durch freie und öffentliche Wahlen legitimierte Regierungen in der EU, die nicht bereit sind viele oder überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen.

    Es gibt nationales, internationales und EU-internes Recht, dass die nationalen Regierungen in bestimmten Grenzen bindet.

    Trotzdem haben die nationalen Regierungen einen großen Handlungs- und Ermessensspielraum, der sich auch in schwierigen juristischen und außenpolitischen Diskussionen niederschlägt und der direkten Einfluss auf die Menge der ankommenden Flüchtlinge hat.

    Da die Menge der ankommenden Flüchtlinge wiederum großen Einfluss auf die Höhe der zu teilenden Lasten hat, ist es verständlich, dass Regierungen unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der „Fairness“ bei Verteilungsfragen haben.

    Und zwar unabhängig davon, ob die Verteilungsschlüssel von der EU-Komission hinsichtlich der ökonomischen Parameter „fair“ gestaltet wurden. (Wovon ich mich – ehrlich gesagt – auch gerne mal in einem spezialisierten Text überzeugen lassen würde. Die verlinkten Texte der EU-Kommission waren da für mich wenig aufschlussreich).

  6. Europa ist aufgrund seiner Wertbindungen weder willens noch fähig, dem gewaltigen Migrationsdruck aus den islamischen und schwarzafrikanischen Ländern standzuhalten. Die FRONTEX, die ursprünglich zur Abwehr gegen illegale Zuwanderung gedacht war, hat heute die Rolle einer hocheffektiven Schlepperorganisation übernommen.

    Anstatt selber die eigenen Außengrenzen wirkungsvoll zu schützen, versuchen Deutschland und die EU mit vielen der Herkunftsländer Abkommen zu schließen, um massenhafte Flüchtlingsströme zu verhindern. Die bis in die Knochen korrupten Eliten dieser Länder werden sich ihre Schlägerdienste teuer bezahlen lassen. Deutschland und die EU wollen selber nicht schlagen, siehe die Umfunktionierung der Frontex. Sie lassen lieber schlagen. Ein Herr schlägt nicht, er lässt schlagen; siehe das Türkei-Erdogan Abkommen. Das ist auf die Spitze getriebene Scheinheiligkeit, Heuchelei, Bigotterie.

    Das kennen wir aus der Zauberflöte. Der feine Herr Sarastro, ein Vertreter edelsten Menschentums, in dessen heiligen Hallen man die Rache nicht kennt, hält sich Sklaven und dazu einen schwarzen Sklaventreiber. Aber dieser eigentlich bedauernswerte schwarze Sklaventreiber Monostatos wird von Mozart mit einer lichthellen Arie bedacht mit einer hoch über der Melodie liegenden Piccoloflöte, die ihm wie ein bestirnter Himmel gnädig sein wenig humanes Handeln und Treiben vergibt. Mozart hat sich – wie so oft an den z.T. mißglückten Libretti – mit einer unsterblichen Musik gerächt. Aber das nur als bildungsbürgerliche Reminiszenz.

    Ansonsten gilt immer noch, was ich hier zu einem Aufsatz von Professor Berthold „Moderne Völkerwanderung“ geschrieben habe.
    http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=18126#comments

    Live aus der Düsseldorfer Uni-Bibliothek – 14.15 Uhr Ortszeit
    Bakwahn
    Hamburg Bangkok Düsseldorf

  7. PS:
    „Faire“ Verteilung von Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen:

    Polen hat freiwillig ein paar hundert christliche Syrer aufgenommen, eben nur weil diese Christen sind und sich deswegen leichter in die katholisch geprägte polnische Gesellschaft eingliedern lassen. Das waren die Überlegungen. Diese Syrer haben nach deutschen Pressemeldungen fast alle längst „rübergemacht“ zu uns. Denn im Vergleich zu Polen gibt es bei uns deutlich höhere Bargeldleistungen und eine rundum Wohlfühlversorgung on top dazu. Ich habe nirgendwo gelesen, daß deutsche Behörden diese Gruppe nach Polen zurückgeschickt hätten.
    Bei uns gilt: Ihr Mühseligen und Beladenen dieser Welt, ihr könnt alle zu uns kommen. Unsere Willkommenskultur, unsere Integrationsfähigkeit, unsere Ressourcen sind unerschöpflich. Wir schaffen das. Ja! Wir schaffen uns (ab).

    Live aus der Düsseldorfer Uni-Bibliothek – 14.30 Uhr Ortszeit
    Bakwahn
    Hamburg Bangkok Düsseldorf

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