Antikapitalistisch, fremdenfeindlich und nationalsozial
Was hilft gegen Populisten?

„Der Populismus ist im Grunde nichts anderes als eine Regung, den Staat durch seine Verlierer zu annektieren. Verlierer glauben an Staaten als Familienbetriebe.“ (Peter Sloterdijk)

Auch renommierte Politikwissenschaftler, wie etwa der Stanford-Professor Francis Fukuyama, können irren. Die Globalisierung ist nicht das Ende der Geschichte. Der Protektionismus lebt nicht erst seit der unsägliche Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten gewählt wurde. Es war auch eine Illusion des mehrfach mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Journalisten Thomas Friedman von der New York Times zu glauben, die Welt sei flach und bleibe es auch. Schon seit einiger Zeit wird sie wieder unebener. Die populistischen Donald Trumps dieser Welt treiben gegenwärtig überall ihr Unwesen. Mit ihrem handelspolitischen, protektionistischen Unfug setzen sie den höheren Wohlstand der Globalisierung aufs Spiel. Ihr naiver nostalgischer Glaube an vergangene, bessere Zeiten wird allerdings platzen wie eine Seifenblase. Am Ende sind alle ärmer, die Welt ist konfliktreicher. Darunter leiden vor allem die Armen dieser Welt. Das beeindruckt die Populisten allerdings wenig. Schon seit einiger Zeit sprießen in Europa populistische Parteien wie Pilze aus dem Boden. Die Nachfrage einer wachsenden Zahl von Wählern nach einfachen Rezepten ist groß. Populistische Parteien auf der Linken, wie Podemos, Syriza oder Cinque Stelle, bedienen sie ebenso wie die Populisten auf der Rechten, wie die Lega (Nord), die AfD oder der Front National. Dabei sind die Rechtspopulisten erfolgreicher als ihre linken Kollegen. Allerdings: Die Einteilung in links und rechts verwischt immer mehr. Das ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Tatsächlich sind linke und rechte Populisten inzwischen durch die Bank antikapitalistisch, fremdenfeindlich und nationalsozial.

Zerfällt die Gesellschaft?

Der Populismus hat in Europa weiter Hochkonjunktur. Wann Parteien populistisch sind,  darüber gehen die Meinungen auseinander. Eines haben populistische Parteien allerdings gemeinsam: Sie behaupten die Gesellschaft falle auseinander, ökonomisch und sozio-kulturell. Die Interessen weiter Teile des Volkes würden nicht mehr vertreten. Die Eliten in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien versagten. Das politische Establishment folge nur noch eigenen Interessen und stopfe sich die Taschen voll. „Wir“ gegen „Die“ ist der politische Schlachtruf aller Populisten. Richtig ist: Wirtschaftliche, kulturelle und demographische Kräfte zerren am gesellschaftlichen Konsens. Die wirtschaftlich wichtigsten Kräfte zeigen sich im Strukturwandel. Weltweit offene Märkte, technischer Fortschritt und demographischer Wandel treiben ihn. Der strukturelle Wandel zeigt allerdings ein Janusgesicht. Er ist der Motor des wirtschaftlichen Wohlstandes. Deshalb ist er unverzichtbar. Gewinner ist der Wissenssektor, Verlierer die Industrie. Dort setzt der wirtschaftliche Niedergang den Arbeitnehmern zu. Steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Einkommen zeugen davon. Es trifft vor allem einfache Arbeit, immer öfter aber auch Teile der Mittelschicht. Allerdings: Dieser Prozess ist nicht erst heute, sondern schon seit langem in Gang. Die meisten wohlhabenden Länder haben sektoral das Schlimmste bereits hinter sich. Es ist deshalb zweifelhaft, ob der „vorgestrige“ Strukturwandel den „heutigen“ Aufstieg der Populisten erklären kann. Allerdings: In Deutschland liegt der Fall anders. Der größte Teil des sektoralen Strukturwandels steht noch aus. Da kommt noch einiges auf uns zu, ökonomisch und politisch.

Ein weiterer gesellschaftlicher Spaltpilz ist möglicherweise die wirtschaftliche Ungleichheit. Ungleich verteilte Einkommen können populistische Parteien stärken. Die realen Markteinkommen verteilen sich seit Ende der 70er Jahre in den EU-Ländern ungleicher. Bis Mitte der 80er Jahre stiegen auch die realen Markt-Einkommen der Mittelklasse an, teilweise stark. Beide Trends sind allerdings zum Stillstand gekommen. Die Ungleichheit der Markt-Einkommen nimmt seit Mitte der 00er Jahre nicht weiter zu. Seit Mitte der 80er Jahre stagnieren die Markt-Einkommen der Mittelklasse. Die individuell relevante Größe sind allerdings die Netto-Einkommen. Die Ungleichheit nach Steuern und Transfers stieg auch in den „wilden“ Jahren der Ungleichheit der Markteinkommen moderater, allerdings von Land zu Land unterschiedlich stark. In manchen Ländern, wie etwa Italien, sank sie sogar. Es gibt also berechtigte Zweifel, ob die Ungleichheit der Einkommen den Aufstieg der Populisten beschleunigt hat. „Vorgestern“ ungleich verteilte Markt-Einkommen haben eher wenig Einfluss auf die Stärke des Populismus „heute“. Durch die staatliche Umverteilung dürfte sich zumindest für Europa der Einfluss ungleich verteilter Einkommen auf populistische Umtriebe in Grenzen halten. Die stagnierenden Einkommen der Mittelklasse sind als Erklärung schon besser geeignet. Sie könnten zeigen, warum den Populisten bei Wahlen der Einbruch in Teile der Mittelklasse gelungen ist. Die Angst vor sozialem Abstieg und dem Verlust des gegenwärtigen Lebensstandards lässt auch mittelschichtige Wutbürger populistisch wählen.

Und noch etwas kann die Gesellschaft entzweien: Ein Wandel der Werte. Traditionelle Werte und Ordnungsvorstellungen werden an den Rand gedrängt. Die Bildungsexpansion der letzten Jahrzehnte treibt diese Entwicklung. Mit wachsendem Wohlstand differenzieren sich die individuellen Präferenzen aus. Die Gesellschaft wird individualistischer, „Singularitäten“ gewinnen an Bedeutung (hier), kollektive Solidarität wird zum Auslaufmodell. Es entsteht eine „neue“ akademisch geprägte Mittelschicht der Bildungsaufsteiger. Dieses erste Drittel der Gesellschaft ist die treibende Kraft. Sie prägt neue Normen und Werte in der Gesellschaft. Ihr Auftreten ist individualistisch und kosmopolitisch („citizen of nowhere“). Die nationale Identität ist nachrangig. Ein zweites Drittel der Gesellschaft ist die „alte“ Mittelklasse. Sie ist materiell wohlsituiert, hängt an traditionellen Werten und lässt nicht von ihrer nationalen Identität. Allerdings schwindet ihre Prägekraft für die Werte und Normen in der Gesellschaft. Sie lebt in der ständigen Furcht, sozial abzusteigen und setzt auf kollektive Solidarität. Den sozialen Abstieg hat das dritte Drittel, die Gruppe der „Abgehängten“, schon hinter sich. Von der Zukunft erwartet sie nichts mehr. Sie orientiert sich an traditionellen Werten, setzt auf nationale Lösungen, sucht den Schutz des (Sozial)Staates und ist von der Politik enttäuscht. Dieser Wertewandel vergrößert die Risse in der Gesellschaft. Er ist ein latenter Nährboden für populistische Umtriebe.

Wenn der strukturelle Wandel nicht so recht erklären kann, weshalb populistische Parteien gerade jetzt wie Pilze aus dem Boden sprießen, ungleich verteilte Einkommen und Vermögen ebenfalls wenig Licht ins Dunkel bringen und der Wertewandel keine neues Phänomen ist: Warum gibt es jetzt so viel Populismus? Möglicherweise hat die wachsende Migration das Fass zum Überlaufen gebracht (hier). Mit massenhafter Zuwanderung werden Gesellschaften heterogener. Oft fehlt es an Vertrauen in fremde Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund. Die Angst geht um, dass Zuwanderung das Sozialkapital erodiert und die Gesellschaft destabilisiert. Auf diesem Humus gedeiht Populismus. Die vor allem geringqualifizierte Zuwanderung ist aber auch aus profanen ökonomischen Aspekten ein Nährboden für Populisten (hier). Mit der Einwanderung steigt das Arbeitsangebot. Es entsteht ein Druck auf die Löhne. Das trifft vor allem einfache „einheimische“ Arbeit. Verhindern gesetzliche Mindestlöhne, dass die Löhne sinken, droht Arbeitslosigkeit. Selbst wenn davon vor allem die Zuwanderer betroffen sind, müssen die sozialen Leistungen bei Arbeitslosigkeit von den „einheimischen“ beschäftigten Beitragszahlern finanziert werden. Die Einwanderung in den Sozialstaat ist also den Inländern so oder so ein Dorn im Auge. Vor allem die größten Verlierer der Zuwanderung, die Geringqualifizierten, sind anfällig für protektionistische Verheißungen der Populisten.

Zerbröseln die Volksparteien?

Der Niedergang der traditionellen Volksparteien ist in vollem Gang. Manche verschwinden von heute auf morgen, andere zerbröseln langsamer. Das gilt für „linke“ wie „rechte“ Volksparteien. In Italien verschwand die Democrazia Cristiana fast von heute auf morgen von der politischen Bühne. Emmanuel Macron marginalisierte die Parti Socialiste in der französischen Nationalversammlung und im Senat in kürzester Zeit. Würde heute in Deutschland gewählt, verfügten CDU und SPD auch gemeinsam nicht mehr über eine Mehrheit im Bundestag. Die politischen Elefanten sterben. Sie folgen einem allgemeinen Trend: Große „Einheiten“ zerfallen. Das gilt für Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Kirchen und auch große Parteien. Alle haben die beste Zeit hinter sich. Die individuellen Präferenzen der Menschen werden heterogener. Wachsender Wohlstand, Globalisierung und internationale Migration treiben diese Entwicklung. Der Prozess der Individualisierung nimmt Fahrt auf. Es bekommt den großen Einheiten nicht, die viel zu viel über einen Kamm scheren (müssen). Die Mitglieder laufen ihnen in Scharen davon. Organisationspolitisch ist Zentralisierung von gestern, Dezentralisierung das Gebot der Stunde. Die unterschiedlichen politischen Interessen organisieren sich in kleineren, homogeneren Parteien. Das kann über die ganze Breite des politischen Spektrums geschehen. Tatsächlich gewinnen aber vor allem autoritäre populistische Parteien an den (linken und rechten) politischen Rändern besonders stark. In den europäischen Ländern sind sie hinter den konservativen und sozialdemokratischen Parteien inzwischen die drittstärkste politische Kraft. Die liberalen Parteien haben sie schon hinter sich gelassen (hier).

claschabb1

– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

Der Aufstieg der populistischen Parteien in Europa hält an. Noch Anfang des Jahrtausends schien deren Popularität an Grenzen zu stoßen. Diese Hoffnung hat getrogen, zumindest bisher. Die Finanz-Krise ab 2007, die Euro-Krise ab 2010 und die Flüchtlings-Krise ab 2015 kamen den Populisten gerade recht. Sie haben ihnen neuen Auftrieb bei Wahlen gegeben. Im Jahr 2017 waren rechts- und linkspopulistische Parteien in 10 demokratisch gewählten europäischen Regierungen vertreten. Ungarn (Fidesz), Polen (PiS) und Griechenland (Syriza, Anel) werden in Europa schon länger von populistischen Parteien regiert. In Italien koalieren neuerdings die linkspopulistischen Cinque Stelle mit der rechtspopulistischen Lega. Es gibt allerdings auch quantitative Unterschiede zwischen rechts- und linkspopulistischen Parteien. Die Rechtspopulisten sind eindeutig stärker, oft auch mit viel mehr Regierungserfahrung. Sie wurden 2017 von etwa 12 % der Wähler gewählt. Der Wert der Linkspopulisten lag bei etwa 6 %, also gut der Hälfte. Und die Dynamik ist klar auf Seiten der Rechten. Sie wachsen seit Anfang der 80er Jahre stetig, am aktuellen Rand sogar besonders stark. Dagegen verläuft die Entwicklung bei den linken Populisten u-förmig. Von Werten von etwa 10 % noch Anfang der 80er Jahre sanken sie auf 4 % bis Mitte der 00er Jahre. Die Finanz-Krise, vor allem aber die Euro-Krise, hat ihnen neuen Auftrieb gegeben. Der scheint aber am aktuellen Rand vorläufig zum Stillstand gekommen zu sein.

claschabb1

– zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –

Was die „linken“ und „rechten“ Volksparteien verlieren, gewinnen die „linken“ und „rechten“ Populisten. Den „alten“ Volksparteien wird vorgeworfen, sie reagierten falsch auf die zentrifugalen Kräfte, die Gesellschaften spalten. Der französische Ökonomen Thomas Piketty hat eine interessante These entwickelt (hier). Seiner Meinung nach sind beide großen Volksparteien von Minderheiten gekapert worden. Bei den Sozialdemokraten haben linke Intellektuelle die Macht übernommen („Klugscheißerpartei“). Sie sind durch die Bildungsexpansion der letzten Jahrzehnte nach oben gekommen. Diese intellektuelle Elite hat „zu wenig“ Interesse an Umverteilung und zeigt „zu viel“ Nachsicht mit „Fremden“. Die Interessen der Arbeiter, die originäre Klientel der Sozialdemokraten, kommen unter die Räder. Die Tony Blairs und Gerhard Schröders machen die Sozialdemokraten für viele dieser Bürger unwählbar. Den „rechten“ Volksparteien ginge es nicht besser. Auch sie seien von einer kleinen Gruppe von Hoch-Einkommensbeziehern und Hoch-Vermögens-Besitzern in Geiselhaft genommen worden. Traditionelle Werte kommen unter die Räder. Und der Niedergang der christlichen Kirchen schrumpft die religiöse Basis der Konservativen weiter. Die Gruppe der Einkommens- und Vermögensmillionäre agieren kosmopolitisch. Nativismus passt nicht in ihr Weltbild. Die „Fremden“ sind ihnen nicht fremd. Die konservativen „alten“ Volksparteien bewegen sich auf die „neuen“ Sozialdemokraten zu. Beide haben die Interessen der Verlierer einer gespaltenen Gesellschaft nicht mehr im Blick. Diese Wähler sind politisch heimatlos geworden.

Unklar bleibt allerdings, warum die linken Populisten von den rechten bei Wahlen um Längen abgehängt werden. Eine Rolle hat sicher die lange Zeit eher freundliche Haltung der Linkspopulisten zur Migration gespielt. Das haben die einheimischen Wähler nicht honoriert. Der Einbruch in der politischen Zustimmung ab 2015 ist ein Indikator. Die Flüchtlingskrise hat zu einer Klärung geführt. Die linken Populisten sind in vielen europäischen Ländern auf den strammen Anti-Flüchtlingskurs der rechten eingeschwenkt. Damit verwischt das alte Links-Rechts-Schema. Links- und Rechtspopulisten bewegen sich aufeinander zu. Sie sind antikapitalistisch, fremdenfeindlich und nationalsozial. Linke und rechte Populisten sind vereint im Widerstand gegen die Globalisierung. Mit einer Wagenburg-Mentalität agieren sie gegen offene Märkte, kämpfen gegen freien Handel mit Gütern und Diensten, plädieren für protektionistischen Schutz heimischer Sektoren, Regionen, Unternehmen und Arbeitnehmer und wollen international mobiles Kapital an die Kette legen. Sie lehnen alles „Fremde“ ab. Das gilt auch für die Zuwanderung. Humanitäre Flüchtlingsströme sollen strikt begrenzt werden, ein Einwanderungsgesetz soll wirtschaftliche von humanitärer Migration selektieren. Und sie fordern mehr sozialen Schutz gegen wirtschaftliche Unsicherheit und weltweit offene Märkte. Allerdings soll der Sozialstaat prioritär Einheimische schützen, nicht Zugewanderte.  Rainer Hank hat das kürzlich provokativ nationalsozial genannt. Die Sozialwissenschaftler sprechen von Sozialstaatschauvinismus (hier).

Was hilft gegen Populismus?

Der gesellschaftliche Konsens erodiert. Die traditionellen Volksparteien sind nicht in der Lage, diesen Prozess zu stoppen. Ihnen laufen die Wähler weg, sie zerfallen. Populistische Parteien stoßen in die Lücke. Das ist gefährlich, weil sie die Marktwirtschaft in Frage stellen, sich feindlich gegenüber Fremden verhalten und den Sozialstaat chauvinistisch umbauen wollen. Wer diesen Prozess aufhalten will, muss an den Treibern der Entwicklung ansetzen: Strukturwandel, Ungleichheit, Migration und Wertewandel. Der strukturelle Wandel ist ein Prozess schöpferischer Zerstörung. Allerdings: Im Dienstleistungssektor entstehen mehr Arbeitsplätze als im industriellen Sektor verloren gehen. Die Arbeitnehmer, die auf neuen Stellen arbeiten, sind allerdings nicht die, die ihren Arbeitsplatz verloren haben. Der Unmut der Verlierer ist vorprogrammiert. Er ließe sich in Grenzen halten, wenn sie mit neuen, genau so gut bezahlten Jobs entschädigt würden. Finanzielle Transfers für die Arbeitslosen sind nur ein schlechter Ersatz. Schuld ist multipler Mismatch auf den Arbeitsmärkten. Ihn gilt es nachhaltig zu verringern. Arbeitnehmer müssen sektoral, regional und beruflich mobiler werden. Dazu kommt, dass viele neue Dienstleistungsarbeitsplätze frauenaffin sind. Es fällt Männern noch schwer, sie zu akzeptieren (hier). Sie müssen auch mental mobiler werden. Die traditionelle aktive Arbeitsmarktpolitik schafft das nicht. Sie ist allenfalls eine staatliche Beruhigungspille. Wirklich helfen kann sie nicht. Die Tarifpartner können mit flexiblen sektoralen und beruflichen Lohnstrukturen versuchen, das Schlimmste zu verhindern. So kann ein Einstieg in ein „training on the job“ geschaffen werden. Letztlich können aber nur mehr Investitionen in Humankapital („lebenslanges Lernen“) den Mismatch eindampfen. Das ist eine Aufgabe, die erst der Generationenwechsel lösen kann.

Der Ärger des Teils der Generation, der seinen Arbeitsplatz im sektoralen Strukturwandel verliert und keinen adäquaten neuen findet, wird sich nicht auf die Schnelle verringern lassen. Aber vielleicht gelingt es wenigstens, die Unzufriedenheit zu verkleinern, die durch die Ungleichheit entsteht. Es macht wenig Sinn, Globalisierung und technischen Fortschritt als wichtige globale Treiber der Ungleichheit zur Disposition zu stellen. Ansonsten versiegt eine wichtige Quelle des Wohlstandes und wir werden alle ärmer. Auch institutionelle Faktoren (gewerkschaftlicher Organisationsgrad, Zentralisierungsgrad der Tarifverhandlungen) und individuelle Präferenzen (Arbeitsangebot, Haushaltsstruktur, Heiratsverhalten), die mit darüber entscheiden, wie ungleich Einkommen verteilt sind, fallen als politische Stellschrauben aus (hier). Staatliche Umverteilungspolitik in großem Stil ist nur bedingt in der Lage, Ungleichheit zu verringern. Wir brauchen sie dennoch, wenn es darum geht, ein sozio-kulturelles Existenzminimum zu garantieren. Aber auch in diesem Fall sind anreizkompatible Lösungen, wie etwa eine „aktivierende Sozialhilfe“, notwendig. Grundsätzlich ist Umverteilung immer und überall effizienzverschlingend. Weitergehende Umverteilung ist deshalb zu teuer.  Viel wichtiger als mehr staatliche Umverteilung ist eine höhere soziale Mobilität. Die Menschen unterhalb der Top-Einkommens-Bezieher müssen wieder eine realistische Möglichkeit haben, sozial aufzusteigen. Das wird umso wahrscheinlicher, je mehr sie in ihr Humankapital investieren. Die beste Verteilungspolitik ist eine effiziente staatliche Bildungspolitik. Sie ist auch ein wirksames Mittel im Kampf gegen populistische Rattenfänger.

Die treibende Kraft des populistischen Aufschwungs der letzten Jahre war weder der Strukturwandel noch die materielle Ungleichheit, es waren die Flüchtlingsströme. Hier gilt es für Abhilfe zu sorgen. Überall auf der Welt sind die Menschen dem „Fremden“ gegenüber zurückhaltend. Sie haben Angst, dass ihre eigenen Werte von den Vorstellungen der Zuwanderer dominiert werden. Und sie fürchten, dass Einwanderer über den Sozialstaat auf ihre Kosten leben. Diese Ängste ließen sich verringern, wenn zwischen Zuwanderung aus humanitären und wirtschaftlichen Gründen klar unterschieden würde. Die humanitär getriebene Migration von Menschen, die um ihr Leben fürchten müssen, steht außer Frage. Allerdings sollte sie zu einer Aufgabe der EU werden. Und die materiellen Lasten müssen von allen Ländern in der EU getragen werden. Trittbrettfahrerverhalten einzelner EU-Länder darf nicht mehr möglich sein. Da hat die neue italienische Regierung völlig Recht. Über die wirtschaftliche Migration allerdings sollten die einzelnen EU-Länder nach ihren migrationspolitischen Präferenzen entscheiden. Die Länder würden eigene Kriterien für diese Art der Zuwanderung aufstellen. Ein Problem entsteht, wenn in der EU auch weiter Personenfreizügigkeit existiert. Damit ist „Sozialtourismus“ in der EU möglich. Er spielt bei „erworbenen“ (Versicherungs-)Ansprüchen an die Systeme der Sozialen Sicherung keine Rolle. Bei „geborenen“ (Versorgungs-)Ansprüchen an den Sozialstaat muss allerdings das „Heimatland-Prinzip“ gelten. Die sozialen Leistungen sollten denen des Landes entsprechen, das es in die EU zuwandern ließ.  Das ist ein Weg, den Sozialchauvinismus einzudämmen.

Mit wachsendem Wohlstand zunehmende heterogene Präferenzen werden die Parteienlandschaft weiter zersplittern. Ein Ende der Individualisierung der Gesellschaft ist nicht in Sicht. Singuläritäten sind eine Chance für kleinere, homogenere Parteien. Von dieser Entwicklung werden aber auch populistische Parteien profitieren. Das ist allerdings kein Grund, paternalistisch individuelle Präferenzen zu korrigieren, wie es hierzulande die Grünen immer wieder fordern. Wenn die Volksparteien bestimmte Marktsegmente aufgeben, wird die vorhandene Nachfrage von anderen Parteien bedient. Dafür sorgt der Wettbewerb auf politischen Märkten. Wir werden künftig, wie viele demokratische Länder auch, mit populistischen Parteien leben lernen müssen. Politischer Handlungsbedarf besteht nicht. Heterogen sind die Präferenzen allerdings auch, wenn es darum geht, wieviel nationale und regionale Eigenständigkeit die Menschen wünschen. Der Brexit ist ein Beispiel, dass zentrale europäische Lösungen nicht erwünscht sind. Die Briten wollen nicht auf so viel nationale Souveränität verzichten. Der katalonische Fall zeigt, dass die Menschen auch mehr regionale Eigenständigkeit wünschen. Bekommen sie diese allerdings nicht, gewinnen separatistische Bewegungen an Zulauf. Populistische Parteien haben trotz ihrer Vielfalt eines gemeinsam: Sie sind allesamt gegen das Establishment, gegen Eliten und gegen Zentralismus. Wer ihnen politisch Wind aus den Segeln nehmen will, muss in Europa und anderswo mehr regionale Eigenständigkeit zulassen. Die EU tut das Gegenteil. Das befeuert den Populismus in Europa.

Fazit

Die Volksparteien zerbröseln. Überall sind Populisten auf dem Vormarsch. Vor allem die Rechtspopulisten gewinnen an Boden. Die früher starken Linkspopulisten haben ihren Tiefpunkt hinter sich. Sie legen zwar wieder kräftig in der Wählergunst zu, sind aber nur halb so stark wie die rechten Populisten. Das traditionelle politische Muster links und rechts verwischt. Rechte wie linke Populisten eint vor allem dreierlei: Sie sind antikapitalistisch, fremdenfeindlich und nationalsozial. Das politische Establishment und gesellschaftliche Eliten sind ihnen ein Gräuel, manchen auch der Zentralstaat. Die Koalition von Syriza und Anel in Griechenland und neuerdings von Cinque Stelle und Lega in Italien zeigen die inhaltlichen Gemeinsamkeiten. Restaurative Nostalgie dominiert ihr ökonomisches und gesellschaftliches Denken. Getrieben wird diese Entwicklung vom strukturellen Wandel,  der Ungleichheit, einem Wertewandel, vor allem aber von der Einwanderung. Die populistischen Parteien rekrutieren ihre Wähler „strukturell“ aus wirtschaftlich „Abgehängten“, distributiv Benachteiligten, Anhängern „nationaler“ Werte, Gegnern der Marktwirtschaft und latent Fremdenfeindlichen. Protestierende (bürgerliche) Wutbürger unterstützen sie „konjunkturell“ von Wahl zu Wahl. Die wirksamsten Mittel gegen Populismus sind flexiblere Arbeitsmärkte, die sektoralen und beruflichen Mismatch auf Arbeitsmärkten verringern; eine höhere soziale Mobilität, die „Wohlstand für alle“ schafft; eine „gerechtere“ Asylpolitik in der EU, die Trittbrettfahrerverhalten von Ländern erschwert; eine länderspezifische Einwanderungspolitik, die nationalen Präferenzen mehr Raum lässt; mehr nationale und regionale Autonomie, die zentralistische Tendenzen unterbinden. Das bringt in einer Zeit wuchernder Singularitäten zwar die Populisten nicht zum Verschwinden, verhindert aber deren größten politischen Unfug.

8 Antworten auf „Antikapitalistisch, fremdenfeindlich und nationalsozial
Was hilft gegen Populisten?

  1. „Dies legt den Schluss nahe, dass AfD-Unterstützer nicht per se besorgter um die eigene und allgemeine wirtschaftliche Lage, sowie Kriminalität und sozialen Zusammenhalt sind, sondern weil sie negative Konsequenzen durch Flüchtlinge und Zuwanderung fürchten. Zugespitzt kann man deswegen sagen, dass AfD-Unterstützer Ausländern gegenüber feindlich eingestellt sind, sich ansonsten aber kaum von sonstigen Deutschen unterscheiden. Da die AfD-Unterstützer eher Bedenken gegenüber einer kulturellen Unterwanderung als vor ökonomischem Schaden äußern, dürften sie auch nicht von ihrer AfD-Präferenz abzubringen sein, indem man ihnen wirtschaftliche Vorteile von Zuwanderung nahelegt.“
    in: Martin Schröder, AfD-Unterstützer sind nicht abgehängt, sondern ausländerfeindlich. SOEP Papers, 975 (2018), S. 18

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert