Corona und kein Ende?

Mit Fernseherklärung von Sonntag, 22, März 2020 hat die Bundeskanzlerin in Absprache mit den Bundesländern beschlossene bundeseinheitliche Leitlinien, mit denen die Ausbreitung der Covid-19 Infektionen gebremst werden soll, verkündet. Restaurants werden geschlossen. Jene, die nicht im engeren Sinne medizinische Dienstleistungen im direkten Körperkontakt zu Kunden erbringen, dürfen diesen Tätigkeiten nicht mehr nachgehen. Bürger dürfen sich nur noch im Familienverbund oder mit einer anderen nicht zum gleichen Haushalt gehörigen Person in der Öffentlichkeit bewegen. Festivitäten im Freien sind untersagt.

Die Leitlinien wurden von der Bundeskanzlerin, um sie von bloßen Apellen abzuheben, ausdrücklich als Regeln bezeichnet. Die Ordnungsbehörden können Verstöße mit Bußgeldern ahnden. Der öffentlich-rechtliche Verlautbarungsfunk hat die Einheitlichkeit und Allgemeinheit der Regeln begrüßt. Wir dürfen davon ausgehen, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung dies ähnlich sieht und auch ohne formale Ausgangssperren die Regeln einhalten wird.

Die Regeln sind ohne Zweifel rechtsstaatlich zustande gekommen. Sie verdienen es daher, von rechtstreuen Bürgern beachtet zu werden. Die weitere Frage, ob die Regeln und das Vorgehen der Regierung insgesamt gerechtfertigt sind, ist damit nicht beantwortet. Fragen nach der Verhältnismäßigkeit, der Zweckmäßigkeit und vor allem nach den angestrebten Endzielen und Endpunkten der gewählten Politiken sind zu stellen.

Verhältnismäßigkeit

Verhältnismäßigkeit hat nicht nur etwas mit Zielen und Mitteln, sondern auch mit der Sicherheit unseres Wissens und der Art zu tun, wie wir mit den Unsicherheiten umgehen. Es ist zwar zutreffend, dass wir angesichts von Unsicherheiten, die fundamentale Risiken für Leib und Leben betreffen, versuchen sollten, die Fehlbarkeit unserer Vernunft und unseres Wissens so einzubeziehen, dass wir Schäden möglichst begrenzen. Dies kann aber ebenso wenig wie im normalen Alltag bedeuten, dass wir angesichts einer Krise wie der Covid-19 Epidemie alle Risiken vermeiden.

Es geht letztlich darum, Güter gegeneinander abzuwägen. Die bislang recht milden Einschränkungen der bürgerlichen Bewegungsfreiheit scheinen gegenüber der von den Maßnahmen angestrebten Rettung von Menschenleben zunächst vertretbar. Was die Ausübung der Berufsfreiheit anbelangt, sind die Einschränkungen schon als weitaus gravierender anzusehen.

Die Regeln können rechtsstaatlich nur von „verhältnismäßig“ begrenzter Dauer sein. Insoweit irritiert es, dass in der Erklärung der Bundeskanzlerin nur betont wurde, dass die Regeln für mindestens zwei Wochen gelten. Als Bürger hätte man eher erwartet, dass erklärt worden wäre, dass diese Regeln höchstens zwei Wochen gelten sollen, um dann einer erneuten Prüfung unterzogen zu werden. Zwar dürfen wir unterstellen, dass die Funktionsträger unserer Rechtsordnung ebenso wie unsere rechtlichen Institutionen darauf hinwirken werden, die Beschränkungen des öffentlichen und des Wirtschaftslebens nicht über das aus ihrer Sicht „notwendige Maß“ hinaus ausdehnen werden. Am guten Willen wird es nicht fehlen, doch muss es misstrauisch stimmen, dass weder ein klarer Zeitpunkt für die Beendigung der Maßnahmen noch eine klare Bedingung für deren Abbruch genannt wird.

Eine recht vage Zielsetzung, die „Kurve“ erwarteter Neuinfektionen abzuflachen, wird genannt, aber was damit genau bewirkt werden kann, wird keineswegs klar spezifiziert. Da das Corona virus ja selbst dann keineswegs aus der Welt ist, wenn die Maßnahmen lokal in Deutschland maximalen Erfolg haben und keine aus dem Inland stammenden Neuinfektionen mehr zu verzeichnen sein sollten, wird es auf absehbare Zeit zu bleiben, dass das Virus aus anderen Ländern wiederum eingeschleppt werden kann und dann immer noch auf eine nicht mit Herdenimmunität versehene Bevölkerung treffen wird. Angesichts unserer besonders starken Verflechtung mit der Weltwirtschaft, wird es insbesondere uns Deutschen unmöglich sein, uns aus dem internationalen Verkehr dauerhaft zurückzuziehen. Wie soll es also nach dem ersten Sturm weitergehen?

Zur Verhältnismäßigkeit des Handelns gehört es auch, dass man es in Verhältnis zu klar definierten Zielen setzen kann. Soweit das nicht der Fall ist, sind Zweifel an der Verhältnismäßigkeit schon aus diesem Grunde angebracht. Unsere Regierung steht in der Pflicht, etwas darüber zu sagen, wie sie auf mögliche Ausgänge des Experimentes, dass sie gerade mit uns allen durchführt, zu reagieren gedenkt. Dass eine Situation wie die jetzigen noch nie da gewesen ist, wie es gern heißt, entbindet nicht von der Verpflichtung vorauszuschauen und dann von den möglichen Endergebnissen des eigenen politischen Tuns darauf zurückzuschließen, wie man vorgehen sollte

Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende?

Die vorangehende Frage spielt auf eine jeder Lebensweisheiten an, mit denen wir unseren Alltag gern garnieren. Ob in ihr wirklich Weisheit zu finden ist, hängt von den konkreten Umständen ab. Die vorliegende Situation ist gerade nicht alltäglich, trotzdem muss die entsprechende Abwägung durchaus vorgenommen werden. Ein paar Fragen zu den Endzielen dürfen und sollten wir als Bürger unseren Politikern durchaus stellen – und sei es nur, um sie dazu zu bringen vom Ende her zu denken.

Erstens, wie geht es weiter, wenn es gelingt, die Neuinfektionszahlen so zu reduzieren, dass die noch nicht aussichtslosen schweren Fälle von unseren Intensiveinrichtungen ohne Behandlungsverweigerung behandelt werden können („Triagevermeidung“)?

  1. Können wir erwarten, dass Triage nach Eindämmung der exponentiellen Steigerung der Neuinfektionen dauerhaft vermieden werden kann, ohne das öffentliche und gesellschaftliche Leben und den Handel und Austausch mit anderen Ländern unhaltbar einzuschränken?
  2. Falls es möglich ist, die Überlastung unserer Intensivstationen auch ohne auf Dauer nicht hinnehmbare Einschränkungen von Freiheit, Lebensqualität und Wohlstand zu vermeiden, welche konkreten Maßnahmen sind geeignet, diese Problemlösung zu bewirken?
  3. Welche konkreten Schritte wurden eingeleitet, um die eine antizipierte entsprechende Problemlösungsmöglichkeit zu realisieren?
  4. Falls die Problemlösung darin besteht, den besonders gefährdeten Personenkreis der älteren und mit Vorerkrankungen belasteten Bürger effektiv vom Rest der Gesellschaft zu isolieren, wenn diese Personen dies denn wünschen, wie soll das durchgeführt werden?
  5. Wenn man von einer Lösungsmöglichkeit durch Isolierung speziell der Gefährdeten ausgeht, wieso war das nicht von Beginn an möglich?
  6. Was ist genau der Plan für die Lockerung von Restriktionen, falls das Virus in Deutschland unter Kontrolle gebracht werden sollte?

Zweitens, wenn es nicht gelingt, die Zahl der Neuinfektionen hinreichend zu begrenzen, welche Schätzungen gibt es dazu, wie stark steigert sich die Überlebenswahrscheinlichkeit durch Zugang zu einer Intensiveinrichtung für einen schwer Erkrankten gegenüber einem vergleichbar schwer Erkrankten, der diesen Zugang, nicht erhält?

Sollten die Maßnahmen der sozialen Distanzierung und der Beschränkung der Gewerbetätigkeit, die wir gegenwärtig hinnehmen müssen, nicht greifen und unsere Intensiveinrichtungen überflutet werden, so wird sich die Beantwortung der zweiten Frage nicht vermeiden lassen. Es scheint dringend geboten, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, um die Ärzte nicht mit diesen Entscheidungen über Leben und Tod zu belasten, sondern durch gesellschaftlich getragene Regeln und klare Kriterien, zu entlasten. Kopf in den Sand und Prinzip Hoffnung scheint wenig hilfreich.

Die Beantwortung der zweiten Frage wäre nur dann weniger drängend, wenn der Zugang zu Einrichtungen der Intensivpflege keinen grundlegenden Einfluss auf die Überlebenswahrscheinlichkeiten schwer Erkrankter insbesondere der Risikogruppen hätte. Dann würde man sich allerdings unmittelbar fragen müssen, ob das mit uns allen durchgeführte Experiment wirklich vernünftigen Maßstäben der Verhältnismäßigkeit entspricht.

Von verantwortlicher Politik darf man erwarten, dass sie informiert ist und die Daten, die verfügbar sind, zur Kenntnis nimmt. Blinder Glaube an die schläfrige Autorität des Robert-Koch-Institut scheint jedenfalls dem Augenschein nach nicht unbedingt angebracht zu sein. Alternative Szenarien sind auf der Basis dessen, was wir wissen, zu entwickeln https://ourworldindata.org/search?q=covid-19. Gerade weil dieses Wissen mit großen Unsicherheiten behaftet ist, reicht es nicht aus, einfach auf das Prinzip Hoffnung zu setzen und nicht die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass ein Ende mit Schrecken am Ende vielleicht weniger Schrecken beinhaltet, als das Eingeständnis, dass bestimmte Politiken versagt haben.

Die hier gemachte Behauptung ist nicht, dass die Politiken nicht nachvollziehbar sind. Es soll auch nicht gesagt werden, dass unsere Politiker nicht ihr Bestes gegeben und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. Sie sollten aber ein schlechtes Gewissen haben, falls sie keine klaren Endpunkte für ihr Vorgehen definiert haben. Wenn die Politiken scheitern sollten, muss man dies auch erkennen können. Das erleichtert es gerade das Scheitern einzugestehen und aussichtslose Politiken aufgeben zu können. Vernünftige Bürger dürfen mehr erwarten als ein „haltet durch“, „wir schaffen das“ usw. Wenn die Lage wirklich so einmalig ist, dann ist es absolut notwendig, auch auf das Versagen best-gemeinter Politik vorbereitet zu sein. Die Gelassenheit und Glaubwürdigkeit insbesondere der Kanzlerin ist anzuerkennen, aber sie sollte die Zeit in der Quarantäne vielleicht nutzen, um sich und anderen Grundsatzfragen vorzulegen und auf deren Beantwortung zu drängen.

#WirBleibenZuhause

Wenn wir wirklich auf längere Dauer zu Hause blieben, dann würde das die Stabilität unserer Gesellschaftsordnung unweigerlich unterminieren. Der demokratische Rechtsstaat mit seinem unbedingten Respekt für jeden einzelnen wäre gefährdet. Die öffentliche Gesundheitsversorgung und die Garantie des Beistands in Lebensgefahr ist symbolpolitischer Ausdruck des überragenden Wertes, den wir dem einzelnen Leben zumessen. Das Kind, das in einen Brunnen gefallen ist, geben wir gerade nicht verloren, sondern suchen es geradezu koste es, was es wolle, zu retten.

Insofern ist auch die rechtsstaatliche Sorge darum und die vorausschauende Opferbereitschaft dafür, Menschen in Lebensnot mit unseren Intensiveinrichtungen helfen zu können, nicht nur vollkommen berechtigt, sondern auch Beleg dafür, dass dieser Rechtsstaat unsere Hochachtung und Unterstützung verdient. Wir müssen uns aber auch der Tatsache bewusst sein, dass die Akzeptanz des Rechtsstaates nicht von der Rettung gefährdeter Leben allein leben kann. Auch hier muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben und dafür gesorgt werden, dass dem Rechtsstaat die Unterstützung seiner Bürger dauerhaft zuwächst. Wir müssen uns darauf besinnen, dass die Therapie schlimmer als ein zu behandelndes Problem sein kann.

Siehe auch

https://verfassungsblog.de/grenzen-der-solidaritaet/

http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=26264

Blog-Beiträge zum Thema:

Spare in der Zeit, so hast Du in der Not. Finanzpolitik in Zeiten der Pandemie

Dieter Smeets: Corona-Todesfälle im internationalen Vergleich

Ulrich van Suntum: Überschussliquidität der Banken in Corona-Notkredite umwandeln

Dieter Smeets: Die Corona-Pandemie und ihre (ökonomischen) Folgen

Marco Wagner: Italien tief in der Corona-Krise

Norbert Berthold: Seuchen, Stagflation und Staatswirtschaft. Wirtschaftspolitik in Zeiten von Corona

Michael Grömling: Corona mutiert zum Globalisierungsschock

Tim Krieger: Hochschulen in Zeiten des Corona-Virus. Ein Entwicklungsmodell unter Druck

5 Antworten auf „Corona und kein Ende?“

  1. Die Krise auch als „Entdeckungsverfahren“ für innovative Lösungen verstehen

    Der Beitrag enthält eine Reihe bedenkenswerter Argumente, wie sie sich etwa unter anderem aus der Theorie der Wirtschaftspolitik ergeben. Diese werde ich aber im Folgenden nicht wiederholen. Eher ergänzend und aus meiner Perspektive relativierend will ich aber die folgenden Anmerkungen vornehmen: In „normalen Zeiten“ habe ich mich tatsächlich schon oft gefragt und sehr gewundert, wieso auf Pressekonferenzen führende Politiker praktisch ohne Widerspruch der anwesenden Journalisten sagen können, dass sie auf „Wenn-Dann“-Fragen grundsätzlich keine Antwort geben. Das halte ich schon lange für bedenklich.

    Mir als prinzipiellem Befürworter des Ansatzes rationaler Wirtschaftspolitik (unter Berücksichtigung der politischen Ökonomie von Strukturreformen) sollte der Beitrag etwas mehr evolutorische Aspekte berücksichtigen. Natürlich muss überlegt werden, wieso etwa für eine solche Krise keine „Schubladenprogramme“ und entsprechende Vorsorgemaßnahmen direkt verfügbar sind, um die notwendigen Ressourcen in einer solchen Krise verfügbar zu haben.

    Müsste man aber nicht auch fragen, ob nicht gerade auch große Teile der führenden Ökonomen die „Globalisierungsdividende“ überschätzt haben, weil seltene, aber möglich Gefahren einer Pandemie zu wenig erörtert und folglich auch zu wenig Vorsorge eingefordert und daher auch womöglich durch viele Staaten betrieben worden ist, weil dies kurzfristige Vorteile im Standortwettbewerb ermöglicht hat. Auch wenn dies so sein sollte, darf es dennoch keineswegs darum gehen, die Globalisierung (wie es in Teilen der Debatte schon außerhalb dieses Blogs) nach der Beendigung der akuten Krise angesichts ihrer bisher per Saldo wohl stark wohlstandssteigernden Effekte zurückzufahren. Mehr Augenmaß als bisher ist aber wohl in Wissenschaft und Politik erforderlich, und die internationale und nationale Governance muss ebenfalls sorgfältig überdacht werden.

    Zu befürchten ist, dass wir uns trotz der schon vorhandenen immensen Schäden für Menschen und Wirtschaft derzeit erst in der Situation befinden, in der – um ein oft verwendetes Bild zu verwenden – die „Löschmaßnahmen“ mit den nur begrenzt verfügbaren Kapazitäten der Politik und der Verwaltung (und zwar in der Regel mit extrem vielen Überstunden und dankenswerten oft selbstlosen Einsatz) vorbereitet und umgesetzt werden. Möglicherweise bestehen die Opportunitätskosten der nun notwendigen akuten Maßnahmen ebenfalls darin, dass man angesichts der immensen Unsicherheit nicht schon eine Exit-Strategie zur Verminderung der wirklich schlimmen Wirtschaftsschäden im Einzelnen vorbereitet und bekannt gibt.

    Was aber wäre, wenn bereits jetzt – so detailliert wie es teilweise auch in der Presse gefordert wird – der Exit aus dem „Lockout“ bekannt gegeben wird, wenn er sich dann bei weiter immens steigender Anzahl der Infizierten und Sprengung der Kapazitäten der Krankenhäuser aus humanitären Gründen als nicht umsetzbar erweist? Hätte das nicht auch einen immensen Glaubwürdigkeitsschaden für die Politik zur Folge und könnte somit kontraproduktiv wikren?

    Müsste man die derzeitige akute Krise nicht auch als ein „Entdeckungsverfahren“ (im Sinne von Hayek) für zugleich innovative und gesellschaftlich akzeptable wirtschaftspolitische Strategien angesichts des derzeitigen kurzfristigen Wissensmangels ansehen? Ein Beispiel für innovative Ideen ist etwa der kürzlich veröffentlichte Vorschlag des effizienten Einsatzes der von Covid-2 genesenen und zumindest dann zeitweise wohl immunen und andere nicht ansteckenden Personen. Die Beschränkung von Sondermaßnahmen auf die Notstandszeiten durch „Sunset Legislation“ dürfte auch das Mittel der Wahl sein, worauf insbesondere viele Ökonomen schon hinweisen.

    Zeit zum Auffinden solcher innovativen Lösungen ist äußerst wichtig, um für die noch erforderlichen einschneidenden künftigen Maßnahmen genügend Akzeptanz zu schaffen. Schnellschüsse „aus der Hüfte“ können womöglich mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften. Richtig ist aber (worauf Prof. Dr. Kliemt ja richtigerweise hinweist) ebenfalls, dass die wirtschaftlichen Kosten der Nichtproduktion bzw. stark verminderten Produktion ständig ansteigen, sodass hier eine Balance zu finden ist, wofür angesichts der Unsicherheit der Situation auch mutige politische Entscheidungen erforderlich sind.

    Vorschnelle Festlegungen der Politik einer sehr schnellen Beendigung des jetzigen weitgehenden Stillstands der Produktion außerhalb der für die Ordnung und das Leben wirklich notwendigen Bereiche könnten insofern problematisch sein, weil sie womöglich falsche Sicherheit und Überoptimismus verbreiten und im Gegenzug Panik verursachen könnten, wenn die Zahl der Ansteckungen in den nächsten Tagen noch exponentiell zunehmen wird und Ankündigungen eines eventuell zu überoptimistisch angekündigten Beendens der jetzigen Situation dann widerrufen werden müssten. Unter der Berücksichtigung der „Psychologie von Reformen“ könnte es also nötig sein, für die Politik Zeit zu gewinnen, welche auch notwendig ist, die Akzeptanz des notwendigen „Exits“ aus dem jetzigen „Lockdown“ nach und nach aufzubauen, weil naturgemäß die Anspruchsniveaus aller Gruppen in der Krise auf ein geringeres Maß gesenkt werden müssen, wenn die verfügbaren Ressourcen sinken. Sieht man einmal von den makroökonomisch notwendigen Rettungsschirmen ab, welche als Sofortmaßnahmen ja kurzfristig notwendig sind, um sich selbst verstärkende kurzfristige Verfallsprozesse zu verhindern, kann mit der Dauer der Krise auch das Rettungspotential verbessert werden, weil die besten Köpfe sich darauf konzentrieren, innovative Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln, welche vor und zu Beginn der Krise noch gar nicht bekannt sind. Dies könnte auch ordnungspolitisch sinnvoll und für die mittlere Frist zielführend sein.

    „Learning by suffering“ könnte die notwendige Bedingung für die Akzeptanz des erforderlichen Exits sein, da dieser wahrscheinlich wohl weiterhin mit gesundheitlichen Gefahren für nicht wenige Personen einhergehen wird, selbst wenn man weitgehend besonders verwundbare Gruppen der Älteren und Vorerkrankten für einige Wochen isolieren kann. Denn nicht alle Vorerkrankungen dürften den davon Betroffenen bekannt sein, sodass auch unerwartet Menschen zum Opfer werden, wenn man dies zu wenig im Auge behält. Ethisch dürften sich sehr schwierige Situationen ergeben, falls trotz aller akuten Anstrengungen die Kapazitäten in den Krankenhäusern nicht ausreichen werden.

    Noch dürften auch viele Ökonomen, wie ich ebenfalls, der Position des Vorsitzenden der „Fünf Weisen“, Prof. Dr. Lars Feld, in der Welt am Sonntag vom 22. März 2020 zustimmen: „Wir stellen den Erhalt des Lebens in der Regel über alles, das ist gut so.“ Klar ist aber auch, dass Abwägungsentscheidungen immer schon getroffen werden müssen, da ja auch in normalen Zeiten nicht z.B. die Zahl der Verkehrstoten auf Null gesenkt wird, weil der dafür aufzubringende Mitteleinsatz so hoch sein müsste, dass z.B. zu wenig Mittel für eine adäquate Gesundheitsversorgung verfügbar wären (was dann mehr Tote dadurch zur Folge haben würde). Insofern ist Prof. Dr. Kliemt zuzustimmen: „Es geht letztlich darum, Güter gegeneinander abzuwägen.“ Wichtig und sehr schwierig ist es aber aus meiner Sicht, das für die Akzeptanz der notwendigen Maßnahmen durch die Regierung richtige „Timing“ in dieser Situation der Unsicherheit zu finden. Dies verdeutlichte doch sehr deutlich bereits die in Teilen der Bevölkerung verbreitete Uneinsichtigkeit (vor den jetzigen stark die Bewegungsfreiheit einschränkenden Regeln), „Social Distancing“ temporär angesichts der wissenschaftlich nachweisbaren negativen externen Effekte auf vulnerable Gruppen freiwillig in genügendem Ausmaß zu betreiben.

  2. Abschied von Corona-Illusionen

    „Wir müssen uns darauf besinnen, dass die Therapie schlimmer als ein zu behandelndes Problem sein kann“, hieß es im März in dem Beitrag von Prof. Dr. Kliemt, dessen Aufsätze ich in aller Regel sehr schätze. Mittlerweile wissen wir ebenfalls, dass auch eine unter- und fehldosierte Therapie, bei der die Ursachenbekämpfung letztlich zu kurz kommt, zur Verschleppung und zur Verschlimmerung der Viruskrankheit führen kann.

    Daher ist gut, dass der FAZ-Herausgeber im Bereich Wirtschaft, Gerald Braunberger, am Ende des Jahres noch einmal inhaltlich klarstellt: „Corona und kein Ende?“ war und ist keineswegs zwangsläufig. Zurecht heißt es in seinem Kommentar kurz vor Beginn des von vielen für nicht nötig, nicht möglich und für zweifellos kontraproduktiv gehaltenen zweiten nationalen Lockdowns:
    In „ dieser Stunde hat eine konsequente Bekämpfung der Pandemie Vorrang, denn nur dieser Ansatz verspricht, der Plage möglichst bald Herr zu werden. Auch für die Wirtschaft ist dies die beste Lösung“ (https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kommentar-zum-neuen-lockdown-ende-der-illusionen-17100162.html#void).

    Diese Positionierung – welche sich seit Monaten bei vielen Politik- und Wirtschaftsbeiträgen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung tendenziell gezeigt hat – ist bemerkenswert. Denn die These eines recht einfach politisch handhabbaren mittelfristigen Zielkonflikts zwischen Wirtschaftsleistung und Rettung von Covid-19-Opfern wird hiermit klar als Illusion herausgestellt, so wie es wichtige wissenschaftliche Beiträge zum Corona-Virus bereits sehr früh getan haben (vgl. vor allem https://economics-in-the-age-of-covid-19.pubpub.org/).

    Diese Positionierung unterscheidet sich deutlich von der Mehrzahl der Aussagen in einer anderen wirtschaftsliberalen „Qualitätszeitung“ ( von anderen Presseerzeugnissen mit vielen bunten Bildern des gleichen Verlags ganz zu schweigen).
    Auch in diesem ordnungspolitischen Blog wurde vielfach von führenden deutschen Wirtschaftsliberalen seit März 2020 darauf verwiesen, dass es ohne eine wirksame Bekämpfung des – trotz schneller Erkenntnisgewinne noch immer nicht völlig berechenbaren – Virus letztlich auch keinen dauerhaften Wirtschaftsaufschwung geben kann, zeigt mir sehr deutlich: Anders als bei manchen anderen Blogbeiträgen, welche aus meiner Perspektive zu vereinfacht eine vermeintlichen „Common Sense“-Ökonomik oder Wirtschaftsethik vertreten haben, hat der ordnungsökonomische Kompass bei diesen Blogbeiträgen wie auch bei FAZ-Herausgeber Braunberger diesbezüglich verlässlich in die richtige Richtung gewiesen.

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