Gastbeitrag
Ist das vorausschauende Fiskalpolitik?

Der Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministers Olaf Scholz für das kommende Jahr steht. Nach der Rekord-Neuverschuldung von 218 Milliarden Euro in 2020 soll die Neuverschuldung in 2021 bei 96 Milliarden Euro liegen. Das ist insofern verwunderlich, als dass die Wachstumsprognose der Bundesregierung mit 4,4 Prozent recht üppig ausfällt. Das ist erfreulich, selbst wenn die Verluste des Jahres 2020 (-5,8 Prozent) damit nicht ausgeglichen werden können. Der Finanzminister will erst nach 2024 zurück zur Schuldenbremse finden. Für die Jahre 2022 bis 2024 weist die Finanzplanung eine Lücke von knapp 100 Milliarden Euro auf.

Nun steht es außer Frage, dass die Coronakrise und ihr langfristigen Folgen eine entschlossene fiskalpolitische Reaktion erfordern. Entsprechend hat die Bundesregierung Anfang Juni ein Konjunkturpaket mit „Wumms“, so der Finanzminister, vorgelegt. Insgesamt wurden 130 Milliarden Euro aufgerufen. Damit hat die Bundesregierung deutlich gemacht, dass sie die Herausforderungen der Krise anzunehmen bereit ist und den Menschen Sicherheit geben will.

Allerdings ist das Paket durch eine Schieflage gekennzeichnet. Neben vielen wichtigen Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld und Hilfen gerade für den Mittelstand enthält es eine Reihe von Ausgabenprogrammen, die mit der Krise als solcher nicht viel zu tun haben. Das Bundeskabinett nutzte die Krise, um endlich einige Lieblingsprojekte zu finanzieren, die bislang an der Haushaltdisziplin scheiterten.

Als eine Konsequenz steigen die geplanten staatlichen Investitionen in 2020 auf über 71 Milliarden Euro (nach 38 Milliarden Euro in 2019) an. Auch in 2021 sollen Investitionen des Bundes mit 55 Milliarden Euro hoch bleiben. Das klingt erst einmal positiv angesichts einer vielfach diagnostizierten maroden Infrastruktur und deutlichen Rückständen in der Digitalisierung (im Vergleich zu den meisten Industrieländern). Es wird sozusagen höchste Zeit!

Trotzdem stellt sich die Frage, ob es wirklich notwendig ist, die Staatsausgaben auch in 2021 deutlich höher zu planen als in den Jahren vor der Corona. Mehrere Gründe sprechen eher dagegen. Erstens ist es keineswegs sicher, dass das geplante Defizit des Jahres 2020 – zur Erinnerung: 218 Milliarden Euro! – tatsächlich auftreten wird. Es gibt deutliche Verzögerungen bei der Auszahlung der Hilfszahlungen beziehungsweise offenkundig weniger Bedarf als ursprünglich vermutet. Das lässt auch hoffen, dass der Bedarf an Unterstützungszahlungen auch in 2021 deutlich geringer als im Bundeshaushalt eingeplant ausfällt.

Zweitens ist die Coronakrise keineswegs eine reine Nachfragekrise. Es liegt ein kombinierter Angebots- und Nachfrageschock vor. Da wird es nicht genügen, reine Nachfragepolitik zu betrieben. Sie kann vielmehr kontraproduktiv sein, wenn sie dazu beiträgt, dass Unternehmen, die nach der Krise strukturell obsolet und damit nicht mehr überlebensfähig sind, zu lange am Ausscheiden aus den Märkten gehindert werden. Weniger Geld wäre dann besser. Zudem wäre es angebracht, die Angebotsbedingungen zu überprüfen. Damit ist nicht gemeint, dass der Wirtschaftsminister festlegt, welche Sektoren in der Zukunft besonders wichtig sind – das wäre keine Angebotspolitik, sondern Planwirtschaft. Richtig wäre es, die Krise zu Reformen zu nutzen. Neben dem Bürokratieabbau fällt einem sofort die Steuerpolitik ein: Nötig sind breitere Steuerbasis, niedrigere Steuersätze und Steuervereinfachung. Auch das System der Außenwirtschaftsförderung gehört auf den Prüfstand, werden doch die internationalen Wertschöpfungsketten gerade gehörig durcheinandergewirbelt. Viele im Außenhandel engagierte Unternehmen werden sich umstellen müssen – ihnen möglichst neutral zu helfen, braucht nicht viel Geld, aber politisches Kapital.

Drittens bleibt die Frage, wer diese Schulden zurückzahlen soll und wie. Es stimmt zwar, dass die Zinsen historisch niedrig sind und die Zinslast für die Bundesregierung auch in der Zukunft nicht allzu hoch sein wird (vor allem im Vergleich zu früheren Phasen recht hoher Staatsverschuldung). Dennoch muss die Schuldenlast auf Dauer niedriger sein, gerade mit Blick auf zukünftige Schocks. Denn ohne die gute fiskalische Situation der vergangenen Jahre wäre die Corona-Krisenbewältigung der Regierung wesentlich schwerer gefallen. Um diesen Zustand wieder zu erreichen, muss der Schuldenstand schnell wieder sinken. Das bedeutet auch, dass zukünftige Steuereinnahmen wesentlich zur Tilgung eines Teiles dieser Schulden eingesetzt werden müssen.

Das wird der Bundesregierung der Jahre 2025 und folgende – egal welcher Partei – aber nicht leichtfallen. Denn zu dem Schuldenproblem wird dann der Umstand kommen, dass nach 2024 die geburtenstarken Jahrgänge beginnen, in Rente und Pension einzutreten. Dann wird viel Geld benötigt, um das Niveau der Alterssicherung auf dem gegenwärtigen Niveau zu halten. Neben der Bewältigung der drohenden politischen Diskussion wird es nötig sein, spitz zu rechnen. Da wäre es hilfreich, die Schuldenlast möglichst gering, beziehungsweise das finanzpolitische Pulver trocken zu halten.

Bei alledem muss man in Rechnung stellen, dass der Bundesfinanzminister auch Kanzlerkandidat ist – und zwar für eine Sozialdemokratie (SPD), die schon seit längerem mit wirtschaftlicher Vernunft fremdelt und immer lautstärker fordert, die Krise endlich zu massiver Verschuldung zu nutzen. Selbst wenn der Minister selber für Vernunft und Augenmaß steht, wird er diesem politischen Druck nicht vollständig widerstehen können.

Es wäre aber fatal, wenn er auch noch den Rufen nach massiven Steuererhöhungen für die „Reichen“ nachgeben würde. In Deutschland wird der Grenzsteuersatz von 42 Prozent schon ab knapp 60.000 Euro Jahreseinkommen erhoben. Da ist noch kein Mensch reich, und höhere Steuern treffen auch bei höheren Einkommen nicht immer nur wohlhabende Jet-Setter, sondern meistens hart arbeitende Menschen – sei es als Angestellte oder im eigenen Unternehmen. Die Gegenfinanzierung von Krisenbewältigung und höheren Investitionen kann anders erfolgen – Stichworte sind anreizkompatible Steuerpolitik, Ausgabeumschichtung und Subventionsabbau.

In der Summe ist der Bundeshaushalt kein großer Wurf. Es spiegelt den Versuch wider, die unmittelbaren Probleme zu lösen, ohne die langfristigen Probleme dabei ernsthaft in den Blick zu nehmen. Dies ist nicht ungewöhnlich, denn im letzten Jahr vor der Bundestagswahl hat noch keine Bundesregierung eine wirklich nachhaltige und vorausschauende Finanzpolitik betrieben. Dennoch würde man sich etwas mehr Langfristdenken und eine vorausschauende Fiskalpolitik wünschen.

Hinweis: Der Beitrag erschien am 25. September 2020 in der Wirtschaftswoche Online.

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