Ein Hoch auf Deutschland und seine staatstragenden Parteien!

Lindners Latein

Vernünftige Friedenspolitik muss zukunftsgerichtet sein. Sie muss vor allem das Interesse potentieller Gegner an friedlichem Interessenausgleich zu stärken suchen. Mit „kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen“ hat Christian Lindner klassische lateinische Formulierungen (1) dieser zeitlosen Wahrheit in gut deutscher Übersetzung, in die politische Debatte eingeführt. Bravo!

Dass Lindners Äußerung politisch nicht ernsthaft widersprochen wurde und sie vor allem auch von den Grünen entschieden unterstützt wurde, zeigt, dass der Abschied von dreißig Jahren deutscher Anbiederungspolitik gegenüber Russland, als besiegelt gelten darf. Einsicht ist zwar der sprichwörtlich erste Schritt zur Besserung. Doch zur nachhaltigen Besserung ist es ein weiter Weg. Dieser erfordert es, langfristig bindende und wirksame Maßnahmen zur zukünftigen Sicherung gegenüber äußeren Bedrohungen zu ergreifen. Dieser Verantwortung gerecht zu werden, ohne dabei die Prinzipien verfasster Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu gefährden, ist nicht einfach. Doch CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD sind ihrer staatspolitischen Verantwortung bislang gerecht geworden. Sie haben auf beeindruckende Weise nach dem Überfall auf die Ukraine taugliche erste Maßnahmen zur nachhaltigen Sicherung der wirtschaftlichen und militärischen Stärke unseres Gemeinwesens ergriffen.

Die Anhänger des freiheitlichen Rechtsstaates sind mit ihrem Latein nicht am Ende. Sie haben begonnen, konkrete rechtliche Schritte zu ergreifen, die entschlossenen Taten das Feld bereiten können.

Neu-Latein

Es geht nicht allein darum, dass der offenkundig breit mehrheitsfähige Zweck, die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik zu erhöhen, das „Mittel“ zusätzlicher Verschuldung rechtfertigt. Beeindruckend und überraschend ist, wie entschieden und rechtsstaatskonform nachhaltige Schritte unternommen wurden. Man hat sich gerade nicht darauf verlassen, dass das BVerfG etwa unter Berufung auf überpositives Recht der Schuldenpolitik durch ‘Auslegung’ positiven Verfassungsrechts aus der Patsche hilft. Man hat vielmehr anerkannt, dass es jeweils einer verfassungsändernden Supermajorität bedarf, um Schulden über die in der Verfassung festgelegte Grenze hinaus zu machen. Das hat die zur Beschränkung finanzpolitisch fataler, letztlich rechtsstaatsgefärdender Parteienkonkurrenz notwendige Verankerung der „Schuldenbremse“ in der Verfassungswirklichkeit gerade nicht geschwächt, sondern gestärkt. Die einzig wirklich große politische Errungenschaft der (damals auch numerisch) “Großen Koalition” ist insoweit nicht nur erhalten geblieben, sondern gestärkt worden. Bravo!

Zwar enthält das GG in Artikel 1 (Menschenwürde) und 20 (Föderalismus) zwei in 79(3) für unveränderbar erklärte Klauseln. Diese ‘Spärlichkeit’ wird – ganz abgesehen von gewissen logischen Schwierigkeiten, die mit einer selbstbezogenen Erklärung der Unveränderbarkeit einer Verfassungsklausel einhergehen (2) – niemanden überraschen. Kein vernünftiger Zeitgenosse wird darauf verzichten wollen, generell eine Änderung der Verfassung mit entsprechenden „Supermajoritäten“ vorzusehen. Angesichts der Ungewissheit der Zukunft und möglicher exogener Schocks muss sonst die Verfassung so vage formuliert werden, dass der Text keine Bindungswirkung hat bzw. das BVerfG in die Position einer politisch ausschlaggebenden ‚Dritten Kammer‘ gebracht wird oder beides (3).

Mit verfassungsändernder Mehrheit ein Sondervermögen einzurichten, ist nicht nur ein buchhalterischer Trick zur Umgehung der Schuldenbremse. Diesen Weg beschritten zu haben, bildet vielmehr einen absehbar segensreichen verfassungskonformen Präzedenzfall, auf den sich spätere Kläger vor dem BVerfG berufen können. Dass dieser Weg weitgehend aus aktueller tagespolitischer Notwendigkeit heraus beschritten wurde, tut der segensreichen Nebenfolge keinen Abbruch. Auch gute Konsequenzen können bekanntlich unintendiert herbeigeführt werden. Bravo!

Staatstragende Parteien

Dass die Maßnahme, ein Sondervermögen zur Finanzierung einer rationalen militärischen Verteidigungspolitik einzurichten, mit Bezug auf ihre intendierte Hauptwirkung sehr viel für sich hat, ist in jedem Falle anzuerkennen. Kritik an Details der Durchführung ist notwendig und zu erwarten. Tagespolitische Auseinandersetzungen gehören glücklicherweise zum Wesen der pluralen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Aber bevor wir zum politischen Alltag übergehen, haben wir als Anhänger freiheitlich-demokratischer Rechtsstaatlichkeit allen Grund, ohne alle Ironie von staatstragenden Parteien zu sprechen.

Also ein Hoch nicht nur auf CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD, sondern auch auf unseren Rechtsstaat, dessen Institutionen sich grundsätzlich bewährt haben.

Hoffen wir, dass die russische Politik, die nach dem Intermezzo Gorbatschow wieder in ihren menschenverachtenden Normalzustand zurückgekehrt zu sein scheint, es auf Dauer mit einem wieder wehrhafteren europäischen Westen zu tun haben wird. Wenn es gelingt, langfristig die wirtschaftlichen Möglichkeiten Russland zur Rüstung zu beschneiden und militärische Abenteuer für die selbsterklärten ausbeuterischen Eliten zunehmend unattraktiver werden zu lassen, hätte sich Putin verrechnet.

Dass die Staaten des Westens in Zukunft allgemein entschiedener gegen totalitäre Systeme diskriminieren müssen, wird sich ohnehin aus der Notwendigkeit ergeben, weltweit einen Karbon-Preis durchzusetzen (5). Diese Aufgabe könnte aufgrund der Erfordernisse militärischer Kartellbildung sogar erleichtert werden. Hoffen wir auf das Beste, doch stellen wir uns zugleich auf das schlimmste auch militärisch ein. Wir haben erste Schritte getan, doch der Weg wird lang – hoffentlich!

Bemerkungen

  • Der römische General Vegetius hat die Lindners Latein zugrundeliegende zeitlose Wahrheit militärischer Gleichgewichts- und Abschreckungspolitik mit den Worten “igitur qui desiderat pacem, praeparet bellum” klassisch zum Ausdruck gebracht. Die Variante „si vis pacem para bellum“, ist womöglich noch prägnanter und zumindest in der angelsächsischen Welt bekannter.
  • Hoerster, N. “On Alf Ross’s Alleged Puzzle in Constitutional Law.” Mind 1972 (1972): 422 ff.
  • Die Spannung zwischen a. durch geringe Bindungswirkung und allgemeine Formulierung erkaufte Bestandsfähigkeit der Verfassung und b. die durch strikte, stark bindende Formulierung riskierte Ablösung einer Verfassung, werden in einem viel zu wenig beachteten älteren Aufsatz diskutiert Lutz, Donald. “Toward a Theory of Constitutional Amendment.” American Political Science Review 88, no. 2 (1994): 1–16.
  • Die Idee, vor allem ausgabenwirksame Gesetze Anforderungen der Supermajorität zu unterwerfen, hat sich für tagespolitische Gesetze als nicht implementierbar erwiesen, könnte aber mit Bezug auf die „balanced budget“ Klauseln, so wie nun in der BRD, praktikabel sein; vgl. etwa Buchanan, James M. and Tullock, Gordon 1962/1999, “The Calculus of Consent” The Collected Works of James M. Buchanan. 20 vols. Indianapolis, IN: Liberty Fund, 1999, https://www.econlib.org/library/Buchanan/buchCv3.html
  • https://mitpress.mit.edu/books/global-carbon-pricing
Hartmut Kliemt
Letzte Artikel von Hartmut Kliemt (Alle anzeigen)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert